Zufällig bin ich beim Herumsurfen im Internet auf das "Onlinemagazin für kreatives Schreiben, Bad Kreuznach & Bingen" namens EXPERIMENTA gestoßen, in dem auch "Katharsis I- Kreisklassenhölle" besprochen wurde.
Der Rezensent, ein (ich gehe bei dem Namen mal von einem männlichen Wesen aus) gewisser Toni Reitz, hat das Buch ziemlich geschlachtet.
Es ist nie sonderlich erfreulich, einen Verriß zu kassieren, aber für mich wiederum mal wieder eine Motivation, mich aus dem relativ engen Korsett zu befreien, das ich mir mit der "Kreisklassenhölle" angelegt habe.
Natürlich definiert man mit seinem Erstling einen gewissen Standpunkt, von dem aus der Leser weiß, was er künftig ungefähr von einem zu erwarten hat; aber als einzige Referenz einen mittlerweile fast zehn Jahre alten Text vorweisen zu können und ständig daran gemessen zu werden, nervt andererseits auch ziemlich. Zum Glück liegt es an mir, etwas daran zu ändern und meiner Arbeit zusätzliche Facetten hinzuzufügen.
Daß Esoterik und positive Lebensratgeber trotzdem auch künftig nicht von mir zu erwarten sind, muß ich glaube ich nicht gesondert erwähnen.
Hier also die Rezension; um ein paar Stellen gekürzt, die meiner Meinung nach zu große Spoilerfunktion bezüglich des Inhalts haben.
Ich lasse sie auch weitgehend kommentarlos stehen, abgesehen von folgenden Anmerkungen: das Ende des Buches ist absichtlich offen gehalten. Und daß sie, Herr Reitz, das Ende nicht nur auf einen Punkt festmauern, sondern ihre Schlußfolgerung auch in Ihrer Kritik veröffentlichen, lasse ich genausowenig unwidersprochen wie Ihren Vorwurf bezüglich meines mangelnden Respekts vor meinen Lesern.
Der Respekt vor meinen Lesern erwächst aus der Rückmeldung, die ich erhalte. Beim Schreiben selbst, es sei mir verziehen, denke ich nicht groß über potentielle Leser nach, auch weil das unweigerlich zu einer Selbstzensur führen würde.
Das mag man mir als Arroganz auslegen; letztendlich ist es nur der Versuch, äußere Einflüsse auszuklammern... verbunden mit dem Risiko, dementsprechend negative Kritiken zu erhalten.
Was nichts daran ändert, daß ich mich über positive Reaktionen freue und sie mir nicht gleichgültig sind.
Was den Ausspruch des Erzählers (ja, um einen solchen handelt es sich, was ja scheinbar im Verlauf von Rezensionen- unabhängig von der Bewertung- immer gerne vergessen wird) über seinen mangelnden Analverkehr angeht: wie man da durch das Verb "trompetet" eine Art machohaften Stolz hineindeuten kann, wo es letztendlich um eine ausbleibende Rechtfertigung für destruktives Verhalten geht, bleibt mir ein Rätsel.
Vielleicht war der Dreh auch nötig, um die Pointe mit dem "Arschficken" unterbringen zu können; solche güldenen Sternstunden erlesenen Humors sollte man nicht ungenutzt verstreichen lassen.
Hier nun also die Rezension:
Es muß doch irgendwie schrecklich sein können
Kreisklassenhölle von Stefan Gaffory
Stefan Gaffory hat das Zeug zu einem guten Schriftsteller. Seine Darstellung der
Verletzungen eines gescheiterten Liebhabers durchdringt den Schutzschild selbst
geübter Leser. Nach dem letzten Ausraster seines Helden, mit dem er endgültig zerstört hat, was bei seiner Freundin an Zuneigung noch übrig war, schickt sie
ihm eine Kassette. „Play it loud“, schreibt sie dazu.[...]
Doch Gaffory ist kein guter Schriftsteller. Was er aufbaut, bleibt schreckenerregend
angemaltes Pappmaché.
Der Held wächst in einem Provinzkaff, der Kreisklassenhölle, auf, findet dort weder Halt noch Rolle. In ihm wächst nicht Persönlichkeit, nur Haß auf seine Umgebung. Mangels Besserem wird er Altenpfleger und kommt im Heim erst recht nicht zu Rande, was nur noch mehr Haß in ihm wachsen läßt. Er flieht in die Universitätsstadt, doch auch dort findet er sich nicht, zu hoch stehen Haß und Selbsthaß schon in ihm, er läßt nur alles Zerstörerische aus sich heraus, eckt noch mehr an und fällt beinahe schon.
Gebremst wird der Weg nach unten nur einmal, als das Mädchen, der Engel, in sein Leben tritt. Doch er kann nicht aufhören, um sich zu schlagen, und verliert
sie - und alles.
[...]
Das alles ertränkt er in einem nicht enden wollenden Strom aus Alkohol und Rauschgift, aus Geschrei und Wut, aus Prügel und Randale, verziert mit einer Kette von Anrufungen des magischen Namens „Heidegger!“
Es ist als sei Kinski – seligen Angedenkens – aus dem Grab auferstanden, um alle Vorurteile gegen seinen Namen noch einmal zu verzehnfachen. Hauptsache, es nimmt sich schrecklich aus.
So etwas haben wir schon oft genug gelesen oder gesehen, aber ein großer Autor hätte vielleicht noch etwas daraus gemacht.
Das Glück haben wir aber nicht, und so bleibt der 237 Seiten lange Zornausbruch letztlich äußerlich. Genau mit der gleichen arroganten Haltung, in ein und dem selben
Moment alles kaputtzuschlagen, sich dafür selbst zu bemitleiden und trotzdem alles
besser zu wissen, die er die ganze Handlung hindurch an den Tag legt, genau mit
dieser Haltung spricht der Erzähler auch den Leser an. Er nimmt einfach den Mund zu
voll, das beginnt schon am Anfang, als er trompetet, noch nicht einmal als Jugendlicher mit Gewalt zum Analverkehr gezwungen worden zu sein. Ach hätte ihn doch nur jemand rechtzeitig ein paar Mal ordentlich in den Arsch gefickt – dann hätten beide was davon gehabt, und dem Leser wären Kaskaden der Banalität erspart geblieben.
Was vielleicht sonst noch Interesse geweckt hätte an dem kleinen Buch, wird durch
verunglückte Typographie vollends ruiniert. Unsaubere Typen, die ihre eigene Form
nicht recht ausfüllen, tummeln sich auf rauhem Papier, das sie beinahe tanzen läßt.
In viel zu langen Zeilen findet das Auge keinerlei Halt; sie fallen nach unten, längst bevor das rettende Ufer des rechten Rands erreicht ist. Die Sakkade, der Augensprung beim Lesen, wird zum ungebremsten Absturz.
Insofern gebührt der Verlegerin Respekt für Ihren Mut, einem Schriftsteller im Werden
seine Gelegenheit zu geben. Gleichzeitig wünschen wir ihr, daß auch Autoren
in ihr Programm finden, die auf ihrem Weg schon weiter sind. Und daß ihr Hersteller
demnächst mit etwas mehr Fortüne arbeitet.
Dem Autor aber sei ins Stammbuch geschrieben: Habe Respekt vor Deinem Leser.
Er ist nicht einfach die Müllhalde Deiner Befindlichkeiten, sondern der, ohne den es
den ganzen Literaturbetrieb nicht gäbe!
Toni Reitz, in: eXperimenta September 2010: Literarischer Wegweiser
Sonntag, 27. November 2011
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