Donnerstag, 29. Juli 2010

DANKE, Eva Herman!

Danke, daß Sie jemandem, der die Loveparade über Jahre hinweg nur als weitgehend verspackte Veranstaltung wahrgenommen hat, die ihm gar fürchterbar am Arsch vorbeiging, und der aufgrund persönlichen Unbills in letzter Zeit diesem Unglück auch deswegen nicht die notwendige Aufmerksamkeit zuteilkommen ließ, die es verdient gehabt hätte,die Augen geöffnet haben.
Nämlich dafür, wo der Feind steht; gegen was er eigentlich die letzten 20 Jahre erbittert gekämpft hat.
Es ist nicht so sehr Ihre unvergleichliche Dreistigkeit, angesichts des Todes von mittlerweile 21 jungen Menschen in ihren publik gemachten Kommentaren ein derartiges Faß aufzumachen, wie Sie es jüngst taten;
sondern eher Ihr direkt aus dem mittlerweile scheinbar staubtrocken durchgebackenen Kommißkopf in die Tastatur gebröselter rumpeldummer, geradezu inferior alttestamentarischer Scheißdreck, der da jenseits von Gut, Böse und gesundem Menschenverstand dahinvegetiert, um vielleicht auch unbedarften Bürgern klarzumachen, welch Geistes Kind sich hinter Ihresgleichen sowie Ihren mit Sicherheit bisher als harmlos eingestuften Gesinnungsbrüdern der neuen evangelikalen Bewegung verbirgt.
Dafür danke ich Ihnen von Herzen; selten hat sich jemand, der auf einem anderen Planeten wahrscheinlich als "Querkopf" durchgehen würde, mit einem einzigen Kommentar dermaßen selbst beerdigt.
Für die Zukunft gilt nun einfach Fresse halten und hinsetzen. Und am besten sitzen bleiben.

Sonntag, 25. Juli 2010

Es gibt kein richtiges Leben im falschen.

Das denke ich mir jedesmal, wenn ich mir betrachte, wer alles Werbung für die BILD- Zeitung macht. Leute, denen man durchaus zugetraut hätte, ihre sieben Zwetschgen noch beisammenzuhaben, gehen für dieses Drecksblatt hausieren.
Das geht nicht. Gar nicht. Jeder, der es tut, ist bei mir automatisch untendurch, egal was er ansonsten noch so leistet.
Dabei hat meine Aversion weniger ideologische Gründe als solche, daß mir die Lektüre aufgrund ihrer Dumpf- und Stumpfheit verbunden mit widerwärtigster und zugleich abgekochtester Anbiederei bei einer zweckmäßig instrumentalisierten Klientel schon schier physischen Schmerz bereitet. Ekelhaft. Eine Ausgeburt von allem, was an der vielbeschworenen "deutschen Seele" hassenswert ist. So.
Kaufen mußte ich die BamS letzthin trotzdem, wegen dem Artikel über Andrea Mohr.
Aufgeschlagen, entnommen, und den Rest gleich ungelesen entsorgt, bevor noch jemand auf dumme Ideen kommt.
Daß ich manchmal die Sport- BILD lese, wenn sie irgendwo gratis ausliegt... geschenkt.
Allerdings hätte ich gerne einen Euro für jedes Mal, in der in selbiger in einer Schlagzeile das Wort "Geheim!" auftaucht.

Dienstag, 20. Juli 2010

Der Tag der guten Tat

Man sitzt gerade mit einem Freund vor einem Lokal in der Karlsruher Südstadt, vertieft in ein recht steinerweichendes Privatgespräch, als plötzlich ein älterer akkordeonspielender Sinti erscheint, und breit lächelnd unausgesprochen einen Obolus für sein Gedüdel einfordert... wie in einer ganz billigen Komödie, in der sich zwei Leute sinnvoll unterhalten wollen, was ständig durch bizarre Vorkommnisse erschwert wird.
Daraufhin bedeute ich ihm, er möge doch weiterziehen und andere Gäste mit seiner Kunst beglücken (natürlich nicht dermaßen vornehm ausgedrückt... und auch nicht sonderlich freundlich... und auch nicht so leise, wie es die obige Wortwahl nahelegt), was er denn auch tut. Thema erledigt.
Die folgenden Tage, wenn ich in der Südstadt an einem Tisch sitze, egal ob alleine oder in Gesellschaft, sehe ich ihn öfters, wie er mit seinem Akkordeon umherstreift, gefühlt die immer zwei gleichen Stücke spielend.
Er scheint mich wiederzuerkennen, denn um meinen Tisch (sei es vor dem Wolfbräu, sei es vor dem Juno) macht er immer einen großen Bogen; und das finde ich sehr wohltuend.
Damit könnte dieser Eintrag eigentlich enden; tut er aber nicht.

Denn als ich letztens nachts mit der Straßenbahn nach Hause fuhr, saß er zwei Sitzreihen vor mir und hatte sein Akkordeon neben sich stehen; den Kopf hatte er in die Hände gestützt, sorgenvoll und erschöpft war die Mimik, gramzerfurcht die Stirn.
In diesem Moment meldete sich bei mir das Gewissen; eines zu besitzen, ist ja eigentlich meist hinderlich, käme man doch weitaus angenehmer durchs Leben, wenn es auch mal die Fresse halten würde, anstatt ständig ungefragt hineinzuquatschen.

In diesem Moment dachte ich nur: verdammt, dieser Typ zieht vom Vormittag bis zum Einbruch der Dunkelheit bei brüllender Hitze mit einem sperrigen Musikinstrument durch die Stadt, und das offensichtlich nur, um kraft seiner beschränkten Mittel wahrscheinlich irgendwie seine Familie durchzubringen... oder selbst am Leben zu bleiben, was auch nicht einfach sein dürfte, betrachtet man seine wie aus einem Rotkreuzcontainer zusammengefischt aussehende Kleidung.

Immerhin versucht er selbst etwas, und sei es auch nur, daß er stundenlang dieselben zwei Stücke malträtiert, die einem schon nach fünf Minuten auf die Nerven gehen.
Und ich habe trotz allem ein großes Herz für Underdogs, die in einer Nische- und sei sie auch noch so erbarmungswürdig- einfach nur versuchen, in der sozialen Suppe aus eigener Kraft den Kopf über der Oberfläche zu halten.

Nein, ich lade ihn nicht an meinen Tisch ein und spendiere ihm auch nichts zu trinken. Und ich kann nach wie vor auf sein lustiges Gejuckel verzichten.

Aber wenn er schon mal da ist, versucht man halt das Beste draus zu machen und ihn zumindest mit der Art von Respekt zu behandeln, die er verdient hat.

Montag, 19. Juli 2010

Ein Feuerwerk der guten Laune

Wenn man denn nach einem Samstagabend, der nur mit viel gutem Willen halbwegs als erträglich zu bezeichnen ist, generell übellaunig ins Bett steigt und mit genau derselben Laune am nächsten Morgen wieder erwacht, feststellend, daß sich noch dazu der Kopf anfühlt wie ein Sandwich, belegt mit irgendwas undefinierbar Glibberigem;
wenn man noch dazu arbeiten muß und einem am Hauptbahnhof wie durch einen Filter gesehen ausgerechnet jene Gestalten auffallen, die einem wie aus der Freakshow eines Wanderzirkus entstiegen vorkommen und normalerweise gepflegt an einem vorbeiexistieren (der verwachsene Bettler im Elektrorollstuhl, aus dessen Kofferradio ausgerechnet "Shiny Happy People" von R.E.M. plärrt; bucklige Halbirre in dreckigen Klamotten, die einen um Zigaretten anschnorren; unförmige Jugendliche, denen die Trostlosigkeit ihrer Existenz bereits aus dem Gesicht springt, die aber dennoch T- Shirts mit dem Aufdruck "Früher waren wir unbescheiden und sagten, wir wären gut; heute wissen wir es besser: wir sind DIE BESTEN" tragen; in geschmacksbefreit ausgewählte Bermudashorts gewandete Troglodytenpaare),
dann fragt man sich schon, ob das gerade wirklich alles sein muß.

Freitag, 16. Juli 2010

Und nochmal: Gespenster

Nachdem ich ja bereits erwähnte, daß ich auf Facebook- nachdem ich testweise in der Suchfunktion einige Namen eingegeben hatte- unvermittelt einer unheimliche Begegnung der dritten Art ausgesetzt war, die mich augenblicklich dazu nötigte, die Blockierfunktion zu aktivieren, um mich gemäß meinem Wunsch nie wieder auf irgendeine Weise mit der betreffenden Person auseinandersetzen zu müssen, hat sich diese nun freundlicherweise selbst abgemeldet, den Account deaktiviert, was auch immer, vielleicht auch nur beim Auftauchen meiner Fresse in der "Vielleicht kennst du..."- Leiste Namen und Gesicht geändert.
Jedenfalls herrscht an diesem Flecken gähnende Leere... und im staubigen Wind weht ein Mistelballen vorbei. Nichts. Nada.
Da fragt man sich, ob man bereits dem kompletten Nerdtum anheimgefallen ist, wenn man sich wünscht, solche Verhältnisse ins reale Leben übertragen zu können.
Will heißen: man betritt einen Raum, einen Club oder ein Restaurant, in dem sich der betreffende Mensch befindet, und genau in der Sekunde des Eintritts verpufft derjenige mit einem klar vernehmlichen "Wuff" in einer Rauchsäule, um sich dort wieder zu materialisieren, wo man am wenigsten Gefahr läuft, ihm in den nächsten Stunden oder Tagen zufällig über den Weg zu laufen. Vielleicht in Burundi oder der südlichen Mongolei. Oder auf den Cayman- Inseln.
Das fände ich- glaube ich- relativ großartig.

P.S.:

Bei der Überschrift sollte ich eines nicht unerwähnt lassen: seit ich mich vor wenigen Tagen für das Musikforum daran erinnert habe, als erste LP meines Lebens zu Weihnachten 1983 Peter Maffays "Tabaluga oder Die Reise zur Vernunft" geschenkt bekommen zu haben, taucht immer wieder überfallartig "Nessaja" in meinem Kopf auf.
"Ich wollte nie erwachsen sein... hab immer mich zur Wehr gesetzt..."

Jessas, ist das grauenhaft. Ich möchte, daß es aufhört.

"Geh doch an den Baggersee, du Depp!"

Das könnte man mir entgegnen, würde ich hier posten, daß ich gerade an meinem freien Tag in dräuender Hitze in meiner stickigen Dachwohnung sitze wie im Dschungelcamp und allerlei Blödsinn in die Tastatur hämmere, während sich draußen die glibbrige Mittagsluft anfühlt, als würde man sich durch Berge von mundwarmem Aspik bewegen.
"Fein", könnte ich dann sagen, "wenn es denn ginge."
Meine drei schweren Operationen am linken Ohr waren 1980, 1986 und 1988.
Vor allem die erste war richtig dramatisch: ich, ein gerade mal sechsjähriger Knirps, der den ganzen Tag auf dem Basteltisch verbrachte und danach zwei Nächte und einen Tag durchschlief, nur um in einem kurzen Moment des Erwachens durch einen wabernden Nebel aus Anästhetika und Schmerzmitteln eine Szene zu realisieren, die sich bereits seit dreißig Jahren unauslöschlich in mein Gehirn eingebrannt hat:
meine Eltern und meine vor einigen Jahren verstorbene Großmutter mit tiefbetrübten Mienen an meinem Krankenbett, im Vordergrund auf dem Nachttisch- noch in Plastikumhüllung- eine kleine gelbe Spielzeugdampflok. Ein Blick von wenigen Sekunden auf ein Arrangement, das mir- der ich damals den Begriff natürlich noch nicht kannte- bereits surreal erschien, bevor der große Verdunkelungshammer mich wieder niederstreckte.
Die dritte Ohroperation, die gleichzeitig mein Gesicht zur linken Seite hin verzog, so daß ich- werde ich über rechts photographiert- meistens aussehe wie ein zähnefletschender transsylvanischer Wahnsinniger, der sich bereits tagelang nur von gekochtem Molch ernährt, beendete sämtliche Schwimmambitionen, die ich sowieso nie hatte.
Eine größere Menge Wasser würde direkt das Innenohr auffüllen und den Gleichgewichtssin ausschalten. Deswegen habe ich nie schwimmen gelernt; sogar, wenn ich der beste Schwimmer der Welt wäre, würde mich ein unvorhergesehener Sturz ins Wasser sofort absaufen lassen. Wäre somit auch ein guter Tip an alle, die mich loswerden und es aussehen lassen wollen, als wäre es ein Unfall.
So bleibt mir zumeist nichts anderes übrig als- sämtliche Tätigkeiten auf ein Minimum reduzierend- irgendwo gebacken zu werden, da ich mich- an Baggerseen zur Untätigkeit verdammt- ebenda meistens zu Tode langweile, da alle schwimmen gehen und ich in der Bruthitze herumliege und nicht mal richtig denken kann.
Klingt tragisch, ist es aber nicht; da ich ja nie ins Wasser durfte bzw. es irgendwann auch nicht mehr wollte, vermisse ich auch absolut nichts.
Da sitze ich lieber daheim im Abgedunkelten, das noch dazu in einer Stadt, von der ich bis zu meiner Jugend außer dem Krankenhaus in der Steinhäuserstraße nichts kannte, höre erbauliche Musik und tippe aus einer spontanen Eingebung heraus das hier.

Donnerstag, 15. Juli 2010

Überfällige Liebeserklärung an die Milchstraße

Es gibt Songs, die ragen schon seit Jahr und Tag monolithisch empor entlang der staubigen Strecke, auf der man dahinwandert, ohne daß man genau benennen könnte, wo ihr Reiz und ihre Bedeutung für das Leben des Einzelnen eigentlich liegen.
Bei mir- so fiel es mir die letzten Tage immer wieder auf- ist es unter anderem dieser:

The Church: Under the Milky Way

Sometimes when this place gets kind of empty
Sound of their breath fades with the light
I think about the loveless fascination
Under the Milky Way tonight

Lower the curtain down on Memphis
Lower the curtain down all right
I got no time for private consultation
Under the Milky Way tonight

CHORUS:

Wish I knew what you were looking for
Might have known what you would find
Wish I knew what you were looking for
Might have known what you would find

And it's something quite peculiar
Something shimmering and white
Leads you here despite your destination
Under the Milky Way tonight

CHORUS

Under the Milky way tonight..
Under the Milky Way tonight...


Die ersten Male hörte ich ihn 1988 im Radio, bereits fasziniert von den Bildern, die vor meinem inneren Auge dazu entstanden. Das klingt wie ganz weggetretene Esoterikgrütze, gibt aber exakt das wieder, was ich damals dachte.
Anschließend schnitt ich ihn im Laufe einer Hörerchartsshow auf RPR 1 (brrr) auf einem verrauschten Sony- Leertape mit und hörte ihn über die Jahre immer mal wieder gerne... bis ihn mir kürzlich jemand auf CD brannte.
Ich bin überrascht, wie wenig der Song über die Jahre von seiner Strahlkraft eingebüßt hat... die so gleißnerisch ist, daß ich mir niemals die zugehörige Platte gekauft habe, wohl aus Angst, daß er- sollte er sich inmitten eines Haufens mediokrer Songs befinden- etwas davon einbüßen würde.

Mittlerweile weiß ich auch, wo genau seine Größe liegt: wer ihn je einmal um diese Jahreszeit im Freien gehört hat, entweder allein oder zu zweit auf dem Rücken liegend und den Blick in den sternenklaren Himmel gerichtet, erlebt genau einen der Momente, die ihn sein Leben lang an einen Song ketten.

Das mußte mal gesagt werden, und da werde ich auch gerne mal pathetisch.
Meine Leserschaft wird es verkraften... und es mir hoffentlich zahlreich nachtun.

Die Pest vom Hals

Heute zum letzten Mal das mir Widerwärtigste aller widerwärtigen Rituale vollführt:

Aufstehen 3 Uhr 45; 4 Uhr 15 Bahnfahrt an den Europaplatz; 20 Minuten Fußweg an den Hauptbahnhof; 5 Uhr 07 bis 5 Uhr 50 Bahnfahrt nach Gaggenau, um dort pünktlich um 6 Uhr meine Frühschicht anzutreten.
Meine nun doch fünfmonatige Arbeitszeit im Murgtal neigt sich dem Ende zu, und die Frühschicht, die das Unerträglichste überhaupt war, kann ich nun schon zwei Wochen vor dem definitiven Schlußpfiff erfreulich vorzeitig abheften.
Wenn man um 3 Uhr 45 noch wach ist, möchte man höchstens gerade heimkommen. Oder pimpern. Oder beides gleichzeitig.
Aber niemals, niemals das Haus verlassen, um im frühesten Morgendämmer den tranigen Blick über die großartige Kiesgrube (oder was immer die massiven Monstren aus aufgehäuftem Erdreich dort darstellen sollen... Massengräber?) in Ötigheim oder trostlose Haltestellen in Käffern wie Kuppenheim oder Bischweier streifen lassen, in denen man nicht mal tot im Rinnstein liegen möchte.
Und dazu möchte man am Wochenende keinen Bauernstadl um sich herum haben, der schwer alkoholi- bzw. traumatisiert vom Freigang aus Karlsruhe zurückkehrt und essentielle Weisheiten wie "Heid war de Babbe im Ago! Weil ich bin de Babbe, un de Babbe war im Ago!" sämtlichen anwesenden Fahrgästen mitteilen zu müssen glaubt.
Ich verpasse nämlich nur ungern meine Lieblingshaltestelle, die so gut wie alles verkörpert, was das Murgtal an großartigen Erlebnissen zu bieten hat:

"Nächster Halt: Bad Rotenfels Schloß. Ausstieg zum Unimog- Museum."

Dienstag, 13. Juli 2010

Heute im Schloßpark

Da liegt man nun also auf der wohl häßlichsten Polyacrylfaserdecke der Welt unter einem Baum und schaut ins Geäst, vom Summen und Brummen um einen herum (Insekten; Motorenlärm von außerhalb; das Blätterrauschen im Sommerwind, der gleichzeitig reichlich angenehm das Gemächt umschmeichelt)allmählich in einen Zustand erwünschter Rammdösigkeit versetzt, wird aber im Halbschlaf unfreiwilliger Ohrenzeuge der Versuche eines Spongs (ca. 48 Jahre, Nickelbrille und Sozialpädagogenmatte) ungefähr fünf Meter weiter, seine komplette Handytelephonliste in einem Rutsch abzuarbeiten.
Sechs Gespräche führt er nacheinander; drei beginnen mit "Mir geht's gut, solange mich meine Frau nicht in den Wahnsinn treibt", worauf Episoden aus der Existenz der Nochgattin (ein beeindruckend ludriges Miststück) folgen, die abgesehen von der fatalen Fehlentscheidung, solch eine Nachtjacke zu ehelichen, durchaus Sympathiepunkte unbekannterweise sammeln kann; man erfährt einiges über den Bibelkreis, welchen der Unsägliche scheinbar regelmäßig besucht, Gottesdienste und die Börsenkurse der EnBW.
Wiederum drei Gespräche werfen die Frage auf, wieviel Wasser der Gesprächspartner heute bereits getrunken hat und ob der Angerufene den eindringlichen Ratschlag des guten Mannes beherzigt hat, bei dieser Hitze ein detailliertes Trinkprotokoll zu führen.
Nach ca. 20 Minuten wünscht man sich eine gütige Seele, die die Steilvorlage in der Gesprächseröffnung des Handyschänders beim sechsten und letzten Anruf endlich verwerten möge.
Es macht aber sicherlich niemand... so daß man schon nach dem anfänglichen "Hallo? Du schnaufst aber ganz schön, ist gerade soviel los?" am liebsten selbst schreien würde:

"Nein, ich bekomme gerade einen geblasen, du Idiot!"

Montag, 12. Juli 2010

Ein Film für die ganze Familie

An manchen Abenden wie heute frage ich mich, ob ich dereinst wohl in den Luxus gelangen werde, daß jemand mein Leben verfilmen möchte.
Hauptrolle: wahrscheinlich irgendein rachitischer Nachwuchsschauspieler, dem eine große Karriere prophezeit wird, die sich irgendwann darin manifestiert, daß er nach langjährigem Psychiatrieaufenthalt eine Gastrolle als Tierquäler in SOKO Kitzbühel übernehmen darf.
Und was für eine Facette meines Lebens wird gewählt?

Teile meiner Jugend, die dann in Rückblenden als lustig durchgeknalltes Buddy- Movie erscheinen?
Ein düsteres Drama mit noch stattzufindendem lugubren Ende? Irgendwas surreal Angehauchtes, wo als verbindendes Element aus welchem Grund auch immer alle paar Einstellungen lang jemand in einem Hühnerkostüm durch's Bild läuft?

Spannend ist es jedenfalls momentan. Täglich werde ich wach und weiß absolut nicht, was heute wieder passieren wird.
Es weiß natürlich niemand, ob er auf dem Weg zur Arbeit als Versicherungsvertreter nicht von einem LKW überfahren wird... aber im allgemeinen haben Menschen einen dermaßen geregelten Tagesablauf, daß sie zumindest eine halbwegs gefestigte Vorstellung davon entwickeln, wie ihr Tag enden und der nächste Monat ungefähr ausschauen wird.

Das fehlt mir im Augenblick völlig. Stattdessen habe ich momentan das Gefühl, zweimal in der Woche essentielle Entscheidungen treffen zu müssen, jede davon läßt mein Leben, wie es in einem Jahr aussehen könnte (vorausgesetzt, mich überfährt auf dem Weg zur Arbeit kein LKW), mehr oder weniger modifiziert anders vor meinem geistigen Auge erscheinen, und allein die Auswahl, wo ich abends hingehe, um ein Bier zu trinken, um einen Tag zu beschließen, an dem 23 1/2 Stunden lang gar nichts Relevantes passierte, kann mich wieder in völlig seltsame Situationen bringen.

In unruhigen Zeiten leben wir.

Samstag, 10. Juli 2010

Noch einer für die Galerie

Unbekannter Amazon- Rezensent!

Besprechungen zu dem ganz famosen Album "Love Songs For The Unloved" von den nicht weniger famosen Sheer Terror, die von Ihnen stammen und mit dem schwer erträglichen Satz beginnen:

Die letzte Studioplatte der New Yorker Rotzlöffel geht ab wie die Rakete.

liest kein Mensch, der einen Schulabschluß sowie noch alle Tassen im Schrank hat.

Notizen vom Arschlochplaneten

Manche Gestalten machen mich wahnsinnig, vor allem, wenn ich gerade vor dem Fernseher sitze, das den Tag des totalen Rauchverbotes in der Gastronomie in Bayern zelebriert, während der Initiator des Volksentscheides, der gut 10 Jahre jünger sein dürfte als ich, sich geschniegelt und gebügelt feiern läßt und dazu nun endlich den absoluten Kreuzzug für das Gute und Wahre ankündigt.
Da fragt man sich, was man dem armen Jungen angetan hat... ihn mit Waffengewalt in verqualmte Eckkneipen genötigt?
Ich als Raucher finde es in Ordnung, wenn in Restaurants und an Plätzen, an denen sich Kinder aufhalten, nicht geraucht wird.
Ansonsten hatte sich alles zu einem Kompromiß entwickelt, mit dem beide Seiten meiner Meinung nach wunderbar leben konnten.
Genausowenig, wie ich mich in Nichtraucheretablissements beschwere, daß ich mir keine anstecken darf, wird ein Nichtraucher irgendwo gezwungen, seine Freizeit in einer vollgequalmten Kneipe zu verbringen.
Mit was ich meine Gesundheit ruiniere, ist letztendlich mein Problem, und ich frage mich, warum sich Leute, die dermaßen um mein Wohlergehen besorgt sind, nicht darum kümmern, daß meine Kollegen und ich mal Arbeitsbedingungen vorfinden, die uns nicht nach einigen Jahren dem Wracksein überantworten.
Stattdessen wird sich in Dinge eingemischt, die solche dogmatischen Eiferer einen Scheißdreck angehen, nur um endlich, endlich im Recht zu sein und anderen Leuten ihre Meinung aufzunötigen. Um nichts anderes ging es nämlich bei dieser Aktion.
Daß sich Gestalten wie die ÖDP an diesen Zug hängen, um endlich dem politischen Amöbentum zu entkommen, ist da nur konsequent.

Selten hat mich jedoch etwas dermaßen erbost, wie der versuchte Diebstahl bzw. das Beschädigen einer riesigen Deutschlandfahne.
"Huch", werden jetzt einige sagen, "endlich zeigt er sein wahres Gesicht und hängt den rechtskonservativen Patrioten raus."
So einfach ist es aber glücklicherweise nicht. Die Fahne, von der ich spreche, hängt nämlich in Berlin- Neukölln an einem Haus, in welchem vorwiegend Leute mit Migrationshintergrund leben, in deren Besitz sich selbige auch befindet, um ihre Sympathie mit der deutschen Fußballnationalmannschaft auszudrücken.
Integration braucht zuerst einmal einen gemeinsamen Nenner.
Unter der Deutschlandfahne einer Fußballmannschaft zuzujubeln, mag der kleinste denkbare sein, aber es ist zumindest ein Anfang, um sich näherzukommen und festzustellen, daß die jeweils andere Seite doch nicht so schlimm sein mag, wie man immer dachte, ohne daß irgendwelche Idioten dabei sind, die sich gegenseitig die Fresse polieren wollen.
Man dachte eigentlich, daß man in jungen, idealistischeren Jahren mal dafür gekämpft hätte... bis man dann hört, daß die Angreifer der autonomen Szene zugerechnet werden.
Genau: nicht irgendeinem Faschopack, sondern Leuten, deren größtes Problem es zu sein scheint, daß sich nicht alles unter der schwarzroten Fahne formiert, die aber trotzdem ansonsten meinen, alles Gesagte und Geschriebene sofort nach jedem Fitzelchen Rassismus- oder Sexismusverdacht durchkämmen zu müssen.
Ansonsten sind sie ja tolerant... solange man ihre Meinung kritiklos übernimmt.
Die Frage "Was zur Hölle wollt ihr überhaupt?" sollte spätestens jetzt einmal erlaubt sein. Daß sie von jemandem stammt, der sich wegen genau diesem formelhaften Stumpfsinn generell von politischen Dogmen verabschiedet hat und sich lediglich als Pragmatiker sieht, könnte sie interessant machen.

Bis eine vernünftige Antwort kommt, begnüge ich mich damit, Michael Sailer zu zitieren: "Ich kann gar nicht soviel Schnaps saufen, wie ich kotzen könnte, bei der Vorstellung, von solchen Gestalten regiert zu werden."

Facebook und anderer Crap

Das glorreiche Ende zweier geisteskranker Wochen: bei gefühlten 52 Grad in meiner stickigen Bude hocken und in akribischer Kleinarbeit ein Facebook- Profil erstellen.
Davon abgesehen, daß ich die Methoden der Macher, mit Daten umzugehen, äußerst fragwürdig finde, genauso wie diese neoliberale Ansicht, daß der Mensch doch bitte zum Nutzen der freien Marktwirtschaft da sein sollte und es völlig in Ordnung ist, bei der Anmeldung gleichzeitig sein kritisches Selbstverständnis an der Garderobe abzugeben um sich unter der Obhut cleverer Geschäftsmänner zur Zielscheibe von Marketingstrategien zu machen.
Trotzdem bin ich bereits Mitglied in drei verdammten sozialen Netzwerken und lasse mich trotzdem immer breitschlagen. Nun erwarte ich die große Facebook- Spaminvasion in meinem E- Mail- Fach... soviel Angebote für Penisverlängerungen, daß ich- sollte ich alle annehmen- ihn bei der Hitze zum Fenster herausstrecken kann, um meine Wäsche zum Trocknen darüberzuhängen.
Wo soll das noch hinführen?
Zumindest dahin, daß ich mit immer gleichbleibender Begeisterung irgendwelche Profile bastle und mich freue, Leute wiederzutreffen, die ich bereits in anderen sozialen Netzwerken geaddet habe. Irgendwie fühle ich mich gerade ziemlich inkonsequent. Wobei das Leben ja voller Widersprüche steckt, aber es dürften gerne ein paar weniger sein.
Daß gleichzeitig gerade "The Fool, The Meddling Idiot" von den Melvins aus meinen Boxen herauswalzt, paßt dazu ganz hervorragend.
Vor allem, wenn man dazu Leute erblickt, die man vorsichtshalber prophylaktisch per Suchfunktion aussortiert hat, weil man sie nie wieder im Leben irgendwo treffen möchte und vor der ersten Freundschaftsanfrage gleich einmal die Blockierfunktion einschaltet.

Ansonsten bereite ich mich auf meinen Umzug nach Hamburg vor, und so sehr ich mich auch darauf freue, schiebe ich gerade einen ziemlichen Klotz vor mir her.
Ich sollte froh sein, daß mir das momentan von mancher Seite aus dermaßen leicht gemacht wird... zu wissen, daß ich bald 800 Kilometer von Leuten weg bin, die ich sicherlich an manchen Tagen und vor allem Abenden furchtbar vermissen werde, kann einem in diversen Momenten ziemlich die Laune verderben.

Die Laune verdarb mir auch fast eine Kritik an "Erste Liebe", die mich per E- Mail erreichte, und in welcher die Geschichte in einer ellenlangen Replik seziert und rituell geschlachtet wurde.
Jetzt wird wieder so mancher sagen, daß ich eine ehrliche Kritik wollte (dabei bleibe ich auch), und diese war auch durchaus konstruktiv und hat mich über manchen Punkt nachdenken lassen... aber ein Verriß ist und bleibt nun einmal nichts Erfreuliches, so gutgemeint er auch sein mag, genausowenig wie Beifall von falscher Seite.

Ich versuche ständig, als mittlerweile halbwegs öffentliche Person auf negative Kritik vorbereitet zu sein, und inzwischen bin ich größtenteils gewappnet... aber noch nicht unbedingt, wenn ich gerade mit dem falschen Fuß aufgestanden bin.

Gut zu wissen, wo man noch an sich arbeiten muß.

Dienstag, 6. Juli 2010

Erste Liebe

*edit*
Ich sagte ja einmal selbst, ich würde keinen veröffentlichten Post löschen, es sei denn, er sei inhaltlich völlig entbehrlich (Abwesenheitsmeldungen, Terminankündigungen etc.).
Da ich mit dieser Kurzgeschichte aber rückblickend in der Form reichlich unzufrieden bin, aber den Post stehenlassen möchte (und sei es als Momentaufnahme), bleibt mir nichts anderes übrig, als mich davon zu distanzieren. Das sei hiermit erledigt.



Zumindest habe ich mal wieder gearbeitet, auch wenn es zunächst nur eine Kurzgeschichte geworden ist.
Dachte, ich stelle sie mal in den Blog, vielleicht hat jemand einen Kommentar dazu... freue mich über jede Rückmeldung und konstruktive Kritik, denn ich lege sehr viel wert auf Interaktion mit meinen Lesern.
Das schreibe ich zwar jedes Mal, ohne daß etwas kommt, aber man soll die Hoffnung ja nie aufgeben:

ERSTE LIEBE


Er weiß: es ist Fraß.
Aber schnell muß es gehen, in einer halben Stunde hat er am vereinbarten Treffpunkt zu erscheinen, und er hat noch nichts im Magen, seinem nervösen, scheinbar in peristaltischen Bewegungen durch seinen aufgeschwemmten Körper kriechenden Magen.
Nie hätte er gedacht, daß es funktioniert. Nie.
Als er letztens in der Mathestunde den Blick nicht von ihr abwenden konnte: hatte sie es tatsächlich bemerkt?
Und als sie bei seinem Anblick im Pausenhof mit ihrer Freundin tuschelte: hatte sich das auf ihn bezogen?
Er dachte, es bezöge sich auf ihn; daß sie sich über ihn lustig machte, so wie alle anderen... wie Thorben und Kevin, die im Schulflur mit seinem Rucksack Fußball gespielt hatten, bis dessen ganzer Inhalt über die Länge des Ganges verstreut war, und dann einen Teil seiner Bücher einzeln den Treppenabsatz hinuntergekickt hatten.
Wie diejenigen aus seiner Klasse, die ihn im Sportunterricht nicht nur nie wählten, wenn Fußballmannschaften zusammenzustellen waren, sondern auch nicht haben wollten, wenn er als Letzter übrig war, so daß ihn Herr Schneider, sein Sportlehrer, einer Mannschaft zuteilen mußte... was er auch genausogut hätte bleibenlassen können, denn während der gesamten zwanzig Minuten spielte ihm niemand einen Ball zu, nicht mal, wenn er frei vor dem Tor stand.
Als Tina das erste Mal in seiner Klasse auftauchte, war ihm beinahe das Herz stehengeblieben. Es war fast, wie es in der BRAVO stand, die er ab und zu heimlich las. Erste Liebe.
Doch was er damit anfangen sollte, wußte er nicht, zu fremd war ihm noch alles, zu unerfahren und unbeholfen er selbst.
Wenn er nachts heimlich unter der Bettdecke onanierte beim Versuch, sich vorzustellen, wie sich Oralverkehr wohl anfühlen mochte, vermied er es, an sie zu denken; er hätte das Gefühl gehabt, sie zu beschmutzen.
Stattdessen verlor er sich in romantischen Träumereien; die Welt war ein Blumenteppich, Hand in Hand zu beschreiten, während unschuldig zärtliche Küsse auf die Wange gehaucht wurden.
Er, der dicke, fünfzehnjährige Junge, der sich oft vorstellte, wie es wäre, eine Clique zu haben, die ihn "Michi" rufen würde statt "Michael", wie seine Mutter. Oder seine Lehrer.
Oder "Fettsack" und "Spast" wie seine Mitschüler.
Dem dicke Schweißperlen auf die Stirn traten, wenn Tina in der Schulbank ihm gegenüber beim Lachen ihren Kopf zur Seite neigte, um sich danach eine vor das Gesicht gerutschte haselnußbraune Haarsträhne zurückzustreichen.
Nicht einmal ihre Zahnspange konnte ihre in seinen Augen vollkommene Schönheit verunstalten.
"Ich habe einmal gelesen, daß Frauen dickere Männer bevorzugen" sagte der pickelige Zwerg, der sein bester- da auch sein einziger- Freund war. Er haßte es, Sven so zu bezeichnen, aber der Gedanke formte sich immer schon in seinem Kopf, bevor er ihn herannahen spürte und ganz schnell verscheuchen konnte.
Sogar ihn, Michael, widerte er manchmal an: der Junge, der nie größer als 1 Meter 68 sein würde,dessen langweiliges metallenes Brillengestell wahrscheinlich bereits in den 80er Jahren aus der Mode war, wie Michael beim Betrachten von Filmen aus dieser Zeit oft dachte, mit den gummiartigen Aknewülsten im Gesicht und diesem gräßlichen Flaumschnurrbart, der munter vor sich hinwucherte, ohne daß Sven auch nur die geringsten Anstalten machte, sich endlich einmal den Rasierer seines Vaters zu schnappen und dem Elend ein Ende zu machen.
Dennoch: Es war ihm ein Trost, daß es jemanden gab, der genauso verloren war wie er selbst.
Und der ihm Mut machte; immerhin glaubte er den Spruch mit den "dickeren Männern" am Ende fast selbst.


Nun stand er also hier am McDonalds und schlang dermaßen schnell zwei Cheeseburger hinunter, daß ein neutraler Beobachter Angst haben mußte, er würde ersticken.
Seine Mutter hielt ihm immer Vorträge bezüglich Fast Food und seinem Körpergewicht; dabei schien das mit den "dickeren Männern" zu stimmen.
Denn erstickt war er auch heute vormittag fast schon einmal, jedoch aus Überraschung; als er gerade einen großen Schluck aus der Limonadendose des schuleigenen Getränkeautomaten nahm und sie im weitgehend leeren Flur an ihm vorbeilief, nein, vorbeischwebte, das wäre ein besserer Ausdruck, dachte er gerade bei sich selbst, schien sich sein Magen bereits vor lauter Nervosität in einen monströsen Kautschukpfropfen zu verwandeln.
Als dann aber das "Hallo" aus ihrem Mund kam, war es endgültig aus mit seiner Selbstbeherrschung; er verschluckte sich, hustete und würgte ein angestrengtes "Hallo" heraus, mühsam versuchend, wieder halbwegs gleichmäßig zu atmen.
Eigentlich hätte er in diesem Moment nichts dagegen gehabt, tot umzufallen; der Gedanke, der da völlig unkontrolliert durch seinen Kopf schlingerte, das Gefühl immenser Peinlichkeit verbunden mit der Überzeugung, daß sie gleich beginnen würde, lauthals zu lachen, schleuderte an eine imaginäre Bande, explodierte in einem Feuerball und schien somit seinen ganzen Kopf grell leuchtend auszufüllen.
Doch Tina quittierte den Vorfall lediglich mit einem nachsichtigen Lächeln.
Er wäre doch der Michael aus ihrer Klasse, begann sie mit gespielter Verlegenheit... sie hätten doch fast noch nichts miteinander geredet, seit sie nun die Schule gewechselt habe und zu ihnen gekommen sei.
Und sie schaue sich halt die Leute an und rede immer mal mit jedem, schließlich kenne sie hier ja kaum jemanden, würde aber gerne "nette Leuts" kennenlernen.
Genau das. "Nette Leuts".
Er dann so Drucks, Stammel und äääh. Der Spast. Das hörte er seine eigene Stimme durch sein Gehirn rufen, als er den nächsten Bissen Cheeseburger nahm, die Szenerie im Kopf noch einmal (wahrscheinlich zum 212. Mal heute) ablaufen lassend.
"Ja, wenn man irgendwo neu ist..." begann er stockend, und erzählte dann mit vor Nervosität ertaubender Gesichtsmuskulatur, wie er mit seiner Mutter ja vor drei Jahren auch aus der Kleinstadt hierher gezogen sei... hoffend, sie würde in der schwerfälligen Wortsuppe den Strohhalm finden, an den sie sich klammern konnte, um das Gespräch weiterhin in Gang zu halten.
Er hätte wohl noch nicht so Anschluß gefunden? fragte sie ... man sehe ihn jedenfalls fast immer allein.
Diese Offenheit, mit der sie zu ihm sprach, überraschte Michael... ja, er sei viel und gerne allein, er gehe halt nicht oft weg, außer mal ins Kino, antwortete er, nun zunehmend verwundert, aber dennoch selbstsicherer werdend.
"Warum eigentlich?"
"Nun, mich fragt ja nie jemand" fiel ihm wie selbstverständlich aus dem Gesicht, noch bevor er darüber nachdenken konnte.
"Na, dann frage ich dich halt", entgegnete sie lächelnd, dabei auf ihren Zehenspitzen wippend... "Ich gehe heute auf ein Konzert, möchtest du mitkommen?" (Sie nannte ihm einen Bandnamen, den er noch nie gehört hatte, und von dem er keine Ahnung hatte, was sich dahinter verbergen mochte). "Wird zwar vielleicht nicht deine Musik sein, aber es wird bestimmt lustig. Und du kommst mal ein bißchen unter normale Menschen." Bei diesem Spruch zwinkerte sie ihm zu, und ihm blieb schon wieder die Luft weg... glücklicherweise konnte er vorher noch eine Zusage herauspressen.
Sie machten einen Treffpunkt aus, und anschließend verabschiedete sie sich. Sie müßte jetzt noch in den Computerkurs, und man sähe sich eh heute Abend. Und er freue sich, meinte er... würde bestimmt lustig werden.
Als sie die Treppe hinunterging, wippte ihr hochgestecktes Haar im Rhythmus der Schritte auf und ab.
Michael sah ihr noch lange nach.

Auf was hatte er sich da bloß eingelassen?



Tinas Vater würde als erwachsene Begleitperson mitkommen, hatte sie gemeint. Irgendwie flößte ihm das Respekt ein...
Er stellte sich vor, wie der Vater zu ihm sagen würde: "Ach, du bist also Michael? Tina hat mir bereits von dir erzählt."
Anschließend vielleicht ein Händedruck.
Michael stellte sich zuhause vor den großen Schlafzimmerspiegel seiner Mutter und spielte die Situation für sich durch... das souveräne Hinstrecken der Hand, dazu ein fester Blick, ungeachtet der Tatsache, daß er alleine bei der Vorstellung bereits Probleme hatte, seinen Schließmuskel unter Kontrolle zu halten.
Anschließend suchte er auf der MySpace- Seite der Band nach Hörbeispielen. Wie erwartet, klang es für seine Ohren nach schnellem und brachialem Lärm, etwas, das er sich nie freiwillig angehört hätte. Das entmutigte ihn bereits wieder... zunächst dachte er daran, Sven anzurufen und ihn um Rat zu fragen. Doch er verwarf den Gedanken sofort. Er mußte eine Entscheidung treffen, einmal über seinen Schatten springen, erkennen, wie weit er gehen wollte, um ein Mädchen zu beeindrucken, das von ihrem unerreichbar hohen Podest zu ihm herabgestiegen war.
Alles andere wäre feige... und er wirklich nur der fette Spasti, die Witzfigur, der Prügelknabe.
Instinktiv spürte er, daß er sich selbst etwas beweisen würde, daß sein Auftauchen bei dem Konzert eine derartige Selbstüberwindung sein würde, daß sich nicht nur das Bild, das er von sich selbst hatte, zum Positiven wenden würde, sondern dies auch auf seine Außenwirkung abstrahlen könnte.
Er sehnte sich in erster Linie: nicht nur nach ihr, sondern auch nach einem Ruhepol. Einen Ort, an dem er nicht mehr täglich sein mißratenes Äußeres einer Prüfung unterziehen müßte, an dem er taub war für den Spott der anderen, an dem er einfach nur noch existierte, sich selbst genügend und in sich selbst ruhend, unangreifbar, unverletzbar.
Nur eine vage Ahnung hatte er davon, daß sie ihm dazu verhelfen könne; er wußte, er hatte sein ganzes Leben noch vor sich, aber er ahnte, daß er auf diesem Gleis bis zum Prellbock fahren würde, wenn er nicht bald an der Weiche hantierte. Sven würde ihm dabei nicht behilflich sein; in diesem Zug fuhr jeweils jeder alleine.
Also: Vorbereitung. Ununterbrochen die Songs auf MySpace anhören.
Sich zurechtmachen: seine neuen, teuren Turnschuhe. Eine helle Markenjeans. Aus Mangel an einem geeigneten T- Shirt (das mit der US- Flagge, das er noch am geeignetsten fand, war ihm schnell zu albern... er wünschte sich, damals stattdessen im Laden jenes schwarze mit dem Tribal- Logo erstanden zu haben, aber das erschien ihm zu gewagt... das Gefühl, sich damit lächerlich zu machen, hatte überwogen. Nun verfluchte er sich dafür) entschied er sich für ein weißes Hemd mit Knopfleiste und dünnen blauen Streifen.
Nachdem er es erst in die gegürtete Hose steckte, übermannte ihn sein neuerwachter Freiheitsdrang, er zog es wieder aus selbiger heraus und ließ es locker hängen.
Nochmal den Blick in den Spiegel. Der feste Blick. Die vorgestreckte Hand. Tief durchatmen. Der feste Blick. Der feste Blick. Die vorgestreckte Hand. Kämmen. Der feste Blick. Die vorgestreckte Hand.
Nun war es aber Zeit. Seine Mutter würde in 20 Minuten von der Arbeit heimkommen.
Er kratzte sein restliches Taschengeld zusammen, ging in die Küche und schnappte sich einen gelben Haftzettel aus der Ablage auf dem Fensterbrett.
In seiner ungelenken Handschrift krakelte er mit Kugelschreiber "Hallo Mama. Bin mit Freunden im Kino, komme später heim! Kuß Michael" darauf, wissend, daß es gewaltigen Ärger geben würde.
Doch er fühlte sich gewappnet. Sein neuentdecktes Selbstbewußtsein erstickte sogar den Respekt vor den Ängsten seiner Mutter, die immer noch um Männer kreisten, die fremden Kindern Bonbons schenkten. Wer weiß, vielleicht konnte er sie später überraschen, wenn er Tina mit nach Hause brachte und sie ihr vorstellte, seinerseits dann auch endlich die ständigen penetranten Fragen von ihr nach Mädchen zum Verstummen bringend. Das war ihm diese Lüge wert.
Da er das gemeinsame Abendessen verpassen würde, entschloß er sich, zum McDonald's an der Ecke zu gehen, wo er sich nun das letzte Stück Cheeseburger in den Mund steckte, das Einwickelpapier lautstark zu einem kleinen Ball zerknüllte und mit unerwartet gekonntem Schwung in den Papierkorb warf. Bingo!
Er fühlte sich bereit.



Aus der Lokalzeitung, ungefähr ein Jahr später:

[...]Die Angeklagten Kevin S. (19), Cüneyt T. (17) und Thorsten K. (17) hatten auf Anweisung der Mitangeklagten Tina R. (16) dem Opfer Michael T. (16) zunächst nur einen "Schrecken" einjagen sollen.
Laut Aussage der Angeklagten Tina R. hatte sie Michael T. unter einem Vorwand zu einem vereinbarten Treffpunkt gelockt, um ihm "eine Lektion" zu erteilen, da sie sich von ihm "begafft und belästigt" fühlte, was zunächst mit diversen Verbalattacken begann.
Als sich das Opfer jedoch wehrte und Kevin S. ohrfeigte, sei es- laut dem Plädoyer des Staatsanwaltes der Jugendstrafkammer- zu einem "beispiellosen Ausbruch zügelloser Gewalt" gekommen, in dessen Verlauf die drei Jungen Michael T. mit heftigsten Faustschlägen und Fußtritten traktierten, was jedoch jederzeit durch die Angeklagte zu unterbinden gewesen sei. Somit sei eine körperliche Attacke auf das Opfer zumindest billigend in Kauf genommen worden.
Was bei der Forderung des Staatsanwaltes nach der im Jugendstrafrecht vorgesehenen Höchststrafe maßgeblich war, war laut seiner Aussage die emotionale Kälte und mangelnde Bereitschaft zur Reue bei allen Angeklagten.
Das Urteil wird morgen erwartet.
Michael T. liegt nach seinem schweren Sturz auf den Hinterkopf, der Folge dieses Angriffs war, nun bereits seit einem Jahr in einem örtlichen Pflegeheim im Wachkoma.

Montag, 5. Juli 2010

Bonzo goes to Hamburg

So, nach reichlich privaten Unerfreulichkeiten bin ich also wieder hier.
Nein, ich gehöre wahrlich nicht zu den Internetusern, die ihr Offlinedasein bis ins letzte Detail virtuell auswalzen müssen. Darum erlauben Sie mir, geneigte Leserschaft, über einen Großteil der Ereignisse der letzten Tage den Mantel des Schweigens zu breiten.
Dennoch hat sich eine Menge getan... zumindest ist eine definitive Entscheidung gefallen.
Nachdem ich eine weitgehende Zusage für eine Zweier- WG erhalten habe, werde ich ab nächsten Monat damit beginnen, nach Hamburg- Altona überzusiedeln und zumindest einmal einen längeren Lebensabschnitt dort zu verbringen.
Leicht ist mir die Entscheidung nicht gefallen; zwar gibt es hier momentan genug Gründe, die sie forciert haben, dennoch lasse ich hier einiges zurück, was ich sehr ungerne irgendwo zurücklasse. Und über 800 Km Entfernung sind nicht gerade ein Pappenstil, nicht einmal für eine oder mehrere wirklich gute Freundschaften.
Ob ich mit fast 37 Jahren noch einmal so weitumfassend Anschluß finde, sei einmal dahingestellt; letztendlich habe ich mir die Option bewahrt, wieder zurückzukehren.
Sollte ich nur ein Jahr in Hamburg verbringen, wird es eben nur ein Jahr, aber es war zumindest einen Versuch wert.

An positiven Dingen gibt es derzeit wenig; daran, daß die deutsche Nationalmannschaft eines der erfreulichsten ist, sieht man, wie aufgeräumt es hier derzeit ist.
Nein, ich habe bei dieser WM letztendlich doch noch meinen Frieden mit ihr gemacht, und so wie beim letzten Spiel gegen Argentinien hat mich seit meiner Kindheit keine deutsche Mannschaft mehr mitgerissen.
Mittlerweile gönne ich ihr den Titel aus tiefster Seele... und dann dürfte die Bundesligasaison endlich anfangen, und diese ganzen Spaß- und Eventfußballamöben, die derzeit die Straßen bevölkern, könnten sich allmählich mal wieder in ihre Löcher verkriechen.
Die sind und waren nämlich trotz allem weiterhin unerträglich.