Freitag, 15. März 2013

Mein Vater, der Gastarbeiter

Mein Vater kam 1966 aus Korsika nach Deutschland, um hier etwas Geld zu verdienen.

Obwohl er eigentlich hochgebildet war, schlug er sich in Deutschland mit Hilfsarbeiterjobs durch, als Lagerarbeiter, Bürobote und- in meiner Kindheit- als Möbelpacker.
Ich erinnere mich, daß er ständig von der Arbeit nachhause kam, während ich auf der Couch vor dem Fernseher saß und auf das "Sandmännchen" im ersten Programm wartete. Dann machte ich ihm meistens Platz und ließ mich im Schlafanzug auf dem Teppichboden nieder, denn er mußte liegen, da er jeden Abend nach getaner Lohnsklaverei barbarische Kreuzschmerzen hatte.
Auf Korsika konnte er nie den Berufsabschluß erreichen, den er gewollt hatte, da er kurz vor dem Abitur seinen Vater verlor; meine Großmutter war Wäscherin (und wusch die Wäsche der Dorfbewohner noch an einem Bergbach), meine Onkel waren bei der Armee, und so mußte er den Mann im Haus geben; in einem korsischen Bergdorf war das Leben recht hart, vor allem für eine alleinstehende Frau.
Als seine Brüder bei der Armee in Landau/Pfalz stationiert wurden, und mein Vater dabei war, in seiner Heimat eine ziemliche Outlaw- Existenz zu beginnen, schickte ihn meine Großmutter kurzerhand im Paket mit; er schwappte mit den letzten Ausläufern südeuropäischer Gastarbeiter ins Land, Italienern, Spaniern, Portugiesen, Griechen und Türken, nicht wenige mit einer ähnlichen Biographie.
So stand er also in einem fremden Land, dessen Sprache er nicht beherrschte (die er sich aber wie ein Besessener autodidaktisch hineinpaukte), und mußte deshalb zuerst jede feilgebotene Dreckarbeit annehmen.

Dann lernte er meine Mutter kennen, gründete mit ihr eine Kleinfamilie, trat in die BASF ein und arbeitete sich mit eisernem Willen vom ungelernten Chemiearbeiter zum Industriechemiemeister hoch. Das klingt nach einem Happy End.

Ich habe mich oft mit Gastarbeiterkindern aus dieser- meiner- Generation unterhalten, auch als unsere Väter bereits als "Migranten" bezeichnet wurden und wir mehr oder weniger trotzig unseren "Migrationshintergrund" ins Feld führten. Erst spät, nachdem wir oft eine Kindheit hinter uns gebracht hatten mit Vätern, die wir manchmal als ruppig, streng oder gar lieblos in Erinnerung hatten, wurde uns klar, wie sich Überarbeitung, Plackerei, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen, Illusionslosigkeit und zerronnene Lebensträume auf einen Menschen auswirken können. Wir bemerkten, daß dies nur das Ergebnis war, und unsere Väter uns ihr größtes Opfer bereits gebracht hatten: ihre eigenen Ambitionen, um uns ein besseres Leben zu ermöglichen, als sie selbst es in ihrer Heimat hatten.
Viele meiner Freunde, deren südeuropäische Väter immer noch in Großbäckereien, Chemiefabriken oder auf Baustellen buckelten, waren Akademiker oder hatten zumindest Mittlere Reife und einen gutbezahlten Job; so weit wären wir im unserer "ursprünglichen Heimat" wahrscheinlich nie gekommen.

Warum ich dies nun schreibe? Mein Vater ist am 13. 03. 2013 im Alter von 67 Jahren verstorben, nach einer 15monatigen Lungenkrebserkrankung, infolge derer er zunehmend pflegebedürftig wurde und deren Ende auch eher einer Erlösung glich.
Dies war auch wiederum der Grund für meine langen Perioden der Abwesenheit aus dem Internet... was hätte ich mich über Dinge echauffieren sollen, die im Vergleich zu den Sachen, die mich WIRKLICH beschäftigten, oftmals wie Banalitäten erschienen?

Romane könnte ich über meinen Vater schreiben, daher beschränke ich in meinem Nachruf, wenn ich ihn so nennen darf, auf einen allgemein nachvollziehbaren Aspekt. In Liebe und Dankbarkeit:

Francois Ange Gaffory

* 11.03. 1946 (Guagnu/Corsica)
+ 13.03. 2013 (Zeiskam/Pfalz)

R.I.P., babbu caru.

Und von meiner Seite auch danke an alle, die in den letzten Monaten für mich da waren... ihr wißt, wer ihr seid.
Ich mag solche plakativen Verlautbarungen eigentlich nicht, darum nehmen Sie, verehrte Leser, dies einfach als eine Herzensangelegenheit und gleichzeitige Erklärung für das zwischenzeitliche Veröden dieses Blogs.