Sonntag, 12. April 2020

DYNAMO 1995 ... der Tragödie letzter Teil

Ich muß mich zunächst einmal korrigieren. Auch mein eigentlich unschlagbares Erinnerungsvermögen ist nicht immer verläßlich; dachte ich doch, das DYNAMO 1995 sei mein letztes gewesen, jedoch war ich von 1994 - 1996 am Start.
Da ich teilweise auch diverse Bands durcheinander brachte (beziehungsweise welche davon in welchem Jahr spielte), war ich mal so frei, das Line - up nachzugoogeln:

21./22. Mai 1994: Clawfinger, Cynic, Danzig, Die Krupps, Forbidden, Gorefest, Kyuss, Life of Agony, Nerve, Pride & Glory, Prong, Sick of It All, Skyclad, The Organization, Urban Dance Squad, Vicious Rumors, Skintrade

2./3./4. Juni 1995: 35007, Biohazard, Blitz Babies, Brotherhood Foundation, Crash Worship, Dog Eat Dog, downset., Dub War, Earth Crisis, Eleven Pictures, Fear Factory, Grip Inc., Hate Squad, Horace Pinker, Life of Agony, Machine Head, Madball, Mary Beats Jane, Mental Hippie Blood, Motorpsycho, My Dying Bride, Nailbomb, Nevermore, No Fun At All, NRA, Orange 9mm, Overdose, Paradise Lost, Rape, Rich Kids On LSD, Schweisser, Shihad, Skyclad, Snapcase, Strawman, Sun, Tiamat, Trouble, Type O Negative, Undeclinable Ambuscade, Warrior Soul, Waving Corn, Korn, Cradle of Filth

24./25./26. Mai 1996: 59 Times the Pain, 7Zuma7, Altar, Anathema, Bambix, Channel Zero, CIV, Cooper, Dog Eat Dog, Down by Law, Dreamgrinder, Eboman, Frozen Sun, Galactic Cowboys, Gorefest, Gurd, H2O, Merauder, Millencolin, Neurosis, NRA, Orphanage, Osdorp Posse & Nembrionic, Pennywise, Pitchshifter, Pro-Pain, Ryker’s, Sacred Reich, Satanic Surfers, Savatage, Skippies, Skrew, Slapshot, Slayer, Spiritual Beggars, Strung Out, Stuck Mojo, The Exploited, The Gathering, Unsane, Venom, Voivod, White Devil

Was für eine Parade teilweise längst vergessener Bands (manche davon durchaus zurecht), verbunden mit einer Flut von Erinnerungen. Aber dazu später.
Bevor ich an irgendwelche Bands überhaupt denken konnte, mußte ich auf dem Campingplatz des Festivalgeländes ja zuerst einmal den südpfälzer Stützpunkt ausfindig machen.
Hierzu hatte ich mich mit den Mitgliedern meiner damals noch zumindest pro forma existenten Gurkentruppe CONTRACT am Meeting Point verabredet.
Das war eine das Festivalgelände weithin überragende Säule, deren Spitze eine Art - sorry - Indianerkopf schmückte und die mir auch im Jahr vorher bereits aufgefallen war, ohne daß ich wußte, daß es sich dabei um den Meeting Point handelte, an dem sich Versprengte einfinden konnten.
Dummerweise wußte ich das auch zu jenem Zeitpunkt noch nicht. Es hatte mich weder interessiert, noch hatte ich mich um irgendwas gekümmert.
Also schleppte ich mich bei drückender Schwüle wie ein Maultier beladen über den zum Festivalgelände gehörenden Campingplatz, kurz vor dem physischen und psychischen Kollaps, und taxierte Autos, Kleintransporter und Zelte in der Hoffnung, irgendein bekanntes Gesicht zu entdecken.
Nach ungefähr einer Stunde konnte ich nicht mehr. Also entschloß ich mich zu einer riskanten Aktion: ich sprach eine auf einem Klappstuhl vor einem (ich glaube grünen) Kombi sitzende deutsche Frau an und bat sie, mein Gepäck bei ihr am Auto deponieren zu können.
Anfangs zögerte sie noch, doch nachdem ich ihr wortreich meine mißliche Lage geschildert hatte, stimmte sie widerwillig zu.
Da mein Orientierungssinn dem eines blinden Alzheimerkranken ähnelt, sah ich mich nun zwar um einige Kilo erleichtert, aber dafür in einer doppelten Streßsituation: ich mußte den Rest der Meute finden, durfte aber nicht vergessen, wo ich meine Taschen, meinen Schlafsack und meinen Bierproviant gelassen hatte.
Wie dem auch sei: geschätzt anderthalb Stunden später lief ich doch welchen von meinen Leuten über den Weg. Nach weiteren ca. anderthalb Stunden, die es brauchte, das Auto mit der deutschen Frau und meinem Gepäck wiederzufinden, konnten wir endlich zum gemütlichen Teil des Abends übergehen.
Also flugs einen Schlafplatz im Zelt organisiert, darauf die mitgebrachte türkische Flagge gehißt (wie gesagt, damals als Antifa - Statement gedacht, als ein Erdogan noch lange nicht in Riechweite war), und dort erstmal etwas geruht und tatsächlich versucht, für die anstehende Prüfung zu lernen.
Erraten, daraus wurde während des ganzen DYNAMO nichts, so daß ich sie halbwegs gegen die Wand fuhr und nochmal ins Mündliche mußte, wo ich meine Note immerhin noch auf eine Zwei hochquälte.
Nach geschätzt 17 Minuten Entspannung wurde es dann auch schon Zeit, sich im Großzelt abseits der Hauptbühne erste Bands anzusehen, Bier in sich hineinzuschütten, als würde es um Mitternacht schlagartig auf dem kompletten Gelände verdampfen und - ho ho ho, wie subversiv - demonstrativ in irgendeinem miefigen Bob - Marley - Wohnwagenkabuff einen ordentlichen Vorrat an Rauchbarem zu organisieren.
So verrann die Zeit; während man auf der Bühne irgendwelche Bands zunehmend anstierte und allgemeinzustandsbedingt dazu tendierte, jedem erdenklichem Glumpf noch irgendwas abgewinnen zu können ("irschendwie finn isch des Riff do schunn geil").
Ich erinnere mich zum Beispiel noch an SUN, eine deutsche Band, die eine Art Industrialmetal spielte, bei dem ständig als Stilmittel eine dominante Querflöte zum Einsatz kam und die unter anderem von mir hemmungslos abgefeiert wurde. Heutzutage bekäme ich dabei wahrscheinlich die galoppierende Krätze (ich könnte das über You Tube ja sehr leicht herausfinden, aber ich habe keine Lust dazu), aber ich war jung, dicht bis in die Haarspitzen und fand das Gesamterlebnis unübertrefflich großartig. Genauso hielt ich am nächsten Tag die auf Platte geradezu unterirdischen DUB WAR für das Beste, was ich seit langem gehört hatte. Dies führte nach meiner Heimkehr zum sofortigen CD - Erwerb ... und in der Folge dazu, daß dieselbe meinen Bestand ein Jahr später wieder verließ, ohne öfter als zweimal gehört worden zu sein.
Aber zurück zu jenem Abend.
So zog man sich also stückweise die Vorhänge zu, bis dann nach Einbruch der Nacht sich auch auf das Haupt der große Verdunkelungshammer niedersenkte. Also Zeit, nach den Strapazen des vergangenen Tages ins Zelt zu torkeln und trotz der gigantischen Lärmkulisse um einen herum endlich mal auszuschlafen.
Ich erspähte im Dunkel vage das wehende Rot der Flagge und bewegte mich darauf zu, stets bemüht, nicht über gespannte Schnüre zu stolpern oder gar gleich auf aufgebaute Zelte zu stürzen ... was in einer Mischung aus Kif und Suff auch nicht einfacher war, als meinen halben Hausstand durch die Gegend zu schleifen. Dabei hatte ich die Flagge fest im Blick ... und auf einmal war sie weg.
Verwirrt suchte ich die Zelte ab ... bis ich sie in einer Richtung entdeckte, die mich dazu brachte, mir die Frage zu stellen, wie zur Hölle sie dahin gekommen war (beziehungsweise: wie ich so vom Weg abkommen konnte).
Also Richtungswechsel, auf das Ziel zugestolpert, einmal den Blick abgewandt ... und wieder das gleiche Spiel. Die Flagge war unerreichbar weit weg.
Den Weg zurück ... und wieder das Gleiche. Den Weg zurück ... und wieder das Gleiche. Den Weg zurück ... und wieder das Gleiche.
Langsam machte sich Verzweiflung in mir breit. Ich fragte mich, ob es da irgendeine metaphysische Ebene gab. Büßte ich irgendwelche Sünden ab? War ich in einem surrealen Alptraum gefangen?
Nachdem ich mindestens drei Stunden unterwegs war und bereits die Morgendämmerung hereinbrach, erblickte ich dann den Sprinter, mit dem ein Teil unserer Gruppe gekommen war, und hinter dem Steuer saß der schlafende Robert S., den ich erst einmal a) durch heftiges Klopfen an die Scheibe wecken mußte, worüber er verständlicherweise nicht gerade begeistert war und b) dazu überreden mußte, mir Platz zu machen.
So kroch ich halb ohnmächtig ins Führerhaus und kam noch zu ungefähr drei Stunden Schlaf, aus dem ich dermaßen zerknittert erwachte, daß ich mich zuerst einmal mit allerlei Substanzen wieder glattbügeln mußte.
Dabei sah ich dann, daß in exakt einer Linie in einem Abstand von ca. 100 Metern zwei Zelte standen, die eine rote Fahne gehißt hatten, und ich Stunden wertvoller Lebenszeit damit zugebracht hatte, zwischen beiden hin und her zu schwanken.

So war das also auf dem DYNAMO 1995. Soviel Spaß hatte ich nur selten im Leben.

Zum Glück.



Mittwoch, 25. März 2020

DYNAMO 1995 ... der Tragödie zweiter Teil

Die Reise verlief erst einmal gut.
Ich versuchte, mein Gepäck etwas leichter zu machen, indem ich mir gemütlich zwei oder drei Bier in den Kopf stellte, so daß kurz vor Köln der erste Vorbote nahenden Harndrangs herbeigaloppierte.
Aber das war ja alles kein Problem; nachdem ich in aller Ruhe umgestiegen war, könnte ich im Zug nach Eindhoven ja die Toilette aufsuchen, anstatt durch unvorhergesehene Umstände (ich war in solchen Angelegenheiten immer übervorsichtig) den Anschlußzug zu verpassen.
Sie ahnen es bereits: daraus wurde nichts.
Der Anschlußzug war nicht einfach nur voll, er platzte aus allen Nähten, bis unter die Decke vollgestopft mit Punks und Metalkids (was ich zu der Zeit ja auch war) mit unterschiedlichen Promillegraden von "beschwipst" bis "lebender Leichnam".
Ich fand wie durch ein Wunder noch einen Sitzplatz, und zwar neben einem Mann mittleren Alters (Ende 30, Anfang 40, schätze ich mal), der wohl offensichtlich nicht auf's DYNAMO wollte und die ganze Szenerie mit einem mild ironischen Lächeln verfolgte.
Soweit, so gut. Zeit, die Toilette heimzusuchen.
Zeit, festzustellen, daß sie nicht nur blockiert war, sondern daß davor Menschen auf einem Haufen lagen, und zwar teilweise in drei Lagen übereinander. Um auch nur in die Nähe des WC zu kommen, hätte man einen Schneepflug gebraucht.
Der Harndrang entwickelte sich langsam zu einem ernstzunehmenden Problem, und das offensichtlich nicht nur bei mir. Irgendwann kurz hinter Hagen fanden alle möglichen Schweinereien in meinem Zugabteil statt. Menschen urinierten in Flaschen und Dosen und schütteten den Inhalt dann aus dem Fenster, oder erstiegen in einer abenteuerlichen Kletterpartie Sitzlehnen, hielten sich am Gepäcknetz fest und beförderten ihren Ballast direkt aus dem fahrenden Zug.
Mittlerweile mußte ich auch geradezu rhinozeroid pissen, hatte aber keine Lust, mein Gemächt im Fahrtwind zu schlenkern.
Also entschloß ich mich für die Lösung mit der Dose und versuchte, mich auf meinem Sitz möglichst klein zu machen und dabei meinen Hosenstall zu öffnen.
Zumindest hatte ich den Anstand, meinem Sitznachbarn die dringende Notwendigkeit der ganzen Aktion zu erklären, was ihn aber nicht daran hinderte, mich grinsend zu beobachten, während die umsitzenden Punks meinten, mich mit einem rhythmischen "HEY HEY HEY" anfeuern zu müssen.
Da ich noch über einen Rest Selbstachtung verfügte (wobei ich nicht verhehlen will, daß es später im Leben Zeiten gab, zu denen mir das alles herzlich egal gewesen wäre), brach ich die Aktion ab und litt Tantalusqualen, bis der Zug endlich in Eindhoven einfuhr.
Als ich dort dem Höllengefährt entstieg, hatte ich es entgegen meiner Befürchtung zwar geschafft, mir nicht vollrohr in die Hose zu seichen, dafür schmerzten meine Nieren aber derart, daß ich kaum noch laufen konnte.
Aber nun würde doch endlich ... nein. Man wollte mir nichts gönnen, nicht mal, mich in ein Gebüsch zu schlagen.
Schnurstracks wurden wir zu einem Anschlußbus geleitet, der, es war kaum zu glauben, noch voller war als der Zug. Ich schaffte es gerade so hinein, dermaßen dicht an die Tür gedrängt, daß der Fahrer sie dreimal öffnen und schließen mußte, da er jedesmal einen Bestandteil meines Gepäcks darin einklemmte.
Als wir nach noch einmal gefühlt drei Stunden Fahrt endlich am Festivalgelände ankamen, stürzte ich aus dem Bus und fand tatsächlich ein Toilettenhäuschen, in dem ich dann gefühlt neun Minuten am Stück pißte. Dieses schäbige Bauwerk war in diesem Moment der schönste Ort der Welt.
Nun war ich da und konnte mich endlich darauf konzentrieren, den Rest der Bagage zu finden.
Und beim Versuch, dieses Vorhaben umzusetzen, stellte ich fest, daß ich mit der Herfahrt gerade einmal die Hälfte aller auf mich wartenden Prüfungen geschafft hatte.

(Fortsetzung folgt)

Montag, 23. März 2020

DYNAMO 1995... der Tragödie erster Teil

Eine Geschichte, die ich bereits beim bereits erwähnten "Loose Lips" - Abend im KOHI in stark verkürzter Form auf die Bühne gebracht habe, und zwar auf Englisch.
In dieser Version bleibe ich dann doch in meiner Muttersprache.

1995. Pfingsten nahte ... Tage, an denen wir (die ganzen Hardcore - und Metalrenegaten der Südpfalz) uns zusammenfanden, um auf's DYNAMO - Festival nach Eindhoven zu pilgern, um uns dort in erster Linie in billigem Dosenbier zu marinieren und ungehindert zum Zweck des Einkaufs Zelte zu frequentieren, auf denen die jamaikanische Flagge wehte.
Dazu wurden kulinarische Köstlichkeiten wie Cabanossi aus dem ALDI sowie der "Bill Collins Feuertopf" (oder gar glattkackweg "Feuerzauber") aus demselbigen gereicht.
Dazu gab es 24 Stunden am Stück gute Musik in brüllender Lautstärke, wenn nicht von der Bühne, dann aus sämtlichen auf dem zugehörigen Campingplatz herumstehenden Autos, in dem in gefühlt jedem ein anderes gerade angesagtes Metalalbum lief (abgesehen von dem von Tex Dixigas, der das Ganze gewagt mit "Mind Playing Tricks On Me" von den Geto Boys konterte).
Das war in den zwei Jahren vorher schlagartig zum Höhepunkt des Jahres mutiert, und man freute sich nach dem überstandenen DYNAMO bereits auf das nächste. Alle unsere Lieblingsbands spielten dort: ich sah Prong, Slayer, Slapshot, Unsane, Sick Of It All, Madball, Venom in Originalbesetzung und jede Menge anderes Zeug, das ich am Rande mitnahm und schnellstmöglich wieder vergaß. Der Rest des Tages bestand aus Saufen, Kiffen, Umfallen, Wachwerden, Saufen, Kiffen und wieder Umfallen.
Es begab sich aber zu jener Zeit, daß ich die Abschlußprüfungen für meine Ausbildung zum Altenpfleger schreiben mußte, vier an der Zahl. Krankenpflege, Rechts - und Verwaltungskunde (still hate it, always will), Gerontologie und Medizin.
Dummerweise fiel die Gerontologieprüfung auf den Freitag, an dem fast alle schon relativ früh nach Eindhoven aufbrechen wollten, und die Medizinprüfung auf den Dienstag nach Pfingsten.
Wäre ich vernünftig gewesen, hätte ich schweren Herzens auf das Festival verzichtet, um mich adäquat auf meine letzte Prüfung vorzubereiten, das war ich aber nicht. Ich war 21. Reicht das als Begründung?
Also beschloß ich, nach dem Ende meiner Prüfung der kompletten Bagage mit dem Zug hinterherzureisen und stellte mir das passende Marschgepäck zusammen. Dieses bestand aus einer Palette (tatsächlich: 24) Halbliterdosen Holsten - Bier, verteilt auf einen Rucksack, eine Reisetasche und eine Art Seesack, der - um alle Säcke komplett zu machen - wiederum meinen Schlafsack enthielt, so daß ich ungefähr 30 Kilo Ballast durch die Gegend schleppte. Meine Schulunterlagen des Faches Medizin waren natürlich auch dabei, in völlig unbegründetem Optimismus davon ausgehend, in der ein oder anderen stillen Minute tatsächlich noch lernen zu können. Dazu eine türkische Nationalflagge, die ich einem Freund von mir quasi als Anti - Nazi - Protest abgekauft hatte (wie gesagt, ich war ein 21jähriger Möchtegernpunk), und der im Lauf dieser Geschichte noch eine wichtige Rolle zufallen sollte.
Und so bestieg ich nach meiner Gerontologieprüfung umgehend den Zug am Landauer Hauptbahnhof. Die genaue Route ist mir nicht mehr erinnerlich, ich meine aber Landau - Karlsruhe - Köln - Eindhoven.
Bis Köln verlief auch alles noch erstaunlich reibungslos. Doch ab Köln tauchte dann ein gar mächtiges Problem auf, das mich auf eine harte Probe stellen sollte.

(Fortsetzung folgt)

Samstag, 21. März 2020

Doch kein Wort, sondern eine Ankündigung

Nun habe ich mal wieder einige Tage pausiert und wollte eigentlich schon anheben, meine Befindlichkeiten im Angesicht der momentanen Krise (die ich mittlerweile für ziemlich ernst halte) zu schildern, bis irgendein innerer Schweinehund die Notbremse zog.
Denn: abgesehen davon, daß wir momentan alle im selben Boot sitzen und ich beim besten Willen niemandem erzählen muß, wie es ist, in einer weitgehend entvölkert scheinenden Stadt das Wochenende oder wunderschöne Frühlingstage (oder beides zusammen) in der eigenen Wohnung zu verbringen, ist das Thema weltweit so omnipräsent, daß ich hier in diesem Blog nicht auch noch offene Scheunentore einrennen muß.
Will heißen: warum sollte ich die Gelegenheit nicht nutzen, Sie mit diversen launigen oder weniger launigen Anekdoten zu unterhalten, um Sie auf andere Gedanken zu bringen, egal, wie die geformt sein mögen?
Also folgen in den nächsten Tagen noch Schwänke aus meinem Leben, Platten - und Buchkritiken, Liebeserklärungen und Polemiken.
Und kein Wort über Corodingsbums, außer es ist etwas, was mein Leben gerade extrem beeinflußt.

Also: passen Sie auf sich auf. Und (doch ein Wort) denken Sie in einer stillen Minute vielleicht mal daran, daß auch King Bronkowitz in der Pflege arbeitet und drücken Sie mir die Daumen.
Das hätte durchaus etwas ermunterndes, wenn nicht sogar tröstliches.

Montag, 9. März 2020

Doch ein Wort: Ergänzung

...und auf einmal sieht man sich anderweitig in eine Diskussion über Fußballfankultur verwickelt. Ein Thema, das man eigentlich bereits längst auf dem Müllhaufen der eigenen Lebensgeschichte wähnte.
Also gerne nochmal als Ausgangspunkt:

Seit 1980 war ich glühender Fan des 1.FC Kaiserslautern. Ich war zwar - hauptsächlich berufsbedingt - selten im Stadion, habe den Verein aber immer unterstützt und stand auf Seiten der aktiven Fans, ebenso wie ich mit den Ultras sympathisiert habe.
Das tue ich im Prinzip heute noch, auch wenn das Thema für mich abgehakt ist.

Will heißen: ich nehme mir durchaus das Recht heraus, mal ein paar kritische Worte zu äußern.
Natürlich ist das Statement der "Schickeria" durchdacht und intelligent formuliert.
Hätte man es vor diesen ganzen Schwachsinnsaktionen (und bei dieser Ansicht bleibe ich) veröffentlicht, wäre es dennoch sinnvoller gewesen und hätte in der Presse eventuell ein gewogeneres Echo gefunden.
Auch die ganzen Medien, die jetzt kritisch über den neuen Kulturkampf im Stadion berichten, haben sich genauso kritisch beispielsweise über RattenBall Leipzig geäußert, ohne diese Pest verhindern zu können.
Deswegen glaube ich, daß sie in der Causa Hopp nichts bewegen werden, solange sämtliche maßgeblichen Entscheidungsträger um ihre Pfründe besorgt sind. Der Fan alten Schlags ist längst eine Minderheit in den Stadien, und wird höchstens noch als Folklore aus längst vergangenen Zeiten wahrgenommen ... und nun noch dazu als Störfaktor.
Mein Fazit war (und bleibt):

man hätte schon viel früher überlegt und konzertiert Boykottaktionen durchführen sollen, dann hätte sich die Situation gar nicht erst so entwickelt, wie sie sich heute darstellt.
Stattdessen liefert man Kommerzknechten wie Alfred Draxler mit solchen Aktionen Munition für ihren Schwachsinn und ist ernsthaft so naiv zu denken, der gemeine Sport - BLÖD - oder kicker - Leser wäre nach diesem ganzen medialen Overkill noch in der Lage, auf Subtilitäten und Querverweise einer Gruppierung einzugehen, die schon längst durch besagte Quellen als das Böse schlechthin stigmatisiert ist.
Man hat vielleicht kleinere Erfolge erreicht, die aber eher das herumdoktern an Einzelsymptomen waren, während der Körper an sich immer noch dahinsiecht.
Es wird sich IMHO nichts ändern, bevor dieses Schweinesystem, das einmal eine Freizeitbeschäftigung für normale, arbeitende Menschen war, komplett kollabiert und wie des Fischers Fru wieder da landet, wo es herkam.
Sollten solche Aktionen tatsächlich dazu beitragen, werde ich gerne öffentlich Abbitte leisten; ansonsten halte ich das alles nach wie vor für zu spät, zu unüberlegt und ein mit falscher Bewaffnung Don - Quixotehaftes Anreiten gegen Windmühlen, und zwar auf einem toten Pferd.

Sollte es trotzdem was bringen: weitermachen.

Eigentlich habe ich keine Lust mehr, über Fußball zu diskutieren, aber die Reaktionen auf meinen letzten Eintrag machten diese Stellungnahme noch notwendig.

Kein Wort

Ich werde den Coronavirus mal Coronavirus sein lassen.
Natürlich bin auch ich inzwischen zunehmend milde besorgt, aber es wird momentan soviel darüber geredet und geschrieben, daß ich die Sau nicht auch noch durch meinen Blog reiten muß.
Vielleicht werde ich mich früher oder später dazu äußern (müssen), aber momentan genügt mir die Bitte, sich aus seriösen Quellen zu informieren.
Ansonsten kommt nämlich neben allerlei apokalyptisch verbrämtem Vollwahn solche Scheiße dabei raus wie die, daß die Politik mit der Fokussierung auf den Coronavirus von der heranbrandenden neuen Flüchtlingswelle ablenken will.
Während wir also husten, rotzen und es uns zwischen 2300 Rollen Klopapier im Desinfektionsbad bequem machen, steht der Negersmann bereits tausendfach samt Schlauchboot auf unserer Fußmatte, und keiner hat's gemerkt. Was sind das doch alles für Schlingel.
Ach nein, es will doch grad keine Ruhe geben. Spontaner Gedanke: was macht man eigentlich in häuslicher Quarantäne, wenn man wie ich einen weitgehend verwaisten Kühlschrank hat, weil man so gut wie nie kocht, da man eh fast nie zu Hause ißt?
Den Pizzadienst rufen? Und der erscheint dann im ABC - Schutzanzug und wirft den Lappen durch's offene Fenster? Fragen über Fragen.
Ansonsten geht alles recht gemächlich seinen Gang, sofern es in der derzeitig um sich greifenden Unruhe möglich ist.
Man wundert sich, daß bei Großveranstaltungen scheinbar mit zweierlei Maß gemessen wird: einerseits werden Konzerte abgesagt, andererseits scheint es kein Widerspruch dazu zu sein, daß sich an allen möglichen Wochentagen tausende von Fußballfans preßwurstig in Stadien quetschen.
Zum Glück geht mir dieser Zirkus mittlerweile dermaßen am Arsch vorbei, daß ich mich nur am Rande mit der Causa Hopp beschäftigen muß.

Aber eines kann ich mir doch dazu aus dem Ärmel leiern:

Ein Freund von mir echauffierte sich über die angebliche Infragestellung rechtsstaatlicher Prinzipien. Und warum? Weil der DFB Kollektivstrafen verhängt? Weil man im Stadion niemanden mehr im Fadenkreuz zeigen oder als "Hurensohn" beschimpfen darf?
Ich bin wegen Leuten wie Hopp und Mateschitz mit Fußball fertig, trotzdem ist mir diese pubertäre und niveaulose Art des Protests fremd. Vor allem, da sie komplett kontraproduktiv ist und die Betreffenden mit einer kleidsamen Opferrolle ausstattet, wobei ich Hopps soziales Engagement durchaus gutheiße. Aber darum geht es in dem Fall ja nicht..
Vor allem, da die Ultragruppierungen gleichzeitig ebenfalls in eine selbstgewählte Opferrolle schlüpfen, die jedem Böhse - Onkelz - Text zur Ehre gereichen würde. Dabei wäre es so einfach gewesen: wären die Leute bei Heimspielen gegen Rattenball oder Hoffenheim einfach daheim geblieben, wäre das um einiges effektiver gewesen. Kein Verein hätte dann noch ein Interesse daran gehabt, mit solchen Konstrukten in einer Liga zu kicken, wenn bei jedem Heimspiel der Großteil der Zuschauer weggeblieben wäre.
Aber nein, man rennt brav ins Stadion, um dort zu "protestieren", hält diese Maschinerie am Laufen, läßt sich jetzt durch dieses grunzdumme "Hurensohn" - Geblöke als Negativbeispiel instrumentalisieren und schaufelt seiner Szene damit komplett das Massengrab, weil man einfach nie dazu fähig war, konsequent und kollektiv einen Stadionboykott durchzuziehen, der das einzig probate Mittel gewesen wäre.
Stattdessen schafft man sich selbst ab und hilft somit dabei, noch mehr obskuren Ekelpaketen wie Lars Windhorst das Einfallstor in die Liga zu öffnen.

Wie hieß es früher oft in Kurven? "Ihr seid so blöööd, ihr seid so blööd".


Freitag, 28. Februar 2020

Der Dichterfürst

Nach all den schwer besinnlich - nachdenklichen Beiträgen der letzten Wochen überfiel mich heute der unbezähmbare Drang, mal wieder dem Schwachsinn zu frönen, um es einmal in meiner neuerworbenen Studienratsdiktion auszudrücken.
Besoffen zu schreiben ist eine Kunst für sich.
Zu den Zeiten von "Kreisklassenhölle" hatte ich es (nicht nur) hierin zu einiger Meisterschaft gebracht, denn immerhin brachte ich einen kompletten Roman zustande, den ein paar Menschen sogar lesbar fanden.
Aks ich begann, mich zumindest halbwegs ernstzunehmend schreiberisch auszudrücken, war ich knapp volljährig; früheste Versuche datieren aus einer Zeit um meinen 15. Geburtstag herum, die ich aber beim besten Willen noch nicht einmal mehr selbst lesen kann, ohne vor Scham in Treibsand versinken zu wollen.
Sicherlich: einige von Ihnen fänden jene Versuche mit Sicherheit phantasievoll, denn diese war schon immer blühend; nach der Lektüre von drei John - Irving - Büchern zu dieser Zeit (von denen mich "Garp und wie er die Welt sah" und "Laßt die Bären los!" am meisten beeindruckten), begann ich, längere Texte zu verfassen und sie mit abstrusen Gestalten zu bevölkern.
Mit einer Geschichte gewann ich sogar 1989 einen Schreibwettbewerb der Landauer Stadtbücherei. So weit, so gut. Trotzdem:
Protagonisten mit Namen wie "Pinguin Jones", "Nexa Blank" oder einäugige ältere schwarze Herren, die "Stein Bein" heißen (nachdem sie ihren Namen haben eindeutschen lassen; vorher hießen sie nämlich ... oh Jessas, ich will das eigentlich nicht schreiben, aber fürchte, nun muß ich es tun.
Also gut, Achtung: "Stone Bone") haben zurecht nie im Komplettzustand das Licht der Welt erblickt, und geht es nach mir, werden sie bis ans Ende meines Lebens in meiner geistigen Sacksuppe herumschwimmen.
Jedenfalls fiel mir heute Morgen nach dem Aufstehen ein, daß ich mit 19 Jahren (am 12.03.1993, um genau zu sein) einmal ein gar waaaaaghalsiges Experiment startete: in meiner damaligen Stammkneipe, dem "Terminal" in Landau, zog ich mir ordentlich die Vorhänge mit Persicos zu; 12 Stück davon goß ich mir auf die Lampe.
Heute bekomme ich bereits Sodbrennen, wenn ich an dem klebrigen Zeug nur rieche, aber damals hatte ich bei "richtigem" Schnaps noch ziemliche Hemmungen und wich auf Likör aus.
Nichtsdestotrotz war Teil 1 meines Vorsatzes damit erledigt; Teil 2 bestand darin - nachdem mich Freunde wieder an der Wohnung meiner Eltern in Bellheim (still hate it, always will) abgesetzt hatten, mich an meinen Schreibtisch zu setzen und auf ein Blatt Papier zu kritzeln, was mir gerade einfiel.
Ich machte mich also heute auf die Suche nach dem Ergebnis und fand es unter Bergen von mir beschriebenen Papiers (Entwürfe für Geschichten; sinistre Gedichte aus meiner Punkzeit; CONTRACT - Songtexte in grausamem Englisch; HipHop - Texte in für diesen Zweck fast zu gutem Deutsch; in Kneipen mit Ideen vollgekritzelten Bierdeckeln etc).
Und diese Pretiose möchte ich Ihnen, geehrte Leser, nicht vorenthalten. Folgendes natürlich [sic!]:

EURE HEILIGKEIT

Gibt es den Mann mit dem "Masterplan"
Ist meine nackte Angst nicht in Wirklichkeit
eine nackte Frau?
Sex ist für die Rübe
Rübe ist im Garten
und schläft in Ruh'
(versucht "so wie du" hinzuzufügen; des Reimes wegen, versteht sich)
Denn ich bin besoffen!!!
Besoffen wie ein Loch
10 km in die Erdkruste gebort um Gesteinsproben herauszuholen
während ich Too Short höre
(Motherfuck Motherfuckers)
Nein Nein Nein höre die nackte Wahrheit
Nackt wie Kurt Schwitters
Der mir in meinen Träumen erscheint um mir seltsame Reime vorzusingen
Kurt! Altes Hirschferkel, hast doch sicher auch gekifft
Wie kann man sonst ewig nur scheiße schreiben
wie Mike Krüger in "die Supernasen"
Oh hängt sie auf!
Thomas und Mike baumeln verrottend im Wind
während Thomas G. sich mit verfaulender Hand
Gummibärchen einschaufelt
ein letzter Gruß aus dem Colorado -Land
wo die Goldbären mit den Lakritzschnecken
wild fickende Orgien feiern
ohne zu wissen, daß der Tod auf sie wartet
in Gottschalks jauchigem Sperma
der in meinem Garten onaniert
während ich mich darauf übergebe
Mein Erbrochenes sieht aus wie ein Schuh

Wär ich da nur drangeblieben. Was hätte nicht noch alles aus mir werden können.

Samstag, 22. Februar 2020

#SayTheirNames

Ferhat Unvar
Gökhan Gültekin
Hamza Kurtović
Said Nessar El Hashemi
Mercedes Kierpacz
Sedat Gürbüz
Kaloyan Velkov
Fatih Saraçoğlu
Vili Viorel Păun

Riposa in pace.

Geistig verwirrte Einzeltäter

Was ich hier schon einmal angerissen habe: ich arbeite ja seit geraumer Zeit im psychiatrischen Bereich.
Menschen, die beispielsweise an paranoider Schizophrenie leiden, entwickeln komplexe, in sich geschlossene Wahngebilde, die häufig einen Auslöser brauchen oder sich auf dem Grundstein persönlicher Überzeugungen und Erfahrungen entwickeln.
Die Umwelt wird dann gefiltert und es werden nur noch Sachen wahrgenommen, die das persönliche  Erleben bestätigen oder unterstützen. Was nicht hineinpaßt, wird umgedeutet und Gegenargumente werden ausgeblendet.
Betroffene entwickeln dann beispielsweise einen religiösen Wahn, vermuten überall schädliche Stoffe, die ihren Körper vergiften oder haben ein generelles Mißtrauen gegen bestimmte Berufs- oder Bevölkerungsgruppen, denen sie aufgrund vermeintlicher fehlinterpretierter Beweise unlautere Motive unterstellen.
Aber diese Menschen haben eines gemeinsam: ihr Weltbild ist auf dieser Basis festgefügt. Jede Störung hat ihren Grund und wird aus einschlägigen Quellen so lange unterfüttert, bis sie auf monströse Größe anschwillt.
Der Kranke wacht nicht einfach morgens auf und hat plötzlich die Idee, in einer Shishabar ausländisch aussehende Menschen zu massakrieren, weil er das gerade für eine gute Idee hält. Und zwei Tage später vielleicht Fußballfans, Schornsteinfeger oder Pinguine.
Ein psychisch Kranker, der Taten wie die in Hanau begeht, war vorher schon rassistisch. Und auch, wenn einiges sehr wirr in seiner Argumentation ums Eck kam (was ja auch ein Hauptmerkmal einer psychischen Krankheit ist), war dieser Rassismus doch die ursprüngliche Antriebskraft seines Handelns. Und wurde untermauert durch Verschwörungstheorien und ein gesellschaftliches Gesamtklima, das wir klar zu benennenden Auslösern zu verdanken haben.

Die Dreistigkeit, mit der sich die AfD nun als das eigentliche Opfer von Hanau darstellt, da sie sich als geistiger Brandstifter diffamiert sieht, wo doch angeblich nur ein Irrer plötzlich Amok gelaufen ist, ist für denkende Menschen nur schwer zu ertragen.
AfD und Pegida: das ist euer Werk. Ihr hattet zusammen mit anderen rechten Verschwörungstheoretikern den Finger mit am Abzug. Genau IHR.

Geht in euch und freßt es endlich einmal, anstatt die Welt mit euren Krokodilstränen zu verpesten.

Dienstag, 18. Februar 2020

In zähen Zeiten leben wir

Es ist mal wieder einer dieser Lebensabschnitte, welche die jegliche Abwesenheit von irgendwelchen auch nur milde interessanten Neuigkeiten beinhalten.
Man watet durch Tage zäh wie Haferbrei (nein, lieber Schlick, der ist weniger widerlich), bewältigt leidlich seinen Alltag, der momentan die Gestalt lähmender Routine angenommen hat, und wartet auf eine Initialzündung, egal aus welcher Richtung.
Nach all der Berg - und - Talfahrt der letzten Monate könnte das ja eigentlich erholsam sein; vor sich hinexistieren, routiniert dem Tagwerk nachgehen, an der "Papageienschaukel" weiterarbeiten, bloggenderweise auf das übliche unappetitliche Geschmeiß aus AfD und FDP eindreschen, was man andernorts schon so ausgiebig getan hat, daß man des Wiederkäuens allmählich müde ist, und selbstzufrieden in sich hineinmümmeln.
Immerhin hat man zugegebenermaßen einen sicheren Job und ein Dach über dem Kopf, und sollte nicht seiner Umwelt mit Jammern auf hohem Niveau auf den Spitzfrack gehen.
Erholsam ist hierbei trotzdem erstaunlich wenig.
Der Versuch, menschliche Kontakte zu pflegen, stellt sich gerade als schwierig heraus; virtuell läßt sich das durchaus bewerkstelligen, im realen Leben ziehe ich mich zugegebenermaßen momentan ziemlich zurück, ohne - im Gegensatz zu meiner Adoleszenz - die große Einsamkeit des Schreibers als Pose vor mir herzutragen.
Man sitzt, schreibt, denkt, liest und stellt sich dabei in der Stammkneipe das ein oder andere Bier zwischen die Augen ... ohne damit etwas anderes zu bezwecken, als da zu sein, wo man sich gerade befindet. Da war man früher durchaus ambitionierter.
Und wenn wir gerade dabei sind: mit der Nochfrau hat man sich beiderseits darauf geeinigt, auch schriftlichen Kontakt vorerst bleibenzulassen, da jeglicher Versuch in diese Richtung in ein Niemandsland aus guten Vorsätzen führte, die dann auf halber Strecke versteinerten und seitdem dumm in der Gegend herumstehen.
Zumindest eines hat sich geändert, wenn ich nun schon unfreiwillig mein vor fünf Jahren abgelegtes Leben wiederaufgenommen habe. Man hat kein Image mehr nötig; sondern ist durch seine Lebenserfahrung dermaßen in Form gepreßt, daß der Versuch, sich anders zu geben, als man mittlerweile ist, zu grotesken Verrenkungen führen würde. Die "Jugend forscht" - Zeiten sind unwiederbringlich vorbei, und die Midlife Crisis hat man zum Glück weiträumig umfahren.

Also noch ein Argument mehr für die Notwendigkeit, sich von der eigenen Basis aus neu zu sortieren, anstatt in Lethargie zu verfallen. Zu letzterem verleitet diese Routine nämlich.


Mittwoch, 5. Februar 2020

Die Einschläge kommen näher

Ich habe ja einen soliden Bestand an Bandshirts und neige zudem dazu, Kleidung in verschiedenen Varianten solange aufzutragen, bis sie auseinanderfällt.
Bei Shirts heißt das konkret: werden sie unansehnlich, nutze ich sie als Unterhemd unter Kapuzenpullis oder zur Arbeit. Beginnt der Kragen dann angenagt auszusehen, sind sie als Schlafanzug in Gebrauch, bis Löcher darin auftauchen oder Nähte aufgehen.
Danach werden sie entsorgt und vorher noch photographiert, um diese Bilder dann als Epitaph auf Facebook zu veröffentlichen.
Davon abgesehen, daß dem Ganzen etwas Wahnhaftes eignet, bin ich immer wieder erstaunt, wie lange manche T - Shirts halten; der Durchschnitt überlebt ca. 12 Jahre bis zum endgültigen Verschleiß.
Doch was jetzt über den Jordan geht, stammt noch aus Zeiten, in denen ich nur eine übersichtliche Anzahl im Schrank hatte, so daß ich sie relativ häufig trug; mittlerweile ist das dementsprechende Fach in meinem Kleiderschrank so gestopft voll, daß einige wohl 30 Jahre überdauern werden.
Und somit vermutlich mich gleich mit.
Es ist fast schon trivial, wie sich Gedanken an die eigene Endlichkeit in Hinblick auf solche Alltagsgegenstände manifestieren.
Nicht die Sinnfragen der großen Denker der letzten Jahrhunderte geben den Anstoß zu einer vorläufigen Lebensbilanz, genausowenig wie der Umstand, daß man selbst fast einmal ein Grasbeißer (Martin von Arndt) war; nein, es tut dies der Blick in den Kleiderschrank samt der Gewißheit, daß man wahrscheinlich tot sein wird, bevor das letzte der momentanen Bandshirts zerlumpt auf Facebook auftaucht. Oder das letzte Exemplar des erdplattenverschiebungsmäßig in die Höhe wachsenden Stapels ungelesener Bücher in seinem Schlafzimmer zugeklappt wird. Bevor man jede Platte aus der trotz allen Aussortierens wild wuchernden Sammlung mindestens zehnmal gehört hat.
Man beginnt allmählich, Neuanschaffungen mit dem Blick auf eine imaginäre Uhr zu tätigen.
Das hält einen natürlich nicht davon ab, sie zu tätigen, aber es echot immer die Frage durch den Hinterkopf, was man damit bezweckt, könnte doch morgen schon der grimme Schnitter zum Nachmittagskaffee klingeln und als Grund für sein Erscheinen die geteerte Lunge oder die auf Walnußgröße schrumpfende Leber angeben.
Abgesehen von anderen Unwägbarkeiten wie etwa der, von den sich eifrig weiterdrehenden Rotorblättern eines gerade vor einem auf die Straße gestürzten Hubschraubers filetiert zu werden, während man - ein ungelesenes Buch im Rucksack - auf dem Weg in den Plattenladen seines Vertrauens war.

Um sich ein weiteres Bandshirt zu holen.

Samstag, 1. Februar 2020

Nachtwache

"Eigentlich müßte dir als Nachtmensch die Nachtwache doch liegen?"
Selten habe ich in meinen Berufsjahren einen Satz häufiger gehört, was ihn aber nicht zutreffender macht.
Ja, ich bin ein Nachtmensch; zumeist werde ich gegen 21 Uhr abends richtig lebendig und bleibe das oft bis zu einer Zeit, zu der andere Leute schon wieder aufstehen.
Glücklicherweise komme ich dazu meistens mit fünf bis sechs Stunden Schlaf aus. Ich kann um drei Uhr ins Bett gehen und morgens problemlos um acht oder neun schon wieder auf der Matte stehen, sogar wenn ich mir am Abend vorher diverse Erfrischungsgetränke in den Kopf gestellt habe.
Das ist auch der Hauptgrund, warum ich Nachtschichten so abgrundtief hasse: man hätte zwölfzich bessere Dinge zu tun und ist quasi eingesperrt.
Lebt man noch dazu allein, ist man mal kurzerhand eine Woche lang von allen nichtvirtuellen und nichtberuflichen Sozialkontakten abgeschnitten. Und je nachdem, wo man arbeitet, wundert man sich darüber, daß man sich trotz des Vorhandenseins von fünfzig Leuten um einen herum absolut mutterseelenallein fühlen kann, was oft dazu führt, daß man - auf sich selbst zurückgeworfen - ins Grübeln gerät und häufig frei von äußeren Einflüssen über Dinge nachdenkt, die nicht gerade dazu angetan sind, die Laune zu heben.
Natürlich ist das gelegentliche zu verkraften, aber ein Dasein als Dauernachtwache, wie ich es schon mal führte, halte ich absolut nicht mehr für erstrebenswert; ca. 18 Tage im Monat komplett am Leben vorbeizuexistieren, macht kein noch so wohlgestalteter Gehaltszettel wieder wett.
Noch dazu: was nutzt einem ein nettes Gehalt, wenn man keine Gelegenheit dazu hat, es auszugeben?
Ich erinnere mich: damals vor 12 oder 13 Jahren gab es eine bettlägerige Bewohnerin, die ein ziemlicher Koloß war und deren Tochter sich bemüßigt fühlte, mir durch den Spätdienst eine Nachricht überbringen zu lassen.
Die Nachtwache solle doch bitte darauf achten, daß das Zimmerfenster geschlossen sei; es sei ein Sturm angekündigt, und sie habe angst, daß ihre Mutter vom Sog aus dem Bett gezogen und zum Fenster hinausgerissen werden könnte. Ernsthaft.
Apropos "ernsthaft" und kurzer Themenwechsel: ich habe ja schon einige schlagartig enterotisierende Dinge erlebt. Aber wenn man sich anschickt, mit einer potentiell interessanten Frau eventuell eine Chatkonversation zu starten, ist es ratsam, vorher ihr Profil zu lesen.
Bezeichnet sie sich nämlich darin als "nordische Kriegerin" und gibt als musikalische Vorliebe "Nordic Viking Music" an, ist sehr schnell eine kaum zu toppende Dimension des Grauens erreicht.

Nein, Freya, reite du ruhig mal weiter.

Mittwoch, 29. Januar 2020

Aus gegebenem Anlaß: eine Minute Einkehr

Ich las mal ungefähr folgendes, was mich in den letzten Jahren immer darin bestärkt hat, auf der richtigen Seite zu stehen:

Stell dir einmal bildlich vor, daß der Mensch, den du auf dieser Welt am meisten liebst, tot auf der Erde liegt; nackt, zerschunden, abgemagert, seiner Würde beraubt, zwischen lauter anderen Schicksalsgenossen in einer Gosse entsorgt wie Dreck.

Solange wir uns das noch vorstellen können und dabei Wut, Haß und Trauer verspüren; solange wir noch in der Lage sind, dieses Bild und dieses Gefühl an nachfolgende Generationen weiterzugeben, solange ist noch nicht alles verloren.
Darum darf es nie einen Schlußstrich geben, denn wir sollten uns dieser historischen Aufgabe und der Verantwortung, die aus ihr erwächst, immer bewußt sein.


Dienstag, 28. Januar 2020

Freitag, 24. Januar 2020

2020: Rückschläge revisited

Ich hatte eine vage Ahnung, daß 2020 nur antäuscht; zu gut lief alles seit dem Jahresumbruch.
Nun also "Die Papageienschaukel".
Es war bereits alles in trockenen Tüchern:
das Lektorat lief (wenn auch nicht durch Frau Turini, sondern meine Verlegerin höchstselbst), das Cover und der Klappentext waren in Auftrag gegeben, die Buchvorstellung war angemeldet, und was letzten Endes dabei herauskam, ist gerade komplett für den Arsch.
Ich mußte das Manuskript zurückziehen; der Fehler liegt bei mir, denn ich hatte mich ganz schnöde verkalkuliert.
Nach einer neuerlichen Rechnung schrumpften die erhofften 120 Seiten auf eine geradezu lächerliche Anzahl, und da ich nunmal ein Buch geschrieben habe und kein Reclamheft, schreit der Text nach einer gründlichen Überarbeitung.
Das heißt: alles Geschriebene noch einmal mit dem Rasiermesser in dünne Scheibchen schneiden, auffächern und dann möglichst sinnvoll unterfüttern. Und das wirft mich in punkto "Veröffentlichung" gerade im schlechtesten Fall um Monate zurück.
Da ich mich gerade durch eine Woche Nachtschicht würge und danach ein paar Tage freihabe, werde ich nun zumindest einige Leerlaufzeit (etwa nachts um halb drei) damit überbrücken, mir Gedanken und Notizen zu machen, damit ich Ansätze dazu habe, die sich angliedernde Erholungswoche sinnvoll zu nutzen.
Aber der Frust darüber, einen eigentlich veröffentlichungsbereiten Text noch einmal komplett von vorne beginnen zu müssen: dieses Gefühl ist zum Glück unbeschreiblich.

Samstag, 18. Januar 2020

Zehn Jahre: es nagt der Zahn der Zeit

Diesen kurzen Absatz habe ich nach Beenden des Beitrags diesem vorangestellt: eigentlich wäre das hier ein gutes vorläufiges Fazit zum zehnjährigen Blogjubiläum 2019 gewesen.
Aber damals war ich nachvollziehbarerweise mit anderen Dingen beschäftigt.

Interessant ist es, aus Gründen der Prokrastination mal wieder irgendwelche Uraltbeiträge aus diesem Blog zu lesen.
Vor genau zehn Jahren habe ich einen Verriß zu Philippe Djians rumpeldummem vorgeblichen Roman "Erogene Zone" geschrieben, und dieser Beitrag ist mir in seiner flapsig - hysterischen Geschwätzigkeit heute angemessen peinlich.
Ansonsten kann ich mich an einiges nicht mehr (oder nur vage) erinnern. Manches finde ich noch ganz amüsant (ich gehöre zu den gesegneten Menschen, die über ihren eigenen Schwachsinn lachen können), bei manchen Beiträgen frage ich mich, was die sollten beziehungsweise was mir zu dieser Zeit mit Mitte 30 offensichtlich ohne Nachhall durch das Stammhirn rauschte. Das Gefühl, das sich dabei entwickelt, oszilliert zwischen Selbstzufriedenheit und Scham.
Ich bin definitiv älter geworden. Damals hingen mir noch Überreste aus meinen wilden Zwanzigern an, die ich irgendwann unbemerkt abgeschüttelt oder bewußt von mir abgekratzt habe.
Gelassener scheine ich auch geworden zu sein; manchmal erstaunt mich die hektische Aufregung, mit der ich auf leicht zu ignorierende Alltagsphänomene reagiert habe. Und nicht nur das: sondern was für eine riesige Metaphernkeule ich geschwungen habe, um die damit auch ja mausetot zu hauen; für manches würden mir heute ein bis zwei überlegt plazierte Sätze reichen.
Aber: man wächst an seinen Aufgaben, und sei es die Suche nach seinem eigenen Stil.
Die Frage, warum man einen Blog startet, in dem es eigentlich in erster Linie um einen selbst geht, steht natürlich immer noch im Raum.
Heutzutage habe ich die Gewißheit, daß ich das in erster Linie für mich selbst tat.
Zwar habe ich in manchem Beitrag meine Meinung zu gewissen Dingen kundgetan und hoffte natürlich in einem verborgenen Winkel meines Gehirns, damit eine Diskussion anzustoßen, was aufgrund der auch heute noch geringen Reichweite lächerlich war.
Damals hatte ich an guten Tagen 25 Seitenzugriffe und an schlechten gar keinen, heute pendelt es zwischen 200 und 20; also nichts, was diesen Blog als ernstzunehmenden Beitrag für die Kulturlandschaft erscheinen ließe.
Zu faul, ein handschriftliches Tagebuch zu führen verbunden mit der Sorge, was nach meinem Ableben damit passieren und wer es dann lesen würde, war das ein guter Mittelweg, mein Leben zu memorieren.
Aber ich kann meine persönliche Entwicklung nachvollziehen, Lebensereignisse chronologisch sortieren und - auch wenn der Blog frei von allzu intimen Details ist - sehe ich hinter den Beiträgen auch immer meine jeweilige Lebenssituation und mein Befinden.
Manche Situationen waren um einiges prekärer, als es der jeweilige Beitrag vermuten läßt, und machen mich froh, sie gemeistert zu haben.

Aber alles in allem ist und bleibt das doch ein einziger egozentrischer Scheiß.
Wenigstens taugt er im Gegensatz zu meinem übrigen real existierenden egozentrischen Scheiß zumindest dazu, Sie zu unterhalten.

Freitag, 17. Januar 2020

Eine Runde Boule

Manchmal braucht es nur einen kleinen - neudeutsch - "Trigger", um am Morgen eines Urlaubstages, den man mit einer Tasse Kaffee und guter Musik (Eric B. & Rakim: Paid In Full, der Vollständigkeit halber angemerkt) den kompletten Emotionshaushalt durchgeschüttelt zu bekommen.
In diesem Fall war das eine Mitteilung aus dem Heimatbrief des Dorfes, in dem ich größtenteils aufgewachsen bin.
Dieser wird von der Gemeinde Zeiskam auch an sogenannte Exil - Zeiskamer versandt, also an Menschen, die irgendwann ebenda einmal gelebt haben und nun weggezogen sind.
Im Ort gibt es einen Partnerschaftsverein, der sich um die Verbindung zu den beiden Dörfern Roccastrada in Italien und Monts in Frankreich kümmert, inklusive Besuche von Menschen aus beiden Gemeinden, was ich für eine durchaus löbliche Initiative halte.
Da mein Vater italienisch wie auch französisch sprach, wurde er in solchen Fällen gerne als Dolmetscher bemüht.
Und heute lese ich also in besagtem Heimatbrief, daß dieser Partnerschaftsverein sein traditionelles Bouleturnier nach meinem Vater benannt hat, um an ihn zu erinnern; das mag eine kleine Geste sein, zeugt aber von derartiger Anerkennung für ihn und seine Arbeit, daß ich kurz extrem überwältigt war.
Ich habe - als ich mit meinem Vater einmal mehrere Tage allein auf Korsika war - versucht, meine Boulefähigkeiten zu verbessern.
Leider stellte sich dabei heraus, daß es nach Tischtennis, Fußball, Singen und Gitarre spielen noch etwas gibt, was ich gerne könnte, in dem ich aber weitgehend unfähig bin.
Noch schlechter war ich nur beim Versuch, mit meinem damals bereits über 60jährigen Vater in der Dorfkneipe in Guagnu beim Pastistrinken mitzuhalten und am nächsten Tag noch Boule zu spielen. Nach einem Heimweg mit beiderseits schwerem Seegang stand mein Vater um zehn Uhr morgens wie wiedergeboren auf der Matte, um zu einer verabredeten Partie auf dem Dorfplatz anzutreten, dabei eine auf einem gräßlich großen Kater reitende Gestalt im Schlepptau, die rudimentär an mich erinnerte und sich zehn Minuten später wieder verabschiedete, um für den Rest des Tages im Bett herumzuliegen und sterben zu wollen.
Das hinderte meinen Vater aber nicht daran, bei sengender Hitze - die obligatorische Selbstgedrehte im Mundwinkel klebend - bis zum frühen Abend massive Metallkugeln durch die Gegend zu werfen und sich - wie jeder aus der versammelten illustren Runde kauziger älterer Herren auch - noch einmal eine gepflegte Ladung alkoholischer Getränke ins Gesicht zu schütten.

Ich wage mal die kühne Behauptung: ein würdigerer Namenspatron für ein Bouleturnier wird sich nur schwerlich finden lassen.
Riposa in pace, babbu caru.

Mittwoch, 15. Januar 2020

Kerosin

Das Seuchenjahr 2019 hat mit seinem unwiderruflichen Verschwinden auf seinem Weg in den Orkus wie zum Hohn noch einen der Großartigsten mitgenommen.
An Heiligabend starb Bassist Dave Riley von Big Black, einer der innovativsten und interessantesten Noise- /Punkbands der 80er, im Alter von 59 Jahren an einem Krebsleiden.
Was Big Black für mich bedeuten, habe ich bereits in meinem Essay zum Album "Atomizer" hinreichend beschrieben.
Bei der aktuellen Ausgabe von "Radio Bronkowitz", in dem ich als Nachruf noch einmal (natürlich) "Kerosene" spielte, ward mir dann doch etwas melancholisch zumute.
Es ist eine Hymne ... und zwar vorwiegend eine, die man hauptsächlich nachvollziehen kann, wenn man in Prä - Internetzeiten auf dem Dorf oder in irgendeiner piefigen Kleinstadt aufgewachsen ist.
Eine große Wahl hatte man nicht. Entweder würde man mit 23 eine ehemalige Klassenkameradin aus demselben Ort oder dem Nachbardorf heiraten, zwei Kinder zeugen und den Rest seines Lebens zwischen den Fixpunkten "irgendwann völlig leidenschaftslose Ehe", "Dorfkneipe", "verhaßter Job" und "Hausbau" flipperkugelesk herumspringen und in der Gemeinschaft Anerkennung als "anständiger Kerl" ernten ... oder ausbrechen und dafür in Kauf nehmen, daß einen plötzlich niemand mehr verstand.
Ich und einige andere entschieden uns für letzteres, und zwar sehenden Auges.
Denn was blieben uns für Alternativen? Diejenigen, die Big Black auf den Punkt gebracht hatten, und zwar in einem Text, dessen Allgemeingültigkeit für uns in unserer Situation fast schon in Stein gemeißelt war:

I was born in this town
Live here my whole life
Probably come to die in this town
Live here my whole life
Never anything to do in this town
Live here my whole life
Never anything to do in this town
Live here my whole life
Probably learn to die in this town
Live here my whole life
Nothing to do, sit around at home
Sit around at home, stare at the walls
Stare at each other and wait till we die
Stare at each other and wait till we die
Probably come to die in this town
Live here my whole life
There's Kerosene around, something to do
There's Kerosene around, she's something to do
There's Kerosene around, she's something to do
There's Kerosene around, we'll find something to do
Kerosene around, she's something to do
Kerosene around, set me on fire

Genau so war es. Und weil wir aus dieser Sackgasse flüchten wollten, fanden wir den Antrieb, ohne Rücksicht auf die Meinung anderer ein selbstbestimmtes Leben führen zu wollen, und zwar eines, das unseren Erwartungen entsprach und weder denen unseres Umfelds noch unserer Familie.
Nicht jeder übersprang diese Hürde erfolgreich oder mit den richtigen Methoden. Aber die, die sie gemeistert haben, sind mit Sicherheit nicht mehr dieselben, die sie ohne diesen Entschluß geblieben wären, auch wenn sie vielleicht wieder in einem Dorf wohnen, verheiratet sind und eine Familie gegründet haben.
Für diese Phase in meinem Leben wird "Kerosene" immer der Song sein, der meine damaligen Gefühle exakt widerspiegelt. Und als ich ihn gestern Abend aus diesem traurigen Anlaß hörte, glomm tatsächlich kurz das Gefühl auf, auch einem Teil meiner Jugend gerade einen Nachruf gewidmet zu haben. Und das wird wohl leider nicht das letzte Mal gewesen sein.

R.I.P. Dave Riley.

Sonntag, 12. Januar 2020

1978

Wie bereits erwähnt, ist meine erste musikalische Erinnerung "Hello Goodbye" von den Beatles.
Meine Mutter hatte das auf 7" - Single (aus irgendeiner Serie, mit "I Am The Walrus" auf der Rückseite) und ich fand als Vierjähriger die Männer auf dem Cover total nett.
Deshalb mußte sie mir den Song auch so oft vorspielen, bis sie ihn vermutlich selbst nicht mehr hören konnte; mein "Mami! Schbiedels(mit Bandnamen hatte ich es damals nicht so)! Bitte!" läutete immer ein Ritual ein, bei dem ich auf einem Stuhl sitzend andächtig dabei zusah, wie sie die Abdeckung des Plattenspielerfossils anhob, um das schwarze Scheibchen darauf zu plazieren.
Auch heute noch löst der Song in mir geradezu eine Kette an Erinnerungen aus, die an dieser einen aufgehängt ist.
Nachdem ich zur Feier meines derzeitigen Urlaubs nun seit längerem wieder die "Magical Mystery Tour" herausgekramt habe, was irgendwie auch meinem gestrigen Beitrag geschuldet ist (danke, Linus Volkmann) und feststelle, daß diese Platte einen Sonntagmorgen zu einem besseren macht (sofern man es rechtzeitig schafft, vor "All You Need Is Love" auszuschalten), fiel mir passend zum "Magical" gerade wieder ein, daß ich tatsächlich einmal dachte, zaubern zu können.
Denn damals, als wir noch in Zeiskam (Pfalz) wohnten, fuhren wir dreimal ins benachbarte Bellheim, laut meinen Eltern um "Freunde" zu besuchen, die ich noch nie gesehen hatte.
Ich erinnere mich daran, daß der Mann Polizist war, dessen Dienstmütze an einer Ecke des Kleiderschranks hing; als Kind natürlich ein beeindruckender Anblick. Wow, ein echter Polizist!
Zudem hatte er einen gräßlich langen Ziegenbart, was bis zum Ausbruch der Crossoverseuche in Verbindung mit Kopfsockenzwang Anfang der 90er ein recht seltener Anblick war. Das machte diesen aber nicht schöner, und für mich war das damals der häßlichste Mann, den ich je gesehen hatte.
Falls zu der Zeit in mir eine Neigung dazu geschlummert hätte, irgendwann schwul zu werden, hätte sich das spätestens danach erledigt gehabt.
Ich lief durch die Wohnung unserer "Freunde", tatschte zwei oder drei Möbelstücke an und stellte mir vor, diese wegzaubern zu können. Als Kind hatte ich eine blühende Phantasie und erging mich oft in abstrusen Gedankenspielen; eines, das mir noch einfällt ist das Vorhaben, eine Blumensuppe zu kochen und dafür eine Zutatenliste zu erstellen. Warum the fuck auch immer.
Ich berührte also eine große Holzkommode und konzentrierte mich darauf, sie verschwinden zu lassen.
Und tatsächlich: bei unserem nächsten Besuch war sie weg, wie zwei oder drei andere von mir angefaßte Einrichtungsgegenstände auch. Überwältigt von meinem Erfolg (und weil ich sichergehen wollte, daß das auch mit mir zusammenhing) konzentrierte ich mich mit aller Macht auf einen herumstehenden Stuhl
Dieser war dann beim nächsten Besuch immer noch da, aber dafür war fast die ganze restliche Wohnung leer. Der Beweis dafür, daß ich leider doch keine magischen Kräfte hatte.
So mußten also unsere Vormieter ihren Umzug ganz traditionell noch selbst erledigen und den Kram die Treppen heruntertragen, bevor ich dann im Sommer 1978 mit meinen Eltern in der besagten Wohnung einzog.

Samstag, 11. Januar 2020

Ich will ein verhaßter Klassiker sein!

Manche Schreiberkollegen könnten sich das als Lebensmotto in Stein gemeißelt als dringlichen Hinweis an die Welt um den Hals hängen, wenn das Ding nicht so verdammt schwer wäre.
Linus Volkmann zum Beispiel. Ja, der schon wieder.
Auf der Homepage des "Musikexpress" darf er sich nun seit geraumer Zeit in einer Rubrik gleichen Namens ("Verhasste Klassiker") austoben, in dem sogenannte "große Alben" in der Geschichte der Populärkultur mal ordentlich zerpflückt werden. Dagegen ist ja grundsätzlich erstmal nichts einzuwenden, denn da gibt es andere, denen das auch durchaus mal Vergnügen bereitet. Dreimal dürfen Sie raten, wem.
Lächerlich wird es nur, wenn es abgeschmackt und kalkuliert aufgezogen wird und das Ganze zu allem Überfluß soviel Staub aufwirbelt, daß er sich gleich einem Leichentuch über sämtliche schreiberischen Defizite legt.
Abgesehen von der Tatsache, daß hier ein seit "Don't Believe The Hype" von Sky Nonhoff schon fast vergammelter Hut als der neue heiße Scheiß verkauft wird, ist die Auswahl vermeintlicher Klassiker, die durch die Aufnahme in diese Rubrik überhaupt erst in diesen Rang erhoben werden, so vorhersehbar wie Gähn.
Die Beatles? Wow, ganz was Neues. Red Hot Chili Peppers? Pearl Jam? Die Strokes? Oasis?
Also lauter Alben der Kategorie "beziehen in diversen Foren und Rezensionen schon genug Prügel, aber haben trotzdem noch so viele Fans, daß sich mit Sicherheit einige Leute darüber aufregen werden".
Oder mit anderen Worten: Leute, die Linus Volkmann cool findet (genau: das "t" ist Absicht), mögen besagte Bands sowieso nicht, und die, die sich über seine Kritiken aufregen, sind Fanboys und -girls, auf deren Empörung man offensichtlich spekuliert, um den ganzen mediokren Sulch ordentlich in den sozialen Netzwerken zu pushen, auf die man aber als Zielgruppe für sonstige Buchveröffentlichungen nicht angewiesen ist.
Und wenn er sich dann mal an etwas wagt, was seine potentiellen Käuferschichten erschrecken könnte (Tocotronic, beispielsweise), wird das sofort relativiert:

Abgefeiert haben wir die Platte und die Band erstens dahinter ja schon oft genug. Und zweitens hat Linus hier eh eine heimliche Liebeserklärung in den Zeilen versteckt.

Wie heißt es so schön? "Beim Aussteigen zur Sicherheit die rechte Hand am Haltegriff".
Wenn es nach mir geht, darf man ja so ziemlich alles verreißen, wenn man es gut begründet oder zumindest unterhaltsam formuliert.
Leider geht in dem ganzen Empörungsgehechel bezüglich des Abwatschens scheintot genudelter Alben der eigentliche Grund zur Empörung unter:
nämlich der, daß hier jemand offensichtlich morgens auf dem Weg zur Arbeit in der S - Bahn im Stil eines mäßig begabten Neuntklässlers irgendwelche Kolumnen herunterschludert, zu deren Wirkung auf mich ich mal - wenn auch äußerst ungern - Heinrich Böll zitieren muß:

Das Überraschende war die niederschmetternde Eintönigkeit, trotz aller “witzigen” Hopser, die mich dann doch an die Brausewürfel meiner Kindheit erinnerten: das schäumt auf, fällt rasch zusammen – und schmeckt – wenn man nach kurzer Täuschung des Gaumen ehrlich befragt, abscheulich.

Und damit auch noch Geld verdient. Das sei ihm neidlos gegönnt, denn bevor ich für Erfolg derartige stilistische Salzwüsten durchwandern muß, bleibe ich lieber bei meinem Brotjob.
Beispiel gefällig?
Abgesehen von der schlampigen Recherche, die es ihm nicht einmal ermöglicht, Textzitate fehlerfrei wiederzugeben (siehe die Kolumne über Fünf Sterne Deluxe) fallen vor allem solch argumentative Pretiosen auf:

Über Kyuss:
Aus diversen historischen Missverständnissen (Y2K-Bug, Bilderberger, Flat Earth etc.) gilt das unhörbare Gegniedel und Geklampfe bis heute noch als total genial. Zumindest solange bis man es sich mal wieder anhört. Danach denkt man anders über diesen „Klassiker“.

Oder die Red Hot Chili Peppers:
Der „Hit“ „Under The Bridge“ beweist dabei zudem: Dieser Sound taugt auch bei kitschigen Balladen überhaupt nichts. 

Kurz zusammengefaßt: manche Leute finden diese Musik gut, aber das ist sie nicht. Yo, Hermeneutics!
Immerhin: sein 2019er Jahresrückblick ist in aller kumpelhaften Koketterie überschrieben mit

Linus Volkmann reicht seinen Kritikern die Hand (und die Pistole)

Die Einladung ist also angekommen. Oder um eine andere seiner Überschriften zu bemühen:

Die Gorillaz sind nichts als eine gefällige Inszenierung – und anstrengend eitel

Und an dem Satz stimmt jetzt mal fast alles. Bis auf die Gorillaz.

Freitag, 10. Januar 2020

Kafkaeskes

Zum Film "Der Prozeß (1962)" von Orson Welles fand ich unter anderem folgende Rezension:

„Von Beginn an war klar, daß die Verfilmung von Kafkas Buch ein gewagtes, wenn nicht sogar unmögliches Unterfangen war. […] In der Zeitschrift cinema 63 stand: ‚Kafka hat durch diese Umwandlung nichts gewonnen, und seine Leser sind zu Recht enttäuscht. Das Kino ist jedoch um einen großen Film reicher geworden. Wer will sich also beklagen?‘“

Ich. Prätentiöser Kunstkack, der den Ton von Kafkas Roman zu keiner Zeit auch nur annähernd einfängt. Da bin ich als Leser nicht nur "enttäuscht", sondern ernstahft verärgert über die Hybris, offensichtlich zu meinen, man könne an dem Buch durch derartigen Schwachsinn irgendwas "verbessern".
Orson Welles gelangen zweifelsohne beeindruckende Bilder, doch die gehirnlähmend redundanten Dialoge sorgten dafür, daß ich diese nicht würdigen konnte, da ich nach einer Stunde bereits grauenhaft gelangweilt war und mich apathisch durch die zweite hindurchschleppte.
Dazu ein stellenweise hölzern agierender Anthony Perkins, den ich eigentlich mag, der hier aber komplett fehlbesetzt war.
Cineasten, werden das hier für ein Meisterwerk halten, aber da ich mit Sicherheit kein Cineast bin, betrachte ich mich als außen vor.
Zu deren Neigung, Leuten wie mir komplette Ahnungslosigkeit oder gar Dummheit vorzuwerfen, wenn sie es wagen, Godards "Le Mépris" für verschwurbelten Kopfquark zu halten, sei folgendes angemerkt:
natürlich muß auch ich manchmal bei kunstrelevanten Aussagen schlucken; letztens hatte ich eine Diskussion mit einer Bekannten, die Jazz generell als "sinnloses Gedudel" betrachtet, was ich wiederum als "ignorant" bezeichnete.
Das schätze ich immer noch an Frau Turini: obwohl sie Jazz nicht mag und bisweilen furchtbar findet (was man durchaus darf), respektiert sie ihn doch als ernstzunehmende Kunstform, zu der sie aber keinen Zugang findet.
Denn: Pauschalurteile über eine gesamte Musikgattung samt Unterabteilungen gehen gar nicht, und eine Band oder einen Sänger abzuwatschen ist immer noch eine komplett andere Liga als beispielsweise die gesamte Rockmusik als Radau untalentierter Halbaffen abzutun .
Niemand würde Menschen, die beispielsweise klassische Musik generell als "Gedudel" betrachten, ernstnehmen, darum bin ich auch hier ausnahmsweise kompromißlos, allerdings ohne persönlich zu werden.
Will aber auch heißen: ganz gefeit bin ich wohl nicht gegen Verhaltensweisen wie denen von - immer ein beliebtes Beispiel - beleidigten Dylan - Fans. Doch man kann auch gegensteuern und an sich arbeiten, um auf Kritik an gemochten Künstlern (und sei sie noch so harsch und gallig) nicht gleich mit Herablassung oder persönlichen Angriffen zu reagieren.
Wie ich schon schrieb, komme ich ja auch nicht umhin, Dylans Gesamtwerk einige brauchbare Songs zuzusprechen; umgekehrt ist der Vorwurf der Ahnungslosigkeit bei solch einem Katalog zumindest nachvollziehbarer als in dem Fall, wenn man einen (!) 90 - Minuten - Film gestelzt, aufgeblasen und sterbenslangweilig findet.
Trotzdem: ich kenne wenig Musik von Dylan, die ich wirklich ertrage (ich kann mich vielleicht dahingehend outen, daß ich die Traveling Wilburys mochte, aber die sind nun wahrlich nicht repräsentativ). Deshalb weigere ich mich auch, mich durch das Gesamtwerk zu quälen, was aber als Forderung immer mal wieder an mich herangetragen wird, um überhaupt mitreden zu können. Aber dafür ist mir meine verbleibende Lebenszeit zu schade. Mea culpa.
Was mich in solchen Fällen generell abschreckt ist diese Erhebung zu Säulenheiligen, an denen sich jegliche Kritik verbietet.
In meiner Welt gibt es diese nicht; unkritische Huldigung einzelner Künstler (sei es Dylan oder Goethe) samt ihrem Gesamtwerk ist mir zuwider, und man sollte an allem rütteln und es hinterfragen, denn nur ein kritischer Geist ist auch ein wacher.
Wer völlig vorbehaltlos einen Literaten, Filmemacher oder Musiker verehrt, ist nicht ernstzunehmen, da um keinen Deut besser als religiöse Fanatiker.
Blinde Verehrung bleibt blinde Verehrung, auch wenn sie sich noch so progressiv dünkt.

Aber ich schweife ab. Während Orson Welles' glumpfigem Machwerk taten das meine Gedanken ebenfalls, so daß mir dieses ganze Juristereigelaber in Endlosschleife doch eine Erkenntnis bescherte:
warum kam eigentlich bisher kaum jemand auf die Idee, den "Prozeß" von Kafka als Metapher für das Leben zu betrachten?
Man ist irgendwo hineingeraten, ohne daß man den Grund dafür weiß, und erfährt ihn auch nicht, wenn man sich auf die Suche danach begibt; man kommt ständig in Situationen, die aus scheinbarer Ruhe und Entspannung plötzlich ins Gegenteil bis zur Ausweglosigkeit umschlagen können und weiß, daß man definitiv irgendwann von einer übergeordneten Instanz, die man nicht zu Gesicht bekommt, gerichtet wird.
Und zu einem unbekannten Zeitpunkt wird man sterben, ohne jemals zu wissen, warum. Die meisten werden sich für unschuldig in dem Sinne halten, ein "gutes" Leben - was immer das auch sein mag - geführt, und andere werden wiederum ihr Ende als logische Konsequenz davon akzeptieren, Raubbau an sich betrieben zu haben. Oder von einer irdischen Instanz verurteilt worden zu sein, die auch nur Handlanger von etwas Übergeordnetem (eine religiöse Dimension einmal ausschließend) sein kann.
Doch ein Urteil anzunehmen heißt noch lange nicht, es zu verstehen.

Darüber würde ich gerne einmal diskutieren. Notfalls wissen Sie, wo Sie mich finden.

Loose Lips oder: Dates aus der Hölle

Die KOHI - Veranstaltung "Loose Lips" ist mir mittlerweile zur liebgewonnenen Gewohnheit geworden.
Man stellt sich in zumeist überschaubarer Runde auf eine Bühne und erzählt fünf Minuten lang eine Geschichte auf deutsch oder englisch, weil - da dieses Format ursprünglich aus dem englischsprachigen Raum kommt - auch viele "native speakers" anwesend sind.
Es gibt - außer dem zeitlichen Rahmen - nur noch die Bedingungen, daß die Geschichte frei vorgetragen und selbsterlebt sein muß.
Natürlich stellt sich  immer die Frage, was man dabei bereit ist, von sich selbst preiszugeben; das gemütliche Setting und preiswerte alkoholische Getränke verleiten den ein oder anderen auch gerne dazu, sich in Selbstreflexion zu üben oder einfach mal sein Herz auszuschütten.
Das muß man nicht unbedingt gutfinden oder verstehen; aber aus eigener Erfahrung weiß ich, daß es etwas erstaunlich Befreiendes haben kann, Dinge, die man seit Jahren mit sich herumschleppt, vor einer kleinen Gruppe zumeist wildfremder Menschen, die das nicht sonderbar findet, einfach mal auszusprechen.
Eine durchaus karthatische Wirkung hatte es, als ich - einem dunklen inneren Drang nachgebend - das schwierige Verhältnis zu meinem Vater in meiner Kindheit und Jugend samt unserer Aussöhnung 15 Jahre vor seinem Tod anriß; es tauchte aus dem Nichts auf und wollte an dem Abend einfach heraus.
Aber nicht alles hat den Beigeschmack von Gruppentherapie, sondern soll einfach unterhalten; gestern war das Thema "Good intentions gone bad", zu dem ich zwei Anekdoten beisteuerte.
Die erste drehte sich um meine hier schon beschriebene grauenhafte Lesung im "Vereinsheim" in München - Schwabing (nach der ich bis heute nicht mehr in München auftreten wollte) und die zweite kündete von einem grandios vermasselten Date, über das ich heute - altersmilde mir selbst gegenüber - lachen kann.
Ich kann mit dem Umstand, mit Sicherheit für Frauen kein Geschenk der Natur zu sein, mittlerweile ganz gut leben; hat mich dieser Umstand doch nicht daran gehindert, in dieser Hinsicht in den letzten 22 Jahren recht erfolgreich unterwegs gewesen zu sein.
Aber halt: 22 Jahre?
Nun, ich war ein extremer Spätzünder.
Da ich einen Großteil meiner Kindheit und Teenagerzeit als Mobbingopfer verbrachte und danach noch geraume Zeit benötigte, um an sowas wie Selbstsicherheit und -vertrauen überhaupt nur zu denken, hatte ich meine erste richtige Freundin tatsächlich erst mit 24. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich in der Hinsicht bereits resigniert und mich auf ein lebenslanges zölibatäres Dasein eingerichtet.
Zum Glück rauschte dieser Kelch dann an meiner bereits ausgestreckten Hand in einem plötzlichen Energieschub doch noch mit Vollgas vorbei.
Ein Womanizer war und bin ich trotzdem bis heute nicht; als ich dann mit 26 wieder selbstgewählt Single war, richtete ich mich darauf ein, daß das auch längere Zeit so bleiben würde (es wurden dann anderthalb Jahre) und begab mich damals noch in Speyer auf eine Party.
Erstaunt mußte ich dort feststellen, daß die hübscheste Frau des Abends, eine zierliche Garagenrock - Hörerin mit kurzen, rotgetönten Haaren, meine Gesellschaft suchte, sich freiwillig mit mir unterhielt und vorschlug, daß wir uns mal treffen könnten, um zusammen was trinken zu gehen.
Natürlich sagte ich zu; drei Tage hatte ich die Zeit, mir zu überlegen, wie ich bei diesem Date auftreten wollte und gute Freunde um Rat zu fragen.
Ein guter Rat an Freunde: frage nie vor einem Date gute Freunde um Rat.
Man sollte einfach sich selbst und natürlich sein, denn ansonsten stanzt man sich Schablonen aus, in die man sich preßt und in denen man in dieser verrenkten Haltung verkrampft.
So auch hier: "geh auf sie ein! Frag sie, was sie macht und denkt! Erzähl nicht nur von dir selbst" wurde mir geraten, was in den grandios glumpfigen Einstiegssatz
"Und was denkst du so? Was bewegt dich?"
mündete. Eigentlich hätte da bereits in Monty - Python - Manier ein Ritter erscheinen müssen, um mir ein gerupftes Huhn über die Rübe zu hauen.
Demzufolge holperte das Gespräch auch von einem Eselkarren über einen Gebirgspfad gezogen dahin; irgendwann erzählte ich dann, daß ich beabsichtige, nach Karlsruhe zu ziehen.
"Ich habe einen guten Freund in Karlsruhe, der hat auch einen tollen und verantwortungsvollen Job."
"Aha."
 Im Inneren ging ich kurz diverse Möglichkeiten durch. Intensivpfleger? Sozialarbeiter?
"Ja, der arbeitet im Zoo als Tierpfleger."
Worauf ich lauthals herausprustete.
"Was ist daran so lustig?"
"Och, nichts. Ich finde, ein Mann sollte eine verantwortungsvolle Aufgabe im Leben haben. Und sei es, den Streichelzoo auszumisten."

Und von diesem Gipfel der Grunzdummheit aus habe ich sie danach nie mehr wiedergesehen.

Dienstag, 7. Januar 2020

Wird es besser?

Sollten Sie es noch nicht bemerkt haben (vielleicht sind Sie gerade aus einem mehrmonatigen Koma erwacht und verspürten gleich danach eine unbezähmbare Lust, diesen Blog zu lesen):
wir schreiben eines neues Jahr, 2020 heißt es.
Und es fängt gar nicht mal so schlecht an.
Etliche schlaflose Nächte betreffs des Auszugs meines letzten Untermieters zum 01. 01. hatte ich hinter mir. Doch nun hat sich dieses Thema überraschend schnell erledigt, in einer Art Deus ex machina.
Nachdem ich schon auf Facebook inseriert hatte und mich mit einer erstaunlichen Anzahl mehr oder weniger obskurer Interessenten konfrontiert sah, von denen ich bei einem Großteil von ihnen nicht auch nur den Hauch eines Bedarfs danach verspürte, mit ihnen die gleiche Raumluft zu atmen, kreuzte ein Kumpel meinen Weg, den ich schon ein Jahr nicht mehr gesehen hatte.
Dieser residiert momentan im Rhein - Main - Gebiet und suchte bis auf weiteres eine Unterkunft für die Wochenenden, an denen er seine hier bei der Mutter lebenden Kinder besucht.
Das kam natürlich wie bestellt, und innerhalb von geschätzt drei Minuten war die Entscheidung gefallen.
Will heißen: ich habe die Wohnung den größten Teil des Monats trotzdem für mich allein, allerdings bei so deutlicher finanzieller Entlastung, daß ich sie weiterhin halten kann, ohne in ernsthafte Schräglage zu geraten.
Und da besagter Kumpel schon einmal längere Zeit bei (damals noch) uns gewohnt hat, weiß ich auch, worauf ich mich da einlasse. Will heißen: wenn er da ist, wird er mich nicht weiter stören. Damit fängt das neue Jahr fast so gut an, wie es (mit der unwirksamen Jobkündigung) aufgehört hat.
Sollte die Seuchenzeit tatsächlich ein Ende haben? Ganz traue ich dem Frieden nach gerade mal sieben Tagen 2020 ja noch nicht, das könnte auch eine Finte sein.
Harren wir mal gespannt der Dinge, die da kommen.

Mit diesen Worten wünsche ich Ihnen, geschätzte Leser, ebenfalls ein gutes neues Jahr.
Schauen wir mal, wo es uns gemeinsam hinführen wird.