Donnerstag, 10. November 2011

Bohei

Ich saß gerade am Rechner im Arbeitszimmer meiner Eltern (immer noch; so langsam bereite ich aber meine Rückkehr zu meinen Illuminatenfreunden vor und hege die vage Hoffnung, mich nächste Woche wieder selbst versorgen zu können) und beschloß eine Zigarettenpause.
Als ich ins Wohnzimmer kam, bemerkte ich, daß ich genau den richtigen Zeitpunkt erwischt hatte: Bushido bekam den Bambi verliehen.
Was hatte es die Tage vorher nicht für einen Bohei darum gegeben; ein Wald aus mahnenden Fingern reckte sich einem medial entgegen, von allen möglichen Besserwissern in die Raumluft gestochen, die ein Prinzip nicht begriffen haben:
wer in sozialen Brennpunkten aufwächst und mit Drogen dealt, liest abends nicht Heidegger und Sartre. Und wenn er die Möglichkeit bzw. ein Ventil hat, um sich auszudrücken, wird das nicht zwangsläufig irgendwelchen bürgerlichen Moralvorstellungen entsprechen.
Wichtig ist, was am Ende daraus wird, und ob derjenige die Chance, etwas an sich und seinen Inhalten zu ändern, nutzt.
Daß Bushido auf dem Weg dazu ist, hat er mit einer erstaunlich souveränen Rede unter Beweis gestellt; daß er sich auf eine Art und Weise sozial engagiert, die für Leute, für die es schon gelungene Integration bedeutet, auf türkischen Straßenfesten in Berlin zur Musik mitzuhüpfen, wie es Deutschlands dümmste und unerträglichste Politikerin gerne vorführt, nicht nachvollziehbar ist, sollte anerkannt werden.

Stattdessen wurden Debatten um zehn Jahre alte Texte geführt, und alles, was dahintersteckt, generell unter den Tisch fallen gelassen, was wiederum auch manches über die Eitelkeit mancher Preisträger aussagt, die offenbar davon ausgehen, mit dem Erwerb des Bambi über den Rang von Normalsterblichen hinausgehoben zu werden, auf eine Plattform, an der so jemand wie Bushido nicht einmal schnuppern darf.
Könnte es nicht sein, daß man manche Jugendliche eben nur erreicht, wenn man mal einer von ihnen war? Daß man nicht jedermann's Liebling sein muß, um sinnvolle Dinge zu tun?
Und daß Taten immer noch mehr zählen als Worte?


Daß dann, wie um den letzten Satz noch zu unterstreichen, der widerwärtige Karl Lagerfeld auf die Bühne schleimte und meinte, er müsse die Banalität und die Political Correctness geißeln, er, der in seinem ganzen Leben für kaum etwas anderes stand als Oberflächlichkeit und Trivialität; und über einen dermaßen fundamentalen Seich niemand im Publikum auch nur die Stirn runzelte, denn es ist ja der Karl, zwinker zwinker:
das läßt mich doch zu dem Schluß kommen, daß von allen versammelten Übeln Bushido mit Abstand das kleinste war, und manche Leute die Maßstäbe, die sie anderen abverlangen, einmal auf ihresgleichen anwenden sollten.

Es wäre spannend, ob sie dabei etwas bemerken.

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