Freitag, 24. Dezember 2010

Malu Malu Malu

Der Berliner an sich ist ja offensichtlich der Stoiker schlechthin, und das scheint sich auch auf alle Zugezogenen zu übertragen.
War in Karlsruhe schon zwanzig Minuten nach der ersten Schneeflocke irgend ein Blockwart draußen, um den Gehsteig zu fegen und somit Paragraph scheiß die Wand an zu erfüllen, passiert hier... nichts.
Tritt sich fest, wa. Somit wird jeder Weg zur Frühschicht zum morgendlichen Hindernislauf, bei dem man kleinschrittig schlurfend wie ein Neunzigjähriger genug Zeit hat, um zu beobachten, wie einem die Straßenbahn vor der Nase wegfährt.
Erreicht man die Straßenbahn, kann einem durchaus folgendes passieren:
eine alte Frau steigt zu, die eine flache, pastellrosa Strickmütze trägt, aus deren Mitte eine wollene Öse ragt.
Nach kurzer Zeit setzt eine bizarre Assoziationskette ein, und man registriert, daß der Kopf der Frau von hinten betrachtet einer überdimensionalen weiblichen Brustwarze mit erregt steilaufragendem Nippel ähnelt.
Sollte das auf mangelnde sexuelle Auslastung meinerseits hinweisen?
Auf jeden Fall wäre das ein Objekt für tiefenpsychologische Diagnostik. Männer sind Schweine.

Apropos "Tiefenpsychologie": vor einigen Posts schrob ich (jaja, ich weiß... korrekt heißt es "schreibte")vom blitzartigen Auftauchen längst vergessener Kindheitstraumata wie dem des Einen mit den tannigen Hosen.
Gestern fiel mir sinnbefreit folgendes wieder ein: Mitte der 80er gab es in der ARD einen regelmäßigen Zehnminüter namens "Vorsicht! Kinder in der Kiste!".
Wahrscheinlich auf Veranlassung irgendwelcher Sozialpädagoginnen mit behaarten Beinen hin durften sich Kinder freiwillig in eine Box mit Vorhang pferchen lassen, um dort kurz kreativ zu sein...
für mich ein gefundenes Lästerfressen, war ich doch selbst die personifizierte Schuluncoolness und freute mich immer, Altersgenossen zu sehen, die sich noch idiotischer benahmen als ich.
So erzählten dann drei bedauerliche Prügelknaben, warum sie die besten Freunde der Welt waren (was dräute da im Hintergrund? Das Keksspiel?), Mädchen spielten mit ihrem Flohzirkus (damit ist kein Hund gemeint)und Jungen sagten unlustige Reime auf:
"Zehn Zigaretten/sprangen in die Betten/sprangen wieder raus/das Lied ist noch nicht aus" (meine Güte, ich kann das sogar noch).
Einer blieb mir ebenfalls nachhaltig im Gedächtnis:
der Vorhang öffnete sich und gab den Blick auf einen Jungen frei, der einen Strohhut und eine Steckenangel mit darangehängten, aus Stanniolpapier ausgeschnittenen Fischen trug.
Dazu hatte er sich einen Zwirbelschnurrbart unter die Nase gekrakelt und kündigte folgendes an:
"Ich singe euch jetzt ein spanisches ausländisches Fischerlied."
Und das ging so:
"Malu Malu Malu, Malu Malu Malu, Malu Malu Malu Malu Maaaa...."

Sollte der Junge noch unter den Lebenden weilen, weil ihn das grausame Schicksal eines Autounfalls, jahrelanger Heroinsucht oder einer Krankheit wie HIV, Leukämie oder was auch immer verschont hat, müßte er nun in meinem Alter sein.
Vielleicht ist er Versicherungsangestellter oder Bankkaufmann und hat selbst einen pubertierenden Sohn... der eines Tages auf der Suche nach Pornographischem (die Lieblingsbeschäftigung pubertierender Jungs. Ich will keine faulen Ausreden hören.)im Schreibtisch seines Vaters auf eine gut versteckte VHS- Cassette stößt.
Also freut er sich und schiebt offenen Hosenstalls das Ding in den Videorecorder, der noch ein fossiles Dasein fristet, und statt dickbrüstigem Gebläse erscheint auf dem Bildschirm sein Vater in jungen Jahren und singt "Malu Malu Malu".
Eine erschröckliche Vorstellung.

Da braucht man sich nicht zu wundern, wenn pubertierende Jugendliche komasaufen.

Donnerstag, 9. Dezember 2010

Tabakladen für Nichtraucher

Ja, ich weiß, der Heidelbergeintrag ist noch nicht fertig (*edit* mittlerweile dann doch endlich)... aber ich muß vorher auf zwei bemerkenswerte Dinge eingehen:

heute im RBB wurde aus einem thüringischen Dorf berichtet, das aufgrund des Wintereinbruchs quasi von der Außenwelt abgeschnitten war und keinen Strom hatte.
Dazu wurde ein älterer Dorfbewohner befragt, der sich darüber beklagte... daß seine Tiefkühltruhe nicht funktioniert und die darin gebunkerten Speisen nun kaputtgehen.
Jeder macht sich so zum Horst, wie er es verdient.

Ebenfalls bemerkenswert: man (also ich) hat Feierabend und ist in der Plattenbauwüste Berlin- Lichtenberg auf dem Weg zur Straßenbahn, als man bemerkt, daß die Rauchwaren ausgegangen sind.
Dieser Umstand führte mich bereits dreimal in denselben Tabakladen, in dem ich innerhalb von zwei Wochen immer diesen Zustand vorfand:
weitgehend leere Regale, abgesehen von vereinzelten Schachteln (aber nie mehr als zwei oder drei) irgendeines Krauts (Kim oder Dunhill), das kein Mensch raucht, was mich immer dazu forcierte, in meiner Verzweiflung noch die erträglichste Option zu wählen, die ich normalerweise auch nicht ziehe (Luckies Menthol oder Pueblo).
Frage: was will uns dieser Laden sagen, bzw. was bezweckt der Inhaber damit?
DDR- Nostalgie? Bitte bringen Sie beim Betreten des Ladens eine Zigarettenspende mit? Oder stecken wieder einmal die Squarts dahinter?

Fragen über Fragen.

Donnerstag, 2. Dezember 2010

Return Of The Muff

Kommen wir nun endlich zu den Ereignissen in Heidelberg am letzten Wochenende.

Ich sollte dafür einen Text schreiben, der vorgelesen fünf Minuten dauern sollte, also machte ich mich ans Werk.
Ein Auftrag... was eben in meiner Arbeitshaltung einen gewissen Pragmatismus nach sich zog. Demzufolge entstand zum vorgegebenen Thema "Letzte Worte" ein Text, von dem ich dachte, er entspräche weitgehend den Anforderungen... gemäß der Vorgabe hatte ich auf Explizites in jeglicher Form verzichtet, und mich auf stilistische Feinheiten und die Pointe verlassen. Das Ergebnis war einigermaßen dröge... und somit wahrscheinlich durchaus SWR2- kompatibel. Immerhin hatten wir es hier mit Kultur zu tun.
Lieber hätte ich einen meiner früheren Slamtexte mitgenommen, die zum Teil auch bereits bühnenerprobt waren... aber erstens erschienen sie mir als zu gewagt, zweitens sind sie mir zu lieb, um meine Rechte daran dem SWR abzutreten (was mich im Fall der "Letzten Worte" nicht sonderlich juckt).

Also: Start am Berliner Hauptbahnhof im ICE Richtung Mannheim. Darin wieder eine unheimliche Begegnung der dritten Art, saßen schräg hinter mir doch tatsächlich zwei angejahrte Dorfschabracken aus- kaum zu glauben, aber wahr- Leimersheim, das sich ungefähr Pi mal Daumen 20 Kilometer von meinem Heimatdorf wegbefindet und tauschten die komplette Strecke lang Tratsch aus.
Was sie schon immer über Läämersche wissen wollten, aber nie zu fragen wagten: hier erfuhr ich es. De Willi, de Eiischeen, de Karl- Heinz. Unn die Dochder, wu bei de BARMER schafft, awwer ehr Kinner nit erzieht.
Wie kann man geschlagene fünfeinhalb Stunden solchen Stumpfsinn von sich geben, ohne daß einem das Gehirn schmilzt? Es war phänomenal.

Endlich in Heidelberg angekommen, nahm ich mir ein Taxi zum Hotel, das der SWR für uns vorbereitet hatte, und wurde dort von meinen Eltern empfangen, mit denen ich ein Treffen vereinbart hatte.
Man merkt, daß man selbst alt wird, wenn sich der eigene Vater zum ersten Mal seit 25Jahren wieder einen Vollbart wachsen läßt und dieser nicht mehr dunkelbraun ist, sondern zwischen graumeliert und schlohweiß changiert, und einem somit mal wieder vor Augen geführt wird, daß der alte Herr nicht nur auf dem Papier schon länger ein Rentner ist, sondern mittlerweile auch beginnt, wie einer auszusehen.

Nach dem Einchecken ins Hotel ging es zur Vorbesprechung... es sollte ja ein Radioslam werden, mit zwei Sendungen à fünf Teilnehmern.
So saßen also alle zehn Teilnehmer samt Organisationspersonal in einem Kellerraum des Deutsch- Amerikanischen Instituts und erfuhren, was man halbwegs von ihnen erwartete, und das noch in (subjektiv empfunden) ziemlich krampfiger Atmosphäre.
Irgendwie spürte ich da bereits im Hinterhuf: das wird nix.

Kurz darauf aßen wir in einem Restaurant zu Abend und gingen noch einmal ins Hotel zurück, denn die Aufzeichnungen der beiden Sendungen sollten um 20 Uhr 30 (soweit ich mich noch richtig erinnere) beginnen.
Da es bereits 17 Uhr 15 war, dachte ich daran, noch einen Freund anzurufen, um zu fragen, wie der FCK gegen Schalke gespielt hatte.
"5:0" kam es tonlos aus dem Hörer.
"Scheiße, 5:0 für Schalke?" schrie ich darauf entsetzt ins Handy (da ja durchaus drin war, gegen Schalke völlig badenzugehen).
"Nein, für uns"... kam es immer noch tonlos zurück. "Ich glaube, ich träume das grad".
Nun, somit war mein Abend gerettet... ähnlich wie (Pathosmodus ein)Siegfried nach dem Bad im Drachenblut fühlte ich mich gewappnet gegen alle Widrigkeiten, die da kommen mochten, ein ehern blitzendes Schild beim Marsch durch das aufbrandende Pfeifkonzert eines mißgünstigen Publikums (Pathosmodus aus)...äh ja.
Wir hatten 5:0 gewonnen, den Abend konnte mir nichts mehr verderben. Nicht mal ein Scheißeregen.

Nun denn, der FCK hatte gewonnen, und ich schickte mich an, 5:0 zu verlieren, und zwar mit einer gewissen Vehemenz.
Fünf Freiwillige aus dem Publikum durften die folgenden Darbietungen bewerten, ähnlich wie beim Eiskunstlauf mit einer Punkteskala von 1-10.

Ich gelangte in drn zweiten Durchgang... die erste Runde gewann verdientermaßen der Schriftsteller Martin von Arndt, dessen Geschichte mir zwar zuerst etwas zu surreal erschien, obwohl sie stilistisch brilliant war, der aber mit seiner Zugabe, die der Gewinner quasi als Belohnung zum Besten geben durfte, endgültig bei mir punkten konnte.
Laut seiner Aussage war es der Beginn einer Novelle, an der er wohl schon länger herumbastelt... und nach dem Vortrag kann man nur hoffen, daß er sie bald abschließt und veröffentlicht. Für mich der überzeugendste Text des Abends.

Da bemerkte ich schon, daß ich einen schweren Stand haben würde. Hätte ich gewußt, was möglich gewesen wäre, hätte ich einen anderen Text angefertigt... so durfte ich in der zweiten Sendung mit einer Geschichte, die in erster Linie aus der Hoffnung auf eine zündende Pointe bestand (aber für einen Slam recht trocken war), unter anderem gegen den amtierenden Champion antreten.
Und ich bemerkte rasch, daß ich die Todesgruppe erwischt hatte: waren die ersten fünf Jurymitglieder aus dem gut hundertköpfigen Publikum noch recht knauserig bei der Punktvergabe gewesen(nicht einmal Martin von Arndt schaffte die 40- Punkte- Hürde), hätte ich in meiner Gruppe nach den ersten zwei Beiträgen schon heimgehen können.
43 und 46 Punkte standen im Raum, als ich mit meiner Geschichte die Bühne betrat und hoffte, zumindest die 30 Punkte zu toppen.
Der Moderator interviewte mich kurz, dann stand ich im Scheinwerferlicht und mußte den Zugang zu einem Text finden, der mich sogar als Verfasser kaum die Bohne interessierte, um ihn adäquat vorzutragen.

Ich glaube, das schaffte ich... aber das Publikum, zumindest den Teil, der für die Bewertung zuständig war, überzeugte ich trotzdem nicht.
Am Ende stand ich mit 27 Punkten weit abgeschlagen auf dem letzten Rang und ärgerte mich darüber, nicht einfach meinen üblichen Schwachsinn verfaßt zu haben.
Der wäre zumindest noch lustig gewesen.

Es gab nur zwei Troste (Trosts? Trösts?): daß der Gewinner (dessen Namen ich vergessen habe, hust) hochverdient gewonnen hatte und sogar den amtierenden Champion knapp schlug... und das ein ca. 18jähriges Mädchen, das hinter mir im Publikum saß, mich antippte und meinte, von ihr und ihrer Clique hätte ich 9 Punkte erhalten, wären sie Jury gewesen.

Nun denn... da mich Heidelberg aus diversen Gründen nicht großartig zum Fortgehen reizt und ich zudem hundemüde war, begab ich mich ins Hotel und schlief vor dem Fernseher ein.

So endete ein ereignisreicher Tag dermaßen glumpfig- verhärmt, wie es ihm angemessen erschien.

Wer sich meine Niederlage trotzdem anhören will, und sei es nur, weil ihm mein Versagen ein inneres Brezelfest ist (Gruß an den Kommentator von den anonymen Knetköpfen):

im Februar auf SWR2 Radioslam, näheres ist bestimmt dem Internet zu entnehmen.

Ich höre mir ja selbst nicht mal Radio Bronkowitz an, also habe ich da mit Sicherheit dreimal was Besseres zu tun.
Aber, liebe Leser: für Rückmeldungen jeder Art wäre ich Ihnen recht dankbar.

Mittwoch, 1. Dezember 2010

Hinterwäldler

Gestern im "Gun Club" geriet ich in eine Diskussion mit einem Blödmann aus Bad Hersfeld.
Schön, wenn man als jemand mit Dialektfärbung im Hochdeutsch meistens im latenten Zugzwang steht, zu beweisen, daß man mit Besteck ißt. Oder aufrecht gehen kann.
Ebenfalls schön, daß es manche Menschen auch bereits als weitreichende Lebensleistung ansehen, keinen Dialekt zu sprechen... und einem auf den Hinweis, daß man sich abgesehen von der Klangfärbung wohl verständlich auszudrücken weiß (und ich bin durchaus in der Lage, schriftdeutsch zu reden, sei etwaigen Zweiflern daran hier noch einmal mitgeteilt), Sätze entgegnen wie "Das ist für mich immer noch Dialekt. Du sprichst kein richtiges Hochdeutsch, die sollten euch das in Süddeutschland in der Schule echt mal beibringen".
Da fällt einem echt nur noch wenig ein... außer den Sprecher und seine imaginären Mitstreiter als "arrogantes Volk" zu titulieren und pissen zu gehen.

Die erstaunliche Tatsache, warum es- spricht jemand im Fernsehen bayrisch, schwäbisch oder berlinerisch- als liebenswertes Lokalkolorit gilt, man aber- spricht man einen Dialekt, der entweder medial nicht so präsent ist, oder sich nicht so "schön" anhört- automatisch als kompletter Hinterwäldler dasteht, ist eine weitere Idiotie, für die mir bisher noch niemand eine Erklärung geliefert hat.

Immerhin: "nie eine Frau daten zu wollen, die schwäbisch spricht, weil das nicht sexy ist" (ein weiterer Spruch unseres obigen Helden), das spricht natürlich für den Mann von Welt.
Jede Frau kann doch stolz darauf sein, als Auserwählte solch ein Prachtexemplar abzukriegen.