Mittwoch, 25. März 2020

DYNAMO 1995 ... der Tragödie zweiter Teil

Die Reise verlief erst einmal gut.
Ich versuchte, mein Gepäck etwas leichter zu machen, indem ich mir gemütlich zwei oder drei Bier in den Kopf stellte, so daß kurz vor Köln der erste Vorbote nahenden Harndrangs herbeigaloppierte.
Aber das war ja alles kein Problem; nachdem ich in aller Ruhe umgestiegen war, könnte ich im Zug nach Eindhoven ja die Toilette aufsuchen, anstatt durch unvorhergesehene Umstände (ich war in solchen Angelegenheiten immer übervorsichtig) den Anschlußzug zu verpassen.
Sie ahnen es bereits: daraus wurde nichts.
Der Anschlußzug war nicht einfach nur voll, er platzte aus allen Nähten, bis unter die Decke vollgestopft mit Punks und Metalkids (was ich zu der Zeit ja auch war) mit unterschiedlichen Promillegraden von "beschwipst" bis "lebender Leichnam".
Ich fand wie durch ein Wunder noch einen Sitzplatz, und zwar neben einem Mann mittleren Alters (Ende 30, Anfang 40, schätze ich mal), der wohl offensichtlich nicht auf's DYNAMO wollte und die ganze Szenerie mit einem mild ironischen Lächeln verfolgte.
Soweit, so gut. Zeit, die Toilette heimzusuchen.
Zeit, festzustellen, daß sie nicht nur blockiert war, sondern daß davor Menschen auf einem Haufen lagen, und zwar teilweise in drei Lagen übereinander. Um auch nur in die Nähe des WC zu kommen, hätte man einen Schneepflug gebraucht.
Der Harndrang entwickelte sich langsam zu einem ernstzunehmenden Problem, und das offensichtlich nicht nur bei mir. Irgendwann kurz hinter Hagen fanden alle möglichen Schweinereien in meinem Zugabteil statt. Menschen urinierten in Flaschen und Dosen und schütteten den Inhalt dann aus dem Fenster, oder erstiegen in einer abenteuerlichen Kletterpartie Sitzlehnen, hielten sich am Gepäcknetz fest und beförderten ihren Ballast direkt aus dem fahrenden Zug.
Mittlerweile mußte ich auch geradezu rhinozeroid pissen, hatte aber keine Lust, mein Gemächt im Fahrtwind zu schlenkern.
Also entschloß ich mich für die Lösung mit der Dose und versuchte, mich auf meinem Sitz möglichst klein zu machen und dabei meinen Hosenstall zu öffnen.
Zumindest hatte ich den Anstand, meinem Sitznachbarn die dringende Notwendigkeit der ganzen Aktion zu erklären, was ihn aber nicht daran hinderte, mich grinsend zu beobachten, während die umsitzenden Punks meinten, mich mit einem rhythmischen "HEY HEY HEY" anfeuern zu müssen.
Da ich noch über einen Rest Selbstachtung verfügte (wobei ich nicht verhehlen will, daß es später im Leben Zeiten gab, zu denen mir das alles herzlich egal gewesen wäre), brach ich die Aktion ab und litt Tantalusqualen, bis der Zug endlich in Eindhoven einfuhr.
Als ich dort dem Höllengefährt entstieg, hatte ich es entgegen meiner Befürchtung zwar geschafft, mir nicht vollrohr in die Hose zu seichen, dafür schmerzten meine Nieren aber derart, daß ich kaum noch laufen konnte.
Aber nun würde doch endlich ... nein. Man wollte mir nichts gönnen, nicht mal, mich in ein Gebüsch zu schlagen.
Schnurstracks wurden wir zu einem Anschlußbus geleitet, der, es war kaum zu glauben, noch voller war als der Zug. Ich schaffte es gerade so hinein, dermaßen dicht an die Tür gedrängt, daß der Fahrer sie dreimal öffnen und schließen mußte, da er jedesmal einen Bestandteil meines Gepäcks darin einklemmte.
Als wir nach noch einmal gefühlt drei Stunden Fahrt endlich am Festivalgelände ankamen, stürzte ich aus dem Bus und fand tatsächlich ein Toilettenhäuschen, in dem ich dann gefühlt neun Minuten am Stück pißte. Dieses schäbige Bauwerk war in diesem Moment der schönste Ort der Welt.
Nun war ich da und konnte mich endlich darauf konzentrieren, den Rest der Bagage zu finden.
Und beim Versuch, dieses Vorhaben umzusetzen, stellte ich fest, daß ich mit der Herfahrt gerade einmal die Hälfte aller auf mich wartenden Prüfungen geschafft hatte.

(Fortsetzung folgt)

Montag, 23. März 2020

DYNAMO 1995... der Tragödie erster Teil

Eine Geschichte, die ich bereits beim bereits erwähnten "Loose Lips" - Abend im KOHI in stark verkürzter Form auf die Bühne gebracht habe, und zwar auf Englisch.
In dieser Version bleibe ich dann doch in meiner Muttersprache.

1995. Pfingsten nahte ... Tage, an denen wir (die ganzen Hardcore - und Metalrenegaten der Südpfalz) uns zusammenfanden, um auf's DYNAMO - Festival nach Eindhoven zu pilgern, um uns dort in erster Linie in billigem Dosenbier zu marinieren und ungehindert zum Zweck des Einkaufs Zelte zu frequentieren, auf denen die jamaikanische Flagge wehte.
Dazu wurden kulinarische Köstlichkeiten wie Cabanossi aus dem ALDI sowie der "Bill Collins Feuertopf" (oder gar glattkackweg "Feuerzauber") aus demselbigen gereicht.
Dazu gab es 24 Stunden am Stück gute Musik in brüllender Lautstärke, wenn nicht von der Bühne, dann aus sämtlichen auf dem zugehörigen Campingplatz herumstehenden Autos, in dem in gefühlt jedem ein anderes gerade angesagtes Metalalbum lief (abgesehen von dem von Tex Dixigas, der das Ganze gewagt mit "Mind Playing Tricks On Me" von den Geto Boys konterte).
Das war in den zwei Jahren vorher schlagartig zum Höhepunkt des Jahres mutiert, und man freute sich nach dem überstandenen DYNAMO bereits auf das nächste. Alle unsere Lieblingsbands spielten dort: ich sah Prong, Slayer, Slapshot, Unsane, Sick Of It All, Madball, Venom in Originalbesetzung und jede Menge anderes Zeug, das ich am Rande mitnahm und schnellstmöglich wieder vergaß. Der Rest des Tages bestand aus Saufen, Kiffen, Umfallen, Wachwerden, Saufen, Kiffen und wieder Umfallen.
Es begab sich aber zu jener Zeit, daß ich die Abschlußprüfungen für meine Ausbildung zum Altenpfleger schreiben mußte, vier an der Zahl. Krankenpflege, Rechts - und Verwaltungskunde (still hate it, always will), Gerontologie und Medizin.
Dummerweise fiel die Gerontologieprüfung auf den Freitag, an dem fast alle schon relativ früh nach Eindhoven aufbrechen wollten, und die Medizinprüfung auf den Dienstag nach Pfingsten.
Wäre ich vernünftig gewesen, hätte ich schweren Herzens auf das Festival verzichtet, um mich adäquat auf meine letzte Prüfung vorzubereiten, das war ich aber nicht. Ich war 21. Reicht das als Begründung?
Also beschloß ich, nach dem Ende meiner Prüfung der kompletten Bagage mit dem Zug hinterherzureisen und stellte mir das passende Marschgepäck zusammen. Dieses bestand aus einer Palette (tatsächlich: 24) Halbliterdosen Holsten - Bier, verteilt auf einen Rucksack, eine Reisetasche und eine Art Seesack, der - um alle Säcke komplett zu machen - wiederum meinen Schlafsack enthielt, so daß ich ungefähr 30 Kilo Ballast durch die Gegend schleppte. Meine Schulunterlagen des Faches Medizin waren natürlich auch dabei, in völlig unbegründetem Optimismus davon ausgehend, in der ein oder anderen stillen Minute tatsächlich noch lernen zu können. Dazu eine türkische Nationalflagge, die ich einem Freund von mir quasi als Anti - Nazi - Protest abgekauft hatte (wie gesagt, ich war ein 21jähriger Möchtegernpunk), und der im Lauf dieser Geschichte noch eine wichtige Rolle zufallen sollte.
Und so bestieg ich nach meiner Gerontologieprüfung umgehend den Zug am Landauer Hauptbahnhof. Die genaue Route ist mir nicht mehr erinnerlich, ich meine aber Landau - Karlsruhe - Köln - Eindhoven.
Bis Köln verlief auch alles noch erstaunlich reibungslos. Doch ab Köln tauchte dann ein gar mächtiges Problem auf, das mich auf eine harte Probe stellen sollte.

(Fortsetzung folgt)

Samstag, 21. März 2020

Doch kein Wort, sondern eine Ankündigung

Nun habe ich mal wieder einige Tage pausiert und wollte eigentlich schon anheben, meine Befindlichkeiten im Angesicht der momentanen Krise (die ich mittlerweile für ziemlich ernst halte) zu schildern, bis irgendein innerer Schweinehund die Notbremse zog.
Denn: abgesehen davon, daß wir momentan alle im selben Boot sitzen und ich beim besten Willen niemandem erzählen muß, wie es ist, in einer weitgehend entvölkert scheinenden Stadt das Wochenende oder wunderschöne Frühlingstage (oder beides zusammen) in der eigenen Wohnung zu verbringen, ist das Thema weltweit so omnipräsent, daß ich hier in diesem Blog nicht auch noch offene Scheunentore einrennen muß.
Will heißen: warum sollte ich die Gelegenheit nicht nutzen, Sie mit diversen launigen oder weniger launigen Anekdoten zu unterhalten, um Sie auf andere Gedanken zu bringen, egal, wie die geformt sein mögen?
Also folgen in den nächsten Tagen noch Schwänke aus meinem Leben, Platten - und Buchkritiken, Liebeserklärungen und Polemiken.
Und kein Wort über Corodingsbums, außer es ist etwas, was mein Leben gerade extrem beeinflußt.

Also: passen Sie auf sich auf. Und (doch ein Wort) denken Sie in einer stillen Minute vielleicht mal daran, daß auch King Bronkowitz in der Pflege arbeitet und drücken Sie mir die Daumen.
Das hätte durchaus etwas ermunterndes, wenn nicht sogar tröstliches.

Montag, 9. März 2020

Doch ein Wort: Ergänzung

...und auf einmal sieht man sich anderweitig in eine Diskussion über Fußballfankultur verwickelt. Ein Thema, das man eigentlich bereits längst auf dem Müllhaufen der eigenen Lebensgeschichte wähnte.
Also gerne nochmal als Ausgangspunkt:

Seit 1980 war ich glühender Fan des 1.FC Kaiserslautern. Ich war zwar - hauptsächlich berufsbedingt - selten im Stadion, habe den Verein aber immer unterstützt und stand auf Seiten der aktiven Fans, ebenso wie ich mit den Ultras sympathisiert habe.
Das tue ich im Prinzip heute noch, auch wenn das Thema für mich abgehakt ist.

Will heißen: ich nehme mir durchaus das Recht heraus, mal ein paar kritische Worte zu äußern.
Natürlich ist das Statement der "Schickeria" durchdacht und intelligent formuliert.
Hätte man es vor diesen ganzen Schwachsinnsaktionen (und bei dieser Ansicht bleibe ich) veröffentlicht, wäre es dennoch sinnvoller gewesen und hätte in der Presse eventuell ein gewogeneres Echo gefunden.
Auch die ganzen Medien, die jetzt kritisch über den neuen Kulturkampf im Stadion berichten, haben sich genauso kritisch beispielsweise über RattenBall Leipzig geäußert, ohne diese Pest verhindern zu können.
Deswegen glaube ich, daß sie in der Causa Hopp nichts bewegen werden, solange sämtliche maßgeblichen Entscheidungsträger um ihre Pfründe besorgt sind. Der Fan alten Schlags ist längst eine Minderheit in den Stadien, und wird höchstens noch als Folklore aus längst vergangenen Zeiten wahrgenommen ... und nun noch dazu als Störfaktor.
Mein Fazit war (und bleibt):

man hätte schon viel früher überlegt und konzertiert Boykottaktionen durchführen sollen, dann hätte sich die Situation gar nicht erst so entwickelt, wie sie sich heute darstellt.
Stattdessen liefert man Kommerzknechten wie Alfred Draxler mit solchen Aktionen Munition für ihren Schwachsinn und ist ernsthaft so naiv zu denken, der gemeine Sport - BLÖD - oder kicker - Leser wäre nach diesem ganzen medialen Overkill noch in der Lage, auf Subtilitäten und Querverweise einer Gruppierung einzugehen, die schon längst durch besagte Quellen als das Böse schlechthin stigmatisiert ist.
Man hat vielleicht kleinere Erfolge erreicht, die aber eher das herumdoktern an Einzelsymptomen waren, während der Körper an sich immer noch dahinsiecht.
Es wird sich IMHO nichts ändern, bevor dieses Schweinesystem, das einmal eine Freizeitbeschäftigung für normale, arbeitende Menschen war, komplett kollabiert und wie des Fischers Fru wieder da landet, wo es herkam.
Sollten solche Aktionen tatsächlich dazu beitragen, werde ich gerne öffentlich Abbitte leisten; ansonsten halte ich das alles nach wie vor für zu spät, zu unüberlegt und ein mit falscher Bewaffnung Don - Quixotehaftes Anreiten gegen Windmühlen, und zwar auf einem toten Pferd.

Sollte es trotzdem was bringen: weitermachen.

Eigentlich habe ich keine Lust mehr, über Fußball zu diskutieren, aber die Reaktionen auf meinen letzten Eintrag machten diese Stellungnahme noch notwendig.

Kein Wort

Ich werde den Coronavirus mal Coronavirus sein lassen.
Natürlich bin auch ich inzwischen zunehmend milde besorgt, aber es wird momentan soviel darüber geredet und geschrieben, daß ich die Sau nicht auch noch durch meinen Blog reiten muß.
Vielleicht werde ich mich früher oder später dazu äußern (müssen), aber momentan genügt mir die Bitte, sich aus seriösen Quellen zu informieren.
Ansonsten kommt nämlich neben allerlei apokalyptisch verbrämtem Vollwahn solche Scheiße dabei raus wie die, daß die Politik mit der Fokussierung auf den Coronavirus von der heranbrandenden neuen Flüchtlingswelle ablenken will.
Während wir also husten, rotzen und es uns zwischen 2300 Rollen Klopapier im Desinfektionsbad bequem machen, steht der Negersmann bereits tausendfach samt Schlauchboot auf unserer Fußmatte, und keiner hat's gemerkt. Was sind das doch alles für Schlingel.
Ach nein, es will doch grad keine Ruhe geben. Spontaner Gedanke: was macht man eigentlich in häuslicher Quarantäne, wenn man wie ich einen weitgehend verwaisten Kühlschrank hat, weil man so gut wie nie kocht, da man eh fast nie zu Hause ißt?
Den Pizzadienst rufen? Und der erscheint dann im ABC - Schutzanzug und wirft den Lappen durch's offene Fenster? Fragen über Fragen.
Ansonsten geht alles recht gemächlich seinen Gang, sofern es in der derzeitig um sich greifenden Unruhe möglich ist.
Man wundert sich, daß bei Großveranstaltungen scheinbar mit zweierlei Maß gemessen wird: einerseits werden Konzerte abgesagt, andererseits scheint es kein Widerspruch dazu zu sein, daß sich an allen möglichen Wochentagen tausende von Fußballfans preßwurstig in Stadien quetschen.
Zum Glück geht mir dieser Zirkus mittlerweile dermaßen am Arsch vorbei, daß ich mich nur am Rande mit der Causa Hopp beschäftigen muß.

Aber eines kann ich mir doch dazu aus dem Ärmel leiern:

Ein Freund von mir echauffierte sich über die angebliche Infragestellung rechtsstaatlicher Prinzipien. Und warum? Weil der DFB Kollektivstrafen verhängt? Weil man im Stadion niemanden mehr im Fadenkreuz zeigen oder als "Hurensohn" beschimpfen darf?
Ich bin wegen Leuten wie Hopp und Mateschitz mit Fußball fertig, trotzdem ist mir diese pubertäre und niveaulose Art des Protests fremd. Vor allem, da sie komplett kontraproduktiv ist und die Betreffenden mit einer kleidsamen Opferrolle ausstattet, wobei ich Hopps soziales Engagement durchaus gutheiße. Aber darum geht es in dem Fall ja nicht..
Vor allem, da die Ultragruppierungen gleichzeitig ebenfalls in eine selbstgewählte Opferrolle schlüpfen, die jedem Böhse - Onkelz - Text zur Ehre gereichen würde. Dabei wäre es so einfach gewesen: wären die Leute bei Heimspielen gegen Rattenball oder Hoffenheim einfach daheim geblieben, wäre das um einiges effektiver gewesen. Kein Verein hätte dann noch ein Interesse daran gehabt, mit solchen Konstrukten in einer Liga zu kicken, wenn bei jedem Heimspiel der Großteil der Zuschauer weggeblieben wäre.
Aber nein, man rennt brav ins Stadion, um dort zu "protestieren", hält diese Maschinerie am Laufen, läßt sich jetzt durch dieses grunzdumme "Hurensohn" - Geblöke als Negativbeispiel instrumentalisieren und schaufelt seiner Szene damit komplett das Massengrab, weil man einfach nie dazu fähig war, konsequent und kollektiv einen Stadionboykott durchzuziehen, der das einzig probate Mittel gewesen wäre.
Stattdessen schafft man sich selbst ab und hilft somit dabei, noch mehr obskuren Ekelpaketen wie Lars Windhorst das Einfallstor in die Liga zu öffnen.

Wie hieß es früher oft in Kurven? "Ihr seid so blöööd, ihr seid so blööd".