Dienstag, 30. September 2014

Tage der Nemesis

Ich lernte Martin von Arndt am 27. 11. 2010 (Jessas, so lange ist das schon her) beim SWR 2 Radioslam in Heidelberg kennen, wo wir mit anderen Teilnehmern aus den Bereichen "Slam Poetry" und "Literatur" dem Publikum jeweils einen Text zum Thema "Letzte Worte" präsentieren sollten, der dann per Abstimmung bewertet werden sollte.
Während ich mit meinem Scheißtext mit wehenden Fahnen unterging (zu meiner Ehrenrettung sei erwähnt, daß ich ihn nach strengen Vorgaben zusammenzimmerte, nur um dann bei der Veranstaltung zu erkennen, welche Möglichkeiten ich gehabt hätte, die ich aufgrund der Vorgabe ungenutzt liegenließ... der Text ist mittlerweile im Orkus verschwunden, und da soll er auch bleiben. Nicht mal an den Titel erinnere ich mich noch. Zumindest bescherte mir der FCK mit einem 5:0 gegen Schalke 04 später am Abend zumindest ein Erfolgserlebnis) gewann Martin souverän und trug dann als Gewinner einen weiteren Text vor, der mir sehr gut gefiel.
So kamen wir nach Ende der glumpfigen Veranstaltung ins Gespräch und waren uns wohl gegenseitig sympathisch, so daß wir seitdem in sporadischem Schriftkontakt stehen und ich drei seiner Bücher gelesen habe: das teilweise zum Schreien komische "Der Tod ist ein Postmann mit Hut" (einer der besten Titel überhaupt, nebenbei erwähnt), das in Weißrußland angesiedelte "Oktoberplatz" (das nach Trailer und publik gemachtem Aufenthalt des Autors am Handlungsort dann doch etwas hinter meinen Erwartungen zurückblieb) und nun also "Tage der Nemesis".
Eine selbst geschriebene Inhaltsangabe spare ich mir, stattdessen greife ich gerne auf die im Netz kursierende von Lothar Struck (hier zu finden) zurück, denn sie ist sehr gut. Und ich spare mir dadurch die Arbeit, selbst eine zu schreiben; denn sogar bei meinen eigenen Werken war mir das immer ein Graus.

Nun zu meinen Kritikpunkten. Vorausgeschickt sei, daß ich das Buch gutfinde und es in relativ kurzer Zeit weggelesen habe.
Stilistisch habe ich Martin von Arndt allerdings schon stärker erlebt, siehe als Beispiel "Grasbeißer".
Im Rahmen eines Thrillers ordnet er seine Fähigkeiten jedoch oft der Genrekonvention unter; auch sind manche Prioritäten nicht nachvollziehbar, was wohl am Kontrast zwischen ebendiesen Fähigkeiten und der notwendigen Verknappung zugunsten eines rascheren Erzähltempos liegt.
Beispiel: relativ detailliert wird das Rauchverhalten eines festgenommenen armenischer Überläufers und sein Spielen mit der Zigarettenschachtel geschildert, während der Autor durch einen handlungsrelevanten Überfall auf ein Telegraphenamt im Sprinttempo durchhechelt, als hätte er dringend einen am Bahnhof wartenden Zug erreichen gemußt, aber den Abschnitt vorher noch fertigstellen wollen.
Dafür, daß auf Seite 141 offenbar das Lektorat gepennt hat und die Erzählzeit ohne Not von Vergangenheit zu Gegenwart wechselt, kann er wohl nichts.
Und- ein versprochen letzter- negativer Kritikpunkt ist der, daß mir manche Dialoge einfach zu maniriert sind; die Gedichte rezitierenden türkischen Schergen wirken auf mich genauso konstruiert wie der übertrieben plumpe Klotzkopf Wagner. Aber letztendlich bleiben das im Gesamtkontext Marginalien. Denn sehr gelungen ist beispielsweise die Figur des kriegstraumatisierten Ermittlers Eckart, dessen fetzenhaft dargestellten alptraumartigen Erinnerungen trotz ihrer Kürze noch reichlich schockierend wirken. Auch seine dem Drogenkonsum geschuldeten Abstürze und Krisen samt halluzinativer Wahnvorstellungen werden sehr gut in die Handlung eingebunden, ohne daß vor allem letztere wie in manch anderen Büchern nach Zeilenschinderei stinken.
Was die Thematik angeht: allein schon der Vorsatz, solch ein Buch zu schreiben, das mit dieser Thematik in dieser Zeit angesiedelt ist, erfordert eine konsequente Vorbereitung, von der ich nicht weiß, ob ich die Motivation dazu aufbringen würde; zudem Martin von Arndts Themenvielfalt erstaunlich ist. Alleine schon die Entscheidung, einige Zeit in Weißrußland zu verbringen, da man plant, einen Roman dort spielen zu lassen, nötigt mir Respekt ab; und hinsichtlich des Umstands, daß ich ständig etwas Besseres zu tun habe, als für einen Roman Berge von Quellenmaterial und Sekundärliteratur zu wälzen, finde ich diese Fleißarbeit recht beeindruckend.
Die Handlung schlägt ständig Haken; der Stand der Ermittlungen bleibt immer nur wenige Seiten bestehen, dann folgt eine Finte, ein neues Detail, ein ergänzender Fakt, ein Blick auf neue Verstrickungen und Verflechtungen der handelnden Figuren und Institutionen miteinander. Dies führt dazu, daß ein konstanter Spannungsbogen gehalten wird, auch wenn der ganz große Paukenschlag am Ende ausbleibt.
Manchmal verliert man im Dschungel der ganzen Verwicklungen und der Summe der sich allmählich zu Klassenverbandsstärke zusammenfindenden Figuren und Figürchen etwas den Überblick, darum muß man häufiger mal zurückblättern und den ein oder anderen Absatz nochmal lesen.
Aber das tut dem Vergnügen keinen Abbruch; ein ambitionierter Thriller vor ungewöhnlichen geschichtlichem Hintergrund, in den man schnell hineinfindet und den man dann nicht mehr weglegen mag.
Ich hoffe, daß Martin von Arndts hehre Ziele und Hoffnungen auf eine türkisch- armenische Aussöhnung eines Tages wahr werden; auf jeden Fall war die Idee, Schwarz- Weiß- Malerei zu vermeiden und dieses Buch sowohl dem türkischen wie auch dem armenischen Volk zu widmen, auf jeden Fall eine richtige.

Martin von Arndt: Tage der Nemesis
Verlag ars vivendi, Hardcover, 303 Seiten, 18.90 Euro

P.S.: habe den Blogeintrag über die SWR 2- Veranstaltung 2010 wiedergefunden und verlinke ihn der Vollständigkeit halber hiermit nochmal. Man kann ihn sich aber eigentlich schenken.

Fundsachen: Gequalle 2.0

Es begab sich einmal vor langer Zeit, daß das Hipster- Stadtmagazin- Metropolengesabbel Einzug hielt in die Musikkritik.
Eigentlich war das in den 80ern die alleinige Domäne der SPEX; vor allem Diedrich Diederichsen ist in diesem Metier nahezu unerreicht. An dieser Stelle muß ich mich outen: ich verstehe ihn nicht. Ich habe ihn nie verstanden. Mag sein, daß dies an mangelnder Intelligenz meinerseits liegt (was mich ja auch an philosophischen Texten regelmäßig verzweifeln läßt) oder einfach meinem fehlendem Bemühen; jedenfalls habe ich seine Beiträge irgendwann automatisch weiträumig umfahren.
Ellenlange Plattenkritiken, in denen es jemand fertigbringt, kaum etwas über die Musik zu schreiben, hatten schon immer für mich einen recht geringen Nutzwert.
Irgendwann wurden diese ganzen SPEX- Leser aber erwachsen und griffen selbst in die Tasten; spätestens da wurde das früher singuläre Phänomen zur massenhaften Plage.
Plattenkritiken setzten sich nun zuhauf aus verquastem Geschwurbel zusammen, und unter soziokultureller und pophistorischer Theorie (die auch gerne durch das Modewort "Diskurs" ersetzt werden darf) wollte es nun schon gar niemand mehr machen.
Dabei hatten Leute wie Albert Koch, Michael Sailer und der leider weitgehend abgetauchte Christoph Lindemann zur Genüge bewiesen, wie man Plattenkritiken und Kolumnen verfaßt, die nicht nur die Musik adäquat behandeln, sondern auch Hintergrundinformationen und aktuelle wie musikgeschichtliche Themen anspruchsvoll aufbereitet, ohne in belangloses WOM- Magazin- Gewäsch zu verfallen.
Aber die schrieben ja für Mainstream- Medien, und das war bäh. Nein, das nachwachsende Dünkelvolk wollte seine eigene Sprache ( die auch gerne durch das Modewort "Codes" ersetzt werden darf) und tobte sich in allerlei und quallerlei Texten aus. Ironischerweise wurde zur Hauptanlaufstelle für verhinderte und ehemalige SPEX- Schreiber ausgerechnet das Umsonstblättchen INTRO, dessen finanzielles Hängen am Tropf diverser Unternehmen trotzdem keinen der Macher daran hinderte, sich als Speerspitze popkultureller Avantgarde zu fühlen.
So entstand ein bis heute nachwirkendes Gemisch aus verkopftem Gefasel, der Stilisierung harmloser Popliedchen zu kulturellen Beiträgen unübertrefflicher Relevanz (was wiederum die Hofierung unerträglicher Gestalten wie Lady Gaga zur Folge hatte, deren Scheißmusik man plötzlich nicht mehr schlechtfinden durfte, ohne sich als kompletter Ignorant zu outen), in den 80ern verwurzelten Jugenderinnerungen, denen generationsprägende Eigenschaften nachgesagt wurden und vermeintlich scharfsinnigen gesellschaftlichen und kulturellen Beobachtungen. Das Ganze durfte dann beim erstmaligen Lesen kaum zu verstehen sein und mußte sich trotz aller Affektiert- und Aufgeblasenheit auch noch möglichst selbstironisch geben, obwohl es das zu keiner Zeit war; vielmehr drängte sich häufig der Verdacht auf, der Schreiber hätte während langer Abendstunden hinter der Tastatur permanent eine Hand in der Hose gehabt.

Schon damals hatte ich das Gefühl, daß dieser Stil danach schrie, endlich einmal parodiert zu werden; als dann im ME- Forum vor ca. 5 Jahren eine obskure Gestalt namens Peter Wolfgang Dörrhöfer auftauchte, die in Schreibstil und sinnfreiem Geblubber mit Pseudoanspruch eine passende Verkörperung des ganzen glumpfigen Genres war, schritt ich zur Tat.
Ich mußte einen Sampler eines anderen Forenmitglieds rezensieren und Song für Song mit einem kleinen Text bewerten; also tat ich das genau in diesem sinn- und inhaltsleeren Knalldeppenstil.
Und diese Rezension wollte ich dann vor kurzem endlich für die Nachwelt festhalten. Die Lektüre mag vielleicht dem einen oder anderen recht zäh vorkommen; aber das liegt in der Natur der Sache.

Hier also nun trotzdem viel Vergnügen mit 20 Tracks im Musikjournalistensprech 2.0 (zu den übernommenen Bewertungen: die Skala reicht von * bis ****** , und die Sterne geben meine tatsächliche Meinung wieder):

1. Ministry: Burning Inside

Das Gerumpel riesiger, rostiger Metallspinnen, die "N.W.O." echoen, in einer Art vorauseilendem Gehorsam. Das war, und etwas wird noch kommen, während wir in Kneipen mit ockerfarben gestrichenen Wänden und Hirschgeweihen über dem Tresen die Apokalypse erwarten. Sie klopfte klar vernehmlich an die Tür, doch wir waren nicht daheim, gefangen in letzten Zuckungen postgrungealer Depression waren wir ertaubt für den rasselnden Ruf berserkernder Wolfsrachenriesen. Doch wir können noch warten, während wir die ölverschmierten Reste begutachten, durch die ab und zu eine sanfte Brise fährt, als klar vernehmbares Echo aus besseren Zeiten. Wir warten. Oh ja, und wie wir warten.

****

2. Metallica: Whiplash

Gereckte Finger, fliegende Haare, und glühende Gitarrenkabel. Mögen Metallica nun auch nicht mehr State Of The Art im urbanen Dschungel sein, das suburbane Elend fließbandiger Lebensläufe wird hier auf einem niedrigen Diskurslevel auf eine Art und Weise erklärt, die durchaus Stumpfspaß bringt. Da wird gerockt, aber es fliegen keine BH's, nein, Boys, das habt ihr nicht nötig, eher Klappstühle und Gartenspaten bei der Verbrüderung diverser Peergroups zu einer einzigen, dem Spießertum angenehm anachronistisch die Stirn bietenden rockenden Meute.

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3. Descendents: Suburban Home

Ein anderer Raum. Auch im geografischen Sinn. "I wanna be stereotyped". Das ist Ironie. Doch leider schwingt der Sound über meinen Kopf hinweg. Ich höre, ohne zu hören. Ich fühle, ohne zu fühlen. Auch wenn das Herz am rechten Fleck schlägt. Dort, wo der Style der nachtaktiven suburbanen Crowd ein anderer ist, wo die Resonanz auf solche Schwingungen jugendlichen Rebellionswillen befeuert, mag das ein schweißtreibender Appell zu macholosen Verbrüderungs- (oder Vergeschwisterungs-) posen sein, doch hier fühle ich mich grade allein. There's no way out of this mess. Irgendwie sind wir alle allein in unserer Wirkwarenwelt. Dabei wollen wir alle doch nur Ficken. FICKEN! AAAAH!!!

***

4. Mission Of Burma: Academy Fight Song

Dekonstruktivismus, die Erste. POP. Ohne Kitsch. Auf's Skelett reduziert. Ein Blecheimer übergestülpt. Verhuschtes klimpert. Willkommen daheim. Die Wärme kehrt zurück. Einlullend in einer trotz aller Reduktion spürbaren Nacktheit und emotionalen Verletzlichkeit. Die pure Kraft der sanften Schläge. Nix mehr Ficken. Es wird roh gekuschelt, die Alarmtrompete im Ohr.

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5. Fugazi: Waiting Room

Der Baß tut, was ein Baß tun muß: die Illusion wird Thunfisch. Oder zwei Öltanks. Ein Fimpen und Fampen. Ein Zimpfen und Zumpfen. Rabimmel rabammel rabumm. Ich "groove" in meinem ureigenen Rhythmus, wiedergefunden mit dem Kopf im Backofen. Denn gestern war ich dort. Heute bin ich hier. Und ihr seid immer noch da. Oft hat man es gehört, irgendwann mochte man es nicht mehr, heute erstrahlt es wieder in hellem Glanz am Firmament dekonstruktivistischen Postrocks. Und es rekreiert meine persönliche Erlebniswelt. Es geht mir gut.

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6. Minutemen: This Ain't No Picnic

Bassig biestig. Ein bassiger Bumsbomber mit biestigem Bass. Doch halt: er transportiert. Nihilistische Romantik? Nein. Eine genaue Sezierung archaischer Arbeitsrealität. Ein Faustschlag auf den Helm, mit ungeheurer Präz...ähm Genauigkeit. Metallica revisited? Nein, sondern die Wiedergeburt des Spagats. Intellektuelles Feingefühl meets exploitative work an einer Kreuzung im Niemandsland abseits der corporate identity. Hier fühlen wir uns wohl, wir, die wir manchmal auch mühsalbeladen hier parken, um eine schnelle Zigarette zu rauchen. Oder ein Bier zu trinken. Grüßt uns nicht, wenn ihr vorbeifahrt. Wir wollen euren Trost nicht!

******

7. Dinosaur Jr.: Raisans

Proletig posaunt jemand neben mir heraus, das wäre wohl eine der langweiligsten Bands aller Zeiten. Mal sehen: hält der Song dem Test stand, wenn ich ihn auf meine persönliche Metaebene hieve? Das Schleifen und Kratzen? Schlirfen und Schlurfen? Während zähflüssige Gitarrenwände zu bemoosten Barrieren emporgezogen werden, erblicke ich mich dort in einem Spiegel. Oder ist es ein Vexierbild? Hymnen für Slacker. Tanz den Diedrich Diederichsen. Der Diskurs mag eröffnet sein. Doch er forciert eher meinen Rückzug ins Private.

** 1/2

8. The Chameleons: As High As You Can Go

Hui, hier manifestieren sich aber unerfüllte Teenagersehnsüchte im großflächigen Synthiemantel. Es geht in engelsgleiche Sphären. Nur findet sich dort niemand. Gleich einem Ikarus mit gestutzen Flügeln geht es sofort wieder abwärts. Zurückgeworfen in uns selbst. Das sehnsüchtige Schwelgen in unerfüllten Leidenschaften findet keine adäquate Erfüllung.

** 1/2

9. Talking Heads: Girlfriend Is Better (Live)

Avantgardistische Entrücktheit. Sirrende Keybordstakkati, die die Songstrukturen zu unverdaulichen Portionen zerstückeln. Stroboskoplichter. Kälte. Tote Maulwürfe. Weiße Plastikrhinozerosse in gleißendes Neonlicht getaucht. Und dennoch andererseits schwitzlustige, vergnügungssüchtige Tanzbarbareien. Man möchte die Welt umarmen, um den Augenblick zu feiern, eintauchen in eine sophisticated Partycrowd. Nerdtum, das Vergnügen bringt. Wenn auch mit Gänsehautgarantie, entlehnt einer stillen, paranoiden Verzweiflung.

*****


10. ABC: Poison Arrow

Popmusik. Natürlich ist das POP, schon wieder und immer noch. In aller dandyhaften Eleganz, kleine Zufluchten zum Durchatmen in einer von Rockismen geprägten Musikwelt. Beständige Keyboardstakkati. Man fährt zum Tanztee in die Vorstadt. Bescheidene Eleganz heißt die Zauberformel. "Shoot the poison arrow to my heart", und flugs sind die kleinen Fluchten als solche dekodiert. Zurück in der Welt. Und kleine private Katastrophen werden zu alles verschlingenden Monstern, während einem die letzte S- Bahn den Fuß abfährt. Man denkt nicht mehr an die Heuschreckenplage in Kasachstan, während man ALLEIN durch den urbanen Neondschungel flaniert. Nur ein sanftes Ziehen den vergifteten Pfeils, das sich in Musik gemeißelt mäandernd durch das Haupthirn zieht und eine verstohlene Träne auf Reisen schickt.

****

11. The Fall: Hit The North

Das Wort der Stunde: Avantgarde. Das Non- Klischee einer Rockband mit einem Non- Klischee eines Rocksongs. Man erkennt sie hier halt nicht so. The Fall sind nicht Westernhagen. Und das ist gut so. Dennoch: zäh zieht sich mechanoides Geklöppel in die Länge. Eigentlich sollte Karlsruhe brennen. Oder zumindest meine Wohnung. Oder mein rechter Fuß. Entfacht vom Indie- Entertainer. Vielleicht brennt ja Forchheim. Ich weiß es nicht.

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12. Tears For Fears: Head Over Heels

Es wollten immer noch kleine Fluchten sein. Doch diesmal führt die Tür ins Nichts. Eure Tränen sind nicht meine Tränen. Eure Ängste sind nicht meine Ängste. Ich kapituliere. Die anderen waren es, die recht hatten. Die die Simplizität enttarnten. Hier helfen keine zirpenden Beats über schwelgerischen Soundskizzen. Hier helfen nur Koks und exzessive Masturbation, bis daß in Scherben fällt was die Welt im Innersten zusammenhält. Ich passe. An die Nachtlebenstylemenschen: ich kehre zurück. Reumütig.

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13. The Cars: Drive

DAS ist der Song über den Moment kurz vor dem Erreichen eines sich als Glück verkleideten Gefühls. Das Gefühl, daß einen so over the top hinauflifted, in Höhen, wo man jegliche Grammatik dorthin bugsiert, wo bereits Sinn und Verstand seit zwanzig Jahren ein Schattendasein führen. Und dort schwelgt man. Deep und gleichzeitig high. In uns schwingt was. Der Gong der reinen Menschlichkeit, ein elfenhaftes Gefühl zart schwebender Zufriedenheit. Man hat dem Konsens ins häßliche Gesicht geblickt, turn the radio off, mama, before I start to bleed eternally, doch bevor man den Ausknopf dreht, hat einen die große Allgemeinplatzwartharfe dazu gebracht, sich sanft in seinen samtenen Seelensack einzumummeln.

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14. Billy Idol: Eyes Without A Face

Jungsmusik. In einer ewig rotierenden Welt ewig 15 gebliebener Außenseiter wäre das die Nr.1 der Charts. Es wäre cool. Ich buchstabiere: c o o l. So cool wie PEZ- Spender mit Lupo, denn Lupo war cool. Oder wie die Kaubonbons, die der Klassenprimus immer in die Biostunde zu Frau Freese mitbrachte und die nach getrocknetem Elchsperma mit Erdbeeraroma schmeckten. So cool wie den Kopf in den Wäschetrockner zu stecken. Billy Idol war cool. Als Verkünder pubertärer Jungsphantasien, der trotzdem auch wußte, was böse Mädels wollten. Und das ist ebenfalls cool. Das muß man nämlich erstmal können: cool sein.

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15. Falco: Ganz Wien

Die Generation Golf im Spiegel ihrer Zeit. Entseelte Yuppiephantasien in einer entseelten Yuppiewelt. Plastikmenschen in Plastikzeiten. Hymnen zur Unsterblichkeit der Hoffnung auf ein besseres. Schnitzel. Oder hier: Filet Mignon. Oder Krabbencocktails in Bechern aus Rauchglas. Serviert von einem, der irgendwie selbst Plastik war in Zeiten, in denen die Herrschaft der Scheckkarte begann. Das hier ist die Wahrheit. Das hier zählt.

Zitat Zitat von peter wolfgang dörrhöfer
" Die Lieder wie man sie von den Platten kennt, als eine Mischpoke aus je nach Geschmack und Gesinnung, zusammengesetzt aus Fantasieabstraktionen die aber ebenso gut vertonte Geschichten von ge- oder misslungen Drogenexperimenten sein könnten, gewürzt mit Kritik am Leben in der Konsumgesellschaft."
Man KANN das gar nicht besser auf den Punkt bringen.

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16. Ultravox: Lament

Tropf tropf tropf. Wieder etwas vom kahlen Neonasten, wo karges Synthiegestrüpp meterhoch in den Himmel wuchert. Der alte Gärtner "Punk", der diese Hecken schneiden würde, ist meilenweit entfernt und wird grade schmerzlich vermißt. Stattdessen lauscht man selbstreferentiell in sich hinein.

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17. Talk Talk: I Don't Believe In You

Hier wird die Ekstase ernsthaften Musikschaffens zelebriert. Eine Blaupause für das, was da noch folgen sollte, nein, folgen MUSSTE. Ein Zusammenspiel musikalischer Miniaturen. Kunst. Große Kunst. Jedoch außerhalb meiner Reichweite. Gebt mir den Rock zurück. Ich will rocken. Jetzt.

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18. Roxy Music: Oh Yeah

Ich erinnere mich: Tante Ursula, 48. Ihre mongolischen Gesichtszüge geraten ins Rutschen, wenn der große Zampano erklingt, die unerreichte, ewig beständige Style- Ikone. Aus dem klobigen Saba- Radio auf der Anrichte. Man schwelgt beim Nachmittagskaffee. Dazu gibt es Erdbeeren mit Scheiße. Und ein kurzes Aufblitzen vom Gefühl verwandtschaftlichen Zusammenhalts. Eine Ahnung, wie es hätte sein können, wären mir nicht die Smiths dazwischengekommen.

**** 1/2

19. The Smiths: Rubber Ring

DAS Rolemodel für unnerdige Nerds. In subkultureller Orientierungslosigkeit als sensibler Schopenhauer- Leser war man beim Anblick der wilden Jungs in der Stufe in ambivalenter Gefühlswelt gefangen. Leute, die mit der Stirn Walnüsse knacken konnten, zogen einem im Matheunterricht gerne mal die Hose aus. Das war uncool, vor allem, wenn man Lehrer war. Dabei wollten wir nur Teil einer Jugendbewegung sein und uns endlich gegenseitig die Hosen ausziehen. Morrissey sei Dank: es hat funktioniert. Auf daß wir uns in zwanzig Jahren noch gegenseitig die Hosen ausziehen werden.

**** 1/2

20. The Go- Betweens: Bachelor Kisses

Großes Gefühlskino. Da ist er wieder, der POP. Hier verkleidet als neckischer Seitenblick auf Prefab Sprout. Und trotzdem versteckte sich das alles in einem Paralleluniversum der populären Musik, abseits von Bohlen, Sandra und Italodisco. Und Samantha Fox. Und die wäre mir jetzt lieber.

***

Mittwoch, 24. September 2014

Gesprächsfetzen des Abends

Als ich gestern auf dem Weg in die Bar Milano war, passierte ich in Höhe der SCHAUBURG ein recht elegant gekleidetes älteres Paar von ca. 65 Jahren, das sich gerade angeregt zu unterhalten schien.
Im Vorbeilaufen schnappte ich dann folgenden, vom Mann in einem sehr seriösen Tonfall vorgetragenen Gesprächsfetzen auf:
"... und er hatte ja schon immer eine Vorliebe für seltsame Frauen mit großen Nasen..."
Ich gestehe, daß mein Gehirn in der Sekunde, bevor der Sprecher das Wort "Nasen" erwähnte, den Satz bereits in eine ganz andere Richtung vervollständigt hatte, so daß ich unvermittelt herausprusten mußte.
Scheinbar ist ein Teil von mir für den Rest meines Lebens 13 Jahre alt.

Samstag, 20. September 2014

Wovenhand im Tollhaus, 15.09.14

"Der Typ ist so wahnsinnig wie Klaus Kinski, wenn du mich frägst" meinte mein Freund Simon aus Speyer, als David Eugene Edwards die Bühne im Tollhaus betreten hatte, angetan mit einem häßlichen Filzhut mit Federn.
Ich hatte lange gezögert, mich für einen Konzertbesuch zu entscheiden, obwohl ich großer Fan von Sixteen Horsepower bin. Wovenhand kann ich nur partiell viel abgewinnen; zudem eilt Auftritten von Edwards der Ruf voraus, ein Tummelplatz von allerlei Christenvolk zu sein, das vor der Bühne andächtig lauscht. Zusammen mit der üblichen "Stock im Arsch"- Tollhaus- Klientel aus GRÜNEN- wählenden Studienräten und vollbärtigen mittelalten Kulturlangweilern verhieß das wenig Spaß.
Doch die Befürchtung erwies sich als unbegründet. Nach der Entrichtung von 26 Euro (was heutzutage irrsinnigerweise für einen Konzertbesuch fast ein humaner Preis ist) erblickte ich das buntgemischteste Publikum, das man sich vorstellen kann.
Männer in Anzügen samt Frauen in halbwegs eleganter Abendkleidung, bärtige Metaller mit BEHEMOTH- T- Shirts, christlich aussehende junge Männer samt Kinnvotze und Flip- Flops und einzelne Komplettnormalbürger und Schnauzbartträger. Man hätte beliebige Straßenbahnpassagiere direkt aus der S5 durchs Tollhaus schleusen können und es hätte nicht anders ausgesehen; sogar das ein oder andere bekannte Gesicht erblickte ich, unter anderem überraschenderweise einen gesetzten GG- Allin- Fan aus meinem weiteren Dunstkreis, der auf den wunderschönen Spitznamen "Evil" hört (und den ich seit Jahr und Tag nur unter diesem kenne... ich glaube, ich habe nie erlebt, daß jemand seinen Echtnamen ausspricht).
Der Grund für die Zusammensetzung des Publikums war wahrscheinlich nicht nur, daß Edwards seit Jahr und Tag großartige Musik macht, die eben viele Leute anspricht und einen oft den manchmal alttestamentarischen Wahnsinn vergessen läßt, den er textlich verbreitet, sondern auch seine trotz allem erstaunliche Weltoffenheit, durch die er auch auf Punk- und Metalfestivals spielt bzw. spielen kann, ohne von der Bühne gebuht zu werden.
Auch vermeidet er Predigten in seinen Ansagen; an diesem Montag gab es sowieso fast keine, sondern die Band spurtete souverän durch kein übermäßig langes Set, das diesmal erstaunlich rockorientiert war.
Von welcher Platte die Stücke stammten, ließ sich nicht eruieren; die erste WH- Rockplatte "Ten Stones" fand ich damals nach dem ersten Hördurchgang scheiße, und die neue, "Refractory Obdurate" erwarb ich erst an diesem Abend.
Bis auf die Zugabe gab es nichts Singer- Songwritermäßiges zu hören, sondern eine routinierte Show, in der die Tatsache, daß sie von Edwards stehend (und nicht wie sonst auf einem Hocker sitzend) bestritten wurde, schon als spektakuläre Feststellung verbucht wurde. Was negativer klingt, als es war; langweilig war es zu keiner Sekunde, nur der Sound hätte etwas druckvoller sein dürfen.
Mehr kann ich dazu nicht schreiben; verbuchen wir es unter "gutes, wenn auch nicht herausragendes Konzert an einem rückblickend ansonsten schönen Abend" und bleiben bei der Feststellung, daß ich vor dem Besuch eines WH- Auftrittes das nächste Mal nicht zögern werde.


Samstag, 6. September 2014

Der 400. Beitrag

Ich hätte vor einem guten Jahr noch niemals damit gerechnet, in dermaßen kurzer Zeit hier zu landen.
Nun ist es also doch passiert... und es bleibt die Frage: wie zelebriert man diesen Umstand gebührend?
In einem vor Intellekt und funkelndem Wortwitz überbordenden Capriccio?
Mit der Beschreibung des gestrigen Abends, samt einer ab einem gewissen Punkt diagonal abwärts verlaufenden Stimmungskurve? Letzteres hing nicht unwesentlich von dem Umstand ab, daß mir die unfreiwillige Beihilfe eines guten Freundes (nennen wir ihn J., um ihn nicht allzu offensichtlich vorzuführen) die Bekanntschaft des gräßlichsten Pärchens seit langem bescherte, einer dermaßen odiosen Ausgeburt betrunkenen Hipster- NEON- Humors, daß ich die erstbeste Gelegenheit nutzte, um unbemerkt zu verschwinden.
Nah, den Abend sollte man vergessen. Momentan gelänge mir dies nur durch eine Lobotomie, aber man weiß ja, daß die Zeit alle Wunden heilt. Zumindest fast.
Als ich gestern vor lauter Elend im ausgelegten Drecksblatt blätterte, nur um dies ebenfalls gleich wieder zu bereuen, weil mich die dort brüllend vorgeführte cerebrale Insuffizienz zumeist aggressiv macht, hatte ich jedoch einen Einfall.
Highlight des Blattes ist neben den "Nachrichten vom Endstadium des Korsakow- Syndroms" unseres bestens bekannten Lieblingsreptiloiden die tägliche "In & Out- Liste"auf der letzten Seite, in der allerlei Viertel- bis Halbprominenz zum Teil haarsträubende Gemeinplätze von sich gibt.
Da will ich natürlich nicht hintenanstehen. Hier nun also

Die In & Out- Liste

(heute mit Stefan Gaffory [Molch, Zwolch und Drolch])

In:

Sonnentage im September- schönes Wetter macht gute Laune
Essen und Trinken- schmeckt und ist überlebenswichtig!
Unterwäsche wechseln- ansonsten Müffel- Alarm!

Out:

Krebs- tut weh und verkürzt das Leben
im Kreißsaal  rauchen- denkt mal jemand an die Kinder?
Beziehungsenden- mit Partner macht alles mehr Spaß
 

Dienstag, 2. September 2014

Das Zeitalter der Echsenmenschen

Ich merke gerade, daß ich viel zu wenig Zeit im Internet verbringe.
Eigentlich dachte ich bisher, schon soviel Wahnsinn erblickt zu haben, daß mich nichts mehr erschüttern kann; aber immer noch am Laptop eines Freundes in Berlin- Lichterfelde sitzend, bin ich auf der Suche nach neuem Material über die "Illuminatenstadt Karlsruhe" (siehe frühere Beiträge) mittlerweile in einem ganzen Dschungel absunderlicher Verschwörungstheorien gelandet.
Mein neuester Hit sind die "Reptiloiden": echsenähnliche Wesen, die zwischen ihrer Urform und einem menschlichen Erscheinungsbild hin- und hermorphen können und wichtige Posten in Politik und Medien besetzen. Anhänger für diese Theorie gibt es- wie sogar für den hanebüchensten Quatsch- doch einige, wie die Anzahl investigativer Filmchen auf You Tube vermuten läßt.
Das erklärt zwar einerseits, warum Angela Merkel aussieht wie ein Komodo- Waran; andererseits auch wieder nicht, warum die psychiatrischen Kliniken voll mit Leuten sind, die relativ geringfügige Defekte haben, während Menschen, die nun wirklich nicht mehr alle Tassen im Schrank haben, damit  ungestört hausieren gehen dürfen.
Eigentlich kann das ja nicht im Interesse unserer Echsenherrscher sein.

Berliner Impressionen oder: eine Stadt schafft sich ab

Sitze gerade in Berlin- Lichterfelde in der Wohnung eines Freundes und lasse meinen einwöchigen Aufenthalt Revue passieren.
Erfreulicherweise muß ich mittlerweile die Feststellung machen, daß ich weder den Wunsch noch die Notwendigkeit verspüre, hier noch einmal wohnen zu wollen und mir mein früher aufgeblasenes, mittlerweile teilweise irrwitzig expandierendes badisches Kaff samt meinem dortigen sozialen Umfeld ziemlich fehlt.
Aber das ist nicht die einzige Erkenntnis.
Vielleicht hatte ich früher kein Auge dafür, wie überlaufen die Stadt mittlerweile ist. Aber so sehr mich oftmals der Dünkel, die Arroganz und die latente bis offene Fremdenfeindlichkeit der (ironischerweise meistens zugezogenen) Berliner stören, kann ich nicht umhin, mittlerweile auch einen Hauch Verständnis für sie aufzubringen.
Vor allem am Potsdamer Platz sah ich mich mit einer hauptsächlich aus Touristen bestehenden Menschenmasse konfrontiert, die sogar in mir ein Gefühl der unangenehmen räumlichen Enge auslöste. Zudem scheint es für jüngere Berlintouristen einen Dress- und Verhaltenskodex zu geben, der einem schon als relativ Ortsfremden auffällt und auf den Sack geht:
a) trinke Bier und laufe ostentativ mit der Flasche durch die Gegend, und sei es morgens um zehn,
b) trage bei jedem Wetter und zu jeder Uhrzeit eine Pornosonnenbrille, denn in Berlin muß man cool sein.
Und wenn ich mir den mittlerweile völlig piefigen und uninteressanten Prenzlauer Berg anschaue, der eine Art Klein- Freiburg mit dem Flair eine Wohlfühloase für GRÜNEN- wählende Trommelworkshopspießer geworden ist und auf die Beobachtungen meiner in Berlin lebenden Freunde und Bekannten auch nur einen Pfifferling gebe, ist das nur der Anfang. Sogar mein geliebter Wedding, der im Zentrum immer noch so dreckig, unsympathisch und verranzt daherkommt wie in den Tagen, als ich noch dort wohnte, droht langsam seinen Widerstand gegen die Gentrifizierung aufzugeben und wird an seinen Rändern aufgehübscht; von Neukölln, das gerade komplett im Umbruch ist, ganz zu schweigen.
Natürlich ist es irgendwie absurd, den Verlust sozialer Brennpunkte zu betrauern; genauso, wie man die Feststellung treffen muß, daß eine lebendige Großstadt nun einmal ständig im Wandel begriffen ist.
Kreuzberg sah 1954 bestimmt auch noch nicht aus wie heute, genauso wie die Karlsruher Südstadt auch noch nicht seit Jahr und Tag als "Klein- Kreuzberg" bezeichnet wird. In Städten, in denen sich am Stadtbild und der Struktur seit 1949 nichts geändert hat, möchte man auch nicht wirklich wohnen, denn wenn keine äußeren Einflüsse absorbiert werden, werden sie wahrscheinlich von niemandem hereingetragen, und das heißt schlicht und einfach, daß dort keiner freiwillig hinwill.
Und natürlich zahlt Berlin auch die Rechnung für sein jahrelanges, permanentes und nervtötendes "Nabel- der Welt"- Gehupe.
ABER: diesen Wandel mit der Brechstange, der in dermaßen kurzer Zeit erfolgt, daß er sogar mir -der nun wirklich nicht lange hier gelebt hat- auffällt, finde ich trotzdem relativ erschröcklich; die Stadt hat kein charakteristisches Gesicht mehr, sondern nur noch eine amorphe Masse.
Und das hat Berlin nun wirklich nicht verdient.