Sonntag, 29. Mai 2011

Francisata

Ich traf letzte Woche eine gewichtige Entscheidung, die ich heute meinen Eltern mitteilte.
Nachdem ich mich in Berlin intensiv mit korsischer Geschichte beschäftigte, um endlich meine Bildungslücken aufzuarbeiten, hatte ich erst einmal einen gewaltigen Brocken zu schlucken.
Ich wußte ja schon, daß Frankreich als Kolonialmacht auf Korsika einige Sauereien veranstaltet hatte, aber das Ausmaß der Ungerechtigkeit, welches die sogenannte "Francisata" mit sich brachte, hat sogar mich in seiner Infamie noch überrascht.
Geplant war, Korsika einen französischen Charakter zu geben und die korsische Sprache und Kultur restlos auszulöschen.
Daß dies nicht mit Waffengewalt geschah, sondern mit einem jahrelangen Verbot eben dieser Kultur sowie der massenhaften Ansiedlung von Festlandfranzosen ("pieds-noirs" genannten Algerienrückkehrern), die die Korsen zu einer Minderheit auf der eigenen Insel machen sollte (und auch machte), ist dabei nebensächlich.
Daß sogar Namen französisiert wurden, ist eine genauso unfaßbare Tatsache (auch wenn mir die schon länger bekannt war), wofür mein Nachname das beste Beispiel ist: der Buchstabe Y existiert nämlich im Korsischen nicht, und eigentlich lautet der Name Gaffori.
Sogar vor historischen Personen hat das Ganze in seiner Konsequenz nicht haltgemacht: so wurde aus dem ersten Präsidenten eines eigenständigen korsischen Staates, der dieser von 1755-1769 tatsächlich einmal war, Pascal Paoli (anstatt Pasquale); und mein Vorfahr Ghjian- Pietru Gaffori, der einst Corti gegen die Genueser verteidigte, fristet seit geraumer Zeit sein Dasein in der Geschichtsschreibung als Jean- Pierre Gaffory.
Dies nur als kurzer Abriß zu einem Thema, das mir sehr am Herzen liegt und dem ich mich hier im Blog noch einmal gesondert widmen werde, auch weil ich im Rahmen meiner Möglichkeiten sehr engagiert in dieser Sache bin.

Die daraus resultierende Entscheidung war, daß ich die eigentlich geplante Wiederannahme meiner französischen Staatsbürgerschaft, die ich mit 18 abgegeben hatte, bis auf weiteres ablehnte... sollte ich sie doch annehmen, hängt das von der eventuellen Notwendigkeit ab, mich mit französischen Behörden auseinandersetzen zu müssen, sollte ich jemals in die Verlegenheit kommen, auf Korsika mit meiner dortigen Familie Erbangelegenheiten regeln zu müssen.
Mein Support für die französische Nationalmannschaft ist ein schwierigeres Thema; hier werde ich aus dem Bauch heraus entscheiden, denn lebenslange Sympathie läßt sich nicht plötzlich kappen. Allerdings werde ich künftig nicht mehr im Frankreichtrikot zu sehen sein.

Das führte heute zum folgenden Dialog mit meinen Eltern:
meine Mutter, die ja Deutsche ist, machte mir Vorhaltungen, ich würde meinen Vater kränken, wenn ich kein Franzose werden will, und es sei ein Affront.
Daraufhin mein Vater: "Ich verstehe das. Franzose bin ich auch nur, weil ich den Paß habe, aber Frankreich geht mir auch schon immer am Arsch vorbei. Ich bin Korse, fertig."

Samstag, 28. Mai 2011

Putzmeister Bronkowitz

Die Karlsruher Gourmetmeile befindet sich gegenüber dem Kronenplatz: drei glumpfige Dönerläden balgen sich da um Laufkundschaft.
Erschröcklich ist das Angebotene dort schon zu Zeiten, an denen noch Tageslicht das Elend illuminiert.
Nachts um Drei jedoch hat man die Auswahl zwischen einer Hühnermumie, serviert in einem Badeschwamm, oder Fett mit Fleischresten bzw. gleich einem kompletten Palminriegel mit Dönergewürz, gepackt zwischen zwei Fensterleder.
Genießbar ist dieser kulinarische Auswurf ab 1,8 Promille. Da hat man zumindest noch die vage Hoffnung, sich übergeben zu müssen, bevor der Unrat auch noch verdaut wird und Bestandteile davon im Körper verbleiben.
Aaah, tut das gut, das einmal losgeworden zu sein.

Wenn wir grad bei innerlicher und äußerlicher Reinigung sind: gestern hatte ich auf der Arbeit das unschlagbare Vergnügen, eine Oberflächendesinfektion im Arbeitsraum durchführen zu müssen.
Kurze Erklärung: man erhält einen Eimer mit irgendeiner Lösung sowie Gummihandschuhe und einen Lappen und darf dann Edelstahlwaschbecken und -oberflächen sowie die Plastikdeckel der Abwurfsäcke abwaschen. Damit ist man dann eine geschlagene Stunde beschäftigt.
Nun der Sinn dieser Anekdote: die Waschbecken hatten Wasser- und Kalkflecken, also verlangte ich Essigreiniger und bekam welchen, der von einer Firma hergestellt wird, die Kliniken und gastronomische Betriebe beliefert.
Ergebnis: mit ein oder zweimal wischen sah alles aus wie neu.
Geht man als Normalverbraucher in Supermärkte, erhält man lediglich Zeug, das nicht nur teuer ist, sondern mit dem man sich auch einen Wolf putzen kann, und das oft mit bescheidenem Erfolg.
Kommt es aber darauf an, ist es doch möglich, wirksames Reinigungsmittel herzustellen, das wahrscheinlich nicht erheblich teurer ist als das, welches man im Laden kaufen kann.

Jemals das Gefühl gehabt, völlig verarscht zu werden?

Dienstag, 24. Mai 2011

Die vergessene 1

Nun wird Bob Dylan also 70; gefühlt ist er das schon, seit ich ein Kind bin. Wahrscheinlich hat da jemand eine 1 vergessen, und er wird 170. Also müßte ich im Umkehrschluß bereits 137 sein.
Gefühlt bin ich das schon seit mehreren Wochen.
Schwer zu sagen, was am Jubilar unerträglicher ist: seine somnolente Stolpermusik mit Hans- Huckebeingesang und garstig durch den Kamm geblasener Mundharmonika (natürlich gibt es unter angenommenen 12 000 Songs auch Ausnahmen: "Hurricane" oder den "Subterranean Homesick Blues" winke ich gerne mal durch, dann ist die Schmerzgrenze aber auch schon in Sicht... wenn man einmal seine Urversion von "All Along The Watchtower" gehört hat, weiß man, daß die Version von Jimi Hendrix nicht zu unrecht als bestes Cover aller Zeiten gilt) oder seine Jünger.
Man hat schon Menschen erlebt, die jedes Gelumpe der alten Nebelkrähe in den Status eines gottgemachten Kunstwerks erhoben haben und jedem, der nicht konform ging, alle musikalische Ahnung inklusive Geschmacksempfinden absprachen... und das zumeist mit einem musikalischen Horizont, der bei Dylan anfing, mit Neil Young weiterging und bei Zappa aufhörte. Ansonsten war in dieser Einöde nichts zu finden.
Auch daß er die Rockmusik wie kein Zweiter beeinflußt habe und sich die Stones angeblich nach einem seiner Songs benannt hätten, ist ein Allgemeinplatz, der gerne vorschnell betreten wird.
Was die Stones angeht, sollte man- trotz Coverversion und Namensgleichheit- einmal Muddy Waters nachgoogeln. Und ansonsten einfach mal den Kopf zulassen und weiter Joan Baez hören.
Aber man will ihm nichts Böses, dem Bob. Nicht mal, daß sich einer unserer Unerträglichsten, der kölsche Mümmelmann Wolfgang Niedecken, der sich ja gerne für Dylans Bruder im Geiste hält, nicht entblödet, einen schwer unzurechnungsfähigen Geburtstagsstuß zusammenzuschmieren und in die BamS drucken zu lassen, bekanntlich Dylans Lieblingsblatt.
Dem Gruß kann man unter anderem entnehmen, daß Niedecken den Bob bereits zweimal persönlich getroffen hat. Das sei hier ebenfalls noch einmal mitgeteilt, denn einen anderen Sinn und Zweck hatte der ganze Scheißdreck auch nicht.
Manche Städte scheinen die musikalische Pest eh gepachtet zu haben: gilt Frankfurt weithin als Heimstatt der deutschmusikalischen Intelligentia, darf sich Köln damit brüsten, ständig Leute hervorzubringen, die der fixen Idee verfallen sind, irgendwelches vorhandenes Liedgut in ihren glumpfigen Dialekt übertragen zu müssen und ihm damit einen Gefallen zu tun.
So gab es in den frühen 90ern eine Band namens The Piano Has Been Drinking, welche ernsthaft glaubte, Tom- Waits- Songs schänden zu dürfen, noch bevor der obige Gratulant meinte, seine Leopardefellband (mit kölschen Covers von... ach, lassen wir das)gründen zu müssen.
Aus "16 Shells From A Thirty-Ought-Six" wurde da beispielsweise "16 Memme En D'r Vringmaschin". Mehr braucht man auch nicht zu wissen für die unumstößliche Überzeugung, das niemals im Leben hören zu wollen.

Also: maat et joot, Bob. Solltest du vorhaben, irgendwann in den nächsten 30 Jahren das Zeitliche zu segnen, weißt du ja jetzt, was du vorher noch dringend zu erledigen hast.

Sonntag, 22. Mai 2011

Liebe DFB- Pokal- Gewinner:

den DFB- Pokal in seiner heutigen Form gibt es laut "Wikipedia" seit 1964.
Das erste Endspiel, das ich live mitverfolgte, war das 3:1 der Frankfurter Eintracht gegen meinen FCK 1981, damals noch im Stuttgarter Neckarstadion.
Will heißen: viele Mannschaften hatten die Trophäe bereits in den Händen, und jeder Spieler meint scheinbar, er müsse ihr einen feuchten Schmatz aufdrücken.
Nein, ich möchte nicht wissen, wie oft der Pokal inmitten verschwitzter Männerleiber schon abgeschleckt wurde, oder welche Flüssigkeiten schon aus ihm in Münder rannen, die ein buschiges Popelsieb zierte; die Frage ist nur: wer spült das hinterher?
Gibt es irgendwo eine Frau Hermine Kowalski, irgendein uralter Ostzonenflüchtling in einer Kittelschürze, die das Ding am nächsten Morgen in die arthritischen Finger gedrückt bekommt und es dann liebevoll wienert und mit einem Fensterleder trockenreibt, damit es nächstes Jahr wieder irgendwelche Leute sorgen- und kontaminationsfrei vollsabbern können?

Antworten Sie. Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf.

Dienstag, 17. Mai 2011

Squarthausen

Ich arbeite ja momentan noch im eigentlich recht verschnarchten Ettlingen, das den Charme einer Kurstadt für Nachlaßverwalter mit Gonarthrose versprüht.
Seit gestern bin ich noch glücklicher als vorgestern, nicht dort wohnhaft zu sein.
Bisher dachte ich einfach nur, Ettlingen sei eine sterbenslangweilige Kleinstadt... nun hege ich die Überzeugung, daß sie auch der geistigen Unversehrtheit nicht zuträglich zu sein scheint. Zumindest scheint dort irgendwo ein Nest aus halbwegs unzurechnungsfähigen Verschwörungstheoretikern beheimatet zu sein, die sich sogar beim Sockenkauf vom Mossad beobachtet wähnen.
Als ich auf dem Weg zur Arbeit war, drückte mir gestern erst ein älterer Herr ein Flugblatt in die Hand, das mich unter dem Stichwort "Mind Kontrol" vor Organisationen warnen wollte, welche angeblich mein tägliches Leben manipulieren.
Als mich 100 Meter weiter eine erstaunlich absent wirkende alte Schleiereule im mausgrauen Trenchcoat ansprach und mir ein Faltblatt des "Vereins gegen den Mißbrauch psychophysischer Waffen e.V." in die Hand drückte, wurde es dann ziemlich sonderbar.
Unter der Überschrift "Heimliches Foltern und Morden mit elektronischen Distanzwaffen in Deutschland!" werden wir über "einen neuen weltweiten Genozid" informiert, aus "Rache, Ausländerhaß, Neid und Sadismus".
Denn "mit Strahlenwaffen können Verbrecher Menschen heimlich und unsichtbar gezielt foltern, manipulieren, krankmachen, quälen, in den Selbstmord treiben und töten."
Auf welche Weise das genau vor sich geht,erfährt man unter einer massiven Anhäufung von Allgemeinplätzen natürlich nicht... nur, daß es für einige Leute dringend Zeit wäre, ihre Medikamente zu nehmen.
Es sei denn, die Squarts hätten heimlich Ettlingen unterwandert, weil sie erfahren haben, daß ich dort arbeite.

Das erscheint plausibel. Ich habe Angst.

Freitag, 6. Mai 2011

Kurz: Kiez

Irgendwie ist der Spaßfaktor hier gerade recht hoch.
Was ich in Berlin vermißt habe: das Haus zu verlassen und sofort drei Leute zu treffen, die ich kenne.
Selbiges habe ich auch in KA- Mühlburg vermißt, was wahrscheinlich ein Grund dafür war, daß mir hier alles mögliche gewaltig auf den Sack ging... nun wohne ich in der Südstadt, und wenn ein Karlsruher Stadtviertel den Begriff "Kiez" verdient, dann dieses Miniatur- Kreuzberg, in dem man in sonnenüberflutetem Ambiente seinen Mittagskaffee inmitten alter, unrasierter Türken in grauen Anzügen und ebenso alter, zigarillostumpenfressender Italiener mit Hüten zu sich nimmt und dabei die um den Indianerbrunnen gruppierte Trinkerklientel beobachtet.
Das mag für den gerade seinen Wahlkreis ausspähenden Kandidaten der CDU wie ein Alptraum klingen, aber für Menschen, deren Glück nicht in einer Reihenhaussiedlung verborgen liegt ist das eher das Gefühl, halbwegs lebendig zu sein.
Ja, es gibt wenig zu schreiben momentan; es gab sehr viele Wiederbegegnungen, einige davon überraschend oder sehr bewegend (man glaubt in manchen Fällen gar nicht, was ein halbes Jahr Auszeit alles an der Wahrnehmung ändern kann), aber die bewahre ich fern des Blogs irgendwo anders auf.

Der Rest ist Schweigen, Schwelgen und Arbeiten. Es war schon enervierender.