Sonntag, 29. November 2009

Zivilcourage

Mittlerweile ist es fast acht Jahre her, daß ich in Hamburg- Altona mit einem guten Freund den dortigen Jazzkeller verließ, um in dieser Rockkneipe (deren Namen mir entfallen ist... aber sie liegt unter einer Straßenbrücke) noch ein Bier zu trinken.
Dazu kam es aber nicht... der Abend endete damit, daß uns eine Gruppe Jugendlicher grundlos anpöbelte, anschließend angriff und meine Wenigkeit auf offener Straße zusammengeschlagen wurde. Das Ergebnis waren ein gebrochenes Nasenbein und- infolge mehrerer Tritte ins Gesicht- eine aufgeschwollene Fresse und zwei blaue Augen.
Selbst meine eigene Mutter hätte mich drei oder vier Tage lang nur nach Vorlage meines Personalausweises erkannt.
Zeitsprung.
Es dürfte ca. fünf Jahre her sein.
Ich war spätabends auf dem Weg ins Carambolage in Karlsruhe und stand gerade an der Ampel in der Fritz- Erler- Straße, als ich mir gegenüber ein junges Pärchen gewahrte, das wohl einen Beziehungsstreit austrug.
Beide dürften wohl zwischen 16 und 19 Jahre alt gewesen sein. Das Mädchen weinte und hatte sichtlich Angst vor dem jungen Mann, der beschwörend auf sie einsprach und ihr den Weg verstellte; immer wieder wich sie ihm aus, bis sie schließlich im vorgelagerten Eingang der damaligen Buchhandlung landete, wo es nicht mehr weiterging.
Klar, dachte ich. Ich eile ihr zu Hilfe.
Doch dann machte ich einen großen Fehler. Ich dachte kurz nach, fünf Sekunden vielleicht nur, die reichten, daß mir Hamburg- Altona wieder einfiel. Das Nasenbein und die Tritte. Ab diesem Moment stand ich fast wie festgewurzelt, weitgehend gelähmt.
Ich taxierte den Jungen; er war gut trainiert, mir körperlich überlegen, war aufgebracht und agierte erregt.
Das Mädchen wurde immer kleiner und war ein heulendes Bündel Elend.
Und ich stand da, komplett unentschlossen... tat einen Schritt vorwärts, einen Schritt rückwärts, fischte mein Handy aus meiner Jackentasche, um eventuell die Polizei zu holen, steckte es wieder ein, tat wieder einen Schritt vorwärts, konnte mich zu nichts durchringen, und in meinem Magen war etwas zum Leben erwacht und sprang darin herum.
Nach langen, viel zu langen Augenblicken löste ausgerechnet ein eher studentisch- schluffig aussehender junger Mann mit zum Pferdeschwanz gebundenen Haaren und Mantel die Situation auf; ging auf den Jugendlichen zu und sprach ihn an.
Das Mädchen nutzte den Moment der Verwirrung und lief davon, während der Mensch, der Zivilcourage gezeigt hatte, beruhigend auf den Jungen einsprach und ihn daran hinderte, ihr hinterherzulaufen.
Die Situation war sehr aggressiv aufgeheizt, doch letzten Endes passierte... nichts.
Nur ein Großmaul, das sich seit seiner Jugend über nichts dermaßen echauffiert hatte wie über mangelnde Zivilcourage, passierte die Szenerie und verschwand in der Nacht.

Sonntag, 22. November 2009

Erfreue dich an den Blümchen am Wegesrand.

Vereinzelte Menschen, die einem per se nicht unsympathisch sind, wie Scheiße zu behandeln, nur weil es zum Image paßt, widerspricht meinem gesunden Menschenverstand, misanthropische Ader hin oder her.
Das nur als Anmerkung, nachdem ich einige ältere Posts von mir hier gelesen habe und zu der Erkenntnis kam, daß geschätzt 90% des Gesamttextes komplett polemisch sind.
Es kommen dann manchmal Leute und meinen, sie wüßten, daß man im tiefsten Innern ein herzensguter Kerl ist (und das nur, weil man sich nicht ständig wie ein Stinkstiefel benimmt), und das ist bei Menschen, die einen nur virtuell oder oberflächlich kennen auf gewisse Art und Weise entwaffnend, weil ein Beharren darauf, daß man tatsächlich zumindest größtenteils so sei, wie man schreibt, fast schon etwas Infantiles hat. Wie ein trotziges Kind, das mit dem Fuß auf den Boden stampft.
Das lasse ich hier jetzt einfach mal so stehen, ohne weiterführenden Kommentar.
Wenigstens habe ich als Titel mal etwas Positives genommen. Leider ist es mittlerweile zu frisch, um barfuß über eine taunasse Wiese zu tanzen.

P.S.: vor lauter Langeweile habe ich gestern mal alle tollen und bisher weitgehend von mir ignorierten Funktionen hier ausprobiert und das Layout geändert. Ich hoffe, es macht was her.

Samstag, 21. November 2009

Vom Pioniergeist (Der Tragödie zweiter Teil)

Nun, zu verhindern wird der Tunnelbau wohl nicht mehr sein.

Will ja scheinbar auch keiner. Was sind schon 22 000 Stimmen für ein Bürgerbegehren in einer Stadt wie Karlsruhe?
Immerhin: wir werden eine Attraktion. Touristenströme werden herpilgern, um zu sehen, wie Straßenbahnen unter die Erde verschwinden, um dann wie von Geisterhand am anderen Ende des Tunnels wieder aufzutauchen. Hui.
Ich frage mich, in welcher Welt die Tunnelbefürworter leben?
Zumindest mal in einer, in der das Überqueren der Kaiserstraße lebensgefährlich ist.
Hunderte Tote, die in den letzten zehn Jahren dort von Bahnen erfaßt wurden, sollten eine deutliche Sprache sprechen, wenn es sie denn gäbe. Wie können die Leute laut dieser Argumentation überhaupt eine Fahrbahn überqueren, an der keine Ampel steht? Jede stark befahrene Hauptstraße in einem Dorf ist gefährlicher.
Daß das Überqueren umständlich und nervtötend ist, genau wie der ewige Straßenbahnrückstau, steht außer Frage. Daß etwas passieren muß, auch.
Aber nicht ein derartiges Größenwahnprojekt.
In 11 Jahren, wenn der Tunnel laut Planung fertig sein müßte und ich dann noch leben sollte, weil ich in der Kaiserstraße noch nicht überfahren wurde, bin ich 47.
Sollte sich die Stadt dann wirklich durch den Tunnelbau in eine blühende Metropole verwandelt haben, werde ich öffentlich Abbitte leisten. Aber nur dann.

Bis dahin können wir ja Fernsehen schauen... einen Sender, der laut Fenrich dazu da ist, endlich wieder Werte in die Gesellschaft hineinzutragen.
bw- FamilyTV heißt der Quatsch und ist ein Ringelpiez mit Anfassen aus vollbärtigen, halb dementen Pfaffen in Wollpullovern, die denken, sie gäben praktische Lebenshilfe, Mundartköchen, die Hausfrauenrunden in Hotelempfangshallen bewirten, Ratgebersendungen in Studiokulissen mit dem Flair einer Mehrzweckhalle in Wolfartsweier und natürlich Bibel- TV bis zum Abwinken.
Welche Werte das in die Gesellschaft tragen soll, außer denen der Wahnsinnigen, die vor den Toren von Grünwinkel diesen Protztempel hingestellt haben und Leuten mit Depressionen in ihren Broschüren gerne den ernstgemeinten Ratschlag geben, einfach mal eine gepflegte Betsession hinzulegen, um ihre Dämonen zu vertreiben, danach wären sie dann geheilt, bleibt fraglich.
Aber zumindest läßt es mal gute Rückschlüsse auf das Weltbild unseres Oberheinz zu.
Und wenn man die Trennung von Kirche und Staat schon nicht offiziell aufheben kann, versucht man es halt durch die Hintertür.
Irgendwie wird das schon klappen.

Sonntag, 15. November 2009

Vom Pioniergeist (Der Tragödie erster Teil)

Man konnte es bereits ahnen, ohne sich jetzt auf prophetische Fähigkeiten berufen zu können:

nachdem die Gegner der Kombilösung 30 000 Unterschriften abgegeben haben, aus denen mit Biegen und Brechen nur 8000 ungültige herauszuholen waren (was de facto heißt: 8000 Karlsruher müssen doppelt unterschrieben oder sonst irgendeinen Quatsch gemacht haben. Nehmen wir es einfach mal hin, dermaßen offensichtlich für dumm verkauft zu werden), kam unser aller Heinz nun völlig überraschend zu der Feststellung, daß es aus fünf juristisch belegbaren Gründen keinen Bürgerentscheid geben kann und darf.
Die Frage, warum ihm das erst einfällt, nachdem er die 30 000 Unterschriften mit breiter Pratze bereits entgegengenommen hat, ist müßig; theoretisch hätte er das Bürgerbegehren auch bereits im Vorfeld im Keim ersticken können, hätte er seine Argumente gleich auf den Tisch gelegt.
Aber die Annahme, er hätte erst abwarten wollen, ob wirklich 20 000 Unterschriften zusammenkommen, um sich bei- sagen wir mal 16 455 gültigen- in seinem Triumph zu sonnen, sei mal erlaubt.
Es ist wirklich kaum noch zu fassen; ein Maß an Dreistigkeit, in dem wir nun wirklich alles andere als provinziell sind.
Nun bekommen wir also einen Infopavillon für 800 000 Euro, der uns allen erklärt, was die Kombilösung ist und warum wir sie gefälligst gutzufinden haben.
Nicht daß jeder Spong, der noch alle zehn Finger an den Händen hat, sich darüber im Internet informieren könnte; das scheint den Verantwortlichen doch zu weit hergeholt.

Die Argumente der Tunnelbefürworter sind stellenweise genauso niedlich:

"Legt man"
- schwafeln Ruth und Wolfgang Leser aus Karlsruhe glattwegs aus dem Kleinhirn in die BNN hinein- "den Schwerpunkt vornehmlich auf die Kosten der Kombilösung, ist zu fragen, ob mit dieser Einstellung die Leistungen für den Wiederaufbau in unserer kriegszerstörten Stadt so hätten erbracht werden können. Mut zu zukunftsweisenden Entscheidungen war damals in der Bevölkerung, in den Gremien der Stadt und in der Stadtverwaltung vorhanden.[...]Denn wer dem Motto frönt "Stoppt das Millionengrab" ist mutlos, er outet sich als ängstliche Krämerseele."

Man kann es ruhig mehrmals lesen, der ganze Quatsch stand wirklich so in der Zeitung, wie hier wörtlich zitiert.
Nicht weiter muß man wohl auf den hanebüchenen Vergleich zwischen dem Wiederaufbau der weitgehend eingeäscherten Innenstadt und dem Bau der Kombilösung einprügeln; das erledigt sich von selbst.
Und daß der Pioniergeist des damaligen Stadtrates uns nachwirkend in den 70ern- verbunden mit dem Abriß des Malschbrunnens, des Schützenhauses in der Karlsstraße, der Ruine des Großherzoglichen Hoftheaters und des Ständehauses und diverser anderer Entscheidungen, die einem beim Blättern in der illustrierten Stadtgeschichte die Tränen kommen lassen- einige der größten Bausünden der heutigen Zeit beschert hat, sei auch mal festgestellt. Ich bin mir sicher, auf die Bevölkerung wurde damals genausowenig Rücksicht genommen wie heute, und es ist ein Wunder, daß das Weltzienhaus noch steht, nach anhaltendem Bürgerprotest... was wiederum die Frage aufwirft, ob es diesen Protest erst seit dem geplanten Abriß des Weltzienhauses gab, oder ob dieser Bürgerprotest einfach so lange stoisch ignoriert wurde, bis er nicht mehr zu vertuschen war.
Aber egal, weiter geht es mit dem Pioniergeist... immerhin hat er dazu geführt, daß man in dem Glauben, es würde Ströme von Auswärtigen anlocken, drei riesige Einkaufszentren in kurzer Zeit hochgezogen hat, wovon die Postgalerie- mit der man es immerhin geschafft hat, daß das historische Gebäude der ehemaligen Hauptpost dermaßen mit Werbung zugeknallt ist, daß es soviel Erhabenheit ausstrahlt wie ein alter Mann , der von einem Unternehmen in lächerliche Klamotten gesteckt und ausgestellt wird- schon auf dem letzten Loch pfeift und die gesamte Kaiserstraße gleich mit in den Orkus nimmt.
Denn wer hierherkommt, geht gewöhnlich in die Einkaufszentren und fährt dann wieder nach Hause. Was soll er da noch in der Stadt?

"Herren und Damen, alle von Rang und von Namen, kommen zu uns... und fahrn gleich wieder weg." (Georg Kreisler, "Gelsenkirchen")

Donnerstag, 12. November 2009

Robert Enke

Ich würde lügen, würde ich behaupten, ich hätte ihn sonderlich ausstehen können. Dennoch erwischte mich die Meldung völlig unvorbereitet auf dem falschen Fuß.
Zwar dachte ich: "Hey, es bringen sich ständig junge Leute um, die du nicht kennst, also warum soll der dich jetzt mehr belasten als gewöhnlich?", aber auf meinem Heimweg drehten sich doch einige Zahnräder in meinem Gehirn.

Und als ich den nächsten Tag den Fernseher einschaltete und da ein Hannover-96- Fan ca. Ende 40 stand, der bitterlich weinte und in die Kamera hineinsprach: "Ein toller Torwart, ein toller Mensch, warum?", hatte ich kurz einen Kloß im Hals.

Wenn ein Mann, der einen Traumjob hatte und von Tausenden geliebt wurde (und wohl auch nicht der Unsympath war, für den ich ihn immer hielt), der eine kleine Familie und wahrscheinlich absolut keine Geldsorgen hatte, sich vor einen Zug wirft, muß er durch die absolute Hölle gegangen sein.

Wenn man mit seinen eigenen Dämonen fertigwerden muß, ist man scheinbar immer allein.

Zumindest hoffe ich, daß manche Leute über diesen "der hat seine Familie im Stich gelassen"- Scheißdreck, der natürlich unweigerlich aus diversen Ecken kommt, hinausdenken und sich mal informieren, was für eine Krankheit Depression wirklich ist... und daß das eben nicht bedeutet, auf dem Fensterbrett zu sitzen und melancholisch auf winterkahle Bäume zu starren, während im Hintergrund The Cure läuft. Für meinen Geschmack denken das immer noch viel zu viele.

Nichtsdestotrotz: Robert Enke R.I.P.

Sonntag, 8. November 2009

Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr

Ich fand Rammstein ja schon immer scheiße.

In erster Linie musikalisch; wäre Al Jourgensen tot (was er nicht ist... er sieht nur so aus) würde er sich angesichts dieser seit Äonen schlecht recycelten Ministryriffs aus den frühen 90ern im Grab rumdrehen.
Diese Baukastentexte mit einem Wortschatz, der sich im Bereich "Ich bin 47 Jahre alt, arbeitslos und ernähre mich vorwiegend von in Folie eingeschweißter Fleischwurst aus dem PENNY- Markt" bewegt, tun ihr übriges.
Kokettieren mit Nazisymbolik, Schwänze, Mösen und Panzer. Noch irgendjemand wach?
Nun haben sie es also zu einer Indizierung gebracht, nachdem ich "Pussy" in Berlin bereits im Radio hören durfte und es zum Greinen schlecht fand... oben zitierte Textzeile ist dermaßen peinlich, daß ich mich daran erinnere, vor Fremdscham mal kurz eine Augenbraue hochgezogen zu haben.
„Bei dir hab ich die Qual der Wahl, Stacheldraht im Harnkanal/Leg dein Fleisch in Salz und Eiter, erst stirbst du, doch dann lebst du weiter.“
Nun gut, um solche grottenöden Ekligkeiten ist es wirklich nicht schade, und das kann man auch guten Gewissens schreiben, ohne sich zwangsweise mit Leuten, die in ihrem Leben geschätzt siebenmal Sex hatten (vielleicht auch neunmal, zwei Fehlschüsse einkalkuliert) solidarisieren zu müssen.
Aber irgendwie sind Rammsteinfans, die als Kommentar zur Indizierung auch nur populistischen Quark à la "Man sollte mal die Bundesprüfstelle indizieren" von sich geben , was an Sinngehalt einem "Herr Ober, eine frisch zubereitete Hühnersuppe, bitte" gleichkommt... also irgendwie ist das doch alles dermaßen sinn- und trostfreier Quatsch, daß doch bitte alle weggehen sollen.

Freitag, 6. November 2009

"Looka yonder! A big black cloud come!"

Comes to Gaggenau.

Mein erster Morgen, Bahnhof Gaggenau.
Dunkel ist's, die Schleusen des Himmels sind sperrangelweit offen, und durch mein bräsiges Gehirn wälzt sich aus obskuren Gründen "Tupelo" von Nick Cave and the Bad Seeds, das Wort "Tupelo" beharrlich durch meinen derzeitigen Aufenthaltsort ersetzend, ob ich möchte oder nicht.
Nach drei Stunden Schlaf bin ich also nun in einer Stadt zum Arbeiten eingelaufen, die dermaßen uninteressant ist, daß das auf eine gewisse Art und Weise schon wieder fasziniert.
Eindrücke aus den folgenden Tagen:
Alles um den Bahnhof herum sieht neu und am Reißbrett entworfen aus... eine Art überdimensionierter Fußgängerzone aus Waschbeton und Straßenpflaster. Ein Laden neben dem nächsten.
Trotzdem sieht man zu jeder Uhrzeit kaum Menschen. Angeblich hat Gaggenau fast 30 000 Einwohner, und man fragt sich: wo sind die alle?
Auf meinem Weg zur Arbeit passiere ich einen massiven Hotelklotz. Die Verwunderung steigt noch: wer zur Hölle macht hier Urlaub? Wahrscheinlich übernachten hier manchmal Geschäftsleute, mag sein, aber im Vergleich zum ähnlich großen Speyer, das gegen diese Einöde wie das pulsierende Leben wirkt, gibt es hier auf den ersten, zweiten und dritten Blick noch nicht einmal etwas Geschichtsträchtiges oder baulich Interessantes, das einen längeren Aufenthalt lohnen würde.
Auf der Arbeit blicke ich aus diversen Fenstern im 4. Stockwerk: zumindest die Aussicht ist lohnend.
Viel Wald und halbwegs als solche erkennbare Berge, die dunstig verhangen sind, und die Stadt, die abgesehen von aus der Ferne herwinkenden Industrieanlagen von oben noch dörflicher wirkt... bei einem Photo aus dieser Perspektive hätte ich höchstens auf 6000- 8000 Einwohner getippt. Aber zumindest wirkt sie in ausreichendem Sicherheitsabstand fast schon malerisch.
Trotzdem hat man das Gefühl: hier wohnt niemand, so aseptisch wirkt das Ganze wieder bei näherer Betrachtung.
Man weiß nun, wie sich erzkonservative Menschen wahrscheinlich das Idealbild einer sauberen deutschen Stadt vorstellen.
Das Höchstmaß an Ausgeflipptheit sind ein paar verirrte Tags am Bahnhof und eine Kneipe, die "Krazy Känguruh" heißt.
Das Komische ist nur: so eklig wie es ist, irgendwie mag sich kein Groll aufbauen... wahrscheinlich bin ich nach meiner Rheinstetten- Episode ziemlich schmerzresistent. Vielmehr finde ich die Vorstellung, daß hier Menschen wohnen, und das dazu freiwillig, eher bizarr. Das ist dermaßen weit von meiner Welt entfernt, daß ich es mit einem Interesse betrachtet, das dem eines Kindes gleicht, welches irgendeinem seltenen Insekt zusieht, wie es durch den Straßenstaub kriecht.
Was hier weniger gruselig ist als in Rheinstetten, vermag ich nicht zu sagen.
Vielleicht hängt es wirklich an der Arbeit.
Grauenhaftes hatte ich erwartet, und das war vielleicht mein Glück, es ist nämlich der entspannteste Job, den ich seit langem hatte. Mag die Fahrerei mit der Bahn noch so umständlich sein (und einen vor allem mittags in noch größere Ödnis befördern, da ich regelmäßig in der "Schwarzwaldbahn" voller Ex-Beamter, Dorfschullehrer und Gemeinderatsmitglieder lande, die auf dem Weg zum Tagesausflug nach Konstanz oder zum Wandern in den Schwarzwald sind und in der eine 11minütige Zugfahrt gefühlte 111 Minuten dauert, bevor ich in Rastatt umsteigen muß... was das Erlebnis nicht aufregender macht):ich genieße momentan den Umstand, zu Fuß und nicht auf dem Zahnfleisch nach Hause zu kommen.

Damit beende ich meinen spannenden Erlebnisbericht aus Gaggenau mit ein paar weisen Worten:

"Oh Gaggenau, Perle des Murgtals! Gülden prunkender Hort der Freigeistigkeit! Mekka für Freaks und Aussteiger! Speerspitze architektonischer Avantgarde, in der das Leben pulsiert!"
(Vor Langeweile völlig delirante SMS an meinen besten Kumpel, am Montagmittag vom örtlichen Bahnhof abgeschickt)
"Ich muß gleich kotzen"
(Rückantwort)