Mittwoch, 12. Oktober 2011

9. Unsane: Scattered, Smothered & Covered

(erstmals veröffentlich am 06.01.2010, überarbeitet am 12.10.11)





Veröffentlicht:
1995

Erworben: 1995
im: Drogeriemarkt Müller (!), Landau/Pfalz

Trackliste:


1. Scrape
2. Alleged
3. Blame Me
4. Out
5. Can't See
6. Get Off My Back
7. Blew
8. Empty Cartridge
9. No Loss
10. Test My Faith
11. Ruin
12. Swim


Band:

Chris Spencer (voc/gt)
Dave Curran (Bass)
Vinnie Signorelli (dr)



Body Bomb

Irgendwann in Stuttgart, es muß ungefähr Mitte der 90er gewesen sein.
Unsane (in der bis heute gültigen Besetzung Chris Spencer, Dave Curran und Vinnie Signorelli), die gerade "Scattered, Smothered & Covered" veröffentlicht hatten, spielten einen furiosen Gig vor ca. 15 Zuschauern.

Die Band war laut Hörensagen bis dahin schon extrem geprüft worden... Charlie Ondras, der erste Drummer, der unter anderem auch bei Boss Hog spielte, war vom Heroin dahingerafft worden und Pete Shore, der ursprüngliche Basser, hatte aus irgendwelchen obskuren Gründen den Verstand verloren und sich in seiner New Yorker Wohnung verbarrikadiert, um sie jahrelang nicht mehr zu verlassen. Doch das sollte nur die Spitze des Eisbergs sein.

Nach der Show stiegen Chris und Vinnie zu uns herunter und luden uns ein, mit ihnen Party zu machen, denn mein Kumpel Rene war mal wieder dabei, den sie durch seine Labelarbeit kannten.
Ausschlagen konnten wir das Angebot natürlich nicht... und selten trat eine Band dermaßen freundlich, unarrogant und entgegenkommend auf.
Der Abend endete in einem Inferno aus Wodka Gatorade, Bier und Rauchwaren backstage... und spätestens, als Chris Spencer sich seines T- Shirts entledigte und oberhalb der Ärmelgrenze ein Einstichloch nach dem anderen sichtbar wurde, war klar: diese Jungs haben die Abgründe des Lebens kennengelernt.

Ich erfuhr eine Menge über eine Band, die bis heute zu meinen absoluten Favoriten zählt, da ein sichtlich gut eingeräumter Chris diverse Anekdoten aus seinem Leben zum besten gab, die von anderen Anwesenden verifiziert wurden... ein übles Konglomerat aus jahrelanger Heroinsucht, Obdachlosigkeit und Gewalt, das man diesem immer noch ausnehmend freundlichen Schreihals trotz der Brülligkeit seiner Musik niemals zugetraut hätte. Weiter ins Detail zu gehen, verbietet mir der Vorsatz, diverse der Geschichten vertraulich zu behandeln.
Aber das war noch nicht der traurige Höhepunkt... nachdem er 1998 auf der "Occupational Hazard"- Tour bei einem Konzert in Wien von irgendwelchen Assos halb totgetreten worden war und uns ebenfalls wieder backstage in Stuttgart eine gut 30 cm lange OP- Narbe zeigte, die daher rührte, daß ihm Teile des durch die Tritte verletzten Dünndarms entfernt werden mußten, wußte man einfach, warum die Band nicht anders klingen kann als ein Haufen Berserker, der dafür sorgt, daß man schon vom bloßen Anhören Schaum vor dem Mund kriegt.
Wer wirklich aus der niedersten Gosse kommt wie diese Jungs und Erfahrungen gemacht hat, die auf irgendeine Art und Weise verarbeitet werden MÜSSEN, kann keine schönen Melodien schreiben.

Wait To Lose

Die Bandgeschichte, sie muß kurz angerissen werden, da sie einige Dinge im voraus erklärt.

Das gleichnamige Debüt, das 1991 die Menschheit heimsuchte, wies schon nahezu alle Elemente auf, die die Band bis heute beibehalten hat.
Ein obligatorisches Blut- und Splattercover, das ich sensiblen Gemütern hier ersparen möchte, und das auf künftigen Platten (abgesehen vom Debüt und dem hier besprochenen Album) zumeist gestellt war, sowie die fruchtbare Zusammenarbeit mit Undergroundfilmer Richard Kern.

Die Musik: beulig mutierter Noiserock mit Blues- und Classicrockelementen, interessanterweise ziemlich weit von Metal entfernt, jedoch für Normalhörer dennoch ungenießbar... ein Soundbrei aus Gebrüll und Distortion, komplett durch den Verzerrer gejagt.

1992 folgte eine Singlescompilation, da die Band bislang hauptsächlich 7"es veröffentlicht hatte (und sich die Mitglieder mit ihrem ironiefreien Cover von "Four Sticks" auch als große Led- Zeppelin- Fans outeten).
1992 starb Charlie Ondras und wurde durch den Ex- Foetus- und Swansdrummer Vinnie Signorelli ersetzt, der nicht nur gut 10 Jahre älter war als der Rest der Band, sondern ihr auch einen straighteren Sound verpaßte.
Zu der Zeit galten Unsane in der damals florierenden Noiserockszene bereits als negative Ausnahmeerscheinung... räudiges, asoziales Pack, das beispielsweise von Steve Albini abgrundtief gehaßt wurde.

Umso verwunderlicher, daß die Band im Boom Anfang der 90er, als Majors alles unter Vertrag nahmen, was "anders" klang und eventuell ein zweites Nirvana versprach, mit "Total Destruction" auf Atlantic erschien.
Zwar enthielt das Album mit "Body Bomb" samt zugehörigem, wieder von Richard Kern gedrehten Clip, in dem sich ein Psychopath in einem Gebäude, das fatal an das WTC erinnert, mit einem Sprengstoffgürtel in die Luft jagt (was natürlich dafür sorgte, daß der Clip seit 2001 nirgends mehr zu sehen ist) einen absoluten Bandklassiker, verkaufte sich aber in ganz Europa nach zuverlässigen Quellen exakt 980- mal. Soweit zum Majordeal.

Danach Abgang Pete Shore, Auftritt Dave Curran, ein netter Junge mit Baseballcap, an dem nicht nur irritierend war, daß er eine Pumpgun auf den kompletten Unterarm tätowiert hatte, sondern in seinem Konsumverhalten und der Art, Konflikte zu regeln, dem Bandleader in nichts nachstand.
Vinnie Signorelli dagegen war der ruhende Pol der Band, der einzige, der wohl etwas Vernunft beizutragen hatte und weitgehend skandalfrei blieb, doch auch er konnte den Split der Band nach dem "Scattered"- Nachfolgealbum "Occupational Hazard" nicht verhindern.
Danach kehrte erst mal Ruhe ein... Dave und Chris lärmten in Seitenprojekten herum (das- sehr empfehlenswerte- von Chris hieß Cutthroat 9 und verfolgte den Unsane- Bluesrockeinschlag ein paar Meter weiter, klang aber dennoch wie eine Art Unsane light), bis plötzlich aus dem Nichts zu meiner großen Freude fünf Jahre nach dem Split mit der Song- und DVD- Compilation "Lambhouse" die Reunion eingeläutet wurde.
Darauf folgte das ganz okaye Album "Blood Run" (2005), bis die Band mit "Visqueen" 2007 die wohl beste und abwechslungsreichste Platte ihrer Karriere veröffentlichte, um gleich darauf zu verkünden, sie läge nun wohl wieder auf Eis.

Der mittlerweile in Würde gealterte und sein Leben wohl endlich im Griff habende Chris Spencer wohnt inzwischen phasenweise in Berlin, wo auch das Album "Halo" mit seinem neuen Projekt Celan entstand, das klingt, wie... ähm, Unsane.
Aber diesmal mit Geräuschspielereien, Postrockeinflüssen und verhaltener Elektronik.
Ein dauerhafter Aufbruch zu neuen Ufern? Wegen mir muß das nicht unbedingt sein.
Im Team der "dürfen auch 30- mal eine ähnliche Platte aufnehmen"- Bands stehen Unsane bei mir gleichberechtigt neben Slayer und Motörhead.

Scattered, Smothered & Covered


Ein simples Riff mit eingestreuten Wah- Wah- Effekten, und dann kommt das Geschrei, das aus einem noch halbwegs normalen, harten Rocksong mit verzerrten Gitarren und Distortion eine blutige Schürfwunde macht.
Lustigerweise war "Scrape" so etwas wie der einzige Hit der Band. Notorisch klamm wie sie war, stimmte sie einer Idee eines Herausgebers eines Skatemagazins zu, für lächerliche 150 Euro ein Video zusammenzustoppeln, das aus einer Reihe aneinandergeklebter Skateboardunfälle besteht, worauf MTV im Prä- "Jackass"- Wahn den Song auf "Heavy Rotation" setzte und somit einen aus der Verlegenheit entstandenen Billigclip aufwertete.

"Alleged" dagegen beginnt mit einer prägnanten Baßlinie und- tatsächlich- einer Mundharmonika, um dann nach dem Intro förmlich zu explodieren.
"Diese Platte würde ich meiner Freundin schenken, wenn sie die Angewohnheit hätte, mir beim Sex in die Eier zu treten... [...] und dann kommt der Mann mit der Mundharmonika, um zu vergewaltigen und zu töten."So die geisteskranke INTRO (diesmal das Magazin)- Rezension zu der Platte. Scheinbar fehlen einem da echt die Worte. Interessanterweise ist fast das ganze Album im Midtempo gehalten und steht musikalisch herkömmlicher Rockmusik mit Sicherheit näher als Slayer oder Mike Patton, und trotzdem scheint es Rezensenten und Hörer mit seiner Ruppig- und Sperrigkeit förmlich zu überrollen.

Bisher habe ich noch keine (!) Rezension- egal zu welcher Platte der Band- gelesen, in der nicht irgendwelche Gewaltmetaphern aus der Kopfschlächterei auftauchten (wozu die Covers mit Sicherheit auch ihren Teil beitragen).
Hört man Track 4 namens "Out", der an einen Bandschleifer erinnert und bei dem Chris Spencers Geifer förmlich aus der Box tropft, mag man das nachvollziehen können. Man hat einfach das Gefühl, jemand schmirgelt sich in einem Anfall von Wahnsinn die Haut vom Arm und macht den Schmerz dabei hörbar nachvollziehbar. Schwer leiernde, sägende Gitarren samt mutiertem Bluersrockriff, das aus dem Hintergrund unheildräuend hereinschneit, und ein Break vor dem Refrain... zwei, drei Atemzüge Pause vor einem Faustschlag in die Fresse.

Track Nummer 3 ("Blame Me") einer der beiden voranpreschenden schnelleren Songs der Platte, ist dagegen fast schon eine Befreiung von den ganzen zähen emotionalen Exzessen, denn darum geht es in den Texten hauptsächlich.
Auch wenn es die Covers anders vermuten lassen würden, werden keine körperlichen Gewaltexzesse abgearbeitet, sondern in erster Linie geht es um das Scheitern menschlicher Beziehungen, artikuliert an dem Punkt, an dem man es am Schlimmsten empfindet, um Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und die unsortierte Wut, die man in solchen Lebensphasen empfindet.

Wer nun wieder kopfschüttelnd den Spruch aus der Kategorie "das ist doch negative Musik, die keinerlei Lebensfreude ausdrückt" herauskramt, dem sei gesagt: davon abgesehen, daß es vermessen ist, von ehemals obdachlosen Junkies mit Knasterfahrung Texte über Lebensfreude zu verlangen, kann er auch nicht nachvollziehen, welch karthatischen Effekt diese Musik hat.
Diese Impulsivität und Explosivität, diese Ventilfunktion, die negative Energien einfach unter Hochdruck aus dem Körper entweichen läßt, anstatt daß man sie selbstmitleidig in sich hineinmümmelt, ist dem Wohlbefinden um einiges zuträglicher, als jemandem mit schlechter Laune die pure Lebensfreude demonstrativ unter die Nase zu reiben.
Davon abgesehen, daß ich die Platte auch hören kann, wenn draußen die Sonne scheint, ich blendend gelaunt bin, die Wiese blüht und tausend nackte Nymphen darauf tanzen, ohne daß es mein Gemüt auch nur ansatzweise verfinstert.

Weiter geht es mit "Can't See", das ein dominierend nervtötendes, Loopings schlagendes Noiserockriff auffährt sowie einem grummlig- brummelnden Fast- Instrumental namens "Get Off My Back".
Zwei Songs seien noch gesondert erwähnt, bis ich meine Rezension aus den üblichen Gründen ("alles gesagt") hier schließen will:

"Empty Cartridge" ist das beste Stück der Platte. Punkt. Ein kurzes Baßintro, bevor dann mehrfach übereinandergetürmte Gitarrenschichten alles plattwalzen, was da kreucht und fleucht.
Und auf "No Loss" darf dann mal Dave Curran herumschreien, klingt aber wie Chris Spencer, der die hohen Töne nicht mehr trifft. Nichtsdestotrotz ein guter Song (ja, Song... denn solche schreibt die Band tatsächlich), auch wenn man das Gefühl hat, daß jemand gesangstechnisch mit dem Fuß auf der Bremse steht.

Get Off My Back

Wieder mal eine Platte abgehakt... und zwar die einer Band, die ich seit Jahren unverändert großartig finde. Die ich bereits achtmal live gesehen habe. Von der ich mir nach wie vor alles ungehört kaufen würde. Die in mancher Phase meines Lebens sehr wichtig für mich war. Die trotz ihrer Vorgeschichte Fans gegenüber sehr sympathisch und offen gegenübertritt, ohne irgendwelche Allüren.

Habe ich irgendwas vergessen? Ich denke nicht, alle Kriterien für die Aufnahme in diese Liste sind erfüllt.
Somit bis zum nächsten Mal.



Dave Curran, Vinnie Signorelli, Chris Spencer

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