(erstmals veröffentlicht am 09.01.2010, überarbeitet am 12.10.11)
Erschienen: 1972
Erworben: ca. 1991, Musicbox Landau/Pfalz
Trackliste:
1. Bumblebee, Bumblebee
2. Hit The Road
3. Country Boy
4. Boogie With The Hook
5. T.B. Sheets
6. Letter To My Baby
7. Never Get Out Of These Blues Alive
Houston, wir haben ein Problem.
Wir brauchen in dieser Auflistung dringend noch ein Bluesalbum. Eines, das abwechslungsreich genug ist, daß man nicht ständig denselben Stiefel darüber schreibt. Eines, das puristisch ist, wie es der Verfasser dieser Zeilen bevorzugt, aber nicht so puristisch, daß es für geneigte Leser komplett unzugänglich wäre.
Nächstes Problem: Howlin' Wolf, Son House, John Lee Hooker oder Muddy Waters?
Den Streit zwischen Hooker und Waters, der auf einer anscheinend herzlichen gegenseitigen Abneigung der beiden fußte, ich kenne ihn bislang vom Hörensagen und habe als Beleg nur ein dementsprechendes Zitat aus einem Interview mit Hooker kurz vor seinem Tod 2001 gefunden.
Bezüglich der Wahl dürfte sich der großartige Muddy also im Grabe herumdrehen, aber es muß halt einmal sein.
Begonnen, Blues zu hören, habe ich nunmal mit John Lee Hooker.
1989 sah ich auf dem bereits erwähnten Super Channel den Clip zu "The Healer" mit, ähm, Carlos Santana, dessen Gitarrenklang mir heute dermaßen physische Schmerzen zufügt, daß ich beim besten Willen nichts mehr goutieren kann, wo der bereits seine Finger dranhatte. Davor ein damals bereits uralt aussehender Mann im Anzug, mit Hut und schwarzer Sonnenbrille.
Verdammt, wie cool war das denn?
Also legte ich mir im zarten Alter von 17 bereits erste Bluesalben zu, allerdings alle damals noch neueren Datums. Vieles davon war aus heutiger Perspektive gräßlicher Langweilerquatsch, allen voran Gary Moores Aufzugsmusik, die außer für Teilnehmer an Gitarrenworkshops, die auf ehrliche, handgemachte Musik stehen und dieses Beamtengegniedel für Blues halten, beim besten Willen nicht zu ertragen ist.
Irgendwann kaufte ich mir eine Compilation von Hookers Aufnahmen aus den 40er und 50er Jahren namens "Boogie Chillen", die das dänische Label APS veröffentlicht hatte (und die noch heute über eines meiner allerliebsten Covers verfügt, ein Farbphoto von John Lee Hooker vor irgendeinem Laden in Chicago[glaube ich], scheinbar aus den 50ern... beim Betrachten hat man das Gefühl, man könne einfach in das Cover hineinsteigen und wäre dann auf jener Straße) und ödete mich damit gewaltig. Gekauft hatte ich sie mir nach dem Ansehen von "Blues Brothers" wegen dem grandiosen Titeltrack, aber der Rest erschien mir furchtbar zäh.
Der Kontrast zwischen dem Hochglanz von "The Healer" und "Mr. Lucky" zu diesen sperrigen Aufnahmen mit ihrer blechernen Produktion schien einfach zu groß und extrem. Daß der gesamte Takt von Hooker oft auf einem am Boden liegenden Holzbrett mitgestampft wurde, war zwar ein interessantes Detail, rettete für mich damals aber nicht viel.
"Never Get Out Of These Blues Alive" war dann eine meiner letzten Anschaffungen in meiner Prä- Punk- Phase.
Daß ich anschließend stapelweise Platten aus meiner Sammlung entfernt habe, ohne meine Bluesscheiben anzutasten (auch wenn ich sie jahrelang nicht mehr hörte), spricht wohl Bände.
Als dann Jahre später die Oblivians, Lo- Lite, Mule, Billy Childish und Jon Spencer in mein Leben traten, die allesamt im alten Blues wurzeln und ihn auf ihre Weise- wenn auch teils bis zur Unkenntlichkeit- weiterentwickelten, und ich dann in Köln im Vorprogramm von Jon Spencer das Glück hatte, R.L. Burnside (R.I.P.) sehen zu dürfen, kehrte die Liebe zurück... nur, daß ich diesmal eben dem Album "Boogie Chillen" verfiel und mich Platten neueren Datums nicht mehr interessierten, außer sie erschienen auf Fat Possum.
Auch heute noch sind es vornehmlich Aufnahmen ab den 70ern abwärts, die bei mir großen Stellenwert haben.
Bei weiterführender Beschäftigung mit allerlei Geschichten trat die faszinierende Tatsache zutage, daß alte Blueser in der Regel ein Haufen räudiger Bastarde waren, oftmals verurteilte Mörder und Totschläger (Son House, R.L. Burnside, Leadbelly), Säufer, Zocker und Hurenböcke (wie die meisten früheren Jazzer übrigens auch, außer daß jene dazu noch fast durch die Bank durch heroinsüchtig waren), was von den heutigen Nachlaßverwaltern, für die Blues nur allzuhäufig eine Korsettstange für ausgedehnt virtuoses Gitarrengewichse ist, gerne mal unterschlagen wird (in nicht wenigen Fällen aus schierer Unkenntnis).
Nein, Blues ist keine Langweilermusik für alternde Bankangestellte. Was da aus dem Mississippidelta kam, war räudig, hatte Eier, war mehr Rock'n Roll als vieles, was sich heute dafür hält.
Da zählen für mich auch keine technischen und textlichen Finessen, das waren Leute, die zum Teil noch hart auf den Plantagen schuften mußten und abends auf selbstgebauten Instrumenten in irgendwelchen Spelunken für eine Flasche Whisky und eine warme Mahlzeit spielten.
Dieser Teil der Bluesgeschichte ist mittlerweile im wahrsten Sinne des Wortes gestorben, und das, was nun kommt, tangiert mich nurmehr peripher.
Danke, Jungs, ihr wart großartig, und ich hab euch lieb. Ganz ganz doll.
"Never Get Out Of These Blues Alive" befindet sich da ziemlich genau mittendrin. Zu alt, um glattgebügelt zu sein, aber trotzdem mit Gastmusikern wie Canned Heat und Van Morrison ausgestattet, die Hooker noch Hooker sein lassen, ohne ihn in ein modernes Korsett zu zwängen.
"Bumblebee, Bumblebee" ist ein relativ verhaltener Einstieg mit schlichtem Text um eine Frau, die davongelaufen ist, und ihren Stachel zurückgelassen hat, der immer noch schmerzt.
Ein sehr langsames Stück mit Gitarrenintro und einsetzender Orgel, das gegen Ende von einem merkwürdig zwischen Tiefton und singender Säge changierenden, aber trotzdem schneidenden Gitarrensound förmlich zerlegt wird und den Hörer aus seiner Lethargie erweckt.
Das ist auch gut so, den "Hit The Road" ist ein eingefadeter (wie fast jedes Stück der Platte... da hatte mal jemand eine Wahnsinnsidee. Aber es funktioniert trotzdem, weil die anschwellende Lautstärke eine gewisse Spannung aufbaut) flotter Boogie, dem ich die Wiederentdeckung dieser Platte verdanke.
Als ich 2002 mit musikalisch eher mainstreamlastigen Freunden nach Portugal fuhr, war die Suche nach musikalischem Konsens nicht gerade die einfachste. Auf Hooker konnten wir uns glücklicherweise einigen, und es war äußerst passend, zu "Hit The Road" und immer wieder "Hit The Road" über sonnenüberflutete Autobahnen zu heizen.
Ja, Autobahnen, richtig gelesen. Aufgrund meiner damals noch extremen Flugangst fuhren wir in einem kollektiven Anfall von Wahnsinn 33 Stunden am Stück durch, in zwei- bis fünfstündigem Fahrerwechsel.
Seitdem liebe ich diese Platte, auch wenn die Fahrt mörderisch war.
Nachts im Studio, geschätzt 1 Uhr 34.
Alle sind besoffen, die Aschenbecher quellen über, es riecht nach Schweiß, Bier und muffigen Socken, und es wird noch gejammt, bis der Arzt kommt.
"We're sitting here, cookin'. Everybody's... everybody's groovin'."
Aber hallo, "Country Boy". Das Landei, das in die große Stadt kommt und jemanden zum Liebhaben sucht, denn jeder nennt es Greenhorn, und es fühlt sich so allein.
Das 12- Bar- Schema trägt uns durch 7 Minuten, Howard Mitchell wichst scheinbar zugekokst auf seiner Klampfe herum, begleitet von Hookers existentieller Frage "Can you feel it?" (JAAAAH!!!) und außerdem: "Nobody loves me but my dear old mother, you know that makes me feel bad. Although I love my mother, I need others too to love me."
Wenn das mal kein Grund zum Saufen ist, weiß ich ansonsten auch keinen.
Da schummert und wummert schon wieder die Orgel, und los geht es zum "Boogie With The Hook" mit etwas nerviger Country- Fiddle, bevor es surreal wird:
"T.B. Sheets" ist wahrscheinlich das Bizarrste, was ein klassischer Blueser je auf Platte gebannt hat.
Eine wahnsinnige Geige zittert sich zu Orgelbegleitung und Schlagzeug durch einen Song, der eine apokalyptische Vision nach einem scheinbar bakteriologisch geführten Krieg darstellt.
Es gibt Transporter voller Leichen, während Hooker als Erzähler auf dem Totenbett dem Ende entgegendämmert. Sehr seltsam, und schaurig- schön.
Danach "Letter To My Baby". Ich maße mir mal an, die Textzeile "I wrote my baby a letter", die von jemandem gesungen wird, der bekanntermaßen sein Leben lang Analphabet war, eher unfreiwillig komisch zu finden (interessant daneben auch die Feststellung, daß Hooker noch dazu Stotterer war, der das Singen zur Therapie seines Sprachfehlers nutzte. Funktioniert erstaunlich oft: ein guter Freund von mir, der ebenfalls stottert, machte mal Deutsch- HipHop und rappt auch heute noch wie aus einem Guß... aber sobald er normal spricht, hakt es).
Ansonsten bleiben wir beim Schema "Langsamer Song/Boogie/langsamer Song", demzufolge auch der Closer der Platte mit Van Morrison ein Schleicher von niemals langweiligen 10 Minuten ist, in dem simple, aber umso treffendere Wahrheiten verkündet werden:
man hat den Blues, kann nichts essen aber raucht wie ein Schlot, schüttet schwarzen Kaffee in sich hinein, als gäbe es kein Morgen und fragt sich, wie zur Hölle man aus dieser Sache wieder lebend herauskommen soll, während Leute einem auf die Schulter klopfen und "Das wird schon wieder" sagen.
Der Text wirkt frei improvisiert, jedes Saiten- und Tasteninstrument steht mal im Vordergrund und wird wieder zurückgenommen, also gehe ich davon aus, daß dies ebenfalls das Ergebnis einer Jamsession ist.
John Lee Hooker hat im Laufe seiner Karriere hunderte von Songs aufgenommen, darunter Dutzende Male immer dieselben Stücke.
Davon mag man halten, was man will.
Vieles wurde auf obskuren Labels veröffentlicht, um möglichst viel Geld herauszuschinden, da er jahrzehntelang von der Hand in den Mund lebte... um Vertragsstreitigkeiten aus dem Weg zu gehen, erschienen sie zum Teil unter Pseudonymen wie "Johnny Lee" und "John Lee Booker", wobei letzteres ja eine geradezu perfekte Tarnung ist.
Ich werde wahrscheinlich niemals alle Songs hören, auch wenn ich mir weiterhin Platten von ihm kaufen werde, bis mein Plattenfach aus allen Nähten platzt.
Darum: für einige wird Blues mit Sicherheit immer noch die langweiligste Musik der Welt bleiben.
Warum er dagegen das für mich nicht ist, sondern eine Musikrichtung, die "cooler" und interessanter ist als ihr Ruf, konnte ich anhand dieser Rezension einer Platte, die stellvertretend für viele andere stehen soll (nochmal: Howlin' Wolf. Muddy Waters. Lightnin' Hopkins. Son House. Beide Sonny Boy Williamson, der ermordete erste und sein Nachfolger, der sein Pseudonym übernahm. Robert Johnson. Big Joe Turner. Sleepy John Estes. Lowell Fulsom. Elmore James. Leadbelly. Und, und und.), hoffentlich vermitteln.
Mittwoch, 12. Oktober 2011
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