Freitag, 28. Oktober 2011

12. Public Enemy: Fear Of A Black Planet

(erstmals veröffentlicht am 19.04.2010, überarbeitet am 28.10.2011)




Trackliste:


1. Contract On The World Love Jam
2. Brothers Gonna Work It Out
3. 911 Is A Joke
4. Incident At 66.6 FM
5. Welcome To The Terrordome
6. Meet The G That Killed Me
7. Pollywannacraka
8. Anti- Nigger Machine
9. Burn Hollywood Burn
10. Power To The People
11. Who Stole The Soul?
12. Fear Of A Black Planet
13. Revolutionary Generation
14. Can't Do Nuttin' For ya Man
15. Reggie Jax
16. Leave This Off Your Fuckin' Charts
17. B- Side Wins Again
18. War At 33 1/3
19. Final Count Of The Collision Between Us And The Damned
20. Fight The Power


Erschienen:
1990

Erworben: 1991, Musicbox Landau/ Pfalz


Karlsruhe, Kreuzung Karlstraße/Kaiserstraße.


Irgendein beliebiger Sommertag in den 00ern. An der Ampel steht ein protziger schwarzer BMW, am Steuer ein olivfarbener Mensch mit sorgfältig eingeöltem Haupt und klopft auf dem Lenkrad den Takt irgendeiner Ziegenscheiße mit, die brüllend laut aus seinen Boxen bläkt und wummert.
Das könnte irgendwas aus der No- Limit- oder Bad Boy- Fließbandproduktion sein, die alle Nase lang irgendeine Maschine anwerfen, die identisch klingenden Plastikschrott produziert, mit null Aussage und Gehalt außer Bitches, BlingBling und dicken Autos. Und in jenem erblickten Fall paßt die Verpackung zum Inhalt.

Dabei war das alles einmal ganz anders. Früher war alles besser; dieser Satz ist eigentlich verboten, doch früher war TATSÄCHLICH alles besser.
Zumindest damals, als HipHop noch kein Massenphänomen war und man sich mit alternden Rockdeppen und ihrem Gefasel von der Musik, die keine ist ( und singen tun sie auch nicht richtig... und alles klingt gleich. Irgendwas vergessen?) herumschlagen mußte, ohne ihnen partiell recht geben zu müssen.
Was heute im Underground großartig vor sich hinwuchert, fand damals im Mainstream statt, und Kommerzsound waren MC Hammer und Salt'n Pepa, die aber zumindest noch teilweise erträglich waren.
Heute sind nicht mal mehr Mobb Deep erträglich, in Zeiten absoluter stilistischer Gleichmacherei, und das ist traurig genug.


Als ich 1991


mit meinem Realschulabschluß in der Tasche und vielen guten Wünschen in die Lohnsklaverei entlassen wurde, lebte ich gerade im Umbruch.
Noch befand ich mich in meiner kurzen 70er- Rockphase, die meine noch schlimmere vorpubertäre Pop- Phase abgelöst hatte.
Daheim hörte ich Pink Floyd, die alten Genesis, Jethro Tull (keine Kommentare, bitte) und die Doors, auf meinem Abschlußphoto trage ich eine gar grausige Frisur zur Schau und grinse in einem Led- Zeppelin- T-Shirt in die Kamera und allgemein war ich ein recht friedfertiger Zeitgenosse. Dachte ich.

Der erste Wirkungstreffer, der es mir erschwerte, die Spur zu halten, war in Form von Slayers "South Of Heaven" bereits erfolgt.

Ein paar Monate später folgten "Smells Like Teen Spirit", erste Punkkonzerte, vermummtes Mitmarschieren auf Demos und mit Flaschen und Dachlatten auf Neonazis losgehen (oder sich zumindest mal einzubilden, man täte es).
Dazwischen lag aber noch was.

Bis dahin besaß ich genau zwei Rap- LP's, nämlich "Licensed To Ill" von den Beastie Boys (ein Geschenk zu meinem 13. Geburtstag) und Tone- Locs "Loc-ed After Dark".
Das reichte mir bis dahin eigentlich auch.

Erschwerend kam hinzu, daß sich die Realschule in eine Metaller-, eine Rapper-, eine Popper- und eine Faschofraktion irgendwelcher Störkraft und Endstufe hörender Vollpfosten (die aber mit fortschreitendem Alter bis auf eine auch ziemlich gewalttätige Ausnahme alle nichts mehr damit zu tun haben wollten, muß man fairerweise erwähnen) spaltete.
Dazwischen: ich.
Metal? Kam nicht in Frage. Rap? Die Typen machten sich immer über meinen Musikgeschmack lustig. Aber mein Klassenkamerad trug ein recht militant aussehendes Public- Enemy- T- Shirt, das ich irgendwie faszinierend fand.
Auf unserer Abschlußfahrt nach Paris lieh ich es mir auch aus und spazierte damit herum, zum allgemeinen Erstaunen der restlichen Bagage.

Mein erstes Gehalt sollte bald kommen.

Ich machte ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Altersheim im Nachbardorf und durfte- da ich den Beruf ja lernen wollte- arbeiten bis zum Umfallen. Dafür erhielt ich immerhin stolze 300 Mark im Monat; eine Summe, bei der man sich überlegt, ob man dafür nun in Urlaub fliegt oder sich ein neues Auto kauft. Zum Glück ist diese Ausbeutung junger Leute mittlerweile zurückgefahren und das Gehalt erhöht worden.
Ich wollte mir von meinem ersten selbstverdienten Geld CD's kaufen.

Laut meinem schlauen Buch, das ich damals noch führte und in dem ich meine Neuerwerbungen auflistete, waren das "Unreal World" von den Godfathers, weil mich die gleichnamige Single samt Video auf "Super Channel" weggeblasen hatte; "Metallic 2x K.O." von Iggy and the Stooges aus der Ramschkiste, die jahrelang ungehört bei mir verstaubte, und... genau.

"Fear Of A Black Planet" von Public Enemy, einer spontanen Eingebung folgend.
Der Bann war gebrochen, das Tor aufgestoßen, mein endgültiger Weg zum HipHop gepflastert.
Als nächstes folgte laut schlauem Buch gleich "Straight Outta Compton" von N.W.A.


Public Enemy waren damals


schlicht und ergreifend der heiße Scheiß der Stunde.
Normalerweise sollte einen bei dieser Phrasierung der Blitz treffen, aber es war so.
Vor allem weiße Hipster vom Schlage des "TEMPO" (immer noch ein ganz furchtbares Arschlochheft, das wohl der Hauptschuldige an dem abgehangen weitläufigen Metropolengesabbel heutiger Coolnessbarometerträger ist) nahmen die Band gerne als ihre Wichsvorlage, und vornehmlich Bands aus dem linken Kontext trugen als Zeichen ihrer Weltoffenheit ihre T- Shirts mit dem berühmten Logo zur Schau.

Es lag wohl daran, daß die Band damals mit großer medialer Beachtung eine Kontroverse nach der anderen provozierte.
Nicht alle waren dazu angetan, dem gesunden Menschenverstand genüge zu tun.
Rassistische Ausfälle; die S1W (Security Of The First World), die bei Livekonzerten mit Uzi- Attrappen bewaffnet seltsame Gymnastik vollführte; ihr Anführer Professor Griff (ein Schwarzer mit indianischer Mutter), der wegen übelster antisemitischer Äußerungen, die dermaßen debil waren, daß ich sie hier (zumindest an dieser Stelle, sagt edit) nicht wiedergeben mag, auf öffentlichen Druck hin eine zeitlang aus der Band ausgeschlossen und später rehabilitiert wurde; die Ergebenheit dem Black- Muslim- Führer Lewis Farrakhan gegenüber, dessen ebenfalls offen zur Schau gestellter Judenhaß die Grunzdummheit seiner Äußerungen zu Weißen noch übertraf.
Dazu ein Uhr- um- den- Hals- tragender goldbezahnter Kasper namens Flavor Flav, der immer mal wieder an der Crackpfeife und deswegen im Knast landete.

Was war also dran an der Liebe des weißen Mannes zu dieser schwanzlurchigen Band?
Mag es das Eingeständnis eines kollektiven Schuldbewußtseins sein, das zur Folge hatte, daß man Schwarzen nichts vorzuschreiben hatte, bevor man nicht vor der eigenen Tür kehrte; mag es die Lust am Polarisieren gewesen sein, daß man sich mit dem Logo von radikalen Schwarzen schmückte (was ja nicht neu war, denkt man zurück an die MC 5 in den 70ern und ihren Versuch, sich an die Black Panther Party heranzuschleimen, die aber nichts von ihnen wissen wollte)... in meiner damaligen Naivität zog ich diese beiden Möglichkeiten.
In meinen Augen durften Schwarze alles, um zu schockieren; sogar Faschisten wie die Brand Nubian oder den X- Clan, die ich auch heute noch gerne höre, aber mit deutlich mehr innerer Distanz.
Ein Thema, über das man sehr ausführlich diskutieren kann; darum sei es hier nur angerissen.

Man muß Public Enemy zugutehalten, daß sie durchaus den Kontakt zu progressiven weißen Künstlern aufnahmen; Namen wie Jello Biafra und Sinead O'Connor tauchen in den Albencredits auf, später folgte die Kollaboration mit Anthrax, wobei Scott Ian- selbst Jude, sei erwähnt- wohl auch privat mit Chuck D. befreundet war.
Das Album erhielt vom ME/SOUNDS damals ***, soweit ich mich erinnere- mit dem Fazit, daß Chuck D. manchmal "merkwürdig kraftlos klänge, so als könne er seinen eigenen Worten nicht mehr trauen".

Dann frage ich mich aber, wie die Phase nach "Apocalypse 91" samt dem langen Marsch der Band in die völlige Bedeutungslosigkeit zu bewerten ist.
Trotzdem gab sogar der ausgewiesene HipHophasser und Schnarchsack Frank Laufenberg der Platte im Heft ***, er, der sonst alles mit einem Stern abwatschte, was nach Rap klang. Also MUSSTE diese Platte etwas Besonderes sein.

Seltsam war sie auf jeden Fall. Größtenteils bestand sie einfach aus Lärm. Sirenen, wild eingestreute Samples und Chuck D., der gegen mehrfach aufeinandergetürmte Soundschichten anrappt, mit seinem weitgehend unfließenden, aber extrem harten und pointierten Stil, zu dem auch das herrische Timbre seiner Stimme beiträgt.
Die Platte beginnt mit dem kurzen Instrumental "Contract On The World Love Jam", in dem Zitatfetzen aus den Medien zur Band auftauchen (Zitat dazu aus der ME- Rezension: "Die Band schmust im alternativen Lovers- Rap." Und das völlig ironiefrei. Ob da wohl jemand etwas mißverstanden hat?), danach wird es sofort nervig mit den rhythmisch zerhackten James- Brown- Schreien und einem furchtbaren Zahnarztbohrergeräusch, die sich durch "Brothers Gonna Work It Out" ziehen.

Die Texte sind- wie üblich bei Public Enemy- dermaßen codiert, daß man schon eine gewisse Anleitung braucht, um die ganzen Zitate und Anspielungen zu verstehen.
Darum hat es auch einige Zeit gedauert, bis ich verstand, warum die Passage aus dem hektischen, besten Track der Platte namens "Welcome To The Terrordome", in welchem Chuck D. die Vorwürfe der Medien gegen die Band in Sachen Professor Griff kommentiert, sofort eine großangelegte Antisemitismusdebatte auslöste:


Crucifixion ain't no fiction
So called chosen frozen
Apology made to who ever pleases
Still they got me like Jesus


Vielleicht, weil diese Aussage antisemitisch IST? Oder ist es vermessen, wenn der böse Jud (von den "So-called chosen") sich aufgrund von Äußerungen wie "Die Juden sind verantwortlich für alles Böse in der Welt, sie finanzieren AIDS- Experimente mit Schwarzen in Südafrika" aufregt und eine Entschuldigung der Band verlangt?
Nach "Welcome To The Terrordome" wartete jedenfalls sogar einmal die rechtsextreme Jewish Defense League nach einem Konzert der Band am Ausgang. Mit Baseballschlägern.

Trotzdem: der Track ist großartig. Und Antisemitismus gehört nun wahrlich zu den Dingen, die mir bisher im Leben nicht allzuhäufig vorgeworfen wurden.
Doch linkes Selbstverständnis wird gleich noch einmal auf die Probe gestellt, und zwar im nur 17- sekündigen "Meet The G That Killed Me" (ein "G" ist die Kurzform von "Gangsta", das zum besseren Verständnis), dem lustigen Track über AIDS:


Man to man
I don't know if they can
From what I know
The parts don't fit
(Ahh shit)
How he's sharin' a needle
With a drug addict
He don't believe he has it
(Either)
But now he does, he doesn't know cause he
Goes straight to a ho
Tell you what who was next on the but
Wild thinin' on a germ
Runnin' wild
Yo stop
But the bag popped


Also hätten wir Homophobie im ersten Teil hier auch abgehakt.

Danach "Pollywanacraka", an dem man wunderbar verdeutlichen kann, wie die Band ihre Texte verschlüsselt:

"Polly wants a cracker?" ist in den USA ein Spruch, der Papageien gerne vorgeplappert wird; "Cracker" ist aber ebenfalls eine abwertende Bezeichnung von Schwarzen für Weiße, vor allem aus den Südstaaten; demzufolge geht es in dem merkwürdig surrealen Track mit seinem geraunten Sprechgesang um eine Sista namens Polly, die sich unbedingt einen reichen Weißen angeln will.

"Burn Hollywood Burn" ist dagegen ein herrlich punchender Track, in dem zusammen mit Ice Cube und Big Daddy Kane die Rolle der Schwarzen in frühen Filmen beleuchtet und gleichzeitig auf den damaligen Oscarpreisträger "Driving Miss Daisy" eingedroschen wird als Beweis, daß das alte Hollywood mit seinem Rassismus noch nicht tot sei.
Da spielt Morgan Freeman eine gutdotierte Rolle als Chauffeur und zieht sich damit den Haß der gesamten Black Community zu; das Leben ist doch eines der Schönsten.

Es wäre müßig, hier jeden Track zu besprechen; herausgehoben wären noch der eher mäßige Titeltrack mit seiner gesampelten Fortpflanzungslehre, die da besagt, daß bei Kreuzungen zwischen schwarz und weiß generell ein schwarzes Baby herauskommt und wir (bzw. Gegner der Rassenmischung) uns deswegen eben vor einem schwarzen Planeten ängstigen.

In "B- Side Wins Again" heißt es gar

"And the sucker on the right gets cynical
Cause the record's to the left and political"


Nach Prüfung aller Indizien halte ich das "to the left" zwar für ein Gerücht, aber als Beruhigungsdragée für die weiße Intelligentia funktionierte das scheinbar.
Das letzte Drittel der Platte ist übrigens das stärkste.

Eben genannter Track mit seinen leicht versetzt gedoppelten Raps, der hektische Terrorangriff "War On 33 1/3" und natürlich die Single "Fight The Power", die in Spike Lees "Do The Right Thing" zu Ehren kommt und eine von mir gerne zitierte Textzeile beheimatet:

"Elvis was a hero to most
But he never ain't shit to me
Because straight up racist that sucker was simple and plain
Motherfuck him and John Wayne"


Provokation ohne Ende,

deswegen durchweht die Platte ein Geist von Punkrock. Kontrovers, radikal und böse, nervtötend und gewagt.
Mit Sicherheit kein Album, das man Einsteigern empfehlen würde, dafür ist es zu hektisch und zerfasert... auch wenn es bei mir funktioniert hat.
Danach folgte das um Längen bessere "Apocalypse 91" und mit dem Video zu "By The Time I Get To Arizona" noch einmal der letzte große Aufreger, weil darin ein Doppelgänger des Gouverneurs von Arizona, das sich zusammen mit New Hampshire als einziger Bundesstaat weigerte, einen offiziellen Gedenktag für Martin Luther King einzuführen, von der S1W per Autobombe erledigt wird (Ulrich Wickert berichtete darüber in den Tagesthemen und sprach die legendären Worte, daß PE zwar radikal seien, aber nichtsdestotrotz gute Musik machten).

Danach wurde es finster. Grausige Platten (hat es jemals jemand geschafft, "There's A Poison Goin' On" gutzufinden?), gute Platten, die aber niemanden mehr interessierten, ein mittlerweile völlig entrückter Flavor Flav, der als Depp vom Dienst in einer Schwachsinns- Sendereihe auf MTV mit einem goldenen Wikingerhelm auf dem Kopf an Brigitte Nielsen herumschrauben darf und ein Chuck D., der sein angedrohtes "Rock"- Projekt tatsächlich "Confrontation Camp" nennen wollte und ansonsten immer mehr in Vergessenheit gerät.


Es gibt sehr viele HipHop- Platten,


die eigentlich hier hereingehören: Alben von A Tribe Called Quest, Gang Starr, Ice Cube, Cypress Hill (das Debüt), N.W.A., BDP, Wu- Tang Clan, MC Serch (Ja. Immer noch.), und, und und... aber über keines kann ich sonderlich viel schreiben.
Doch "Fear Of A Black Planet" gibt massig Material her.

Das beste PE- Album ist "Apocalypse 91", eine Platte ohne Ausfall, was man von "Fear Of A Black Planet" nicht unbedingt behaupten kann; "Leave This Off Your Fuckin' Charts" braucht beispielsweise kein Schwein.
Aber es mag nicht die beste HipHop- Platte sein, die ich besitze; doch mit Sicherheit ist es die wichtigste, die mein Leben nachhaltig beeinflußt hat.
Und dafür liebe ich sie.

2 Kommentare:

  1. Hab ich mir heuer im Zuge einer Amazon-Aktion gegönnt.
    Meiner Meinung nach ein absolut geniales, zeitloses Hip Hop-Album, welches zeigt, wozu die Macht der Worte mal fähig war (besonders Fight the Power, der beste Hip Hop Track, den ich kenne, aus dem genialen "Do the Right Thing"). Der Post war auch toll geschrieben, werde mir auch mal "It Takes A Nation of Millions..." respektive "Apocalypse '91" gönnen ;)

    What counts is that the rhyme's/Designed to fill your mind/...

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  2. Seit langer Zeit mal wieder ein Kommentar, und dann noch ein lobender von jemandem, der nicht aus meinem Bekanntenkreis kommt. Besten Dank!

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