(erstmals veröffentlicht am 20.09.2008, überarbeitet am 09.10.2011)
Veröffentlichung: 1990
Erstanden: 1990, in der "Musicbox", Landau/Pfalz
Trackliste:
1. Home
2. Main Street Eyes
3. I Won't Crap Out
4. Candy
5. Butt Town
6. The Undefeated
7. Moonlight Lady
8. Somethin Wild
9. Neon Forest
10. Starry Night
11. Pussy Power
12. My Baby Wants To Rock'n Roll
13. Brick By Brick
14. Livin' On The Edge Of The Night
a) Iggy und ich
Iggy Pop. The Stooges. Jahaha. Protopunk blablubb. "Lust For Life", jaja, soweit so gut. Und irgendwann dann ein Haufen Grütze. Abgehalfterter alter Bock mit einem Haufen Scheißplatten. Selten konzentrierte sich der Allgemeinkonsens in einem riesigen Backkatalog so sehr auf dermaßen wenige Veröffentlichungen.
Wann Iggy in mein Leben getreten ist?
Relativ früh, wenn auch zuerst nur als Anhängsel von David Bowie wahrgenommen, von dem ich mit 13 großer Fan war, bezeichnenderweise ebenfalls in seiner absoluten Stußphase... die "Let's Dance" war meine erste Bowieplatte, die mir heute immer noch sehr gut gefällt,auch wenn mich richtige Bowiefans (zu denen ich mich nicht mehr zähle, obwohl ich eine handvoll Platten von ihm besitze, die ich mehr ["Heroes"] oder weniger ["Scary Monsters"] mag) dafür wohl teeren und federn oder mindestens für inkompetent halten dürften. Aber ich tue mir schwer mit Vaudevillemusik, mir fehlt das Kleinkunstgen zu mindestens 90%, und ich glaube auch, darüber nicht sonderlich unglücklich zu sein.
Als ich 15 oder 16 war, führte der Radiosender SDR 3 seinen ersten Guinessweltrekord mit der längsten Hitparade aller Zeiten durch (den sie ein Jahr später noch einmal toppten), die aus eingesandten Postkarten von Hörern erstellt worden war.
Diese dauerte eine Woche und umfaßte 1501 Plätze (Erster wurde übrigens "Stairway To Heaven").
Ich, damals schon ein Musikfreak mit einer gar gruseligen Plattensammlung von knapp 100 LP's, die zu geschätzt 85% aus Scheiße bestand sowie einem Hang zum Erstellen von Listen (eine Plattensammlerkrankheit par excellence) war damit natürlich im Paradies. Eine Woche verließ ich (außer um zur Schule zu fahren) kaum die elterliche Wohnung und saß mit einem Stapel Leerkassetten vor meinem schrottigen Radio mit Doppeltapedeck, um allerhand mitzuschneiden.
Das war eine Art musikalischer Crashkurs... vieles (vor allem aus den 60ern und 70ern) kannte ich noch gar nicht (bis dato hatte ich noch nie einen Ton von Led Zeppelin gehört, zum Beispiel...) Natürlich fiel ich zuerst einmal Sachen anheim, die mir heute nicht immer nachvollziehbar erscheinen.
Jethro Tull. The Doors. The Edgar Broughton Band. Bachman Turner Overdrive. Golden Earring.
Und mittendrin: "The Passenger" von Iggy, ein Monument, ein Song, dem ich heute noch ein Denkmal errichten würde, den ich liebe und den bisher sogar der krötigste Karlsruher DJ, der ihn bis zum Erbrechen abnudelte, nicht vermiesen konnte.
Also hieß es: von nun an Augen auf beim Plattenkauf. Schlagartig hatten sich meine Hörgewohnheiten fundamental verändert (Hanneman und King lauerten da bereits im Hintergrund, wagten sich aber noch nicht vor), und ich stellte zu meiner Freude fest, daß die meisten LP's, die ich von nun an suchte, zum Nice Price von 11,95 erhältlich waren und ich mir von meinem schmalen Taschengeld viel mehr leisten konnte. Also dominierte bis zu meiner endgültigen Kehrtwende 1991 zuerst einmal 70er- Rock (schauder).
In dem ganzen Stapel Platten, den ich meiner anschwellenden Sammlung zuführte, befand sich schließlich auch Iggys "Lust For Life", und hier könnte ich eigentlich weitermachen.
Das tu ich aber nicht.
Zu dieser Zeit hatte ich noch keinen eigenen Plattenspieler, Herr über unsere fossile Anlage waren meine Eltern, und so hörte ich die LP selten, nur immer wieder "The Passenger" (und "Real Wild Child" von der lausigen "Blah Blah Blah") auf Tape.
Damals konnten wir allmählich den ersten Musiksender empfangen, in Prä-MTV- Zeiten war das der englische Super Channel, der in einer Art Endlosschleife 50 immergleiche Videoclips abnudelte, zu einem Großteil sogar für meine Verhältnisse recht abgefahrenes Zeug wie Pere Ubu, They Might Be Giants, A Tribe Called Quest, Paris, Suicidal Tendencies und Public Enemy, was mir alles irgendwie gefiel und wohl weitere Weichen für meine spätere Entwicklung stellte.
Mittendrin: "Home" von Iggy Pop, die erste Single aus seinem kommenden Album "Brick By Brick".
Ein räudiger Schwanzrocker, mit einem scheinbar uralten Typ, der oberkörperfrei in gestochen scharfen schwarz-weiß-Bildern auf dem Parkplatz eines Supermaktes vor einer Windmaschine herumtobte. Und ich war begeistert. Diese Platte mußte ich haben.
Die Kritiken waren damals schon teilweise vernichtend, aber das war mir egal. Als ich 1991 bei der Abschlußfahrt der Realschule nach London mit meinem Walkman im Bus saß, hatte ich einen Stapel Tapes dabei (aufgenommen auf meiner Kompaktanlage, die ich mir mit einem räudigen Ferienjob in einer Lagerhalle verdient hatte), neben Led Zeppelin, den Pogues, Pink Floyd und den Doors zwei Cassetten mit 4 Alben von Iggy: "Live At The Channel, Boston MA." und "Instinct" auf dem einen, und "Lust For Life" und "Brick By Brick" auf dem anderen. Alles wurde bis zum Erbrechen durch die Kopfhörer gejagt, sogar "Instinct".
Und so begann die Geschichte.
Irgendwann rückte Iggy mal eine zeitlang an den Rand, als ich nur noch entweder Beats oder Bratgitarren wollte. Sogar da legte ich ca. einmal im Jahr noch "Brick By Brick" auf, was zeigt, daß es ganz ohne Iggy ab einem gewissen Zeitpunkt meines Lebens nicht mehr ging.
Ein Ausbildungskollege lieh mir dann "Fun House", als ich 19 war, und ich dachte: "Ganz nett, aber auch sehr alt. Respekt davor, aber das ist mir zu soft."
Sieben Jahre später, mein Musikgeschmack hatte sich um etliche Facetten erweitert, erspähte ich im Vinyl Only in Heidelberg die "Fun House" als Nachpressung im Klappcover. Als ich die LP DANN daheim auflegte, blies sie mich fast aus dem Sessel zum Fenster hinaus, und das Photo im Innencover würde ich wahrscheinlich dazu benutzen, einem Außerirdischen zu erklären, was ich unter dem Begriff "cool" verstehe.
Aber das ist eine völlig andere Geschichte.
b) "I'm standin', in a shadow, hatin' the world"... die Platte.
Nun ja, der Opener ist das bereits erwähnte "Home"... ein auf Standardrockriffs und mit Wichssolo garnierter bodenständiger Rocker, der mit Sicherheit heutzutage keinen mehr hinter dem Ofen hervorlocken würde und in dem sich Iggy darüber freut, daß er nach Jahren des Vagabundierens nun endlich ein festes Dach über dem Kopf hat, in einem Text, der (auch nichts Neues bei Mr. Osterberg) häufig die Grenze elementarer Brunzdummheit touchiert.
Trotzdem: ich mag den Song immer noch und räume ihm nach wie vor einen Platz in meiner Ruhmeshalle elementarer Erweckungserlebnisse ein. So muß es sein, einen selten peinlichen Kumpel zu haben, der dennoch zufällig dafür verantwortlich ist, daß man damals mit der Frau zusammenkam, mit der man nun bereits zwanzig Jahre glücklich verheiratet ist.
Gleich danach "Main Street Eyes", eine Outlaw- Ballade mit folkigen Untertönen, in der Iggy mit reichlich schiefem Gesang Impressionen aus der Welt der Reichen und Schönen aneinanderreiht, verbunden mit der Feststellung "You and I are not huge mainstream stars/ but unlike them we're really what we are".
"I Won't Crap Out" ist noch so ein Song, dessen Präsentation entscheidend dazu beitrug, daß ich mir das Album zulegte... auf Platte ist das zunächst nur auf akustischer und elektrischer Gitarre aufgebaut, die sich gegenseitig ergänzen (die akustische hart angeschlagen, die elektrische gniedelt vor sich hin), bis gegen Ende dann die Drums einsetzen, um den Song nach einem Break abzurunden.Soweit, so gut, aber ich sah Iggy diesen Song in einer Fernsehshow live präsentieren, und wie er da stand, obligatorisch mit freiem Oberkörper und völlig irre dreinblickend, während er die Startzeile "I'm standin', in a shadow, hatin' the world" ins Publikum blaffte, das war ganz großes Kino. Interessant auch, daß ich die akustische Version weitaus rauher und abgedrehter in Erinnerung habe als den eigentlich relativ moderaten Song auf der Platte, vor allem, da es eigentlich darum geht,daß einen alles zur Weißglut treibt und man kurz vor dem völligen Ausrasten steht (und warum man es besser bleibenlassen sollte).
Nichtsdestotrotz immer noch einer meiner liebsten Songs auf dem Album.
Was ich von "Candy" halten soll, weiß ich immer noch nicht. Elektronisches Gewitter, 80er- Sound, Kate Pierson, deren Gießkannengesang ich außerhalb der B-52's zumeist schwer erträglich finde... hier manchmal auch. An dem einen Tag kann ich mir den Song anhören, ein andermal wiederum geht er mir komplett auf die Brezel. Richtige Freunde werden "Candy" und ich in diesem Leben wohl nicht mehr.
Danach gibt es mit "Butt Town" wieder abgedrehte Großstadtimpressionen, verpackt in einen muskulösen Rocker mit locker hereinschneiender Gitarre zu Beginn (was sich ganz kurz staubsaugerartig anhört) die dann ein straight vorpreschendes Riff spielt, das den ganzen Song bis zu Iggys Hühnergegacker am Ende (ohne Witz) mitzieht.
Zu "The Undefeated" und "Moonlight Lady" möchte ich eigentlich kaum was schreiben. Das eine ein allenfalls gefälliger Midtempo- Song mit Mitsingrefrain für die nächste Eckkneipe, der eher an mir vorbeirauscht, dann eine reichlich verschnarchte Ballade.
Also schnell weiter zum großartigen "Something Wild", einem Duett mit John Hiatt. Auch wieder sehr folkig mit Streichern untermalt, hat der Song samt Text und Geknödel der beiden alten Säcke etwas, was mich mitreißt, etwas, was sehr lange gebraucht hat, um sich zu entfalten. Ich weiß noch, daß ich in meiner Jugend nicht viel mit dem Song anfangen konnte und vor drei oder vier Jahren plötzlich einen Kick verspürte, der mich seitdem zwang, ihn immer und immer wieder zu hören.
"Neon Forest" dagegen ist wieder ein schwerer Rocker mit zähflüssigen Riffs (Bemerkung hier: durch die reichlich moderate Produktion von Don Was sind sogar die "härteren" Songs hier konsumentenfreundlich ausgefallen; ich kenne das ja nur so, es würde mich aber trotzdem interessieren, was ein anderer Produzent daraus gemacht hätte).
Was drin gewesen wäre, sieht man an "Pussy Power" und "My Baby Wants To Rock'n Roll", beide mit Gastauftritten von Slash, mit dessen Mutter Iggy wohl mal kurzzeitig liiert war (wenn ich nicht gerade was durcheinanderbringe), als Slash 15 war, beides schön räudig produzierter Riffhardrock (schätze, die Jungs haben bei der Produktion ein Wörtchen mitgeredet), mit Texten um coole Superfrauen, die einem gestandenen Rocker die Knie weich werden lassen. Bierkaschemmenlyrik vom Feinsten, für Leute in schwarzen Lederhosen. Muß man nicht toll finden, aber: so isser halt.
Zwischendrin gibt es "Starry Night", das sich anhört wie ein "Sunshine Reggae"- mäßiger Gute- Laune- Tanzflächenfüller, dessen sarkastischer Text aber in angenehmem Gegensatz dazu steht:
"[...]met a lotta tough guys-they all look
Pretty ugly under the stars
Go out to the desert
And just look up
You can feel yourself
Under the stars
All man's buildings
Will soon be gone
'Cause something here
Is absolutely wrong[...]"
Nach dem Doppelpack Rock geht es dann wieder verhalten weiter.
Zuerst einmal mit dem Titelsong, mit dem ich auch seit jeher noch nie was anfangen konnte. Eine Ballade ohne Drums, die mich eigentlich eher kalt läßt. Es gibt genau vier Songs auf der Platte, die ich schwächer finde als den Rest, die aber durchaus anhörbar sind. Das hier ist derjenige, den ich am wenigsten davon mag.
Dafür den Abschluß der Platte umso mehr. Welchen Narren ich an "Livin' On The Edge Of The Night" gefressen habe, weiß ich selbst nicht. Eine Ballade mit düsterem Anstrich, die musikalisch genausogut 1985 wie 1990 verortet werden könnte, mit viel Keyboardmulm im Hintergrund und steril klingender Produktion... eigentlich klingt das nach einem Fall für den gelben Sack, aber ich liebe diesen Song, und er ist für mich der beste der Platte. Ernsthaft.
Mag sein, daß es daran liegt, daß er vor Albenerwerb eine zeitlang immer im Radio lief und sich in meinem Kopf festhakte, bevor ich wußte, daß es Iggy ist (als ich feststellte, daß der Song auf dieser Platte ist, freute ich mich auch wie Bolle). Textlich zieht er eine Art Resumée, und das bringt mich auch zum Ende (jahaha, DAS sind mal wieder textliche Übergänge... eine Großtat).
Es gibt einige großartige Platten von Iggy: die frühen Stooges, The Idiot, Lust For Life, Kill City... und natürlich wäre es ein Leichtes gewesen, zu einem der Alben den üblichen Brummstiefel herunterzuschreiben.
Protopunk, Erdnußbutter, kwakwakwa.
Keine Lust.
Absolut nicht... wen ihr sowas lesen wollt, zieht euch aus irgendeinem Musikmagazin eurer Wahl die "100 besten Platten aller Zeiten".
Ich habe absichtlich ein Album genommen, daß nur wenige kennen (und die, die es kennen, mögen es gewöhnlich nicht) und noch dazu ein reichlich unspektakuläres Popalbum (in jeglicher Doppeldeutigkeit).
Aber ich mag diese Platte, und möchte sie nicht mehr missen... und warum das so ist, konnte ich hoffentlich vermitteln.
Sonntag, 9. Oktober 2011
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