Montag, 10. Oktober 2011

8. Big Black: Atomizer

(erstmals veröffentlicht am 15.03.2009, überarbeitet am 10.10.2011)





Erscheinungsjahr: 1986

Erstanden:
irgendwann Mitte der 90er auf einer Plattenbörse in Landau/Pfalz

Trackliste:

1. Jordan, Minnesota
2. Passing Complexion
3. Big Money
4. Kerosene
5. Bad Houses
6. Fists Of Love
7. Stinking Drunk
8. Bazooka Joe
9. Strange Things
10. Cables (Live)

Alles begann mit "Kerosene":

"They have been classified as noise rock, and were a formative influence on industrial rock, but the band members have always described the band as punk rock; in the notes for Pigpile, a live recording of their final London performance, Albini explicitly describes Big Black as punk."

So spricht Wikipedia... nichtsdestotrotz war mein erstes Zusammentreffen mit "Kerosene" ein ziemlich bizarres. Ich kannte bereits die "Uranus"- 7" von Shellac und begann, mich allmählich für Noiserock und die damit verbundene Szene zu interessieren... den ungezogenen, politisch manchmal höchst unkorrekten Ableger der Punkbewegung, der deswegen von einem Teil der damaligen Politpunks auch aus tiefstem Herzen gehaßt wurde. Verbale oder gar handgreifliche Auseinandersetzungen gab es damals auch, und ich stand noch mittendrin, bzw. saß zwischen allen Stühlen, man mag es nennen, wie man möchte.

Jedenfalls befand ich mich in unserem damaligen Stammladen, der "Katakombe" in Karlsruhe (ein Kellerklitschen- Urgestein, das schon seit den 70ern existiert und auch in etwas veränderter Form in Kapitel 5 von "Kreisklassenhölle" auftaucht) auf der Tanzfläche, damals noch in korrektem Outfit (abgeschnittene schwarze Bundeswehrhosen, Docs mit roten Schnürsenkeln, kariertes Hemd, schwarzgefärbte Haare... ächz), als plötzlich eine Marimba ertönte. Dachte ich jedenfalls. Gefolgt wurde diese von einem monotonen, elektrisch klingenden Stampfer, der durch etwas, was wie ein Dudelsack klang, schmerzhaft verzerrt wurde.
Es war zumindest mal etwas, was ich in dieser Form noch nie gehört hatte... und der Text, meine Güte:

I was born in this town
live here my whole life
probably come to die in this town
live here my whole life
never anything to do in this town
live here my whole life
never anything to do in this town
probably learn to die in this town
live here my whole life
nothing to do
sit around at home
sit around at home
nothing to do
stare at the walls
stare at each other
wait til we die
stare at each other
wait til we die
probably come to die in this town
live here my whole life
theres Kerosene around
something to do
theres Kerosene around
she's something to do
theres Kerosene around
find something to do
theres Kerosene around
shes something to do
theres Kerosene
set me on fire...Kerosene [...]


Und so ging es weiter, einmal gehört, hämmerte sich das ins Gehirn, drückte alles aus, was wir vom Dorf damals dachten, fühlten und vor Augen hatten. Dieser Text hat mich später noch oft inspiriert, als ich den Versuch begann, mich selbst künstlerisch zu betätigen... sei es bei einem Schulprojekt auf dem zweiten Bildungsweg, als wir einen Video-Kurzfilm namens "Kerosin" drehten, sei es beim Schreiben... Dieser Song zieht sich wohl als eine Art Leitmotiv durch mein Leben.

Übrigens gibt es davon eine Spezialversion, in der eine Art Fernsehansagerin auf Deutsch (!) über das Intro spricht und einen Vortrag über das "Plink" und "Ploing" der Gitarren hält..."und der Rest ist Computer".

Anschließend ging es mit mir und Big Black wie folgt weiter:

als ich dann bei einem guten Kumpel von mir (Rene Herbst, der zu jener Zeit noch das Gasoline- Boost- Label betrieb, das einige der bizarrsten Noiserockalben in der Geschichte der Menschheit veröffentlich hatte und damals noch drölftausend superwichtige Leute kannte... was ganz praktisch war, weil ich dadurch zum Beispiel auch in den privilegierten Genuß kam, mit Unsane backstage abzuhängen oder umsonst aufs Barkmarket- Konzert zu kommen), den ich damals -es müßte 1993 oder 1994 gewesen sein- gerade kennenlernte (erster Kontakt kam übrigens zustande, als er mich beim Trampen mitgenommen hatte... finde die Geschichte immer noch ganz niedlich, weil es zeigt, welche blödsinnigen Zufälle gravierende Einschnitte in das ganze Leben zur Folge haben können), das "Pigpile"- Livevideo sah, war ich völlig baff.

Diese drei Typen sahen aus wie die letzten Honks. Steve Albini hatte einen 08/15- Bürstenhaarschnitt, trug eine Hornbrille, ein "Die Kreuzen"-T- Shirt (das war eine 80er- Indieband aus den USA) und Jeans; Santiago Durango hatte eine Stirnglatze, eine Nickelbrille und ein Polohemd an; laut Rene war er dazu noch Rechtsanwalt in Chicago; Dave Riley trug ein Hawaiihemd (oder sowas ähnliches; genau weiß ich es nicht mehr).

Einen Drummer gab es nicht; Marimba und Dudelsack auch nicht. Stattdessen eine Gitarre, die als Sonderanfertigung aussah, als wäre sie vollständig aus Metall gefertigt und der Albini, der sie sich per Bauchgurt an den Hüften befestigt hatte (was er immer noch tut) den unglaublichsten Sound abnötigte, den ich je gehört habe. Auch heute noch ist dieser absolut einzigartig... grell, blechern und metallisch (im Sinne von aufeinanderschlagendem Metall, nicht von Brettgitarren). Das war die "Marimba".

Aber der nachhaltigste Eindruck: diese Typen sahen nicht nur aus wie Buchhalter auf Betriebsausflug, sie waren auch komplett irre.
Bei dem Konzert fungierten sie als Vorband von The Mission; eine recht bizarre Kombination. Ein völlig entfesselter Albini haute sich an einer Box die Stirn blutig und drosch am Ende des Konzertes blutüberströmt mit der Gitarre aufs Publikum ein; Santiago Durango beendete das Konzert stoisch dastehend mit heruntergelassener Hose. Dutzende Mission- Fans müssen zum Ergebnis gelangt sein, daß ihre Düstermulmband dagegen Kindergarten war.

Irgendwann hatte ich die Platte endlich, auf LP (Atomizer) und CD (als "Rich Man's Eight Track Tape" mit Bonustracks einer schwer erhältlichen EP), und fand Steve Albini als Person immer faszinierender. Man möchte wirklich nicht die leidige Indiediskussion wieder hochkochen; aber DAS hier war Indie, und deswegen habe ich auch solche Probleme, den heutigen Begriff gelten zu lassen.
Komplette künstlerische Kontrolle; kein Wechsel zu einem Majorlabel, sondern absolute Treue "Touch&Go" gegenüber; kein offizielles Merchandise (es gibt nur irgendwelche Shirts, die wohl [zumindest im Fall von Shellac]von Fans hergestellt und vertrieben werden, wogegen Albini offensichtlich konsequenterweise auch nichts unternimmt... scheinbar nach dem Motto "Du willst ein Shirt von mir? Mach dir selbst eins, das geht in Ordnung") keine Werbung für Veröffentlichungen.
Dazu absoluter Haß auf CD's... selbige sind mit höhnischen Kommentaren bedruckt, die ironischerweise alleine schon das Geld wert sind ("This Compact Disc is made from analog masters recorded without noise reduction. [...] Digital technology will now faithfully reproduce those noisy, low-fi, unprofessional masters for you at great expense. Feel stupid yet?" [auf "Songs About Fucking"]), und neuerdings liegt Shellac- LP's die CD- Version gratis als Rohling bei.

Warum Albini in der linken Szene dermaßen verhaßt war, fand ich auch bald heraus; obwohl er- wenn man Interviews von ihm liest bzw. persönliches von ihm weiß- ein Guter ist, beherrschte er die Kunst der Provokation nach allen Seiten. Nach links (Bandnamen wie "Rapeman", nach einer japanischen Comicserie, in der sich der durchaus ernstgemeinte Superheld gleichen Namens an seinen Feinden rächt, indem er ihre Frauen und Töchter vergewaltigt- den Scheißdreck gibt es dort scheinbar ganz normal am Kiosk!- mit Songtiteln wie "Superpussy", "Kim Gordon's Panties" oder "Hated Chinee"... Albentitel wie "Songs About Fucking", und das bereits 1987... ) und nach rechts (eine Haßhymne auf Texas [1982], für die er dort wahrscheinlich gelyncht worden wäre).
Diese Weigerung, sich von irgendjemandem vereinnahmen zu lassen, hat mir immer schon schwer imponiert.

Was die Platte selbst angeht, kann ich eigentlich wieder wenig dazu schreiben; eben aus denselben Gründen, die ich schon in meinen Rezensionen zu den Hot Snakes oder Trend angeführt habe. Songs und Grundstimmung sind recht homogen; einige Anmerkungen gibt es natürlich trotzdem:

Zum Beispiel dürfte die fehlende Differenzierung in den Texten einigen Leuten schwer zu schaffen machen; eines von Albinis Hauptthemen ist "sexueller Mißbrauch", vor allem an Kindern ( hier in "Jordan, Minnesota", später in "The Power Of Independent Trucking" auf "Songs About Fucking", ein Song über vergewaltigende Fernfahrer). Obwohl er in den Linernotes (die auf allen Big- Black- Alben sehr lesenswert sind) sehr deutlich erklärt, wie der Song gemeint ist (und klar seinen Abscheu über eine wohl einschlägig nachrichtenbekannte Stadt kundtut, in der scheinbar Anfang der 80er Jahre vermehrt Pädophiliefälle bekannt wurden), versetzt er sich textlich in die Täterperspektive, was einen Zynismus ergibt, den manche Leute wohl einfach nicht ertragen:

This is Jordan, we do what we like
This is Jordan, we do what we like
Stay with me, my five year old
Stay with me, play hide and seek
Stay with me, my five year old
This is Jordan, we do what we like
And this will stay with you until you die
And this will stay with you until you die


Erst später, in "Doris" von Shellac, beschreibt er die Thematik sehr sensibel aus der Opferperspektive.

Ansonsten entwirft er gesellschaftliche Pandämonien... soziale Außenseiter, Geisteskranke, Kriminelle, alles in harten, sarkastischen, bisweilen zynischen Texten. Die Musik: immer der schwere, monotone Computerbeat, oft im Midtempo, garniert mit dem brummelnden, ausgeleierten Baß und den kreischenden Saiteninstrumenten. Selten wird das Gaspedal mal richtig durchgetreten, wie in "Stinking Drunk", dem einzig wirklich schnellen Song der Platte, und manchmal übertreiben es die Jungs auch mit der Sperrigkeit wie in dem unglaublichen Nerver "Passing Complexion" mit seiner schrägen Kinderlied- Instrumentalhookline, die sogar den ausgeglichensten Zeitgenossen zum zittrigen Wrack macht, das seinen Kaffee verschüttet.

Abschluß bildet eine Liveversion von "Cables", im Vergleich zu dem auf der ersten EP enthaltenen, vergleichsweise nach harmlosem 80er- Pop klingenden Original (die ersten EP's "Lungs" und "Bulldozer" klangen übrigens noch sehr nach 80er- Indie mit starkem Posthardcore- Einfluß... nicht umsonst zählen Wire zu Albinis erklärten Lieblingsbands. Beide zusammen bilden das "Hammer Party"- Album, mit dem ich mich allerdings nie richtig anfreunden konnte... gegen die ballistische Wucht von "Atomizer" schlafen einem dort nach drei oder vier Songs die Füße ein) als splitternde, räudige, nach reißenden Drahtseilen klingende Version (mit irgendeinem Spinner im Publikum, der "LOUDER!" ruft, das ist immer noch ein Quell der Heiterkeit für mich).
Den Text hatte ich teilweise auch schon als Signatur in einem Forum, Albini spielt diesmal einen Fließbandarbeiter in den Chicagoer Schlachthöfen:


Well, I don't know
why we come here
Guess I just needed the bang
We walk in the beef,
and then we pull on
the rope
And then the, then the
hammer comes down
Cables
Cables
Cables
So I guess they know
I'm not no company man
But I can pull on a rope,
I can kill a cow
Fast as any other fucker can
Cables
Cables
Cables


Platte zu Ende... auf "Rich Man's Eight Track Tape" gibt es unter anderem noch eine Wire- Coverversion ("Heartbeat") und ein ganz böses Lärmmonster namens "Things To Do Today", das ich- versehen mit diesem Titel- für ganz großen Humor halte:

Buy a pack of squares
Arrive at the apartment
Confront the investor
Explain the situation
Have him sign the documents
Bind him to a chair
Handcuff him
Place him face down on the bed
Shoot him once
Remember gloves
Scan apartment
Kill the dog [...]


Kleiner Wermutstropfen zum Schluß: dem Vernehmen nach ist "Touch & Go" mittlerweile pleite; zum 25jährigen Labeljubiläum gab es eine einmalige Bandreunion, zu der ich eigentlich nach Chicago fliegen wollte, was an meinen Finanzen scheiterte. Da es wohl kein 30jähriges geben wird, war es das wohl endgültig...

Damit wäre ich auch am Ende angelangt; den Produzenten Albini, den Streit mit Kurt Cobain bei "In Utero" und was weiß ich noch alles überspringe ich jetzt mal.
Es ging in erster Linie darum, nach Slayer, Nick Cave und Iggy Pop endlich ein weiteres meiner musikalisch größten Idole zu würdigen (egal ob Big Black, Rapeman oder- mit kleineren Abstrichen- Shellac) und das anhand der Platte, auf der jener Song drauf ist, der einer der wichtigsten meines Lebens ist. "Songs About Fucking" und "Atomizer" nehmen sich qualitativ eigentlich nichts, aber "Atomizer" hat nunmal "Kerosene"... deshalb ein klarer Punktsieg.

[Hinzugefügt sei noch, daß es die "Pigpile"- Versionen diverser Songs auf You Tube zum Anschauen gibt. Besonders "Cables" ist sehr sehenswert. Selbiges wollte ich eigentlich hier hochladen, aber das war eine derartige Geburt, daß ich es lieber gelassen habe.]



Steve Albini

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