Freitag, 28. Oktober 2011

13. Today Is The Day: In The Eyes Of God

(erstmals veröffentlicht am 19.06.2010, überarbeitet am 28.10.2011)




Veröffentlicht: 1999


Erstanden:
2000 oder 2001

in: diesmal muß ich passen. Auf jeden Fall in einem Plattenladen bestellt.




Trackliste:


1. In the Eyes of God
2. Going to Hell
3. Spotting a Unicorn
4. Possession
5. The Color of Psychic Power
6. Mayari
7. Soldier of Fortune
8. Bionic Cock
9. Argali
10. Afterlife
11. Himself
12. Daddy
13. Who Is the Black Angel?
14. Martial Law
15. False Reality
16. The Russian Child Porn Ballet
17. The Cold Harshness of Being Wrong Throughout Your Entire Life
18. Honor
19. Worn Out
20. There Is No End


Besetzung:


Steve Austin (voc, gt)
Bill Kelliher (b)
Brann Dailor (dr)

Zu dieser Platte

kann ich nur einen relativ kurzen Text verfassen, auch weil sie vielleicht für mich nicht mehr dermaßen relevant ist, wie sie es einmal war.
Da letzteres in erster Linie auch persönliche Gründe hatte, von denen ich hier nicht allzuviele preisgeben möchte, wird die Arbeit am Text noch mehr eingeschränkt. Warum also muß sie hier rein? Als Gruß aus vergangenen Zeiten?

Es gibt Platten, die man einmal sehr mochte, und die- auch wenn der musikalische Stellenwert im Lauf der Jahre verblaßt ist und man sie recht selten hört- trotzdem nicht mehr hergeben möchte, denn sie waren da, als man sie brauchte, als die Situation es erforderlich machte.
Fast wie Freunde, zu denen der Kontakt abgerissen ist, für die man aber jederzeit wieder die Hand ins Feuer legen würde, wenn die Notwendigkeit bestünde.

[aktuelle Anmerkung: habe diese Platte kürzlich einmal wieder herausgekramt und angehört. Das hat so gut funktioniert, daß sämtliche oben erwähnten Zweifel bezüglich ihres Stellenwerts hinfällig sind.]

Deswegen ist das vielleicht auch mehr als eine Plattenkritik im herkömmlichen Sinne: kein freudiges Aufgedrösel von Songs, keine augenzwinkernde Empfehlung... denn es gibt eigentlich nichts Positives, was Leute veranlassen könnte, sich diese Platte freiwillig komplett anzuhören.

Denn wenn es eine Platte gibt, der ich die Eigenschaft "böse" attestieren müßte: hier ist sie.

Wieviel Haß kann man in eine Stunde Musik packen, und dies in einer Intensität und Unzurechnungsfähigkeit, die Bands, die sich dieses Wort plakativ auf ihr Banner schreiben, wie musizierende Maulwürfe aussehen läßt?
Wie kann ein Mensch sich das überhaupt anhören und für sich etwas Brauchbares extrahieren?
Und vor allem: wie kann man das anderen Leuten begreiflich machen?

Manchmal braucht es im Leben karthartische Akte, um wieder zu Verstand zu kommen, etwas, was einen das Angestaute, das einem die Luft abschnürt, endlich hervorwürgen läßt.
Hat man keine Möglichkeit zur Kompensation, wird es ganz finster. Dann wird es Zeit, einmal die Skimütze aufzusetzen und seinen Arbeitgeber zu besuchen, die Universität, oder seine Familie in einer großangelegten Aktion auszuradieren, bevor man ins Grüne fährt, um sein Gehirn in die frische Waldluft zu blasen. Denn das ist die Crux mit karthartischen Akten: sie sind zumeist mit einem gesteigerten Mitteilungsbedürfnis verbunden, für welches dem Ausführenden selten einmal eine geeignete Plattform zur Verfügung steht.
Also läuft die Geschichte zumeist wie eben erwähnt. Kurzzeitig darf derjenige sich befreit fühlen, bevor er in den Orkus steigt, oder das Gefühl haben, er bestrafe seine Umwelt damit, wenn er auf einen Schemel klettert und seinen Kopf durch die Schlinge steckt.

Als Künstler hat man da den unbestreitbaren Vorteil, daß man der Welt ins Gesicht schleudern kann, wie sie einen ankotzt, ohne gleich Amok laufen zu müssen.
Man selbst fühlt sich um einiges befreit... und auch, wenn man es selbst vielleicht in dem Moment nicht einsieht, tut man sogar Gutes. Denn irgendwo da draußen gibt es Leute, die genauso empfinden und sich ein Werk zu eigen machen, um durch es zu sprechen, und im Idealfall sich am Ende genauso befreit fühlen.

Es muß während

der Arbeit am zweiten Album "Willpower" gewesen sein, als Steve Austin sich drei Jahre ausklinkte.
"Drei Jahre voller Depressionen und Scheiße", wie er in einem Interview sagte.
"Supernova", das Debüt von Today Is The Day, war noch experimenteller Noiserock nah an der Schmerzgrenze gewesen, aber in erster Linie schräg und nicht völlig humorfrei.

Selbiges konnte man von "Willpower" nicht mehr sagen: die schiere Verzweiflung, Wut, fühlbar gemachter Schmerz am Ende von Beziehungen.
Trotzdem gilt diese Platte in Noiserockkreisen als Klassiker, und das zurecht.
Musikalisch überragend, verband sie puren Krach mit teilweise unglaublicher instrumentaler Finesse, die bizarrerweise gar bis in Jazzkreise geschätzt wurde. Dazu brüllte Steve Austin entweder wie ein abgestochenes Schwein, oder sang... letzteres klang dann ungefähr wie ein Singer- Songwriter- Jammerlappen, dem man schwere Gegenstände an die Hoden gehängt hat.
Ein harter Brocken, fürwahr... und dadurch authentisch, daß er wohl den Beginn einer schlimmen Phase in Austins Leben markiert.
Das erkennt man wohl auch daran, daß "Willpower" sein bekanntestes, bestverkauftes und hochgelobtestes Album ist, er sich aber generell weigert, heutzutage bei Konzerten auch nur einen Ton davon zu spielen, auch wenn vereinzelte Songs frenetisch gefordert werden... und auch in Interviews nicht mehr auf die Platte angesprochen werden will.

Das war aber erst der Beginn der Fahnenstange.
Austin wurde völlig misanthropisch und wandte sich infolgedessen der "Church Of Satan" zu.

Das Ergebnis war (nach einem selbstbetitelten Drittwerk, das eher verzichtbar ist)"Temple Of The Morning Star", eine Platte in komplett neuer Besetzung (dies sollte nun zur festen Gewohnheit werden; Steve Austin wechselte fortan seine Mitmusiker bei jeder Platte aus).
Der Sänger lief zu dieser Zeit in weißen Wallegewändern herum, ließ sich einen Talibanbart wachsen und machte auf seine Umgebung den Eindruck, als wäre er komplett wahnsinnig... oder wie es ein Tourbegleiter sagte: "All that matters to him is hate and death".
Das Bandphoto zu der Platte spricht eindeutig dafür. Selten hat mir ein Bild, das bei anderen Musikern bestenfalls lächerliches Gepose wäre, derartige Schauer über den Rücken gejagt.
Bedauerlicherweise ist es nur noch sehr schwer im Netz zu finden, und wenn überhaupt, dann nur in zurechtgestutztem Format, das den Anblick um einiges verharmlost, denn beschränkt sich der Ausschnitt auf die Gesichter, ohne Körperhaltung und Details zu berücksichtigen, wirkt das Photo relativ unspektakulär. Anders in seiner ganzen Pracht: man sieht drei zottige Gestalten in schwarz- weiß, die vor einem Pentagramm an der Wand in weißen Gewändern wie Satansmönche in einem Horrorfilm wirken und irre in die Kamera starren, als begännen sie gleich zu knurren.
Wer einmal die Gelegenheit hat, den Anblick in seiner Gesamtheit auf sich wirken zu lassen, sollte dies schleunigst nachholen.

Nachdem die Band plötzlich weitgehend von der Bildfläche verschwunden war, kam "In The Eyes Of God", zu einem Zeitpunkt, zu der sie keiner mehr auf dem Zettel hatte.
An der Musikjournaille zog das Album weitgehend spurlos vorbei. Im VISIONS bekam es eine relativ halbherzige Wertung, auch wenn diese sich immerhin zu einem Interview herabließ.
Steve Austin erzählte darin recht abgedrehtes Zeug. Nackt hätte er die Aufnahmen absolviert, so erfuhr man, um "nichts Störendes zwischen sich und das Mikro zu lassen", die ungefilterte Energie sollte auf die Platte und ähnlich seltsamen und sinistren esoterischen Stiefel.
Neue Mitstreiter konnte er auch vorweisen: einen Schlagzeuger namens Brann Dailor und einen Bassisten namens Bill Kelliher, die beide nach dieser Platte einer Band namens Mastodon beitreten sollten.

Meine erste Begegnung mit diesem Album war auch eher unspektakulär: Nudeln essend saß ich bei meinem Freund Simon in Speyer am Wohnzimmertisch, als er die neue Today Is The Day hervorzauberte, die ihm schon fast zu irre war. Während ich also saß und aß, brüllte und blökte es aus den Boxen, und ich registrierte es nebenher mit Wohlwollen.
Die Platte wurde bestellt und ich war beeindruckt.
Selten hatte ich solch einen Klumpen reinster Misanthropie in meinem CD-Player.

"The apocalyptic vision of a criminally insane, charismatic cult leader" sagt der Nachrichtensprecher im Opener "In The Eyes Of God", bevor unfaßbar brutale Gitarren ein Riff herbeitreten und Steve Austin "I am the enemy. I gave you what you want. You live to piss on me. I'm not afraid of you." durch die Gegend plärrt, was gleich die künftige Marschrichtung vorgibt.

Im Break darf dann bereits Brann Dailor zu Gehör geben, was für ein Ausnahmedrummer er ist, was er später bei Mastodon noch perfektionierte, da ihm dort für seine halsbrecherische Aneinanderreihung von Patterns noch mehr Raum gelassen wird.

20 Stücke hat dieses Album, einige gehen nur knapp über eine Minute und sind straightes Black-/Deatthmetalgeholze, andere gehen in epische Breite über.
"Goin To Hell" etwa, das mit einem Kirchenchor beginnt, als brutaler Headbanger mit einer charakteristischen Gitarrenlinie, die man sogar nachpfeifen könnte, fortgesetzt wird, bevor der Song stufenweise durch völligen Tempoentzug zerstört wird, bis nur noch kakophonische Zeitlupensounds übrigbleiben, die völlig psychotisch klingen.
"I feel totally out of control"
heißt es da, vorgetragen in einem durch die Zähne gepreßten Ton, der auch ja keine Zweifel offenläßt, daß es der gute Mann ernst meint.


Überhaupt: die Texte.


Satan, Satan und nochmal Satan, allerdings als abstrakte Größe im Sinne negativer Energie, die einen am Leben erhält, und darauf laufen auch die meisten Inhalte hinaus: sich an seinen eigenen Haßgefühlen hochzuziehen, um dem Rest der Welt klarzumachen, daß man sich nicht unterkriegen läßt, daß man immer noch aufrecht steht.
Sozialdarwinismus. Abstruser Kram um bionische Superschwänze.Gewaltphantasien.
Harmlose Songtitel wie "Spotting A Unicorn" oder "Daddy", hinter denen der Wahnsinn lauert.
Andere wie "The Cold Harshness Of Being Wrong Throughout Your Entire Life", deren Titel bereits so aussagekräftig sind, daß man den Text eigentlich nicht mehr zu lesen braucht.

Mittendrin das doomige, monolithische "Mayari" als Hit der Platte:

Sorrow
In my cage I lose sight
Can't tell what's real wrong or right
You must try to pretend
Just try to fit in
Raise your fist to the sky
Lies cause cancer
Don't deny
You're the master
of my hell
I am I was born to be dead
You try and stop me
I'm gonna crush your skull
I feel so empty
You don't want to decide
If I live
I'm afraid of this world I don't
wanna live
Mayari
I don't owe you
can't make me I'm not your whore
Please don't rape me
I live to hate I fuck to live
I am messed up
I can never give in
I don't even know why


Immerhin: ein richtiger Song mit einem treibenden Gitarrenriff zum Kollektivbangen in der Metaldisco.

Am Ende kommt mit "There Is No End" noch ein textlich fragwürdiger Rundumschlag ("Niggers. Jews. Faggots. Whores",verpackt in ein sehr atmosphärisches Intro mit Gesang und langsamem Baß, bis die Gitarre wieder hereinplatzt und den Song explodieren läßt), der Steve Austin einen recht zweifelhaften Ruf einbrachte, so daß er sich bemüßigt fühlte, sich dafür in diversen Foren zu rechtfertigen und den beanstandeten Text genauer zu erklären... wobei ich nicht denke, daß dieser aus einer politischen Gesinnung heraus entstand, sondern eher mit der Intention, ohne Rücksicht auf Verluste alles plattzumachen, was einen den Ruf eines Humanisten einbringen konnte.
Den Abschluß bildet ein sehr obskures Quasiinstrumental, das anfangs ein wie in den Anfangstagen der Band mit elektronischen Sounds vollgestopfter Psychotrip ist und dann abrupt in einen ganz seltsamen Teil überblendet, der ungefähr klingt, als würde ein Haufen besessener Navajoindianer auf psychogenen Pilzen einen Trommelworkshop absolvieren, was vor allem in dunklem Zimmer nachts um drei Uhr seine volle Wirkung entfaltet, die darin besteht, daß man sich mit einer Gänsehaut auf den Armen gerne die Decke über den Kopf ziehen würde.


Es ist definitiv schwierig, unbedarften Leuten die Notwendigkeit dieser Platte zu erklären.


Kein Funken Freundlichkeit oder Komik ist darin, nichts was das Herz eines ausgeglichenen Menschen auch nur halbwegs erfreuen würde.
Das Cover und Design des Booklets sind schon dermaßen humorlos, daß alleine das die meisten abschrecken dürfte; die Musik, auch wenn sie phasenweise technisch extrem anspruchsvoll ist, und das Geschrei, das teilweise nach einem mundvoll Glasscherben klingt, tun ihr übriges.
Steve Austin fühlte sich danach scheinbar erleichtert und war wieder bester Dinge; ich hatte mal das Vergnügen, ihn per E-Mail für ein Fanzine zu interviewen, und erhielt freundliche und humorvolle Antworten.
Auch Bekannte von mir, die nach einem Konzert in Köln eine Kneipentour mit ihm machten, beschrieben ihn als äußerst netten und witzigen Typen. Also war dieser Brocken für ihn scheinbar eine absolute Notwendigkeit, um mit sich selbst ins Reine zu kommen. Mittlerweile ist er gar verheirateter Vater... obwohl seine Außenwirkung auf harmlose Zeitgenossen immer noch obskur genug wirken dürfte, wenn man das unten angefügte Photo betrachtet.

Würde ich die Platte heutzutage das erste Mal hören, wüßte ich -wie bereits erwähnt-nicht, ob sie irgendeinen bedeutsamen Stellenwert einnehmen würde. Sie kreuzte jedoch zu einem enorm wichtigen Zeitpunkt mein Leben.

Müßte ich mein Leben nochmals leben, ich würde das Jahr 2002 ersatzlos streichen.

Gäbe es einen Tag mit einem einzigen Sinnbild für dieses Seuchenjahr, dann wäre es der 01. März 2002 samt dem Hauptbahnhof von Celle.
Stockdunkel war es, und klirrend kalt.

Anderthalb Stunden wartete ich auf meinen verspäteten Anschlußzug nach Hamburg, und zwar im Freien, da der Bahnhof bereits geschlossen war.
Außer mir war niemand am Bahnsteig, alles wirkte wie ein menschenleeres Paralleluniversum, und zur perfekten Abrundung begann es zu schneien.
Es gab keine sonderlich erbaulichen Gründe, warum ich mich dort befand, mit meinen zwei Reisetaschen, in welchen ich persönliche Gegenstände mitführte... unter anderem ein paar CD's.
Eine davon war "In The Eyes Of God", die ich in diesem Jahr sehr oft hören sollte.
Dazu fand sich in meinem Gepäck ein Manuskript, das ich im Jahr vorher herausgekramt hatte, und an dem ich weiterarbeiten wollte, denn viel blieb mir ansonsten nicht zu tun.
Ich war damals so beeindruckt von der Platte, daß ich beschloß, dem Text einen ebensolchen misanthropischen Drall zu geben, eine Art "In The Eyes Of God" zum Lesen.

Einen Titel hatte ich schon dafür: "Kreisklassenhölle".




Steve Austin

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