Freitag, 28. Oktober 2011

11. The Housemartins: The People Who Grinned Themselves To Death

(erstmals veröffentlicht am 15.04.2010, überarbeitet am 28.10.2011)




Trackliste:


1. The People Who Grinned Themselves To Death
2. I Can't Put My Finger On It
3. The Light Is Always Green (For Young Male Pop Star)
4. The World's On Fire
5. Pirate Aggro
6. We're Not Going Back
7. Me And The Farmer
8. Five Get Over Excited
9. Johannesburg
10. Bow Down
11. You Better Be Doubtful
12. Build


Besetzung:


P.D. Heaton (voc, gt)
Norman Cook (bs)
Stan Cullimore (gt)
Dave Hemingway (dr)


Erschienen: 17.11. 1987

Erworben: 1988, Musicbox Landau/Pfalz

Mal wieder ein Album gefällig, das man nie mit mir assoziieren würde?

Meine Liebe zu den Housemartins dauert schon so lange, daß manch andere Beziehung Mühe hätte, Schritt zu halten.
Sie begann mit dieser Platte, genauer gesagt: mit diesem Cover, das mich schon seit damals fasziniert.
Dieses schlichte Schwarzweißphoto, die 60er- Jahre- Ästhetik, der rostbraune Streifen, der den Titel in sich birgt: wie einfach es manchmal sein kann, den Blick von jemandem zu bannen.

Eigentlich begann unsere Beziehung im Krankenhaus. Mit 13 durfte ich 1986 nach einer meiner drei Operationen am linken Ohr mal wieder drei Wochen in der Sommerfrische im Vinzentiuskrankenhaus in Karlsruhe verbringen.
Neben lesen tat ich den ganzen Tag nichts anderes, als SWF 3 auf dem Radio, das im Nachttisch eingebaut war, zu hören, wenn ich nicht gerade meinen Walkman in Betrieb hatte, an den man zum Glück kleine, plärrige Boxen anschließen konnte... Kopfhörer kommen mit dickem Verband um den Schädel nicht sonderlich gut.
Eine folgenreiche Erkenntnis aus meinem dauerhaften Konsum war, daß es viel tolle Musik gab, die ich besitzen wollte.
Also würde ich mir künftig von meinen monatlichen 20 Mark Taschengeld Schallplatten kaufen.

Dazu lief auf Heavy Rotation neben "Higher Love" von Steve Winwood ständig ein weiteres Lied, das ich ewig mit diesem Krankenhausaufenthalt verbinden werde... aber beide in einem durchaus positiven Sinn.
Denn so, wie ich für Erstgenanntes nach wie vor einen "Soft Spot" habe, weil ich es damals einfach mochte, war mir auch das zweite Lied immer ein Trost, wenn ich es hören durfte, ein kurzes Labsal, ein Moment der Entspannung, in dem ich am liebsten in die Nachttischschublade gekrochen wäre, um ihm nahezusein.
Ich hatte ein paar selbstgemachte Mixtapes mit Liedern dabei, die ich aus der SWF 3- Hitline mit Elmar Hörig im Radio mitgeschnitten hatte. Darauf war auch "Caravan Of Love" von den Housemartins.
Vorspulen.
"Are you readyyy..."
Vorspulen.
"Are you ready for the.."
Vorspulen. Knopfdruck. Knack. Bzzzk.


Das Nächste,


was ich von den Housemartins zu hören bekam, war "Sheep" auf Formel Eins mit (damals) Stefanie Tücking.
Das gefiel mir, aber ich hatte die Sendung auf Video aufgenommen, das reichte mir. Die Platte wollte ich mir nicht kaufen, obwohl "Caravan Of Love" nicht drauf war... aber ich traute dem Ganzen nicht.

Außerdem hatte ich gerade David Bowie (ja, den 80er- Gruselbowie), Peter Gabriel, U2 und Queen entdeckt, und das war schon mehr, als es mein Budget zuließ.
Zu der Zeit befaßte ich mich nur noch mit Musik, aus diversen Gründen; im Gymnasium war ich bei den Mitschülern nicht sonderlich beliebt, um es mal vorsichtig auszudrücken, aber nicht, weil ich solch ein wilder Kerl war. Es war um einiges spaßfreier.
Deswegen wurde ich immer pickeliger, zahnspangiger und kauziger, bis mich irgendwann außer Musik und Fußball gar nichts mehr interessierte.
Genau in diese erbauliche Lebensphase fiel "Me And The Farmer".
Das dazugehörige Album wurde auch prompt Platte des Monats im ME/SOUNDS, und diesmal wollte ich sie haben. Sofort.

Mein Lied aus dem Krankenhaus hatte ich nie vergessen. Es kam nicht mehr im Radio, was mich sehr traurig machte, hätte ich doch gerne mal erfahren, wer es sang.
Tatsächlich habe ich es durch die Medien erst Mitte der Neunziger erfahren, als das Video mal in irgendeinem Musikkanal in den "Classics From The 80's" lief.
Aber als ich mir nach "The People..." begeistert auch noch "London 0 Hull 4" kaufte, wußte ich nicht, welche Zufallsbegegnung mir bevorstand.
Also kann sich vielleicht jemand meine fassungslose Freude vorstellen, als sich gleich der Opener "Happy Hour" als MEIN Lied entpuppte. Und es ist bis heute MEIN Lied geblieben.

Warum nun

der Zweitling um Haaresbreite vorne liegt? Er gefällt mir ganz einfach den berühmten Tacken besser, auch wenn ich "London 0 Hull 4" ebenso unbedenklich empfehlen kann.

Dennoch: zur Zeit des Erscheinens wurde über die Band schon kübelweise Häme ausgegossen.
Ihre merkwürdige Politattitüde, die sich scheinbar in christlich-humanistisch unterfüttertem Radikalmarxismus (wie das zusammenpaßt, muß mir auch mal jemand erklären. Halt. Doch nicht.) manifestierte ("Take Jesus. Take Marx. Take Hope. Don't try gate- crashing a party full of bankers. Burn the house down." [So stand es auf der Innenhülle von London 0 Hull 4]) stieß vor allem den Medien sauer auf.

So wie Martin Brem versuchte, in den News der ME/SOUNDS die Band als Verbreiter eines lächerlichen Politimages-vulgo: als Heuchler- vorzuführen, brachte die BRAVO (die ich zugegebenermaßen eine zeitlang regelmäßig las) einen hochinvestigativen Artikel, mit Enthüllungen wie der, daß Stan Cullimore eigentlich Ian hieß, aber den Namen zu wenig Arbeiterklasse und deswegen nicht imagetauglich fand. Allgemein war das Thema die gutbürgerliche Herkunft der vier, die sich eine kleidsame Arbeitersohnattitüde zugelegt hatten. Böse, böse.

Machte das


ihre Texte aber schlechter?
Den beißenden Spott des Titelstücks? Das kryptische "I Can't Put My Finger On It"? Das geisteskranke "The World's On Fire"?
Wohl kaum. Allein die Lektüre des Textblattes ist heute noch ein Genuß. Ständig entdeckt man Neues, Textpassagen für die Ewigkeit ziehen am Auge vorbei:


"Today I have been moulding plasticine
And I made a little man who looked just like me
His limbs were so weak and he couldn’t move his mouth to speak
And I could bend him into any shape I wanted him to be"

(Bow Down)


Sarkasmus trieft aus vielen Ecken, vor allem, wenn es um Sozialkritik geht, zum Beispiel


"The people who grinned themselves to death
Smiled so much they failed to take a breath
And even when their kids were starving
They all thought the queen was charming"


oder, auch sehr schön:


"We dig our models with the brains the size of models
And cars that we can trust with our wives
And we dig converstaions with girls from every nation
But not the ones that whisper or tell lies

Wherever there's a will there's a motorway
Wherever there is greed there is speed
And they've always got to be there for yesterday
Welcome to the new Scalextric's breed"

(The Light Is Always Green [For Young Male Pop Star])


dessen Refrainzeile mein Verstand in völliger Eigendynamik als Folge des beliebten "Wir ersetzen Wörter in Songs durch irgendeinen Schwachsinn"- Spiels immer zu "Wherever there's a will there's a Schnitzelweck" vervollständigt... eine traumatische Spätfolge.

Natürlich gibt es auch eine Handvoll Pathos, man kann sich über die Akustikballade "Johannesburg" (über das damalige Apartheitsregime in Südafrika) in all seiner U2- Seligkeit genauso echauffieren, wie einem das kirmeshafte mundharmonikagetriebene Instrumental "Pirate Aggro" auf den Zeiger gehen kann... aber das sind Marginalien.


Letzten Endes


ist diese Platte Popmusik auf einem danach selten wieder erreichten Level. Gitarrengetriebene Songs wie der Opener oder "Me And The Farmer", wunderschöne Balladen mit bissigem Text wie "The Light...", und allgemein Lieder, die musikalisch die pure Daseinsfreude verströmen (wie eben das bläser- und pianoinfizierte "Bow Down", das als eines der wenigen Lieder, die ich kenne, ungestraft einen Kinderchor zur Unterstützung mitführen darf), ohne gleich in unkritischen Optimismus zu verfallen.

Grundvoraussetzung ist allerdings, daß man mit Heatons Stimme klarkommt, die häufig jungenhafte Höhen erreicht, die - wie im Falle des Schreis in "The World's On Fire"- gerne mal schmerzhaft am Trommelfell kratzen.
Ansonsten hat man eine teilweise großartige Melange aus Morrissey ("Suedehead" mal als Beispiel genommen, bevor jetzt Scharen von Morrisseyfans über mich herfallen) - und Style- Council (sagen wir hier mal "Shout To The Top" oder "Walls Come Tumbling Down")- Momenten, gehüllt in ein der Band unverwechselbar eigenes Soundgewand.


"Five Get Over Excited"


wartet mit einer netten Anekdote auf: im zugehörigen Video sieht man, wie der erste Drummer der Band, Hugh "Segelohr" Whitaker, dem später ein schauriges Schicksal beschieden war (man vernahm Jahre danach die Nachricht, er sei schizophren geworden, hätte seine Familie infolgedessen mit einer Axt angegriffen und sein Haus in Brand gesteckt... leider kein Witz) von seinem Nachfolger in einen Kartoffelsack gesteckt wird, und vergeblich versucht, im Sack steckend seinen Bandkollegen hinterherzueilen, unter anderem auf einem Go- Kart. Charmanter wurde nie ein Bandausstieg begründet.

Der Text in diesem recht flotten Song mit seinen "Fun fun fun"- Chören ist natürlich mal wieder einzigartig in seinem schwarzen Humor, auch wenn ich ihn nicht ganz kapiere, da sich mir der Kausalzusammenhang mit den Zeilen in den Klammern nicht erschließen mag:

Fun, fun, fun (Jeremy)
Me, me, me (Fifi)
Take, take, take (Jeremy)
Fun, fun, fun
James dean posters on their wall
(Five killed in a car-crash)
What a sad little end to it all
(Five killed in a car-crash)
Last seen having lots of fun
(Five dumped in a river)
Barefoot and on the run
(Five dumped in a river)

I am mad from Scandinavia
I want a guy in the London area
He must be crazy and Sagittarius
'Cause I'm Leo and I'm hilarious

Fun, fun, fun (Jeremy)
Me, me, me (Fifi)
Take, take, take (Jeremy)
Fun, fun, fun

Last seen drinking daddy's own beer
(Five poisoned over dinner)
Singing ABBA's "Mamma Mia"
(Five poisoned over dinner)
Drop dead watching thunderbirds fly
(Five get over excited)
Poster on their wall says "why? "
(Five get over excited)

I am guy from Camden Town
My hair is curly but I gel it down
My clothes are black but my bread is brown
I'm really into early Motown

Fun, fun, fun (Jeremy)
Me, me, me (Fifi)
Take, take, take (Jeremy)
Fun, fun, fun

Feigning concern, a conservative pastime
Makes you feel doubtful right from the start
The expression she pulls is exactly like last time
You've got to conclude she just hasn't a heart


Entstehungsgeschichte und Ende diverser bürgerlicher Familien in der Thatcherära?

Das Ende der Housemartins war da auch schon nahe, kurz und (für ausgewiesene Fans wie mich) schmerzhaft. Eine "Best Of"- Doppel- LP samt lesenswerter Linernotes und viel unveröffentlichtem Material namens "Now That's What I Call Quite Good"...
die immer langweiliger und bräsiger werdende Nachfolgeband The Beautiful South und ein ehemaliger Basser, der heute als Fat Boy Slim unzählige schwer erträgliche Bauernbeats zusammendübelt und für seine Ex- Band und die damalige Zeit nur noch Verachtung übrighat.

Ihr aber, die Ihr das lest und reinen Herzens seid: in tausenden Ramschkisten im ganzen Land ist jedes der Alben für einen lächerlichen Preis zu haben. Solltet ihr also mal eine Hosentasche voll Kleingeld übrig und ansonsten nichts zu tun haben, dann besorgt euch diese wunderbare Platte... Ihr werdet es nicht bereuen, schon gar nicht, wenn ihr auch nur einen Funken meiner Begeisterung dafür aufbringen könnt.

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