Dienstag, 4. Oktober 2011

4. Hot Snakes: Suicide Invoice

(erstmals veröffentlicht am 29.04.2008, überarbeitet am 08.10.2011)





Trackliste:

1. I Hate The Kids
2. Gar Forgets His Insulin
3. XOX
4. Who Died
5. Suicide Invoice
6. Paid In Cigarettes
7. LAX
8. Bye Nancy Boy
9. Paperwork
10. Why Does It Hurt?
11. Unlisted
12. Ben Gurion

Veröffentlichung: 2003

Erstanden:
2003, per Flight 13 Mailorder

Line- Up:

* Rick Froberg - guitar, lead vocals
* John Reis - guitar, backing vocals
* Gar Wood- bass, backing vocals
* Jason Kourkounis - drums (1999-2003)
* Mario Rubalcaba - drums (2003-2005)


Unspektakulär


fing alles an, deswegen ist es vielleicht nicht verwunderlich, daß ich über eine meiner absoluten Lieblingsplatten, die ich wohl in den letzten 5 Jahren so häufig gehört habe wie kaum ein anderes Album, relativ wenig schreiben kann. Sie kam quasi einfach irgendwann ums Eck, klingelte an meiner Tür, trat ein, setzte sich auf meine Wohnzimmercouch und weigert sich seitdem beharrlich, wieder zu gehen. So einfach kann das Leben manchmal sein. Keine Anekdoten, keine Jugenderinnerungen, nur eine nächtliche Autofahrt durch Mannheim bei einem meiner besten Freunde auf der Rückbank, auf dem Weg zu einem Firewaterkonzert, und ein "Kennst du die schon? Hab ich mir heute geholt." samt einem "Bzzzzz"- Geräusch, als der CD- Player im Auto eben erwähntes Produkt in seine Eingeweide zog. "Das ist das Nebenprojekt von einem der Rocket From The Crypt- Typen."
Ah ja. Eine Band, die sich bis heute vehement allen meinen Versuchen widersetzt, sie besser als allenfalls "ganz passabel" zu finden.

Und was war das nun? Seltsam. Zuerst Geeiere und Geleiere samt blecherner Produktion, dann einige schnellere Songs, die sich aber irgendwie akustisch anhörten, vorgetragen in einer fast teenagerhaften Stimmlage, alles in allem etwas, das sich bei mir jeder Kategorisierung entzog.
Zumindest war mein Interesse geweckt. Ich hörte sie mir noch zwei-, dreimal an, bestellte mir die Platte dann per Mailorder und das war es dann. Als ich das Klebeband des Päckchens durchschnitt, hatte schon eine gewisse Vorfreude von mir Besitz ergriffen... und nach dem ersten kompletten Durchlauf war ich dieser LP total verfallen. So oft hörte ich sie in den folgenden Monaten, daß ich sie mir endlich auf CD sichern mußte, weil ich Angst hatte, daß sich das Vinyl im Zuge dieser Dauerrotation auflösen würde.

Zeitsprung.


2005. Das dritte Album "Audit In Progress" war gerade erschienen, und die Hot Snakes waren auf Europatournee. Einziger Deutschlandtermin (soweit ich mich noch erinnere) war am 14. 05. in Nürnberg, mit Dan Sartain im Vorprogramm. Also packten wir in der Pfalz und in Karlsruhe zwei Autos voll, um dorthin zu tuckern. Wir sahen ein großartiges Konzert, auch wenn die Band überhaupt nicht mit dem Publikum kommunizierte und somit in den Pausen zwischen den einzelnen Stücken eine Art betretenes Schweigen entstand. Aber als Fan hörte man alle Songs, die man auch hören wollte, und als Zugabe gab es noch ein ellenlanges Stück der Hot- Snakes- Vorgängerband Drive Like Jehu.
Das war ca. einen Monat, bevor mich ohne Vorwarnung die Nachricht erreichte, daß sich die Hot Snakes aufgelöst hatten. Bumm.

Bumm.


Die Nadel senkt sich auf die Eingangsrille, und ein akustisches Gekritzel ertönt... ein seltsamer, dahineiernder Ton, der sich verdichtet, und aus dem Nichts eilt eine Melodica herbei (tatsächlich so ein Tastending, in das man dazu noch reintröten kann... ich sah es live mit eigenen Augen). Danach ein schwerer Rhythmus, der aber nichts an dem Geleier ändert, es jedoch strukturiert. Und dann der harmlos klingende Sänger mit einem abgrundtief sarkastischen Text, der zu seiner juvenilen Stimmlage (es war wirklich nur die Stimmlage... der gute Mann dürfte die 30 auch weitgehend hinter sich gelassen haben) in völligem Kontrast steht:

I HATE THE KIDS

Nobody does anything
Wrong
Nobody is a dilettante
Everybody gets everything
Everything they want

Time to change up sheets
Lock change
Down
Down in the street
I wanna see ya all crossed up
and hung

Fine clothes
Find work
Grab a spade
Get in the dirt
The older you get
The less you're worth
You're gonna hit the market full force


Ein markanter Einstieg, und sowieso sind Texte und Songtitel genauso einzigartig wie die Musik selbst. Zum Beispiel beim nächsten Song, "Gar Forgets His Insulin". Ein relativ schneller Song, der aber durch die völlige Abwesenheit von Bratgitarren irritiert und irgendwie naturbelassen wirkt, in etwa wie eine Holzspielzeugvariante zu "normalem" Punk-/Alternativerock, mit einem Rhythmus, der seltsame Assoziationen an sich rasant von einer Spule abwickelndes Schneidergarn weckt. Und mittendrin eine Melodie, trotz allem eine prägnante Linie, die sich sofort im Kopf festhakt... und beim nächsten Song wieder. Und wieder. Und wieder.
Eine klappernde Kiste voll Murmeln und Holzklöppeln, aus der geradezu unsterbliche Hooklines und Melodielinien herausragen, für die so manch andere Band, die seit Äonen sinn- und planlos vor sich hinmusiziert, ihre Seele verkaufen würde. Mindestens. Und dann, wenn man denkt, es könnte nicht mehr besser werden, ein ganz kurzer Rhythmuswechsel oder eine sonstige Finesse, die einen Endorphinschub verursacht. Oder eine Textzeile, von der man sich wünscht, sie wäre einem selbst eingefallen.

"Can't live without the one I love
Can't live with you
The last person in the Tri-State
Looking for the last ditch, black hole
Something to do
Yeah, you're stinking drunk
You're drawing flies"

(Bye Nancy Boy)


Verdammt, ist das gut.

Das Problem: was soll ich ansonsten schreiben? Die Platte ist stilistisch sehr homogen, und jeden Song auseinanderzudröseln, wäre- noch sinnloser als bei Trend weiter oben- zur Redundanz verdammte geistige Onanie. Es ist schlicht und ergreifend ein Gesamtkunstwerk, und nach ziemlich genau 30 Minuten ist alles vorbei, und man wünscht sich nur, die Platte wieder umzudrehen und das Ganze nochmal zu erleben. Es gibt und gab Tage, da hörte bzw. höre ich das Album vier- oder fünfmal hintereinander, ohne daß es mir zum Hals raushängt... und das muß erstmal jemand fertigbringen.

Ein Song ist noch erwähnenswert, der ebenfalls leierige, balladeske Titelsong, der dunkle Monolith dieser Platte, mit einem zwingenden, anschwellenden Rhythmus und seltsamem Gitarrensound, der klingt wie... was eigentlich? Pickings? Weiß der Geier, ich bin kein Musiker. Aber der Text schickt mich immer ziemlich drauf.


You and I made a pact
Only you could keep
And now I answer to you
In my sleep
A suicide invoice
In pen and ink
Brings you to my bedside
In yellow, white, and pink
And when I dream
I keep my promises to you
I really do
Suicide invoice
Suicide dream
And when I dream
I keep my promises to you
I really do
A suicide invoice
Yellow, white, and pink
Brings you to my bedside
In pen and ink
And when I wake
I know all our dreams will come true
I really do


Was bleibt?

Meine Unfähigkeit, diese Platte adäquat zu beschreiben... weder kann ich es musikalisch, noch kann ich auch nur annähernd ausdrücken, was sie in mir auslöst. Oder was sie mir mittlerweile bedeutet.
Um oasupp nochmal in einem anderen Zusammenhang zu zitieren: man besitzt diese Platte nicht, sondern umgekehrt. Wer einmal Musik jenseits aller ausgetretenen Pfade hören will, von einer Band, die mit drei Alben ("Automatic Midnight", "Suicide Invoice", "Audit In Progress") ihren eigenen, unverwechselbaren Stil geschaffen hat, sollte zu diesem Album greifen, bevor es eine komplette Rarität darstellt. Zum Einstieg in das Werk dieser Band ist es im Vergleich zu den meiner Meinung nach geringfügig schwächeren anderen beiden Werken (wobei "Salton City" auf "Automatic Midnight" nichtsdestotrotz der beste Hot Snakes- Song ever ist) die beste Empfehlung. Als Ergänzung kann man noch die direkte Vorgängerband Drive Like Jehu erwähnen, die deutlich sperriger daherkommt und deren instrumentallastige Songs, die bisweilen die 9- Minuten- Hürde nehmen, teilweise doch Geduld beim Hören erfordern.

Und ich, ja, ich belasse es diesmal beim kürzesten Text bisher und hoffe, beim ein oder anderen spricht bald die Musik für sich selbst.

[Nachtrag: die Hot Snakes haben sich 2011 wiedervereint und sind gerade auf Tour. Mal sehen, was aus der Geschichte noch wird.]

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen