(erstmals veröffentlicht am 28.12.2008, überarbeitet am 09.10.2011)
Erscheinungsjahr: 1994
Erstanden: 2000 oder 2001, WOM Karlsruhe
Trackliste:
1. Do You Love Me?
2. Nobody's Baby Now
3. Loverman
4. Jangling Jack
5. Red Right Hand
6. I Let Love In
7. Thirsty Dog
8. Ain't Gonna Rain Anymore
9. Lay Me Low
10.Do You Love Me? (Part 2)
An sich wäre es mal wieder an der Zeit,
auszuufern... und die Geschichte einer großen Liebe zu erzählen, die anfangs überhaupt keine Chance hatte, da ich und der betreffende Gegenpart einfach zu verschieden waren.
Man erkannte vielleicht Gemeinsamkeiten, versteckt im Hintergrund... wagte aber nicht, näher darauf einzugehen.
Denn Nick Cave war bei seinem ersten Erscheinen in meinem Leben
für mich einfach ein grandioser Langweiler. Ich spürte: das muß wohl große Kunst sein. Aber eine, von der ich nichts verstehe.
Erschien er- zum Beispiel mit dem "Weeping Song" im Doppelpack mit Blixa Bargeld- in Gestalt eines Videoclips damals bei mir auf Super Channel (--> siehe Iggy Pop), ging ich im zarten Alter von 16 oder 17 meistens pissen. Oder schaltete um. Oder lag in physiognomisch bedenklich verrenkter Haltung auf der Doppelcouch meiner Eltern, verzweifelt Richtung Uhr äugend, in der Hoffnung, die bleierne Ödnis zu überwinden, die mich befallen hatte.
Ich verstand absolut nicht, wie man sich von diesem Typen freiwillig ein komplettes Album anhören konnte und warum eine Klassenkameradin von mir von ihm absolut begeistert war und immer regelrecht stinkig wurde, wenn ich sie damit aufzog.
Nick Cave war damals alles, was ich nicht war und auch niemals sein wollte... trotzdem respektierte ich ihn, seltsamerweise.
Dazu trug in erster Linie der Ausschnitt aus "Ghosts... Of The Civil Dead" bei, den ich in einem Fernsehbericht sah, ein Knastfilm, in dem Nick Cave die Hauptrolle spielte (und den ich bis heute leider noch nicht gesehen habe) sowie "And The Ass Saw The Angel", das ich während meiner Punkzeit mal gelesen hatte. Ich mochte diese düsteren Südstaatenszenarien und den einsamen Wanderpredigerhabitus, der ihn umgab... und es war alles recht und gut, solange ich nicht seine Musik hören mußte.
Es erwischte mich
völlig unvorhergesehen. Bevor ich zu Hause auszog, um in Speyer in das Wohnheim der Schule überzusiedeln, die ich ab Mitte der 90er noch einmal drei Jahre besuchen sollte, lag ich in meinem alten Zimmer auf dem Bett und glotzte zum Einschlafen MTV... ich glaube, es war "Alternative Nation".
Ich weiß auch nicht, was mich am Clip zu "Do You Love Me?" dermaßen draufschickte... Bilder, Atmosphäre, richtige Zeit, richtiger Ort, es stimmte einfach alles. Jedenfalls hatte ich den ersten Nick- Cave- Song erlebt, der mich komplett überzeugt hatte.
Aber die Platte kaufen? Anhören zumindest. Oder? Ich konnte mich nicht entscheiden. In den nächsten drei Jahren sollte ich eh kaum Geld haben, um mir auf Verdacht irgendwelche Alben zu kaufen, es war schwierig genug, nicht völig den Anschluß zu verlieren... mein schmales Budget reichte gerade mal für ca. 8-10 Alben im Jahr, und da gab es dringlichere Fälle abzuarbeiten.
Aber "Do You Love Me?" wurde mein ständiger Begleiter... der Barkeeper in meiner Speyerer Stammkneipe ließ es laufen, wenn ich hereinkam, weil er es glücklicherweise auf Tape hatte und ich es mir eh dauernd wünschte. Und im letzten Schuljahr tauchte ein Typ auf, der eine Sammlung Videoclips aus dem Internet gezogen hatte, unter anderem auch... ja. Genau.
1999 verließ ich Speyer zum ersten Mal in Richtung Karlsruhe (in meinem Seuchenjahr 2002 ging es nochmal hin und zurück, aber diese Geschichte geht nur mich was an), und als ich dann einmal im WOM stöberte, wo die Nick Cave dann für 7 Mark 99 verramscht wurde, gab ich den letzten Widerstand auf. "Wenn sie mir nicht gefällt", dachte ich, "brenne ich mir halt den einen Song runter und schaue, daß ich sie loswerde."
Zum Glück fiel das bereits in meine Phase musikalischer Weiterentwicklung... ich entdeckte Sachen, die ich früher nicht mal mit der Beißzange angefaßt hätte, Johnny Cash beispielsweise.
So wurde "Let Love In" ein Volltreffer... kurz danach folgte "No More Shall We Part"... dann "Henry's Dream"... und mittlerweile alle regulären Alben, soweit ich den Überblick habe, sowie die Birthday Party, Grinderman und die Platte mit Die Haut. "The Firstborn Is Dead" und "Henry's Dream" gefallen mir musikalisch besser als "Let Love In", und in den letzten Jahren liefert der Meister (früher nicht denkbar) auch gerne mal ziemliche Grütze ab ("Nocturama"), aber das ändert nichts daran, daß er zu meinen absoluten Favoriten zählt... und "Let Love In" (man beachte die Doppeldeutigkeit des Titels in Verbindung mit meinem Einstieg... wir werden esoterisch, Kinners) der Anfang davon war. Und darum fiel meine Wahl auch auf dieses Album.
"Do You Love Me?"
ist denn auch gleich der Opener des Albums. Der pulsierende Baßlauf, die mächtige Soundwand, die sich mit einem einzigen Schwung aufbaut, die sich penetrant ins Ohr dübelnde Pianomelodie, der Spannungsaufbau (man kann mit einem mehrfach wiederholten "Jingle Jangle" eine Art Katharsis herbeiführen, lernen wir, während wir vor dem inneren Auge das Bild spastisch verrenkt tanzender Gruftweiber verscheuchen) und, ja, der Text. Man kann sich ebenfalls über die Bedeutung von Nick Cave in der Gothszene mittlerweile wundern... denn es staubt eigentlich penetrant während dieses Albums, beginnend beim Titeltrack.
Americana, Plüschbarpornomusik, Noise, Punkeinflüsse... man mag eine gewisse dunkle Patina darauf ausmachen können, wenn man mag, aber ähnlich wie bei Killing Joke ist das eher etwas, was sich im benachbarten Zimmer abspielt, wenn die Schwarzkittelträger ihren Discoabend veranstalten.
"Nobody's Baby Now" ist eine mollgetränkte Ballade mit viel Georgel und Wohlklang, in der Nick Cave unter hartnäckigem Ignorieren seiner limitierten stimmlichen Fähigkeiten nach Herzenslust croonen darf... eine kurze Verschaufpause auf dem Weg zu Wahnsinn, Begierde und Selbstkasteiung.
Muß ich zu "Loverman" noch was schreiben? Habe ich nicht bereits alles gesagt? Ich würde dem Song gerne ein Denkmal setzen, hätte ich es nicht bereits getan. Und das zurecht... der bedrohlich flüsternde Einstieg mit dem plötzlich explodierenden Refrain und der an eine Liturgie gemahnende Nachschub... Obsession. Verzweiflung. Unerfüllte Begierde.
Ich kenne keinen Song (außer "I Put A Spell On You") der dies alles dermaßen exakt auf den Punkt bringt. Das war der zweite Song auf der Platte, der mich beim ersten Hören komplett weggeblasen hat, und dazu noch einer, der für mich später eine besondere Bedeutung erlangte, die er auch heute noch besitzt (und Dank eines kreativen Schubes wohl auch zeit meines Lebens besitzen wird).
Hier auszugsweise nochmal eine Verneigung vor einem der besten Songtexte, die IMHO jemals geschrieben wurden:
There's a devil waiting outside your door
(How much longer?)
There's a devil waiting outside your door
It is bucking and braying and pawing at the floor
And he's howling with pain and crawling up the walls
There's a devil waiting outside your door
He's weak with evil and broken by the world
He's shouting your name and he's asking for more
There's a devil waiting outside your door
Loverman! Since the world began
Forever, Amen Till end of time
Take off that
dress I'm coming down I'm your loverman
Cause I am what I am what I am what I am
L is for LOVE, baby
O is for ONLY you that I do
V is for loving VIRTUALLY all that you are
E is for loving almost EVERYTHING that you do
R is for RAPE me
M is for MURDER me
A is for ANSWERING all of my prayers
N is for KNOWING your loverman's going to
be the answer to all of yours
Bevor es aber allzu gemütlich und selbstreflexiv wird, erstmal "Jangling Jack", ein schäbiger Krachbolzen mit hohem Nervfaktor und bitterbösem Text, der den eingelullten Hörer aufschreckt und reflexartig "Ach du Scheiße,was ist denn das?" ausrufen läßt.
Man merkt es: ausgerechnet das gehört nun gar nicht zu meinen Favoriten. An manchen Tage läuft der Song durch, an anderen Tagen ist er ein todsicherer Skipkandidat.
Zum Glück gibt es danach das nächste Songmonument:
"Red Right Hand" möchte man am liebsten schwerstens angetrunken morgens um 4 in einer schmierigen 70er-Jahre- Bar in Hamburg hören.
In das rote Plüschsofa versinkend hebt man sich an einem Glas Whisky Sour fest, während die abgehalfterte Schlampe, der man vorhin in einem desperaten Schub von Nächstenliebe einen Piccolo für 20 Euro spendiert hat, oben ohne in einem goldfarbenen Lurexslip um eine Stange tanzt und Abscheuliches mit einer Federboa vollführt.
Man ist der letzte Gast und erhält noch eine "Spezialvorstellung", auf die man eigentlich keine Lust mehr hat (aber alles ist besser, als jetzt nach Hause zu gehen), während der Barkeeper die Gläser abtrocknet.
Es orgelt. Jemand (vielleicht man selbst, so genau läßt sich das nicht mehr rekonstruieren) zündet ein Streichholz an. Die himmelblaue Federboa wuscht durch die Luft, in der plötzlich eine Spannung zu liegen scheint, die einen flach atmen läßt... denn es wird etwas passieren. Jetzt. Sofort.
Tatsächlich öffnet sich knarzend die Tür, und ein hünenhafter Mann, das Gesicht verdeckt von einem breitkrempigen Hut und bekleidet mit einem knöchellangen, staubigen Mantel betritt den Raum und fixiert einen... man kann seinen stechenden Blick durch die rauchgeschwängerte Luft fast spüren.
"Hey du!" ruft er plötzlich, und die Stimme klingt, als würde er nach dem Aufstehen morgens seinen Aschenbecher zum Frühstück leerfressen.
"Ich?" antwortet man zaghaft, und man spürt erschreckt einen undefinierbaren Klumpen, der sich im Magen zusammenballt.
"Ja du! Arschloch! Komm mal wieder zur Sache, du schweifst hier total ab!"
"OK", antwortet man erleichtert und macht weiter im Text.
Haken wir kurz den Titelsong ab: eine Ballade mit Shantyfeeling, der man einen gewissen Schunkelfaktor nicht absprechen kann. Der Text steht im Kontrast dazu, eigentlich ein Antiliebeslied, das man genausogut als Galgenhumor betrachten kann:
Despair and deception, loves ugly little twins
Came a-knocking on my door, I let them in
Darling, youre the punishment for all of my former sins
I let love in
I let love in
[...]
So if youre sitting all alone and hear a-knocking at you door
And the air is full of promises, well buddy, youve been warned
Far worse to be loves lover than the lover that love has scorned
Doch das war nur eine Verschaufpause.
Wenn es einen Nick- Cave- Song gibt, der sich zum betrunkenen Herumpogen eignet, ist es "Thirsty Dog". Nicht umsonst wurde er von einer mir bekannten Ü 30- Punkrockband aus Speyer gecovert, denn er riecht nach Kneipe und unrasierten besoffenen Männern, die sich in Selbstmitleid suhlen, weil sie ihre Beziehung ruiniert haben. Eine bukowskieske Außenseiterstory, mit Verve vorgetragen, ohne Brettgitarre, aber sehr schnell und wieder mit deutlichem Countryeinschlag:
I know you've heard it all before
But I'm sorry for this three year war
For the setting up of camps
and wire and trenches
I'm sorry for the other night
I know sorry it don't make it right
I'm sorry for things I can't even mention
I'm sorry, sorry, sorry, sorry
I'm sitting feeling sorry in the Thirsty Dog
"Ain't Gonna Rain Anymore" und "Lay Me Low" zählen auch nicht unbedingt zu meinen Favoriten. Ersteres eine Nick- Cave- Ballade wie viele Nick- Cave- Balladen, um mal einen anderen Meister zu zitieren: "Nett zu lesen, nett zu vergessen." (Arno Schmidt über Heinrich Heine). Nett zu hören eben, aber nichts, was direkt aus der Songauswahl heraussticht, ebenso wie "Lay Me Low", ein vaudevilleartiger Grabgesang mit zunehmend versoffener klingender Gesangsdarbietung.
Zum Ende dann nochmal eine ruhige Version von "Do You Love Me", mit deutlich sphärisch angereicherter Atmosphäre und anderem Text. Als hätten sich Pink Floyd dieses Songs angenommen... es wabert, im Hintergrund heult der Wind zusammen mit einer einsamen Geige und bringt dieses Album zu einem adäquaten Ende, das darin besteht, daß man sich in einer merkwürdig andächtigen Atmosphäre wiederfindet, und erstmal nichts anderes hören möchte... oder auf "Replay"drückt.
Ich weiß, daß mir mancher vehement widersprechen wird, wenn ich "Let Love In" als das ideale Einstiegsalbum vorschlage (seltsamerweise sind da alle auf das stinkelangweilige "The Boatman's Call" fixiert... eine Platte, die ich höchstens hören will, wenn ich aktiver Sterbehilfe bedarf), aber es funktioniert... ich bin der lebende Beweis dafür.
Es mag nicht sein bestes Album sein,aber immerhin dasjenige, das mir den Zugang zu diesem großartigen Künstler verschafft hat... und dafür hat es sich den Platz in dieser Liste redlich verdient.
Sonntag, 9. Oktober 2011
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