(erstmals veröffentlicht am 21.06.2008, überarbeitet am 08.10.11)
Trackliste:
1. Then Comes Dudley
2. Mouth Breather
3. Nub
4. Seasick
5. Monkey Trick
6. Karpis
7. South Mouth
8. Lady Shoes
9. Rodeo In Joliet
Erschienen: 1991
Line- Up:
David Yow (voc)
David Wm Sims (b)
Duane Denison (gt)
Mac Mc Neilly (dr)
Erstanden: Irgendwann 2003, gebraucht im "Studio Eins", Karlsruhe
Es war einmal
ein Wahnsinniger namens David Yow. Dieser sang- laut einem Freund von mir- als würde er von einem Esel vergewaltigt. Backstage warf er Leuten gerne ohne ersichtlichen Anlaß brennende Kippen ins Gesicht, kackte in ihrer Abwesenheit in ihre Biergläser und war bekannt dafür, sich sogar bei Studioaufnahmen nackt auf dem Boden herumzuwälzen.
Live malträtierte er sich entweder mit einem Stück Dachlatte, bis er blutend am Boden lag (so geschehen bei einem Gig der Lizard-Vorgängerband Scratch Acid in Berlin) oder es gab, ich zitiere Wikipedia, "Live-Auftritte der Band, zu denen Sänger Yow selten mehr als eine Hose trug, die er häufig während der Performance auszog, um Fäkalien und Onanie zum Bestandteil der Show zu machen. Gelegentlich betrat er die Bühne auch in Verkleidung, etwa als Jesus, Hitler, Dorothy aus dem „Zauberer von Oz“ oder nackter Napoleon, bekleidet nur mit einem Zweispitz."
Natürlich machte David Yow auch noch Musik neben dem Wahnsinnigsein.
The Jesus Lizard brachten folgende Alben heraus:
1989 Pure EP (Touch and Go Records)
1990 Head EP (Touch and Go Records)
1991 Goat (Touch and Go Records)
1992 Liar (Touch and Go Records)
1993 Lash (Touch and Go Records)
1994 Show (Collision Arts)
1994 Down (Touch and Go Records)
1996 Shot (Capitol)
1997 Self-Titled EP (JetSet)
1998 Blue (Capitol)
2000 Bang (Touch and Go Records)
Die Auflistung ist deshalb vollständig, um auf das Konzept hinzuweisen, alles mit vierbuchstabigen Wörtern zu betiteln. Was die Qualität der Alben angeht, stechen zwei besonders heraus und stellten mich vor die Qual der Wahl:
"Liar" oder "Goat"?
Ersteres war meine erste Begegnung mit ihnen, und alleine die ersten beiden Songs ("Boilermaker" und "Gladiator") sind in ihrer peitschenden Intensität bestens dazu geeignet, mit Schaum vor dem Mund und einem Zimmermannshammer in der Hand nahezu besinnungslos auf umstehendes Mobiliar einzudreschen.
Warum dann "Goat"?
Ganz einfach: man sitzt abends bei seinem Freund Sinan (einer von zwei mir bekannten Türken mit Punkroots) auf der Couch, trinkt Bier, schaut irgendeinen B-Movie ohne Ton und hört dazu Musik. Multitasking.
Dann zieht man "Goat" aus einer monströsen Plattensammlung, legt es auf, und bei den ersten Klängen von "Then Comes Dudley" zieht Sinan ein riesiges Stofftaschentuch heraus und wischt sich die Stirn ab.
"Verdammt, ich fang schon wieder an, zu schwitzen. So fiebrig."
Exakt darum geht es: die Atmosphäre.
Dudley kommt merkwürdig schleppend des Weges, klar strukturiert (jedes Instrument ist deutlich voneinander zu unterscheiden), was an der knochentrockenen Produktion von Steve Albini (wem sonst?) liegt, einem bekennenden Fan der Band, und darüber eine blecherne, spukige, thereminhafte Gitarrenlinie von Duane Denison, die dieses Stück antreibt. Dazu der Text:
That woman's crazy, she's the mistress of a man who's crazy too
That woman's carryin'
Then comes Dudley
Dudley's gonna do us all a favor and tear 'em both a new asshole
Dudley feels the time has come to swell his balloon
Dudley feels the time has come to clean this womb (wound)
That's right Dudley, yeah
Jessas. Ja, die Texte... fast immer bizarres Zeug, oft Gewaltphantasien von psychisch Kranken, surreales Zeug oder auf abstrakte Art und Weise Selbstzerstörerisches.
Alles zusammen summiert sich zu DER Atmosphäre, etwas Eigenes, daß sich mit nichts vergleichen läßt, was ich kenne. Natürlich ist es Noiserock, aber im Vergleich zu- sagen wir mal- Unsane oder Helmet ohne Brettgitarren. Er dürfte eigentlich gar nicht hart sein, weil es die vetrackte Spielweise teilweise unmöglich macht, wird aber trotzdem als solches wahrgenommen, sei es wegen dem treibenden Schlagzeug oder Baß, blechern angerissenen Gitarrenriffs oder Yows irrem Gekreisch.
Beim nächsten Track "Mouthbreather" hat man alles zusammen: eine wahnsinnig komplizierte Schlagzeugfigur, die sich ständig wiederholt, dazu ein ebensolches Gitarrenriff, und es stellt einen nicht einfach nur auf wie ein halber Liter Mokka mit teerartiger Konsistenz, es schiebt einen in der Wohnung von einem Raum in den andren, auch wenn man verzweifelt versucht, sich am Türrahmen festzuklammern.
"Nub" dagegen beginnt für Lizard- Verhältnisse fast schon konventionell: ein leiernder Gitarrenton, der zum herausstechenden Riff wird, darunter geben Baß und Schlagzeug das Tempo vor, und dann kommt das Break, die Gitarre setzt aus, und es bleibt ein paar Sekunden lang nur die Rhythmussektion, bis Denison zusammen mit Yow wieder einsetzt. Und das bläst einen dann fast aus dem Sessel. So simpel, so effektiv. Und der Text mal wieder:
So since the surgery, how's that ghost limb
Hey man, say man have you been rubbin' your nub
Por favor
De no sacar los manos, de no sacar los manos
Fuera de la ventana
So cuenta es muchas dinero lo siento
But I have got to hand it to you, you're taking this extremely well
Ah rub it on me, rub it on me Duane
So since the surgery, how's that ghost limb
Hey man, say man have you been rubbin' your nub
Wobei der hervorgehobene Teil das "Gitarrensolo" einläutet. Findet man auch nicht allzuhäufig... "rub it on me, Keith"? Nah. Bäh.
Das Video zu dem Song steht übrigens auf You Tube, falls es Unerschrockene interessieren sollte.
Danach geht es mit "Seasick" wieder ebenso schleppend weiter, ein Song, der eigentlich nur als Plattform für die Selbstdarstellung des exaltierten Sängers fungiert und dessen "I can't swim"- Intro- Gekreisch mir an manchen Tagen extrem auf den Senkel geht. Also schnell weiter zu "Monkey Trick" mit seinem kurz rasenden, dann abrupt abbremsenden Intro... die Baßlinie pulsiert, dazu Yows Sprechgesang, der immer schräger wird, bis sich das Lied spiralig in völlige Übergeschnapptheit und diese sich wiederum in den Kopf des Zuhörers hineindreht, dessen rechtes Auge unmerklich zu zucken beginnt, während er nach spitzen Gegenständen in Reichweite sucht. Die findet er nicht, also haut er im Rhythmus des "Ouh!"- Geplärres des mittlerweile völlig entfesselten David Yow den Kopf auf die Tischplatte, aber da kommt ja schon "Karpis".
Sieht nach Verschnaufpause aus, den die Gitarren plinkern entspannt, Yow singt mal richtig, aber der Refrain bricht dann plötzlich mit einer Urgewalt über einen herein, die ihresgleichen sucht, und spätestens wenn sich McNeilly (einer der wohl unterschätztesten seiner Art, Lombardo und Grohl hin oder her) an den Drums zu überschlagen scheint, ist alles zu spät. Alles.
Also hüpfen wir lieber zu "South Mouth" die gelbgepflasterte Straße entlang, was ganz lustig wäre, würden die beiden Männer in den Zwangsjacken im Hintergrund nicht in zwei völlig verschiedenen Stimmlagen dazu rumplärren. Das verwirrt uns dermaßen, daß wir das Ende der Straße übersehen und in unseren "Lady Shoes" einen Abhang herunterstürzen, dabei ständig Purzelbäume schlagend und reichlich zugerichtet aussehend, als das Lied ein Ende hat.
Ausgerechnet "Rodeo in Joliet" ist zwar immer noch für Normalhörer, die auf gepflegte Melodien wert legen, eine hochgradige Zumutung, aber auch eine Art abschließender Downer, beruhigend nach all der Hektik, der Manie, der Intensität, dem Wahnsinn.
Und nach einer halben Stunde ist wieder alles vorbei.
Warum also nun "Goat"?
Weil The Jesus Lizard nach "Liar" dann konstant abbauten, vor allem (mal wieder) nach ihrem Majorvertrag.
Wegen der musikalischen Virtuosität (nicht umsonst hat Duane Denison mit Ex- Laughing Hyena Bobby Kimball auch ein gesittetes Jazzduo).
Wegen David Yow, der heutzutage zwar als Webdesigner und Regisseur von Musikvideos (u.a. Offspring) arbeitet,aber immer noch völlig irre ist (seine "Special Appearance" bei den Melvins auf "The Crybaby" und auf der letzten Tour läßt sich mal wieder schwer in Worte fassen, und eine neue, mir unbekannte Band namens "Qui" hat er wohl auch am Start).
Und nicht zuletzt, weil das Album und die Band für ein einst populäres, aber mittlerweile fast vergessenes musikalisches Genre stehen, dem (und dessen "Szene", deren Humor, Leuten und Inhalten) ich mich nach wie vor so verbunden fühle wie keinem anderen.
[Nachtrag: auch hier mal wieder etwas Positives. Die Rezension entstand seinerzeit in einem Rutsch und einem Anflug spontaner Begeisterung... was man ihr auch anmerkt. Mit Anlauf kopfüber in die Metaphernkiste, und das dermaßen überkandidelt, daß ich mich gerade nicht entscheiden kann, ob ich das albern oder charmant finde. Darum lasse ich den Text weitgehend unverändert.
Meinen Jesus- Lizard- Konzertbesuch in Kreuzberg anläßlich der Reunion ein Jahr später habe ich hier im Blog bereits dokumentiert... nun soll sogar ein neues Album ins Haus stehen. Auch hier wieder: gespannte Erwartung, immerhin hatte der Split auch seine guten Seiten, denn spätere Lizard- Alben (ab "Down") braucht man nicht wirklich.]
David Yow, wie er singt und lacht
Samstag, 8. Oktober 2011
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Hallöchen,
AntwortenLöschenteile deine Begeisterung für Jesus Lizard und dachte auch lange Zeit, dass man nach der "Down" Jesus Lizard Veröffentlichungen vernachlässigen kann. Habe aber, nach dem ich mir vor allem die "Blue" mehrmals angehört habe, meine Meinung geändert - auch die "Shot" hat ihre Qualitäten. Jesus Lizard sind zwar nicht mehr so giftig, wie auf den Vorgänger Alben, obwohl die "Down" schon sehr gemäßigt daher kommt, aber dennoch sind es überdurchschnittlich gute Alben.
Manchmal brauch man etwas Zeit und Abstand, um Musik bzw. Bands neu zu entdecken. Oftmals liegt es an den eigene Erwartungshaltungen, ob eine Bande einen enttäuscht oder nicht. Das beste Beispiel ist, dass ich Jesus Lizard am Anfang überhaupt nicht mochte, da ich vorher Sratch Acid gehört habe. Heute verehre ich beide Bands gleichermaßen.
Danke für deine sehr ausführliche und gute Rezession.
Gruß,
Thomas