Sonntag, 12. April 2020

DYNAMO 1995 ... der Tragödie letzter Teil

Ich muß mich zunächst einmal korrigieren. Auch mein eigentlich unschlagbares Erinnerungsvermögen ist nicht immer verläßlich; dachte ich doch, das DYNAMO 1995 sei mein letztes gewesen, jedoch war ich von 1994 - 1996 am Start.
Da ich teilweise auch diverse Bands durcheinander brachte (beziehungsweise welche davon in welchem Jahr spielte), war ich mal so frei, das Line - up nachzugoogeln:

21./22. Mai 1994: Clawfinger, Cynic, Danzig, Die Krupps, Forbidden, Gorefest, Kyuss, Life of Agony, Nerve, Pride & Glory, Prong, Sick of It All, Skyclad, The Organization, Urban Dance Squad, Vicious Rumors, Skintrade

2./3./4. Juni 1995: 35007, Biohazard, Blitz Babies, Brotherhood Foundation, Crash Worship, Dog Eat Dog, downset., Dub War, Earth Crisis, Eleven Pictures, Fear Factory, Grip Inc., Hate Squad, Horace Pinker, Life of Agony, Machine Head, Madball, Mary Beats Jane, Mental Hippie Blood, Motorpsycho, My Dying Bride, Nailbomb, Nevermore, No Fun At All, NRA, Orange 9mm, Overdose, Paradise Lost, Rape, Rich Kids On LSD, Schweisser, Shihad, Skyclad, Snapcase, Strawman, Sun, Tiamat, Trouble, Type O Negative, Undeclinable Ambuscade, Warrior Soul, Waving Corn, Korn, Cradle of Filth

24./25./26. Mai 1996: 59 Times the Pain, 7Zuma7, Altar, Anathema, Bambix, Channel Zero, CIV, Cooper, Dog Eat Dog, Down by Law, Dreamgrinder, Eboman, Frozen Sun, Galactic Cowboys, Gorefest, Gurd, H2O, Merauder, Millencolin, Neurosis, NRA, Orphanage, Osdorp Posse & Nembrionic, Pennywise, Pitchshifter, Pro-Pain, Ryker’s, Sacred Reich, Satanic Surfers, Savatage, Skippies, Skrew, Slapshot, Slayer, Spiritual Beggars, Strung Out, Stuck Mojo, The Exploited, The Gathering, Unsane, Venom, Voivod, White Devil

Was für eine Parade teilweise längst vergessener Bands (manche davon durchaus zurecht), verbunden mit einer Flut von Erinnerungen. Aber dazu später.
Bevor ich an irgendwelche Bands überhaupt denken konnte, mußte ich auf dem Campingplatz des Festivalgeländes ja zuerst einmal den südpfälzer Stützpunkt ausfindig machen.
Hierzu hatte ich mich mit den Mitgliedern meiner damals noch zumindest pro forma existenten Gurkentruppe CONTRACT am Meeting Point verabredet.
Das war eine das Festivalgelände weithin überragende Säule, deren Spitze eine Art - sorry - Indianerkopf schmückte und die mir auch im Jahr vorher bereits aufgefallen war, ohne daß ich wußte, daß es sich dabei um den Meeting Point handelte, an dem sich Versprengte einfinden konnten.
Dummerweise wußte ich das auch zu jenem Zeitpunkt noch nicht. Es hatte mich weder interessiert, noch hatte ich mich um irgendwas gekümmert.
Also schleppte ich mich bei drückender Schwüle wie ein Maultier beladen über den zum Festivalgelände gehörenden Campingplatz, kurz vor dem physischen und psychischen Kollaps, und taxierte Autos, Kleintransporter und Zelte in der Hoffnung, irgendein bekanntes Gesicht zu entdecken.
Nach ungefähr einer Stunde konnte ich nicht mehr. Also entschloß ich mich zu einer riskanten Aktion: ich sprach eine auf einem Klappstuhl vor einem (ich glaube grünen) Kombi sitzende deutsche Frau an und bat sie, mein Gepäck bei ihr am Auto deponieren zu können.
Anfangs zögerte sie noch, doch nachdem ich ihr wortreich meine mißliche Lage geschildert hatte, stimmte sie widerwillig zu.
Da mein Orientierungssinn dem eines blinden Alzheimerkranken ähnelt, sah ich mich nun zwar um einige Kilo erleichtert, aber dafür in einer doppelten Streßsituation: ich mußte den Rest der Meute finden, durfte aber nicht vergessen, wo ich meine Taschen, meinen Schlafsack und meinen Bierproviant gelassen hatte.
Wie dem auch sei: geschätzt anderthalb Stunden später lief ich doch welchen von meinen Leuten über den Weg. Nach weiteren ca. anderthalb Stunden, die es brauchte, das Auto mit der deutschen Frau und meinem Gepäck wiederzufinden, konnten wir endlich zum gemütlichen Teil des Abends übergehen.
Also flugs einen Schlafplatz im Zelt organisiert, darauf die mitgebrachte türkische Flagge gehißt (wie gesagt, damals als Antifa - Statement gedacht, als ein Erdogan noch lange nicht in Riechweite war), und dort erstmal etwas geruht und tatsächlich versucht, für die anstehende Prüfung zu lernen.
Erraten, daraus wurde während des ganzen DYNAMO nichts, so daß ich sie halbwegs gegen die Wand fuhr und nochmal ins Mündliche mußte, wo ich meine Note immerhin noch auf eine Zwei hochquälte.
Nach geschätzt 17 Minuten Entspannung wurde es dann auch schon Zeit, sich im Großzelt abseits der Hauptbühne erste Bands anzusehen, Bier in sich hineinzuschütten, als würde es um Mitternacht schlagartig auf dem kompletten Gelände verdampfen und - ho ho ho, wie subversiv - demonstrativ in irgendeinem miefigen Bob - Marley - Wohnwagenkabuff einen ordentlichen Vorrat an Rauchbarem zu organisieren.
So verrann die Zeit; während man auf der Bühne irgendwelche Bands zunehmend anstierte und allgemeinzustandsbedingt dazu tendierte, jedem erdenklichem Glumpf noch irgendwas abgewinnen zu können ("irschendwie finn isch des Riff do schunn geil").
Ich erinnere mich zum Beispiel noch an SUN, eine deutsche Band, die eine Art Industrialmetal spielte, bei dem ständig als Stilmittel eine dominante Querflöte zum Einsatz kam und die unter anderem von mir hemmungslos abgefeiert wurde. Heutzutage bekäme ich dabei wahrscheinlich die galoppierende Krätze (ich könnte das über You Tube ja sehr leicht herausfinden, aber ich habe keine Lust dazu), aber ich war jung, dicht bis in die Haarspitzen und fand das Gesamterlebnis unübertrefflich großartig. Genauso hielt ich am nächsten Tag die auf Platte geradezu unterirdischen DUB WAR für das Beste, was ich seit langem gehört hatte. Dies führte nach meiner Heimkehr zum sofortigen CD - Erwerb ... und in der Folge dazu, daß dieselbe meinen Bestand ein Jahr später wieder verließ, ohne öfter als zweimal gehört worden zu sein.
Aber zurück zu jenem Abend.
So zog man sich also stückweise die Vorhänge zu, bis dann nach Einbruch der Nacht sich auch auf das Haupt der große Verdunkelungshammer niedersenkte. Also Zeit, nach den Strapazen des vergangenen Tages ins Zelt zu torkeln und trotz der gigantischen Lärmkulisse um einen herum endlich mal auszuschlafen.
Ich erspähte im Dunkel vage das wehende Rot der Flagge und bewegte mich darauf zu, stets bemüht, nicht über gespannte Schnüre zu stolpern oder gar gleich auf aufgebaute Zelte zu stürzen ... was in einer Mischung aus Kif und Suff auch nicht einfacher war, als meinen halben Hausstand durch die Gegend zu schleifen. Dabei hatte ich die Flagge fest im Blick ... und auf einmal war sie weg.
Verwirrt suchte ich die Zelte ab ... bis ich sie in einer Richtung entdeckte, die mich dazu brachte, mir die Frage zu stellen, wie zur Hölle sie dahin gekommen war (beziehungsweise: wie ich so vom Weg abkommen konnte).
Also Richtungswechsel, auf das Ziel zugestolpert, einmal den Blick abgewandt ... und wieder das gleiche Spiel. Die Flagge war unerreichbar weit weg.
Den Weg zurück ... und wieder das Gleiche. Den Weg zurück ... und wieder das Gleiche. Den Weg zurück ... und wieder das Gleiche.
Langsam machte sich Verzweiflung in mir breit. Ich fragte mich, ob es da irgendeine metaphysische Ebene gab. Büßte ich irgendwelche Sünden ab? War ich in einem surrealen Alptraum gefangen?
Nachdem ich mindestens drei Stunden unterwegs war und bereits die Morgendämmerung hereinbrach, erblickte ich dann den Sprinter, mit dem ein Teil unserer Gruppe gekommen war, und hinter dem Steuer saß der schlafende Robert S., den ich erst einmal a) durch heftiges Klopfen an die Scheibe wecken mußte, worüber er verständlicherweise nicht gerade begeistert war und b) dazu überreden mußte, mir Platz zu machen.
So kroch ich halb ohnmächtig ins Führerhaus und kam noch zu ungefähr drei Stunden Schlaf, aus dem ich dermaßen zerknittert erwachte, daß ich mich zuerst einmal mit allerlei Substanzen wieder glattbügeln mußte.
Dabei sah ich dann, daß in exakt einer Linie in einem Abstand von ca. 100 Metern zwei Zelte standen, die eine rote Fahne gehißt hatten, und ich Stunden wertvoller Lebenszeit damit zugebracht hatte, zwischen beiden hin und her zu schwanken.

So war das also auf dem DYNAMO 1995. Soviel Spaß hatte ich nur selten im Leben.

Zum Glück.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen