Samstag, 11. Januar 2020

Ich will ein verhaßter Klassiker sein!

Manche Schreiberkollegen könnten sich das als Lebensmotto in Stein gemeißelt als dringlichen Hinweis an die Welt um den Hals hängen, wenn das Ding nicht so verdammt schwer wäre.
Linus Volkmann zum Beispiel. Ja, der schon wieder.
Auf der Homepage des "Musikexpress" darf er sich nun seit geraumer Zeit in einer Rubrik gleichen Namens ("Verhasste Klassiker") austoben, in dem sogenannte "große Alben" in der Geschichte der Populärkultur mal ordentlich zerpflückt werden. Dagegen ist ja grundsätzlich erstmal nichts einzuwenden, denn da gibt es andere, denen das auch durchaus mal Vergnügen bereitet. Dreimal dürfen Sie raten, wem.
Lächerlich wird es nur, wenn es abgeschmackt und kalkuliert aufgezogen wird und das Ganze zu allem Überfluß soviel Staub aufwirbelt, daß er sich gleich einem Leichentuch über sämtliche schreiberischen Defizite legt.
Abgesehen von der Tatsache, daß hier ein seit "Don't Believe The Hype" von Sky Nonhoff schon fast vergammelter Hut als der neue heiße Scheiß verkauft wird, ist die Auswahl vermeintlicher Klassiker, die durch die Aufnahme in diese Rubrik überhaupt erst in diesen Rang erhoben werden, so vorhersehbar wie Gähn.
Die Beatles? Wow, ganz was Neues. Red Hot Chili Peppers? Pearl Jam? Die Strokes? Oasis?
Also lauter Alben der Kategorie "beziehen in diversen Foren und Rezensionen schon genug Prügel, aber haben trotzdem noch so viele Fans, daß sich mit Sicherheit einige Leute darüber aufregen werden".
Oder mit anderen Worten: Leute, die Linus Volkmann cool findet (genau: das "t" ist Absicht), mögen besagte Bands sowieso nicht, und die, die sich über seine Kritiken aufregen, sind Fanboys und -girls, auf deren Empörung man offensichtlich spekuliert, um den ganzen mediokren Sulch ordentlich in den sozialen Netzwerken zu pushen, auf die man aber als Zielgruppe für sonstige Buchveröffentlichungen nicht angewiesen ist.
Und wenn er sich dann mal an etwas wagt, was seine potentiellen Käuferschichten erschrecken könnte (Tocotronic, beispielsweise), wird das sofort relativiert:

Abgefeiert haben wir die Platte und die Band erstens dahinter ja schon oft genug. Und zweitens hat Linus hier eh eine heimliche Liebeserklärung in den Zeilen versteckt.

Wie heißt es so schön? "Beim Aussteigen zur Sicherheit die rechte Hand am Haltegriff".
Wenn es nach mir geht, darf man ja so ziemlich alles verreißen, wenn man es gut begründet oder zumindest unterhaltsam formuliert.
Leider geht in dem ganzen Empörungsgehechel bezüglich des Abwatschens scheintot genudelter Alben der eigentliche Grund zur Empörung unter:
nämlich der, daß hier jemand offensichtlich morgens auf dem Weg zur Arbeit in der S - Bahn im Stil eines mäßig begabten Neuntklässlers irgendwelche Kolumnen herunterschludert, zu deren Wirkung auf mich ich mal - wenn auch äußerst ungern - Heinrich Böll zitieren muß:

Das Überraschende war die niederschmetternde Eintönigkeit, trotz aller “witzigen” Hopser, die mich dann doch an die Brausewürfel meiner Kindheit erinnerten: das schäumt auf, fällt rasch zusammen – und schmeckt – wenn man nach kurzer Täuschung des Gaumen ehrlich befragt, abscheulich.

Und damit auch noch Geld verdient. Das sei ihm neidlos gegönnt, denn bevor ich für Erfolg derartige stilistische Salzwüsten durchwandern muß, bleibe ich lieber bei meinem Brotjob.
Beispiel gefällig?
Abgesehen von der schlampigen Recherche, die es ihm nicht einmal ermöglicht, Textzitate fehlerfrei wiederzugeben (siehe die Kolumne über Fünf Sterne Deluxe) fallen vor allem solch argumentative Pretiosen auf:

Über Kyuss:
Aus diversen historischen Missverständnissen (Y2K-Bug, Bilderberger, Flat Earth etc.) gilt das unhörbare Gegniedel und Geklampfe bis heute noch als total genial. Zumindest solange bis man es sich mal wieder anhört. Danach denkt man anders über diesen „Klassiker“.

Oder die Red Hot Chili Peppers:
Der „Hit“ „Under The Bridge“ beweist dabei zudem: Dieser Sound taugt auch bei kitschigen Balladen überhaupt nichts. 

Kurz zusammengefaßt: manche Leute finden diese Musik gut, aber das ist sie nicht. Yo, Hermeneutics!
Immerhin: sein 2019er Jahresrückblick ist in aller kumpelhaften Koketterie überschrieben mit

Linus Volkmann reicht seinen Kritikern die Hand (und die Pistole)

Die Einladung ist also angekommen. Oder um eine andere seiner Überschriften zu bemühen:

Die Gorillaz sind nichts als eine gefällige Inszenierung – und anstrengend eitel

Und an dem Satz stimmt jetzt mal fast alles. Bis auf die Gorillaz.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen