Mittwoch, 21. April 2010

Manchmal wünsch' ich mir mein Schaukelpferd zurück

Gestern bemerkte ich mal wieder, daß ich allmählich alt werde.
Diese Erkenntnis kam mir beim Konzert der von mir nach wie vor sehr gemochten Agnostic Front in der Stadtmitte in Karlsruhe.
Von vornherein war mir schon klar, daß ich mich ganz weit hinten halten werde, während sich das Jungvolk vorne zur 1a- Straßenschlägermusik einer Band, die nun auch schon seit Anfang der 80er existiert, gerne gegenseitig die Fresse polieren und durch die Gegend heben lassen darf.
Meine Statur mag zwar darüber hinwegtäuschen, aber noch vor zehn Jahren gehörte es für mich zu einem essentiellen Konzertereignis, mich von mir eigentlich wohlgesonnenen Menschen verprügeln zu lassen und allerlei Blessuren wie eine Trophäe mitheimzunehmen.
Manchmal war es auch zuviel des Guten; ich erinnere mich an ein Konzert von Sick Of It All im Jubez, als gleich drei entfessselte Testosteronhengste mit freiem Oberkörper aus drei unterschiedlichen Richtungen auf mich zusprangen, es einfach nur einen Knall gab und ich den Ort meiner weitgehenden Hinrichtung auf allen Vieren verließ.
Vernunftbegabte Menschen werden nun wieder fragen, was das Ganze überhaupt soll.
Ich weiß es nicht; Slamdance und Pogo waren nun mal schon immer die adäquate Art und Weise, sich zu solch einer Musik zu bewegen.
Und wenn es so abläuft, daß man mit bald 40 keine Lust mehr hat, Teile seiner Unterlippe am T- Shirt seines Nebenmannes kleben zu haben und sich stattdessen das Konzert relativ unbehelligt anschauen will, und das auch problemlos möglich ist, können die jungen Leute soviel Spaß nach ihrer eigenen Lesart haben, wie sie möchten.
Mein Neid sei ihnen gewiß.

Heute morgen in der S41 obskures Hirnkino.
Liegt es wirklich am Alter, daß die ganze Fahrt über ein Teil von Peter Maffays Version von "Über sieben Brücken mußt du geh'n" in Endlosschleife durch mein Gehirn mäandert?
Und zwar genau der Part, der da "Manchmal geh ich meine Straßen ohne Blick/ Manchmal wünsch ich mir mein Schaukelpferd zurück..." lautet, den mein Gehirn aber freundlicherweise abrupt beendet, bevor ein cremiges Saxophon hereinschneit und Schrecken verbreitet.
Daß nun einige Leute aus solch cremigen Saxophonen eine generelle Abneigung gegen Saxophone- cremige wie auch uncremige- ableiten, ist zwar verständlich, aber nichtsdestotrotz bedauerlich; denn nicht alle Saxophone sind per se böse.
Warum ein meiner Meinung nach nicht existentes höheres Wesen trotzdem Curtis Stigers und David Sanborn (um nur zwei extrem horrible Gestalten hervorzukramen) die Eingebung schenkte, ein Blasinstrument lernen zu müssen, statt- sagen wir mal- an einem Fabrikfließband zum Wohle der Menschheit Vanillepuddingpulver einzutüten, ist immer noch ein ungelöstes Rätsel der Metaphysik, das einen vom Glauben abfallen lassen könnte, sofern man denn einen besäße.
Zumal sich der glumpfige Ohrwurm noch als selbsterfüllende Prophezeihung erweist; kaum wandere ich durch die Gänge des Gaggenauer Altersheims, in dem ich momentan in Lohn und Brot stehe, der unvermeidlichen SWR 4- Beschallung wehrlos ausgeliefert, gewahre ich... ja, genau.
Daß ich in diesem Moment einen Anus- Praeter- Beutel wechseln muß (was natürlich gelogen ist, aber es hätte gepaßt), rundet das Ganze noch ab.
Da fällt mir ein, daß ich mich auf der Leipziger Buchmesse, als ich mich auf dem Weg zur Toilette befand, ohne Vorwarnung der Hydra gegenübersah: die leibhaftigen Karat standen plötzlich in Reichweite vor mir und posierten für einen Phototermin zwecks Vorstellung ihrer Bandbiographie.
Immerhin: in einem ihrer Songs stellen sie eine These auf und liefern gleich eine plausible Begründung dafür.
"Uns hilft kein Gott, diese Welt zu erhalten" heißt es in ihrem markerschütternd inferioren, grauen- und pustelnerregenden Hit "Der blaue Planet".
Und man sitzt einfach nur da und denkt: warum?
Darum.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen