Man sitzt gerade mit einem Freund vor einem Lokal in der Karlsruher Südstadt, vertieft in ein recht steinerweichendes Privatgespräch, als plötzlich ein älterer akkordeonspielender Sinti erscheint, und breit lächelnd unausgesprochen einen Obolus für sein Gedüdel einfordert... wie in einer ganz billigen Komödie, in der sich zwei Leute sinnvoll unterhalten wollen, was ständig durch bizarre Vorkommnisse erschwert wird.
Daraufhin bedeute ich ihm, er möge doch weiterziehen und andere Gäste mit seiner Kunst beglücken (natürlich nicht dermaßen vornehm ausgedrückt... und auch nicht sonderlich freundlich... und auch nicht so leise, wie es die obige Wortwahl nahelegt), was er denn auch tut. Thema erledigt.
Die folgenden Tage, wenn ich in der Südstadt an einem Tisch sitze, egal ob alleine oder in Gesellschaft, sehe ich ihn öfters, wie er mit seinem Akkordeon umherstreift, gefühlt die immer zwei gleichen Stücke spielend.
Er scheint mich wiederzuerkennen, denn um meinen Tisch (sei es vor dem Wolfbräu, sei es vor dem Juno) macht er immer einen großen Bogen; und das finde ich sehr wohltuend.
Damit könnte dieser Eintrag eigentlich enden; tut er aber nicht.
Denn als ich letztens nachts mit der Straßenbahn nach Hause fuhr, saß er zwei Sitzreihen vor mir und hatte sein Akkordeon neben sich stehen; den Kopf hatte er in die Hände gestützt, sorgenvoll und erschöpft war die Mimik, gramzerfurcht die Stirn.
In diesem Moment meldete sich bei mir das Gewissen; eines zu besitzen, ist ja eigentlich meist hinderlich, käme man doch weitaus angenehmer durchs Leben, wenn es auch mal die Fresse halten würde, anstatt ständig ungefragt hineinzuquatschen.
In diesem Moment dachte ich nur: verdammt, dieser Typ zieht vom Vormittag bis zum Einbruch der Dunkelheit bei brüllender Hitze mit einem sperrigen Musikinstrument durch die Stadt, und das offensichtlich nur, um kraft seiner beschränkten Mittel wahrscheinlich irgendwie seine Familie durchzubringen... oder selbst am Leben zu bleiben, was auch nicht einfach sein dürfte, betrachtet man seine wie aus einem Rotkreuzcontainer zusammengefischt aussehende Kleidung.
Immerhin versucht er selbst etwas, und sei es auch nur, daß er stundenlang dieselben zwei Stücke malträtiert, die einem schon nach fünf Minuten auf die Nerven gehen.
Und ich habe trotz allem ein großes Herz für Underdogs, die in einer Nische- und sei sie auch noch so erbarmungswürdig- einfach nur versuchen, in der sozialen Suppe aus eigener Kraft den Kopf über der Oberfläche zu halten.
Nein, ich lade ihn nicht an meinen Tisch ein und spendiere ihm auch nichts zu trinken. Und ich kann nach wie vor auf sein lustiges Gejuckel verzichten.
Aber wenn er schon mal da ist, versucht man halt das Beste draus zu machen und ihn zumindest mit der Art von Respekt zu behandeln, die er verdient hat.
Dienstag, 20. Juli 2010
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