*edit*
Ich sagte ja einmal selbst, ich würde keinen veröffentlichten Post löschen, es sei denn, er sei inhaltlich völlig entbehrlich (Abwesenheitsmeldungen, Terminankündigungen etc.).
Da ich mit dieser Kurzgeschichte aber rückblickend in der Form reichlich unzufrieden bin, aber den Post stehenlassen möchte (und sei es als Momentaufnahme), bleibt mir nichts anderes übrig, als mich davon zu distanzieren. Das sei hiermit erledigt.
Zumindest habe ich mal wieder gearbeitet, auch wenn es zunächst nur eine Kurzgeschichte geworden ist.
Dachte, ich stelle sie mal in den Blog, vielleicht hat jemand einen Kommentar dazu... freue mich über jede Rückmeldung und konstruktive Kritik, denn ich lege sehr viel wert auf Interaktion mit meinen Lesern.
Das schreibe ich zwar jedes Mal, ohne daß etwas kommt, aber man soll die Hoffnung ja nie aufgeben:
ERSTE LIEBE
Er weiß: es ist Fraß.
Aber schnell muß es gehen, in einer halben Stunde hat er am vereinbarten Treffpunkt zu erscheinen, und er hat noch nichts im Magen, seinem nervösen, scheinbar in peristaltischen Bewegungen durch seinen aufgeschwemmten Körper kriechenden Magen.
Nie hätte er gedacht, daß es funktioniert. Nie.
Als er letztens in der Mathestunde den Blick nicht von ihr abwenden konnte: hatte sie es tatsächlich bemerkt?
Und als sie bei seinem Anblick im Pausenhof mit ihrer Freundin tuschelte: hatte sich das auf ihn bezogen?
Er dachte, es bezöge sich auf ihn; daß sie sich über ihn lustig machte, so wie alle anderen... wie Thorben und Kevin, die im Schulflur mit seinem Rucksack Fußball gespielt hatten, bis dessen ganzer Inhalt über die Länge des Ganges verstreut war, und dann einen Teil seiner Bücher einzeln den Treppenabsatz hinuntergekickt hatten.
Wie diejenigen aus seiner Klasse, die ihn im Sportunterricht nicht nur nie wählten, wenn Fußballmannschaften zusammenzustellen waren, sondern auch nicht haben wollten, wenn er als Letzter übrig war, so daß ihn Herr Schneider, sein Sportlehrer, einer Mannschaft zuteilen mußte... was er auch genausogut hätte bleibenlassen können, denn während der gesamten zwanzig Minuten spielte ihm niemand einen Ball zu, nicht mal, wenn er frei vor dem Tor stand.
Als Tina das erste Mal in seiner Klasse auftauchte, war ihm beinahe das Herz stehengeblieben. Es war fast, wie es in der BRAVO stand, die er ab und zu heimlich las. Erste Liebe.
Doch was er damit anfangen sollte, wußte er nicht, zu fremd war ihm noch alles, zu unerfahren und unbeholfen er selbst.
Wenn er nachts heimlich unter der Bettdecke onanierte beim Versuch, sich vorzustellen, wie sich Oralverkehr wohl anfühlen mochte, vermied er es, an sie zu denken; er hätte das Gefühl gehabt, sie zu beschmutzen.
Stattdessen verlor er sich in romantischen Träumereien; die Welt war ein Blumenteppich, Hand in Hand zu beschreiten, während unschuldig zärtliche Küsse auf die Wange gehaucht wurden.
Er, der dicke, fünfzehnjährige Junge, der sich oft vorstellte, wie es wäre, eine Clique zu haben, die ihn "Michi" rufen würde statt "Michael", wie seine Mutter. Oder seine Lehrer.
Oder "Fettsack" und "Spast" wie seine Mitschüler.
Dem dicke Schweißperlen auf die Stirn traten, wenn Tina in der Schulbank ihm gegenüber beim Lachen ihren Kopf zur Seite neigte, um sich danach eine vor das Gesicht gerutschte haselnußbraune Haarsträhne zurückzustreichen.
Nicht einmal ihre Zahnspange konnte ihre in seinen Augen vollkommene Schönheit verunstalten.
"Ich habe einmal gelesen, daß Frauen dickere Männer bevorzugen" sagte der pickelige Zwerg, der sein bester- da auch sein einziger- Freund war. Er haßte es, Sven so zu bezeichnen, aber der Gedanke formte sich immer schon in seinem Kopf, bevor er ihn herannahen spürte und ganz schnell verscheuchen konnte.
Sogar ihn, Michael, widerte er manchmal an: der Junge, der nie größer als 1 Meter 68 sein würde,dessen langweiliges metallenes Brillengestell wahrscheinlich bereits in den 80er Jahren aus der Mode war, wie Michael beim Betrachten von Filmen aus dieser Zeit oft dachte, mit den gummiartigen Aknewülsten im Gesicht und diesem gräßlichen Flaumschnurrbart, der munter vor sich hinwucherte, ohne daß Sven auch nur die geringsten Anstalten machte, sich endlich einmal den Rasierer seines Vaters zu schnappen und dem Elend ein Ende zu machen.
Dennoch: Es war ihm ein Trost, daß es jemanden gab, der genauso verloren war wie er selbst.
Und der ihm Mut machte; immerhin glaubte er den Spruch mit den "dickeren Männern" am Ende fast selbst.
Nun stand er also hier am McDonalds und schlang dermaßen schnell zwei Cheeseburger hinunter, daß ein neutraler Beobachter Angst haben mußte, er würde ersticken.
Seine Mutter hielt ihm immer Vorträge bezüglich Fast Food und seinem Körpergewicht; dabei schien das mit den "dickeren Männern" zu stimmen.
Denn erstickt war er auch heute vormittag fast schon einmal, jedoch aus Überraschung; als er gerade einen großen Schluck aus der Limonadendose des schuleigenen Getränkeautomaten nahm und sie im weitgehend leeren Flur an ihm vorbeilief, nein, vorbeischwebte, das wäre ein besserer Ausdruck, dachte er gerade bei sich selbst, schien sich sein Magen bereits vor lauter Nervosität in einen monströsen Kautschukpfropfen zu verwandeln.
Als dann aber das "Hallo" aus ihrem Mund kam, war es endgültig aus mit seiner Selbstbeherrschung; er verschluckte sich, hustete und würgte ein angestrengtes "Hallo" heraus, mühsam versuchend, wieder halbwegs gleichmäßig zu atmen.
Eigentlich hätte er in diesem Moment nichts dagegen gehabt, tot umzufallen; der Gedanke, der da völlig unkontrolliert durch seinen Kopf schlingerte, das Gefühl immenser Peinlichkeit verbunden mit der Überzeugung, daß sie gleich beginnen würde, lauthals zu lachen, schleuderte an eine imaginäre Bande, explodierte in einem Feuerball und schien somit seinen ganzen Kopf grell leuchtend auszufüllen.
Doch Tina quittierte den Vorfall lediglich mit einem nachsichtigen Lächeln.
Er wäre doch der Michael aus ihrer Klasse, begann sie mit gespielter Verlegenheit... sie hätten doch fast noch nichts miteinander geredet, seit sie nun die Schule gewechselt habe und zu ihnen gekommen sei.
Und sie schaue sich halt die Leute an und rede immer mal mit jedem, schließlich kenne sie hier ja kaum jemanden, würde aber gerne "nette Leuts" kennenlernen.
Genau das. "Nette Leuts".
Er dann so Drucks, Stammel und äääh. Der Spast. Das hörte er seine eigene Stimme durch sein Gehirn rufen, als er den nächsten Bissen Cheeseburger nahm, die Szenerie im Kopf noch einmal (wahrscheinlich zum 212. Mal heute) ablaufen lassend.
"Ja, wenn man irgendwo neu ist..." begann er stockend, und erzählte dann mit vor Nervosität ertaubender Gesichtsmuskulatur, wie er mit seiner Mutter ja vor drei Jahren auch aus der Kleinstadt hierher gezogen sei... hoffend, sie würde in der schwerfälligen Wortsuppe den Strohhalm finden, an den sie sich klammern konnte, um das Gespräch weiterhin in Gang zu halten.
Er hätte wohl noch nicht so Anschluß gefunden? fragte sie ... man sehe ihn jedenfalls fast immer allein.
Diese Offenheit, mit der sie zu ihm sprach, überraschte Michael... ja, er sei viel und gerne allein, er gehe halt nicht oft weg, außer mal ins Kino, antwortete er, nun zunehmend verwundert, aber dennoch selbstsicherer werdend.
"Warum eigentlich?"
"Nun, mich fragt ja nie jemand" fiel ihm wie selbstverständlich aus dem Gesicht, noch bevor er darüber nachdenken konnte.
"Na, dann frage ich dich halt", entgegnete sie lächelnd, dabei auf ihren Zehenspitzen wippend... "Ich gehe heute auf ein Konzert, möchtest du mitkommen?" (Sie nannte ihm einen Bandnamen, den er noch nie gehört hatte, und von dem er keine Ahnung hatte, was sich dahinter verbergen mochte). "Wird zwar vielleicht nicht deine Musik sein, aber es wird bestimmt lustig. Und du kommst mal ein bißchen unter normale Menschen." Bei diesem Spruch zwinkerte sie ihm zu, und ihm blieb schon wieder die Luft weg... glücklicherweise konnte er vorher noch eine Zusage herauspressen.
Sie machten einen Treffpunkt aus, und anschließend verabschiedete sie sich. Sie müßte jetzt noch in den Computerkurs, und man sähe sich eh heute Abend. Und er freue sich, meinte er... würde bestimmt lustig werden.
Als sie die Treppe hinunterging, wippte ihr hochgestecktes Haar im Rhythmus der Schritte auf und ab.
Michael sah ihr noch lange nach.
Auf was hatte er sich da bloß eingelassen?
Tinas Vater würde als erwachsene Begleitperson mitkommen, hatte sie gemeint. Irgendwie flößte ihm das Respekt ein...
Er stellte sich vor, wie der Vater zu ihm sagen würde: "Ach, du bist also Michael? Tina hat mir bereits von dir erzählt."
Anschließend vielleicht ein Händedruck.
Michael stellte sich zuhause vor den großen Schlafzimmerspiegel seiner Mutter und spielte die Situation für sich durch... das souveräne Hinstrecken der Hand, dazu ein fester Blick, ungeachtet der Tatsache, daß er alleine bei der Vorstellung bereits Probleme hatte, seinen Schließmuskel unter Kontrolle zu halten.
Anschließend suchte er auf der MySpace- Seite der Band nach Hörbeispielen. Wie erwartet, klang es für seine Ohren nach schnellem und brachialem Lärm, etwas, das er sich nie freiwillig angehört hätte. Das entmutigte ihn bereits wieder... zunächst dachte er daran, Sven anzurufen und ihn um Rat zu fragen. Doch er verwarf den Gedanken sofort. Er mußte eine Entscheidung treffen, einmal über seinen Schatten springen, erkennen, wie weit er gehen wollte, um ein Mädchen zu beeindrucken, das von ihrem unerreichbar hohen Podest zu ihm herabgestiegen war.
Alles andere wäre feige... und er wirklich nur der fette Spasti, die Witzfigur, der Prügelknabe.
Instinktiv spürte er, daß er sich selbst etwas beweisen würde, daß sein Auftauchen bei dem Konzert eine derartige Selbstüberwindung sein würde, daß sich nicht nur das Bild, das er von sich selbst hatte, zum Positiven wenden würde, sondern dies auch auf seine Außenwirkung abstrahlen könnte.
Er sehnte sich in erster Linie: nicht nur nach ihr, sondern auch nach einem Ruhepol. Einen Ort, an dem er nicht mehr täglich sein mißratenes Äußeres einer Prüfung unterziehen müßte, an dem er taub war für den Spott der anderen, an dem er einfach nur noch existierte, sich selbst genügend und in sich selbst ruhend, unangreifbar, unverletzbar.
Nur eine vage Ahnung hatte er davon, daß sie ihm dazu verhelfen könne; er wußte, er hatte sein ganzes Leben noch vor sich, aber er ahnte, daß er auf diesem Gleis bis zum Prellbock fahren würde, wenn er nicht bald an der Weiche hantierte. Sven würde ihm dabei nicht behilflich sein; in diesem Zug fuhr jeweils jeder alleine.
Also: Vorbereitung. Ununterbrochen die Songs auf MySpace anhören.
Sich zurechtmachen: seine neuen, teuren Turnschuhe. Eine helle Markenjeans. Aus Mangel an einem geeigneten T- Shirt (das mit der US- Flagge, das er noch am geeignetsten fand, war ihm schnell zu albern... er wünschte sich, damals stattdessen im Laden jenes schwarze mit dem Tribal- Logo erstanden zu haben, aber das erschien ihm zu gewagt... das Gefühl, sich damit lächerlich zu machen, hatte überwogen. Nun verfluchte er sich dafür) entschied er sich für ein weißes Hemd mit Knopfleiste und dünnen blauen Streifen.
Nachdem er es erst in die gegürtete Hose steckte, übermannte ihn sein neuerwachter Freiheitsdrang, er zog es wieder aus selbiger heraus und ließ es locker hängen.
Nochmal den Blick in den Spiegel. Der feste Blick. Die vorgestreckte Hand. Tief durchatmen. Der feste Blick. Der feste Blick. Die vorgestreckte Hand. Kämmen. Der feste Blick. Die vorgestreckte Hand.
Nun war es aber Zeit. Seine Mutter würde in 20 Minuten von der Arbeit heimkommen.
Er kratzte sein restliches Taschengeld zusammen, ging in die Küche und schnappte sich einen gelben Haftzettel aus der Ablage auf dem Fensterbrett.
In seiner ungelenken Handschrift krakelte er mit Kugelschreiber "Hallo Mama. Bin mit Freunden im Kino, komme später heim! Kuß Michael" darauf, wissend, daß es gewaltigen Ärger geben würde.
Doch er fühlte sich gewappnet. Sein neuentdecktes Selbstbewußtsein erstickte sogar den Respekt vor den Ängsten seiner Mutter, die immer noch um Männer kreisten, die fremden Kindern Bonbons schenkten. Wer weiß, vielleicht konnte er sie später überraschen, wenn er Tina mit nach Hause brachte und sie ihr vorstellte, seinerseits dann auch endlich die ständigen penetranten Fragen von ihr nach Mädchen zum Verstummen bringend. Das war ihm diese Lüge wert.
Da er das gemeinsame Abendessen verpassen würde, entschloß er sich, zum McDonald's an der Ecke zu gehen, wo er sich nun das letzte Stück Cheeseburger in den Mund steckte, das Einwickelpapier lautstark zu einem kleinen Ball zerknüllte und mit unerwartet gekonntem Schwung in den Papierkorb warf. Bingo!
Er fühlte sich bereit.
Aus der Lokalzeitung, ungefähr ein Jahr später:
[...]Die Angeklagten Kevin S. (19), Cüneyt T. (17) und Thorsten K. (17) hatten auf Anweisung der Mitangeklagten Tina R. (16) dem Opfer Michael T. (16) zunächst nur einen "Schrecken" einjagen sollen.
Laut Aussage der Angeklagten Tina R. hatte sie Michael T. unter einem Vorwand zu einem vereinbarten Treffpunkt gelockt, um ihm "eine Lektion" zu erteilen, da sie sich von ihm "begafft und belästigt" fühlte, was zunächst mit diversen Verbalattacken begann.
Als sich das Opfer jedoch wehrte und Kevin S. ohrfeigte, sei es- laut dem Plädoyer des Staatsanwaltes der Jugendstrafkammer- zu einem "beispiellosen Ausbruch zügelloser Gewalt" gekommen, in dessen Verlauf die drei Jungen Michael T. mit heftigsten Faustschlägen und Fußtritten traktierten, was jedoch jederzeit durch die Angeklagte zu unterbinden gewesen sei. Somit sei eine körperliche Attacke auf das Opfer zumindest billigend in Kauf genommen worden.
Was bei der Forderung des Staatsanwaltes nach der im Jugendstrafrecht vorgesehenen Höchststrafe maßgeblich war, war laut seiner Aussage die emotionale Kälte und mangelnde Bereitschaft zur Reue bei allen Angeklagten.
Das Urteil wird morgen erwartet.
Michael T. liegt nach seinem schweren Sturz auf den Hinterkopf, der Folge dieses Angriffs war, nun bereits seit einem Jahr in einem örtlichen Pflegeheim im Wachkoma.
Dienstag, 6. Juli 2010
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die einzige kritik, die ich zu dieser geschichte habe, ist eigentlich keine: wer dich kennt, weiß, daß es kein happy end geben kann. ;)
AntwortenLöschenansonsten: thumbs up, says ebert!
Es gibt NIE ein Happy End, nicht mal, wenn man mich nicht kennt.
AntwortenLöschenAber besten Dank!