Dienstag, 15. September 2009

"Please put in my box/some money for socks"

sang vor knapp über 20 Jahren die ganz famose und sträflich unterbewertete Band The Housemartins in ihrem Song "We're Not Going Back".
Gutes Thema, denn meine mitgeführten Socken lösen sich auf. Ich weiß nicht, woran es hängt, aber momentan grassiert galoppierender Lochfraß. Heute morgen zog ich ein bisher intaktes Geschenk einer ehemaligen Studienkollegin an und stand auf einmal halb im Freien.
Dazu kommt, daß es in unserer WG gefühlt fünf Grad kühl ist. Man sitzt also beim Frühstück (Kaffee und Zigaretten), und durch die zernagten Socken kriecht ein schleichend kalter Hauch durch's Hosenbein Richtung Gemächt.
Und daran ist beileibe keine prickelnde Erotik zu entdecken, es sei denn, es gehört zu jemandes sexuellen Präferenzen, mit einem lebenden Karpfen in der Unterhose spazierenzugehen, und das ist bei mir nicht unbedingt der Fall.
Was mir seltsamerweise dazu einfällt: in meiner Kindheit, die ich in den 70ern und frühen 80ern überwiegend bei meinen Großeltern verbrachte, war es üblich, sich am Waschbecken in der Küche (man stelle sich eine zweigeteilte Küche vor: vorne ein Eßtisch auf Linoleumbelag, hinten eine Art Kochnische mit gekacheltem Boden... kleine, quadratische Fliesen, größtenteils weiß, aber dazwischen immer mal wieder eine optische Auflockerung in Form vereinzelter Kacheln in grindigem Pastelltürkis oder geradezu brechreizerregendem Pastellrosa, darauf ein Gasherd... also: wenn heute ein Museum einen typischen westdeutschen Arbeiterhaushalt von- sagen wir mal- 1966 nachstellen möchte, wird er genau SO aussehen)die Hände mit kaltem Wasser und Ata Scheuerpulver zu waschen.
Man kam also von der Feldarbeit oder -in meinem Fall- vom Fußballspielen auf dem Bolzplatz und wusch sich erst mal die Hände, und am Waschbecken lag entweder ein mumifiziertes Stück Kernseife, oder es stand eine Plastikdose Ata bereit, als wäre es das Normalste auf der Welt. Heute würden dermatologische Studien wohl ergeben, daß einem das Zeug irgendwann die Hände skelettiert, aber damals scherte einen das wenig.
Das erklärt das frühe Hinscheiden meiner Socken natürlich trotzdem noch nicht, aber man könnte mutmaßen, daß einen das Berliner Trinkwasser irgendwann von innen heraus auflöst, es aufgrund jahrelanger Gewöhnung niemand mehr bemerkt und ich der Erste bin, der das anhand seiner Socken nachweisen kann. Und das prangere ich an. So.
Um nochmal zur kühlen WG zurückzukommen:
ich war ja in den 80ern großer R.E.M.- Fan (zumindest bei Erscheinen von "Document" und "Green", die ich ja bereits im zarten Teenageralter mochte), bis ich mir genau am Erscheinungstag die unfaßbar grauenhafte, geradezu inferior schlechte Verkörperung alles Grützigen in der "Musik für Leute, die sich nicht für Musik interessieren"- Welt namens "Out Of Time" kaufte.
Eine wahrhaftige Schweinescheibe, auch heute noch, und von dieser Meinung werde ich auch nie ein Jota abrücken.
Unglücklicherweise sollten sie ausgerechnet mit dieser Platte reich und berühmt werden; glücklicherweise sollte mich das bald darauf nicht mehr interessierten, weil Punk, Hardcore, Thrashmetal und Public Enemy meinen Weg kreuzten, und zwar alle auf einmal.
Dabei könnte man es belassen; nun veröffentlichten R.E.M. aber 2008 eine ganz famose Platte namens "Accelerate", die erste seit Jahren, die ich mir wieder zulegte.
Und als ich kürzlich die "Automatic For The People" für den Ramschpreis von 5 Euro auf CD entdeckte, entsann ich mich des Songs "Drive", den ich so schlecht eigentlich auch nie fand, und kaufte sie.
Und es funktioniert: kaum erklingen die ersten Takte, wirft einem jemand am offenen Kamin Omas selbstgestrickte Wolldecke über, und die ganze Welt wird Fluff und Muff und Sackgekraul. Zumindest fast.
Aber man vergißt beinahe, daß man sich gerade in den alten Bundeswehrschlafsack seines Onkels eingerollt hat, auf einer angejahrten Schlafcouch liegt und die Flecken auf einer ebenfalls fossilen, an einer Zimmerwand lehnenden zerschlissenen Matratze zählt, die den nächsten Abtransport zum Sperrmüll erwartet.
Das leichte Frösteln bleibt; aber zumindest ist die Platte so gut, daß man sich keine Gedanken über den Ursprung der Flecken macht.
Und das sollte einem schon mal 5 Euro wert sein.

1 Kommentar:

  1. Syndrom bekannt.
    Gleiche Band, anderer Titel:
    LEAVE. (Album: New Adventures on Hi-Fi). Süperb! :)
    Und nun betreibe ich "Nightswimming".
    *G*ute Nacht.

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