Mittwoch, 24. März 2010

Die Leiden des jungen G. (Leipzig, Teil I)

Die Reise zur Leipziger Buchmesse begann bereits mit Komplikationen:
am Nachmittag des 17. eröffnete mir die arrogante Dame am Auskunftsschalter der Deutschen Bahn, daß ich mit meinem Sonderticket nicht den Nachtexpreß nehmen könne; es ginge aber ein Zug um 3 Uhr 33 mit zweimaligem Umsteigen in Mannheim und Frankfurt, der dann um 09 Uhr 45 in Leipzig wäre.
Also ging ich erstmal zur Arbeit in Gaggenau, meine große Reisetasche hinter mir herschleifend, und überlegte mir nach meiner Rückkehr nach Karlsruhe um 22 Uhr, wie ich die restliche Zeit totschlagen könne.
Schließlich einigten sich Körper und Geist darauf, daß es am sinnvollsten wäre, etwas Clubähnliches aufzusuchen. Also verschlug es mich ins K5, in dem zum Glück wenig los war, ich ein paar Bekannte traf und mir einige Biere in den Kopf stellte.
Und das war das Problem. Im Regionalexpreß nach Mannheim machte mir schon nach fünf Minuten Fahrt unmäßiger Harndrang zu schaffen.
Ich begab mich auf den Weg zum Bahn- WC, wo mein tränend' Auge folgende unheilvolle Botschaft erblickte: "DIESE TOILETTE IST DEFEKT".
Heidewitzka, Herr Kapitän.
Als ich dann nach einer Stunde unmenschlicher Qualen in Mannheim dieser Folterkammer von Zug entstieg, hätte ein Tropfen jeder beliebigen Flüssigkeit gereicht, um alle Dämme zum Bersten zu bringen.
Demzufolge pißte ich im ICE nach Frankfurt erst einmal gefühlte 9 Minuten, mir dabei vorkommend wie sämtliche wiedergeborene Christen auf einmal.
Entspannt ließ ich mich nieder... und muß kurz weggenickt sein, ohne es zu merken, denn meine nächste Erinnerung ist eine Menschenmeute, die zum Ausgang strebte und der ich mich anschloß, im festen Glauben, in Frankfurt/Main angelangt zu sein.
Ich stieg aus, die Bahn fuhr ab, und auf dem Weg zu meinem Gleis fiel mein Blick plötzlich auf die Standortbestimmung "Bonn Hbf".
Ähm, Moment. Hin zum Kasten mit dem Fahrplan, Blick auf die Kopfzeile:
"Bonn Hbf". Ach. Du. Scheiße.
Was tun? Nach Ratschlag des Mannes am Fahrkartenschalter wieder zurück nach Frankfurt.
Zum Glück war der Schaffner in der Bahn so kulant, nach kurzer Erläuterung meiner Situation keine Zuzahlung zu verlangen. Besten Dank an den unbekannten Schnauzbartträger.
Als ich letztendlich doch noch glücklich im ICE nach Leipzig saß und mich darauf freute, zumindest noch drei Stunden schlafen zu können, rüttelte mich nach einer Stunde Nickerchen in unglaublichsten Verrenkungen in einem höllisch unbequemen Sitz jemand an der Schulter. Ich säße auf seinem reservierten Platz.
Da der Zug proppenvoll war, also runter auf den Boden, völlig übermüdet die gegenüberliegenden Müllfächer anstierend und ab und zu die Beine etwas ausstreckend, daß Toiletten- oder Bordbistrogänger problemlos drübersteigen konnten.
Irgendwann- es mußte wohl Eisenach gewesen sein- wurde tatsächlich ein Platz auf einem Vierersitz frei, bei drei mittelalten Herrschaften.
Zum einen waren das Onkel Alfons und Tante Trude aus Scheiß die Wand an woher auch immer- es schien wohl jedenfalls eine Gegend mit landwirtschaftlicher Nutztierhaltung zu sein.
Neben mir saß ein wie aus der Zeitung ausgeschnitten aussehender Klischee-morgens- um- 9- am- Kiosk- Steher- und- Zinn-40- Trinker, der dann auch prompt und ungelogen ein Heringsbrötchen mit Zwiebelringen auspackte, um es zu vertilgen, und mir wurde schlecht.
Das Ding stank nicht nur wie ein drei Tage ungewaschenes Gemächt, es offenbarte bei einem flüchtigen Seitenblick nach mehreren Bissen des Barbaren auch ein maddrig rosafarbenes Innenleben von kaulquappenähnlicher Konsistenz.
Ich hatte keine Ahnung, was das war, aber mein leerer Magen begann zu rotieren, und ich versuchte aus dem Fenster starrend krampfhaft, meinen aufsteigenden Würgereiz zu unterdrücken... bis ich letztendlich dann doch um 11 Uhr 45, zwei Stunden später als vorgesehen, Leipzig erreichte.
Völlig gerädert zwar, aber guter Dinge und nach langen Stunden ohne Nikotin die beste und leckerste Zigarette der letzten Wochen rauchend.
Und wie die Buchmesse verlief, könnt ihr in Kürze in Teil 2 meines Reiseberichtes lesen.

1 Kommentar:

  1. Himmel hilf!, dass Du es überhaupt nach Leipzig geschafft hast, wundert mich nach diesem Bericht echt. Ich wäre Amok gelaufen. Ich hoffe, die Messe war trotzdem cool, und warte auf weitere Berichte.

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