Donnerstag, 25. März 2010

Pixie und die Mangahölle (Leipzig 2)

Leipzig ist wirklich eine seltsame Stadt.
Nachdem man zwischen Berlin- West und Berlin- Ost mittlerweile keine nennenswerten Unterschiede mehr feststellen kann, dachte ich mir, das Ausmaß an Gammel in Ostdeutschland hielte sich allgemein in Grenzen.
Jedoch war schon der Blick aus dem Abteilfenster auf der Hinfahrt ab Erfurt von verfallenden Fabrikhallen und Häusern ohne Dach und Fenster in einem Maße geprägt, das mich doch ziemlich erstaunt hat (weit vorne: Weißenfels), und in Leipzig wurde mir der Kontrast noch bewußter.
Renovierte Häuserreihen, häufig mit einem leerstehenden Ausreißer in der Mitte oder am Eck, dessen Fenster fehlen oder mit Brettern vernagelt sind und der fröhlich vor sich hinverrottet, als wäre die Mauer nie gefallen.
Dazwischen ein großer Kuppelbau mit einem Dach, das lediglich aus einer verrostenden Eisenkonstruktion besteht (keine Ahnung, was der einmal darstellte), ein gewöhnungsbedürftiger Bürgersteig, gepflastert mit länglichen, häufig gebrochenen und welligen Betonplatten, die förmlich dazu einladen, sich den Fuß umzuknicken und die Bänder zu reißen, und vor allem: Tags.
Nach Hamburg und Berlin habe ich keine Stadt gesehen, die dermaßen zugesprüht war... für Graffittikünstler muß das ein reines El Dorado sein.
Ich nahm mir also ein Taxi mit einem unfreundlichen Arschlochfahrer, der scheinbar sauer war, weil ich sein Gespräch mit einer Kollegin unterbrochen hatte und mir- da ich den Preis von 8 Euro 70 auf einen Zehner aufrundete- auf meinen Fünfziger 36 Euro rausgab.
Auf meine Frage hin, was das solle, entgegnete er: "Ich dachte, du hättst gesagt, mach 14". Klar, ich gebe immer mehr als 5 Euro Trinkgeld, denn es fällt mir den ganzen Tag einfach so aus dem Ärmel, ohne daß ich dafür arbeiten muß. Vollidiot.
In der WG, in der ich untergebracht war, wartete bereits Dominick Schäfer, ein mitgereister und in den Verlag involvierter Bildhauer, und briet mir erstmal ein Steak. Das nenne ich Service.
Danach ging es zur Messe; meine Lesung war auf 17 Uhr angesetzt, also hatte ich noch etwas Zeit, um mich umzusehen.
Unseren sehr kleinen Stand teilten wir uns mit dem vive! - Verlag und Richard K. Breuer, einem österreichischen Schriftsteller, der seine Bücher generell im Eigenverlag herausbringt.
Ich taperte also hin und her, stattete dem benachbarten "Perry- Rhodan"- Stand einen Kurzbesuch ab, weil ich Klaus N. Frick dort wußte (der aber einen dermaßen überarbeiteten und gestreßten Eindruck machte, daß ich es irgendwann unterließ... stattdessen an dieser Stelle nochmal ein Gruß)und wartete auf meine Lesung, im Geiste die vorzutragende "Heidegger"- Passage nochmal durchgehend, die ich aufgrund der Zeitbeschränkung von 30 Minuten für geeignet und in sich schlüssig hielt.
Was soll ich sagen: der Saal für die Lesung war für viele Messebesucher nur eine Durchgangsstation. Dazu hatte ich das unbeschreibliche Glück, daß man mich nach einem präsenilen sächsischen Autoren lesen ließ, der mit dem Elan von eingeschlafenen Füßen einen Krimi mit Lokalkolorit vortrug, der so spannend war wie eine Verlesung eines Formulars zur Einkommensteuer. Dennoch: gethrillt verharrte das zahlreich anwesende halb eingeschläferte Rentnerpublikum, um in den ersten zwei Minuten meines Vortrags schlagartig und vollständig die Flucht zu ergreifen.
Also las ich vor ca. 8 Leuten, die Hälfte davon noch dazu mit meinem Verlag verbandelt, darunter die wunderbar durchgeknallte Andrea Mohr, die ich das Glück hatte, kennenlernen zu dürfen. Zitat aus Wikipedia:
Andrea Mohr (* 19. Juli 1963 in Neustadt an der Weinstraße) ist eine deutsche Schriftstellerin. Zuvor war sie Drogenschmugglerin und involviert in einige internationale kriminelle Aktivitäten. Sie war fünf Jahre lang, von 1999 bis 2004, im Hochsicherheitsgefängnis für Frauen in Australien, im Dame Phyllis Frost Centre in Melbourne.

Sie, die übrigens sehr offen mit ihrer Vergangenheit umgeht, hat darüber auch ihre Autobiographie "Pixie" verfaßt, und ist ein äußerst unterhaltsamer Mensch, der mittlerweile einen Escort- Service betreibt und darüber wiederum ein Buch geschrieben hat, das bald im gONZo- Verlag erscheinen wird, was uns dann erfreulicherweise zu Labelmates macht.
Sind das die Leute, vor denen uns unsere Eltern immer gewarnt haben?
Wohl schon. Aber da mich meine Eltern früher wohl auch vor mir selbst gewarnt hätten, kann mir das egal sein.
Ich brachte die Lesung hinter mich (und gewann-immerhin- einen neuen Leser hinzu, der am nächsten Tag am Stand erschien und unbedingt ein Buch wollte)und stromerte mit Andrea und Dominick noch über die Messe, um diverse Biere zu vernichten und die ganzen Eindrücke auf uns wirken zu lassen.
In erster Linie waren das die ganzen verkleideten jugendlichen Manga- und Rollenspieler.
Anfangs fielen sie nur vereinzelt auf, aber im Lauf der nächsten beiden Tage wuchs sich deren Präsenz nahezu zur Seuche aus und machte mich dermaßen aggressiv (vor allem, wenn man, um pissen zu gehen, statt den üblichen zwei plötzlich zwanzig Minuten brauchte und ständig aufgeplusterte Märchenballkleider mit Schleppe, Engelsflügel aus Holz oder spitzohrige Elfen mit Wuschelperücken vor sich hatte, die einem vor Füßen oder Fresse hindernd den Weg versperrten), daß ich mir echt einen Securitydienst herbeisehnte, der das ganze Geschmeiß aus der Halle prügelte. Der kam aber nicht... stattdessen durfte man sich in den Rauchpausen im Innenhof das Gequieke rumpeldummer Märchenfiguren anhören, die Sätze durch die Gegend schrien wie "Du hast doch bereits ne Fahrkarte gekauft, du Drops!" Jahaha.
Abends ging es dann auf dem Zahnfleisch zu zwei Lesungen des vive!- Verlags.

Zuerst las in einer- oh Schreck, oh Graus- "Frauen und Lesben"- Bibliothek Daniela Kögler, die dort nicht weniger deplaziert wirkte als Dominick und ich.
Daniela Kögler ist Model und arbeitet in der Werbebranche.
Daniela Kögler ist außerdem- wovon ich mich in den nächsten beiden Tagen während gemeinsamer Zeit am Verlagsstand überzeugen konnte- nach kurzzeitiger Anlaufphase eine durchaus freundliche und sympathische Person.
Aber Daniela Kögler kann leider nicht schreiben, nicht für fünf Pfennig.
Ihr dargebotenes Buch "Good Morning Dornröschen" (sic!) war demzufolge auch ein Konglomerat aus Plattheiten, beheimatet in der tiefsten Hera- Lind- Hölle, Tautologien ("War ich nun naiv... oder einfach leichtgläubig?") und unwitzigem Humor.
Zum Glück ist diese Frau nicht so grunzdumm wie ihr Oeuvre... trotzdem kam mir während der Lesung eine Erinnerung wieder, die bei mir fast für einen hysterischen Lachanfall gesorgt hätte, so daß ich unter den erstaunten Blicken von Dominick und meiner Verlegerin Miriam mitten in der Veranstaltung begann, in mich hineinzuprusten.
Mir fiel mein Klassenkamerad Alexander Christ wieder ein, der mich bei einer unendlichen Rede unserer damaligen Direktorin plötzlich antippte und meinte:
"Kennst du den Film 'Die unglaubliche Reise in einem verückten Flugzeug'? Die Szene, in der der Pilot labert und sich sein jeweiliger Sitznachbar umbringt? Ich übergieße mich gleich mit Benzin und zünde mich an."
Die Tatsache, daß mein Heiterkeitsausbruch auf den Umstand zurückzuführen war, daß ich mir vorstellte, wie ich mich aus einem unter dem Stuhl hervorgezogenen Kanister gleich mit Benzin übergießen und in Brand setzen würde, sagt wohl genug über den Charakter der Veranstaltung aus.

Apropos: genug gelabert. Den Abschluß meines Erlebnisberichts gibt es in Teil 3.

5 Kommentare:

  1. Schlapperlot. Wer hätte gedacht, dass sich der gute Stefan kein bloggend Blatt vor den Mund nimmt. Respect! Amüsant ordentlicher Bericht, Herr Kollege!

    Im Übrigen hab ich mir dein Buch von Miriam erschnorrt. Die gute Miriam und die brave Eva haben einen schönen Aufsatz über die Leipziger Buchmesse für mich hineingeschrieben. Das nächste Mal, wenn wir uns sehen, dann musst du mir bitteschön eine Widmung ins Bücherl klecksen, ja?

    Servus aus Wien
    Richard

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  2. Da schau her, wer da plötzlich alles auftaucht... habe mal einen Blick in deinen Blog geworfen und werde mir das Ganze mal in Ruhe zu Gemüte führen.
    Auf jeden Fall: solltest du das lesen, ein schöner Gruß nach Wien!

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  3. Hallo Steffan, hat mich sehr gefreut dich kennenzulernen, hoffe wir treffen uns bald wieder, deine durchgeknallte Kollegin Andrea aka Pixie (Übrigens ich habe das durchgeknallt als Kompliment aufgefasst - danke)

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  4. Hello Pixie! Natürlich war "durchgeknallt" ein Kompliment, ich habe mich prächtig amüsiert.
    Man sieht sich... zum Wohl. Die Pfalz.

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  5. Hallo ihr beiden, Gruß nach Wien und nach Karlsruhe...finde es auch toll dass du kein Blatt vor den Mund nimmst Steffan - bleib wie du bist - und melde dich mal - mir hat Leipzig mit euch auch Spaß gemacht cherio Pixie (pixie@andreamohr.de)

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