Ich lernte Martin von Arndt am 27. 11. 2010 (Jessas, so lange ist das
schon her) beim SWR 2 Radioslam in Heidelberg kennen, wo wir mit
anderen Teilnehmern aus den Bereichen "Slam Poetry" und "Literatur" dem
Publikum jeweils einen Text zum Thema "Letzte Worte" präsentieren
sollten, der dann per Abstimmung bewertet werden sollte.
Während ich
mit meinem Scheißtext mit wehenden Fahnen unterging (zu meiner
Ehrenrettung sei erwähnt, daß ich ihn nach strengen Vorgaben
zusammenzimmerte, nur um dann bei der Veranstaltung zu erkennen, welche
Möglichkeiten ich gehabt hätte, die ich aufgrund der Vorgabe ungenutzt liegenließ...
der Text ist mittlerweile im Orkus verschwunden, und da soll er auch
bleiben. Nicht mal an den Titel erinnere ich mich noch. Zumindest
bescherte mir der FCK mit einem 5:0 gegen Schalke 04 später am Abend zumindest ein
Erfolgserlebnis) gewann Martin souverän und trug dann als Gewinner einen
weiteren Text vor, der mir sehr gut gefiel.
So kamen wir nach
Ende der glumpfigen Veranstaltung ins Gespräch und waren uns wohl
gegenseitig sympathisch, so daß wir seitdem in sporadischem
Schriftkontakt stehen und ich drei seiner Bücher gelesen habe: das
teilweise zum Schreien komische "Der Tod ist ein Postmann mit Hut"
(einer der besten Titel überhaupt, nebenbei erwähnt), das in Weißrußland
angesiedelte "Oktoberplatz" (das nach Trailer und publik gemachtem
Aufenthalt des Autors am Handlungsort dann doch etwas hinter meinen
Erwartungen zurückblieb) und nun also "Tage der Nemesis".
Eine selbst
geschriebene Inhaltsangabe spare ich mir, stattdessen greife ich gerne
auf die im Netz kursierende von Lothar Struck (hier zu finden) zurück, denn sie ist sehr gut. Und ich spare mir dadurch die Arbeit, selbst eine zu schreiben; denn sogar bei meinen eigenen Werken war mir das immer ein Graus.
Nun zu meinen Kritikpunkten. Vorausgeschickt sei, daß ich das Buch gutfinde und es in relativ kurzer Zeit weggelesen habe.
Stilistisch habe ich Martin von Arndt allerdings schon stärker erlebt, siehe als Beispiel "Grasbeißer".
Im Rahmen eines Thrillers ordnet er seine Fähigkeiten jedoch oft der Genrekonvention unter; auch sind manche Prioritäten nicht nachvollziehbar, was wohl am Kontrast zwischen ebendiesen Fähigkeiten und der notwendigen Verknappung zugunsten eines rascheren Erzähltempos liegt.
Beispiel: relativ detailliert wird das Rauchverhalten eines festgenommenen armenischer Überläufers und sein Spielen mit der Zigarettenschachtel geschildert, während der Autor durch einen handlungsrelevanten Überfall auf ein Telegraphenamt im Sprinttempo durchhechelt, als hätte er dringend einen am Bahnhof wartenden Zug erreichen gemußt, aber den Abschnitt vorher noch fertigstellen wollen.
Dafür, daß auf Seite 141 offenbar das Lektorat gepennt hat und die Erzählzeit ohne Not von Vergangenheit zu Gegenwart wechselt, kann er wohl nichts.
Und- ein versprochen letzter- negativer Kritikpunkt ist der, daß mir manche Dialoge einfach zu maniriert sind; die Gedichte rezitierenden türkischen Schergen wirken auf mich genauso konstruiert wie der übertrieben plumpe Klotzkopf Wagner. Aber letztendlich bleiben das im Gesamtkontext Marginalien. Denn sehr gelungen ist beispielsweise die Figur des kriegstraumatisierten Ermittlers Eckart, dessen fetzenhaft dargestellten alptraumartigen Erinnerungen trotz ihrer Kürze noch reichlich schockierend wirken. Auch seine dem Drogenkonsum geschuldeten Abstürze und Krisen samt halluzinativer Wahnvorstellungen werden sehr gut in die Handlung eingebunden, ohne daß vor allem letztere wie in manch anderen Büchern nach Zeilenschinderei stinken.
Was die Thematik angeht: allein schon der Vorsatz, solch ein Buch zu schreiben, das mit dieser Thematik in dieser Zeit angesiedelt ist, erfordert eine konsequente Vorbereitung, von der ich nicht weiß, ob ich die Motivation dazu aufbringen würde; zudem Martin von Arndts Themenvielfalt erstaunlich ist. Alleine schon die Entscheidung, einige Zeit in Weißrußland zu verbringen, da man plant, einen Roman dort spielen zu lassen, nötigt mir Respekt ab; und hinsichtlich des Umstands, daß ich ständig etwas Besseres zu tun habe, als für einen Roman Berge von Quellenmaterial und Sekundärliteratur zu wälzen, finde ich diese Fleißarbeit recht beeindruckend.
Die Handlung schlägt ständig Haken; der Stand der Ermittlungen bleibt immer nur wenige Seiten bestehen, dann folgt eine Finte, ein neues Detail, ein ergänzender Fakt, ein Blick auf neue Verstrickungen und Verflechtungen der handelnden Figuren und Institutionen miteinander. Dies führt dazu, daß ein konstanter Spannungsbogen gehalten wird, auch wenn der ganz große Paukenschlag am Ende ausbleibt.
Manchmal verliert man im Dschungel der ganzen Verwicklungen und der Summe der sich allmählich zu Klassenverbandsstärke zusammenfindenden Figuren und Figürchen etwas den Überblick, darum muß man häufiger mal zurückblättern und den ein oder anderen Absatz nochmal lesen.
Aber das tut dem Vergnügen keinen Abbruch; ein ambitionierter Thriller vor ungewöhnlichen geschichtlichem Hintergrund, in den man schnell hineinfindet und den man dann nicht mehr weglegen mag.
Ich hoffe, daß Martin von Arndts hehre Ziele und Hoffnungen auf eine türkisch- armenische Aussöhnung eines Tages wahr werden; auf jeden Fall war die Idee, Schwarz- Weiß- Malerei zu vermeiden und dieses Buch sowohl dem türkischen wie auch dem armenischen Volk zu widmen, auf jeden Fall eine richtige.
Martin von Arndt: Tage der Nemesis
Verlag ars
vivendi, Hardcover, 303 Seiten, 18.90 Euro
P.S.: habe den Blogeintrag über die SWR 2- Veranstaltung 2010 wiedergefunden und verlinke ihn der Vollständigkeit halber hiermit nochmal. Man kann ihn sich aber eigentlich schenken.
Dienstag, 30. September 2014
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