Freitag, 6. November 2009

"Looka yonder! A big black cloud come!"

Comes to Gaggenau.

Mein erster Morgen, Bahnhof Gaggenau.
Dunkel ist's, die Schleusen des Himmels sind sperrangelweit offen, und durch mein bräsiges Gehirn wälzt sich aus obskuren Gründen "Tupelo" von Nick Cave and the Bad Seeds, das Wort "Tupelo" beharrlich durch meinen derzeitigen Aufenthaltsort ersetzend, ob ich möchte oder nicht.
Nach drei Stunden Schlaf bin ich also nun in einer Stadt zum Arbeiten eingelaufen, die dermaßen uninteressant ist, daß das auf eine gewisse Art und Weise schon wieder fasziniert.
Eindrücke aus den folgenden Tagen:
Alles um den Bahnhof herum sieht neu und am Reißbrett entworfen aus... eine Art überdimensionierter Fußgängerzone aus Waschbeton und Straßenpflaster. Ein Laden neben dem nächsten.
Trotzdem sieht man zu jeder Uhrzeit kaum Menschen. Angeblich hat Gaggenau fast 30 000 Einwohner, und man fragt sich: wo sind die alle?
Auf meinem Weg zur Arbeit passiere ich einen massiven Hotelklotz. Die Verwunderung steigt noch: wer zur Hölle macht hier Urlaub? Wahrscheinlich übernachten hier manchmal Geschäftsleute, mag sein, aber im Vergleich zum ähnlich großen Speyer, das gegen diese Einöde wie das pulsierende Leben wirkt, gibt es hier auf den ersten, zweiten und dritten Blick noch nicht einmal etwas Geschichtsträchtiges oder baulich Interessantes, das einen längeren Aufenthalt lohnen würde.
Auf der Arbeit blicke ich aus diversen Fenstern im 4. Stockwerk: zumindest die Aussicht ist lohnend.
Viel Wald und halbwegs als solche erkennbare Berge, die dunstig verhangen sind, und die Stadt, die abgesehen von aus der Ferne herwinkenden Industrieanlagen von oben noch dörflicher wirkt... bei einem Photo aus dieser Perspektive hätte ich höchstens auf 6000- 8000 Einwohner getippt. Aber zumindest wirkt sie in ausreichendem Sicherheitsabstand fast schon malerisch.
Trotzdem hat man das Gefühl: hier wohnt niemand, so aseptisch wirkt das Ganze wieder bei näherer Betrachtung.
Man weiß nun, wie sich erzkonservative Menschen wahrscheinlich das Idealbild einer sauberen deutschen Stadt vorstellen.
Das Höchstmaß an Ausgeflipptheit sind ein paar verirrte Tags am Bahnhof und eine Kneipe, die "Krazy Känguruh" heißt.
Das Komische ist nur: so eklig wie es ist, irgendwie mag sich kein Groll aufbauen... wahrscheinlich bin ich nach meiner Rheinstetten- Episode ziemlich schmerzresistent. Vielmehr finde ich die Vorstellung, daß hier Menschen wohnen, und das dazu freiwillig, eher bizarr. Das ist dermaßen weit von meiner Welt entfernt, daß ich es mit einem Interesse betrachtet, das dem eines Kindes gleicht, welches irgendeinem seltenen Insekt zusieht, wie es durch den Straßenstaub kriecht.
Was hier weniger gruselig ist als in Rheinstetten, vermag ich nicht zu sagen.
Vielleicht hängt es wirklich an der Arbeit.
Grauenhaftes hatte ich erwartet, und das war vielleicht mein Glück, es ist nämlich der entspannteste Job, den ich seit langem hatte. Mag die Fahrerei mit der Bahn noch so umständlich sein (und einen vor allem mittags in noch größere Ödnis befördern, da ich regelmäßig in der "Schwarzwaldbahn" voller Ex-Beamter, Dorfschullehrer und Gemeinderatsmitglieder lande, die auf dem Weg zum Tagesausflug nach Konstanz oder zum Wandern in den Schwarzwald sind und in der eine 11minütige Zugfahrt gefühlte 111 Minuten dauert, bevor ich in Rastatt umsteigen muß... was das Erlebnis nicht aufregender macht):ich genieße momentan den Umstand, zu Fuß und nicht auf dem Zahnfleisch nach Hause zu kommen.

Damit beende ich meinen spannenden Erlebnisbericht aus Gaggenau mit ein paar weisen Worten:

"Oh Gaggenau, Perle des Murgtals! Gülden prunkender Hort der Freigeistigkeit! Mekka für Freaks und Aussteiger! Speerspitze architektonischer Avantgarde, in der das Leben pulsiert!"
(Vor Langeweile völlig delirante SMS an meinen besten Kumpel, am Montagmittag vom örtlichen Bahnhof abgeschickt)
"Ich muß gleich kotzen"
(Rückantwort)

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