Bei Marcel Proust reichte in "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" ein Biß in ein Madeleine, um assoziativ eine Sturzflut von Kindheitserinnerungen auszulösen.
Ich mußte hierzu heute zumindest zwei Euro investieren... um im Plattenladen meines Vertrauens die LP "Don't Let Me Be Misunderstood" der eigentlich weitgehend unerträglichen Discotruppe Santa Esmeralda aus dem Jahre 1977 , deren Fronthengst Leroy Gomez ein votzenbärtiger Goldkettenträger im bis zum Schamhaaransatz offenen weißen Hemd war, aus der Billigkiste zu erwerben. Soweit, so trashig.
Der Erwerb besagter Platte hatte jedoch einen konkreten Grund, enthält sie doch die lange Version des ursprünglich von Nina Simone stammenden ( und von Eric Burdon früh gecoverten) Titelstücks anstatt der zurechtgestutzten, die auch heute noch gelegentlich im Radio läuft, und somit einen Zwischenteil, der nur aus rhythmischem Geklöppel und Handclaps besteht.
Und- um vom Neben- zum Hauptsächlichen fortzuschreiten- mit diesem wurde in den frühen 80er Jahren in der ARD- "Sportschau" die Wahl zum "Tor des Monats" unterlegt, während ein heutzutage recht dilettantisch mundgemalt wirkender Zeichentricktorwart der Reihe nach vor oder auf den Zahlen 1-5 herumturnte.
Ich legte das Stück auf... und exakt bei diesem Part hatte ich mein Proust'sches Erlebnis... eine unerwartete Wiederkehr kindlicher Freude wie früher samstags im Wohnzimmer meiner Großeltern, wo zusammen mit mir (und meiner "Cinda"- Orangenlimonade) mein Vater, Großvater und oft auch mein Onkel (manchmal sogar beide) beim Bier saßen und wie die Schlote Ernte 23, Kurmark, HB und Overstolz rauchten (die Prenzlberg- Durchschnittsmutter würde beim Anblick eines Kindes in dieser Qualmhölle heutzutage wohl das Jugendamt informieren), während natürlich der Fernseher lief.
Das Glück war groß, wenn der FCK nicht nur gewonnen hatte, sondern in einer der drei Partien vertreten war, die gezeigt wurden... und mein persönliches Highlight war alle vier Wochen besagte Zuschauerabstimmung.
Und heute weiß ich: mochten auch schnauzbärtige Männer mit Gewaltschüssen aus vierzig Metern oder Fallrückziehern Tore erzielt haben, die mich heute komplett euphorisieren würden, war mir das als Kind herzlich egal.
Ich freute mich nur auf die Musik und vergaß in diesen drei Minuten alles um mich herum, und ich glaube, meine Vorliebe für überwiegend rhythmusbetonte Songs könnte unter anderem darin wurzeln.
Und als ich diesen Part heute seit sehr langer Zeit das erste Mal wieder hörte, waren diese Erinnerungen samt dem damit verbundenen wohligen Schauer plötzlich so präsent wie schon sehr lange nicht mehr.
Um Ihnen, verehrte Leser, einen Eindruck davon zu vermitteln, hier ein Link. Wenn er nicht funktionieren sollte, dann eben Copy & Paste... und Tanz den Marcel Proust. Und dann noch den Franz Kafka. Klatsch in die Hände. Klatsch in die Hände:
https://www.youtube.com/watch?v=k9hupHMLbsk
Donnerstag, 7. August 2014
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Ach, hier kann man abstimmen? Ich stimme ab für Tor Nr. 4.(vier). Vorlage Michael Harforth, Tor durch Emanuel Günther, KSC. Die Musik dazu hätte ich niemals erkannt - danke dafür!
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