Freitag, 20. Juli 2012

Unerwartete Lärmattacken



The Cherry Thing, 17.07.12, Karlsruhe, Tollhaus



Sollte man jemals auf die Idee kommen, ins Tollhaus zu gehen, in der Hoffnung, einen neuen Lebenspartner zu finden, steht der Frühvergreisung nichts mehr im Wege.

Das übliche glumpfige Bildungsbürgerpublikum aus Stock im Arsch, proseccotrinkenden Galeristinnen und Lehrerehepaaren um die 40 bestaunte erst einmal mit dem Kammerflimmer Kollektief Karlsruhes Finest in prätentiösem Kunstkack als Vorband in der vollbestuhlten Halle, bevor dann Neneh Cherry mit der dreiköpfigen norwegischen Band "The Thing" die Bühne betrat, um ihre gemeinsame Platte zu präsentieren.
Bei selbiger handelt es sich um eine Sammlung klug ausgesuchter Coverversionen aus verschiedenen Genres (unter anderem von Suicide, The Stooges und MF Doom), welche komplett zu abstrakten Jazzversionen umgearbeitet wurden.

Und es war eine wahre Pracht, diejenigen Leute, die nur wegen Neneh Cherry (und wahrscheinlich ohne Kenntnis der Platte in der Hoffnung, eine Loungeversion von "Seven Seconds Away" zu hören) gekommen waren, im Lauf des Konzerts scharenweise und teilweise überstürzt flüchten zu sehen... denn die Stücke wurden immer wieder unterbrochen von teilweise minutenlangem, atonalem Freejazzterror mit manischem Geschrei ihrerseits, was wirklich nur Psychopathen ohne größere Nervenschäden überstehen konnten. Also ich.

Der Rest war manchmal schräge, manchmal groovende und manchmal sogar wunderschöne Musik, die die wenigen, die keinen Sitzplatz gefunden hatten bzw. keinen wollten (wieder ich) teilweise sogar zum Tanzen animierte. Untermalt wurde das ganze von wechselnder, aber teilweise extrem faszinierend wirkender Bühnenbeleuchtung, die ohne bunte Lampen auskam und die Musiker sehr in den Mittelpunkt rückte.

Am besten gefiel mir übrigens der Saxophonist, der nicht nur die witzigsten Ansagen machte ("The next song is called 'Viking' and is the only hit from The Thing. It's from our next album, so it's supposed to be a hit. I hope so."), sondern auch durch seine Rugbyspielerstatur eine unglaubliche Bühnenpräsenz besitzt und Neneh Cherry teilweise die Show stahl.

Am Ende war gut ein Viertel des Saales leergespielt, der Rest war begeistert... es blieb der Eindruck eines sehr guten Konzerts einer Band, die einfach ihr Ding durchzieht, ohne Rücksicht auf Verluste.

Respekt auch an Neneh Cherry, derart mit kommerziellen Erwartungen zu brechen.

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