Sonntag, 18. September 2011

Das Ende einer Tracheostomasammlung

Ich verlebte am Freitag die wohl bizarrste Stunde seit langer Zeit: ich saß vor dem Plattenladen meines Vertrauens und trank in der Sonne einen Kaffee, dazu rauchend, als von links ein geschmacksbefreites altes Schwulenpärchen meinen Weg kreuzte... gewandet in allerlei grellbunte Scheußlichkeiten, D'Artagnanbärte im solariumgegerbten Gesicht und Miniplis mit blonden Strähnchen.
Das war- bar jeglicher Homophobie- ein gar grusliger Anblick, jedoch nicht so gruslig wie das, was gleich darauf von rechts in mein Blickfeld trat: zwei alte Tunten, aufgebrezelt wie Edelhostessen aus dem Frankfurter Bahnhofsviertel und in kniehohen "Fick mich"- Stiefeln. Wohlgemerkt: ich befand mich in Karlsruhe, nicht in Berlin, wo man angesichts solcher Naturerscheinungen allenfalls eine Augenbraue hochziehen würde.
Abgerundet wurde das ganze durch einen sich vor dem gegenüberliegenden Sicherungskasten auf dem Boden befindlichen Aufsatz eines Tracheostomas, einer sogenannten "Nase", bei der ich mir nun endgültig nicht mehr erklären konnte, wie die dahinkam.
Den Einwand von Studio- Eins- Betreiber Wani, es sei ja immerhin Sperrmüll gewesen, konnte ich ebenfalls schlecht gelten lassen.
Oder hatte da jemand seine liebevoll gehortete Tracheostomasammlung entsorgt, auch die limitierte Edition aus Taiwan von 1978?

Apropos "hingeraten": nachdem ich nun endlich das sogenannte "Südstadthaustier" zu Gesicht bekam, habe ich meinen Initiationsritus wohl auch hinter mir: es handelt sich hierbei um einen erstaunlich großen Spinnenläufer (Scutigera coleoptrata)
den angeblich jemand aus Südamerika als blinden Passagier eingeschleppt hat und der sich hier in der Südstadt fleißig vermehrt. Das Vieh hat nicht nur die Größe eines mittleren Schokoriegels, es ist auch ein hervorragender Wecker, kann ich aus eigener Erfahrung sagen.
Denn noch nie war ich ohne Hilfsmittel dermaßen blitzschnell putzmunter wie vor ein paar Tagen, als ich mir zum Morgenkaffee einen Löffel aus der Schublade holen wollte und im Besteckfach ein Exemplar dieser Spezies entdeckte.
Die Popularität dieses Insekts ist derweil auf einem ersten Höhepunkt angelangt: mittlerweile ziert es als Motiv auch ein ausschließlich in Karlsruhe erhältliches T- Shirt.
Da lobe ich mir doch meinen grantigen Nachtfalter: letztens, als ich spätabends musikhörend in meinem Zimmer saß, schwirrte er in unberechenbaren Flugbahnen um meine Lampe herum, sich allen Versuchen widersetzend, ihn zu verscheuchen.
Morgens hatte er es sich dann auf meiner Fensterbank bequem gemacht, wobei die linke Körperhälfte jedoch auf dem Fensterrahmen ruhte, so, als läge er auf der Seite und schliefe noch.
Also drehte ich meine Anlage auf, trank meinen Morgenkaffee... und konnte den Falter beobachten, wie er auf die Fensterbank krabbelte, sich die Szenerie in meinem Zimmer gute fünf Minuten lang anschaute, anschließend die Fühler rieb (scheinbar ein Äquivalent zum männlichen Sackkratzen)... nur um sich dann umzudrehen und exakt dieselbe Körperhaltung einzunehmen wie vorher, nur diesmal mit der rechten Körperhälfte oben.
Sprich: "Wer weckt mich da? Was geht? Nah, nicht viel (Sackkratz), ich dreh mich um und penn weiter. Leck mich."
Selten war mir ein Insekt binnen weniger Momente dermaßen ans Herz gewachsen.

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