Montag, 14. Juni 2010

SCHLAAAND!

Bisher hatte ich seit meiner Kindheit keine großen Sympathien mehr für die deutsche Nationalelf.
Davon abgesehen, daß ich mich zwar immer auf die WM freue, mir das ganze Partygesocks, das in irgendwelche Flaggen gehüllt mir "SCHLAAAND!" ins Gesicht brüllend versucht, einen Schluck aus irgendeiner vollgesabberten Pulle aufzunötigen, gewaltig auf den Zeiger geht, ist meine Stimmung immer deutlich unterhalb des Euphorielevels, da für mich wahrer Fußball Vereinsfußball ist und ich mich sowieso keinem meiner beiden Länder soweit zugehörig fühle, als daß ich eine Nationalelf fände, mit der ich mich dermaßen identifizieren könnte wie mit dem FCK.
Dazu ging es mir auf den Sack, wenn sich die deutsche Elf mit gräßlichem Krappenfußball durch Turniere mogelte, während spielerisch gute Mannschaften die Segel streichen mußten.

Irgendwann entschied ich mich dafür, meine Sympathien den Franzosen zu schenken. Als jemand mit korsischem Migrationshintergrund ist Fußball zwar das Einzige, was man mit den Franzosen gemein hat, aber solange es kein korsisches Nationalteam gibt und man man die Wahl zwischen zwei Nationalmannschaften hat, nimmt man eben die, die einem prinzipiell sympathischer ist... und das waren die Franzosen eigentlich schon in den 80ern, wenn ich es mir überlege.
Platini, Giresse, Tigana, Fernandez... das sind Namen, bei denen ich heute noch ins Schwärmen gerate, während mir die Deutschen irgendwann zu doof wurden.
Sitzt man also quasi zwischen zwei oder gar drei Stühlen, ist es schwierig, einer Nationalelf soviel Begeisterung entgegenzubringen wie einer Vereinsmannschaft (wobei ich nicht sage, es sei unmöglich).
Meistens ist die WM für mich auch nur Fußball für Leute, die sich nicht für Fußball interessieren, vor allem seit 2006. Party Party Party, sich in Deutschlandflaggen hüllen und eigentlich ansonsten von nichts eine Ahnung haben.
"Ich interessiere mich nicht für Fußball, nur bei der WM, und nur wenn Deutschland spielt"... man sollte für jeden Spruch dieser Art um ein Almosen bitten, dann hätte man bei jedem Turnier einen vollen Kühlschrank.

AAAABER:
Ich bin mir bewußt, daß dies durchaus die Art von Polemik ist, die man von mir erwarten darf/durfte.
Doch ich werde die positiven Seiten nicht unter den Teppich kehren.
In meiner Jugend war es als Punk eine recht angstvolle Angelegenheit, nach den Spielen der deutschen Mannschaft auf die Straße zu gehen.
Flagge zeigen und Party machen war noch nicht salonfähig, und in der Regel traf man höchstens auf alkoholisierte Deppen in Böhse- Onkelz- T-Shirts, die als vereinzelte Feiertrupps unterwegs waren und generell alle Klischees verkörperten, die man von deutschen Fußballfans hatte. Wenn man Glück hatte, wurde man als erkennbarer Linker nur angepöbelt.
Doch mittlerweile muß man fairerweise eines feststellen: seit der WM 2006 geht es völlig entspannt zu, auch wenn es gelegentlich unfaßbar nervt.
Die früheren Gastarbeiterkinder, die hier großgeworden sind (bzw. mittlerweile deren Kinder), entscheiden sich plötzlich dafür, für Deutschland aufzulaufen, mit dem Ergebnis, daß nicht nur ein kompletter Multi- Kulti- Trupp im weißen Trikot kickt (Tasci und Özil [türkische Wurzeln], Boateng und Aogo [Ghana], Gomez [Spanien], Podolski, Klose und Trochowski [Polen], Marin [Bosnien], Cacau [Brasilien], Khedira [Tunesien]), der auch noch erstaunlich schönen Fußball spielt, sondern auch, daß man Menschen zusammen feiern sieht, bei denen die Anwesenheit von Leuten mit erkennbarem Migrationshintergrund, die Deutschlandfahnen schwenken, nicht ungewöhnlich ist.
Sogar für mich mit meinem urdeutschen Nachnamen ist manches schwierig; das liegt einfach daran, daß ich in mancher Hinsicht ein pingeliger Mensch bin, der gerne alles wohlgeordnet hat, was heißt, daß es mich verwirrt, wenn Deutsche Özil und Boateng, Schweizer Derdiyok, Franzosen Schneider und Makelele und Zyprioten Rauffmann heißen. Aber es wird die Regel werden, auch weil es seit dem Zweiten Weltkrieg Usus ist, sich mehr oder weniger freiwillig im Ausland niederzulassen und sich dort fortzupflanzen.
Irgendwann nach weiteren fünfzig Jahren wird es für die Generation nach uns das Normalste der Welt sein, daß alles durchmischt ist und die Zugehörigkeit zu einer Nation lediglich durch die Sprache, nicht mehr durch das "Blut" oder den Namen definiert wird. Ich kann mich da zugegebenermaßen nicht so schnell umgewöhnen, was natürlich nicht heißen soll, daß ich diese Entwicklung mißbillige, auch weil es ein mittlerweile europaweites Phänomen ist. Geschichte besteht nun mal aus Umwälzungen, und die größte haben wir wohl gerade vor uns, hervorgebracht durch Möglichkeiten, die den Generationen vor uns schlichtweg nicht zur Verfügung standen.

Und darum kann ich auch wiederum Leute nicht mehr ernstnehmen, die in der jetzigen nationalen Begeisterung mal wieder das 4. Reich herannahen sehen. Mittlerweile dürfte Fußball die integrativste Kraft überhaupt sein, und sogar die verbohrtesten Altlinken sollten sich mal etwas lockermachen.
Beim EM- Halbfinale 2008 schauten Deutsche und Türken das Spiel gemeinsam und alles blieb friedlich; und die jetzige deutsche Mannschaft hat folgenden Effekt, der dem oben von mir geschilderten nicht unähnlich ist:
Junge Leute mit- sagen wir mal- türkischem Migrationshintergrund unterstützen aufgrund der Abwesenheit der Türkei trotzdem die deutsche Mannschaft, und sei es nur, weil Özil mitspielt.
Und Deutsche mit Vorbehalten gegenüber Ausländern müssen nun damit leben, daß ihre Nationalelf aus (Vorsicht, Ironie!) Niggern und Kanaken besteht. Entweder hören sie nun auf, Fußball zu schauen, oder sie gewöhnen sich verdammt nochmal dran.

Und ich? Halte natürlich wie gewohnt zu den Franzosen, die einen grausamen Stiefel zusammenspielen, und wenn diese erwartbar spätestens im Achtelfinale rausfliegen (womit ich dann kein Problem habe, um einen oberen Kritikpunkt aufzugreifen... wer scheiße spielt, verdient keinen Weltmeistertitel) und die Deutschen so weitermachen, kann ich sehr gut damit leben, wenn sie den Pokal holen.
Auch ohne "SCHLAAAND!" blökend die Kaiserstraße entlangzustürzen.

1 Kommentar:

  1. Das gehört unterschrieben und wird von mir vorgeschlagen für den "Inneren Reisparteitag 2010" [sic!].

    AntwortenLöschen