Mittwoch, 23. Januar 2019

Leben ohne Facebook

Gestern in der Bar Milano.
Ich gerate in ein - teilweise sehr hitziges - Streitgespräch mit zwei Herren, beide etwas älter als ich, denen ich normalerweise wohlgesonnen bin (und umgekehrt ebenfalls).
Ausgangspunkt der Diskussion war mein Kommentar - bzw. Postingverhalten auf Facebook sowie das Image, das man dadurch generiert, was auch Fragen nach dem Sinn und Zweck des Ganzen aufwarf.
Nach der Lektüre des bereits erwähnten Buches von Schlecky Silberstein (Sie erinnern sich: "Das Internet muss weg") nagten bereits einige berechtigte Zweifel an mir, ob ich tatsächlich weiterhin ein Teil dieser Maschinerie sein möchte.

Nehmen wir die Vorteile:
- ich habe nicht nur wirklich gute Leute kennengelernt, sondern pflege auch regen Kontakt zu Menschen, die ich ansonsten oftmals jahrelang nicht sehe
- ich kann auf Veranstaltungen aufmerksam machen, für die ich verantwortlich bin
- ich habe eine Plattform, auf der ich meine Arbeit präsentieren kann

Zudem ist es natürlich ein vermeintlich harmloser Zeitvertreib. Vermeintlich.
Ich will jetzt nicht auf die kommerzielle Datenkrakenschiene abbiegen, die in meinen Überlegungen auch eine große Rolle spielt. Das haben fähigere Köpfe schon überzeugender getan (siehe oben), und ich muß das nicht noch einmal wiederkäuen.
In letzter Zeit merke ich dazu immer häufiger, welche Folgen es haben kann, wenn einem in seiner Außendarstellung ein Fehler unterläuft.
Man versucht, private Informationen auf ein verträgliches Maß zurechtzustutzen; wie auch im Blog poste ich dort nur Dinge, die ich auch einem Fremden an einer Theke infolge eines guten Gesprächs erzählen würde, ohne am nächsten Tag nach einem kurzen Blick in den Spiegel vor Scham im Boden versinken zu wollen.
Das führt dazu, daß man sich - häufig infolge von Prokrastination - in einer Blase bewegt, in der man freudig über jedes hingehaltene Stöckchen springt. Nachrichten echter oder vermeintlicher Freunde werden angezeigt, und in der Annahme, daß jeder, der etwas postet, auch nach Feedback lechzt, schreibt man mehr oder weniger launige Ein - bis Dreizeiler dazu.
Und eben das kann sehr schnell eine Form annehmen, die man auf keinen Fall haben möchte.
Man zählt plötzlich als Besserwisser, der zu jedem Quatsch zumeist ungefragt seinen immergleichen Senf abgibt. Postet man übellaunig einen kurzen polemischen Satz zu irgendwas, was einem anderen irgendwie wichtig ist, kann es sein, daß man von diesem Satz bei einer persönlichen Begegnung Tage später hinterrücks überfallen wird.
Wird man gleich unter dem betreffenden Post davon überfallen, kann man natürlich eine weitschweifige Erklärung dazu posten, die aber fast niemand liest, davon abgesehen, daß sie in dem seltsam gestaffelten Kommentarsystem schlimmstenfalls komplett untergeht.
Somit entstehen Mißverständnisse, die in einem persönlichen Gespräch beim abendlichen Bier niemals in der Form entstanden wären, und man vergrätzt Leute oder zürnt ihnen tagelang, und das überflüssigerweise.
Natürlich kann man versuchen, das im Chat zu klären, aber dazu müssen erst einmal beide Seiten bereit sein, was auch nicht immer der Fall ist.

Ich bin Autor, und daher auf ein gewisses Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit angewiesen, die ich auch suche, alles andere wäre gelogen. Da ich nicht Thomas Pynchon bin und dazu viel zu unbekannt, um mit einem Mysterium um meine Person drölftausend Bücher zu verkaufen, bin ich auf Außendarstellung angewiesen, und deswegen existiert auch dieser Blog.
Allerdings ist er im Gegensatz zu Facebook werbefrei; ich könnte damit Geld verdienen, indem ich irgendwelche Banner installiere, aber das wird nie passieren. Anders als dort habe ich hier alle Zeit und allen Platz der Welt, persönliche Befindlichkeiten breitzutreten, und wen es nicht interessiert, der wird ihn auch nicht lesen.
Wenn Ihnen, geehrte Leser, irgendwas sauer aufstößt, haben Sie die Möglichkeit, dies in einem Kommentar kundzutun, und ich wiederum kann mich ausführlich dazu äußern.
Das Gleiche gilt auch für "mein" Musikforum, in dem man uninteressante Beiträge oder Threads gepflegt ignorieren kann, ohne daß irgendein Elch danach kräht. Oder sich dadurch auf den Schlips getreten fühlt.

Die Annahme, auf Facebook Konversation zu betreiben, ist genauso illusorisch wie diejenige, man würde mit dem Kundtun seiner eigenen Meinung irgendwas oder irgendjemanden ändern.
Im Endeffekt vermittelt man nur Leuten, die gerade dabei sind, sich ein Bild von einem zu machen, ein extrem verfälschtes. Und solche Leute können einen durchaus dazu bringen, sich selbst mal wieder ernsthaft zu hinterfragen, siehe nochmal oben.

Im wahren Leben gibt man nicht zu jeder Bemerkung den Kommentar ab, der einem gerade durch die Rübe rauscht. Man klärt Mißverständnisse zeitnah unter vier Augen, und wenn das Gegenüber ein Arsch ist, dann ist es halt mal so, aber es kostet Arbeit, das herauszufinden und man entfreundet denjenigen nicht bequem per Mausklick. Man wird als Person wahrgenommen, nicht als Larve, die mit diversen Attributen behängt wird, wenn sie das nicht eh schon bereitwillig selbst tut.
Leben ohne Facebook? Kann ich mir momentan nur teilweise vorstellen, da sonst der Kontakt zu einigen liebgewonnenen Leuten wieder komplett abreißen würde.
Aber meine Präsenz dort schrittweise zu reduzieren und mein Mitteilungsbedürfnis stattdessen wieder in den Blog zu verlagern, ist einer meiner guten Vorsätze 2019.

Sollte ich irgendwann die Frage "Wollen Sie diesen Account wirklich löschen?" ernsthaft und überzeugt mit "ja" beantworten, werde ich mir zur Feier des Tages einen Schnaps einschenken.
 Ich arbeite darauf hin.



1 Kommentar:

  1. Ein wirklich gut geschriebener Artikel. Ich stimme dir zu. Beste Grüße, Ingo

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