Freitag, 18. Januar 2019

Mein Leben als Verräter

Ich befinde mich in meiner Stammkneipe, seit geraumer Zeit die Bar Milano in der Karlsruher Südstadt. Es ist Freitagabend, ein DJ legt auf, und zwar eine musikalische Mischung, die mir generell und an diesem Abend sehr gut hineinläuft.
Jeder Track ein Volltreffer; vereinzelte HipHop - Klassiker treffen auf gut gealtertes aus der Funk-/Soulrichtung, und die Stimmung ist für einen Kneipenabend hervorragend. Wäre das hier ein Club, würde die ganze Meute alkoholbeseelt das Tanzbein schwingen, als gäbe es weder ein Morgen, noch einen Kater, noch die Gelenksteifigkeit von Leuten mehrheitlich über 40.
Als überraschend Gil Scott - Heron mit "Me And The Devil" ums Eck biegt, gebe auch ich meinem Bewegungsdrang in einem sozial verträglichen Rahmen nach, als plötzlich das - nicht namentlich genannt werdende - ebenfalls reichlich angejahrte Mitglied einer Punkband mit geschätzt 3,2 Promille auf mich zustolpert und mir die Frage stellt, ob ich nicht der sei, der für's OX arbeitet.
Auf mein Bejahen hin werde ich angekläfft, wie ich für ein Punkmagazin schreiben und gleichzeitig solche Scheißmusik abfeiern könne, was dann auch zur Folge hat, daß im nächsten Satz meine Authentizität infrage gestellt wird.
Die folgende zum größten Teil sinn -, trost - und geistferne Diskussion erspare ich Ihnen an dieser Stelle.
Seltsamer als den Umstand, mit Mitte 40 mit mindestens Gleichaltrigen noch dermaßen glumpfige Streitgespräche führen zu müssen, die man bereits gut verwahrt auf dem Müllhaufen der eigenen Lebensgeschichte wähnte, finde ich die Tatsache, daß es Menschen gibt, die zwar ein massives Problem mit Autoritäten haben, aber anderen Leuten vorschreiben möchten, was für Musik sie hören dürfen oder nicht. Offenbar, da sie ansonsten alles, was sie im Rahmen ihrer Nische für den Erhalt einer Existenzberechtigung als eherne Grundsätze betrachten, ad absurdum geführt sehen.
Oder den gierigen Händen des Kommerz ausgeliefert.

 "Punk ain't no religious cult/Punk means thinking for yourself" formulierte es einst kein geringerer als Jello Biafra von den Dead Kennedys im treffend "Nazi Punks Fuck Off" betitelten Stück, übrigens entgegen der landläufigen Meinung kein Anti - Nazi - Song, sondern eine recht rabiate Anklage der intoleranten und fehlgeleiteten Schwachköpfe in den eigenen Reihen.
Was ist für mich also "Punk", gesetzt den Fall, ich würde mich noch als einen betrachten?
Mit Sicherheit der innere Kern einer Geisteshaltung, weder Normen noch Verhaltensweisen zu entsprechen, sollten sie mir unangemessen erscheinen. Und schon gar keinen Dogmen jeglicher Art.

Und dazu gehört auch der ständig präsente Punkknigge angejahrter Scheuklappenträger, die nicht einsehen wollen, daß von ihrem Bahnsteig schon lange kein Zug mehr fährt.

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