Samstag, 2. Dezember 2017

Der verlorene Sohn

Neun Jahre war ich jetzt als Pfleger für eine Leihfirma tätig. So lange, daß mich diese im Zuge der Einrichtung ihrer neuen Homepage anrief und bat, mich als verdienten langjährigen Mitarbeiter von einer Werbetreibenden interviewen lassen zu dürfen, um meine Aussagen auf besagter Webseite verwerten zu können.
Tatsächlich rief besagtes Wesen auch an und komprimierte und lektorierte meine Antworten zu einem schwer erträglichen Stuß, so daß ich nun zeitlebens nach Canossa gehen kann, angetan mit einem Trikot mit dem Logo meines ehemaligen Arbeitgebers als Werbeaufdruck, denn diesen Scheißdreck kann man unter meinem vollen Namen im Internet nachlesen, wenn man diesen in die Suchmaschine eingibt. Viel Spaß dabei.
Aber wie gesagt (oder geschreibt ... ich meine: geschroben): ehemaliger Arbeitgeber.
Ich habe mich dazu entschlossen, mich wieder in ein geordnetes Arbeitsverhältnis zu begeben, mach neun Jahren Wanderschaft durch über 20 Häuser in Karlsruhe, Ettlingen, Gaggenau, Rheinstetten, Pfinztal - Berghausen, Weingarten/Baden und zuguterletzt Berlin, natürlich.
Gelandet bin ich in einem Haus, in das ich eigentlich nie wieder einen Fuß setzen wollte, höchstens tot. Oder unter Androhung von Brachialgewalt gegen mich oder irgendwie mit mir in Verbindung stehende Personen.
Ich arbeitete bereits von 2002 bis 2005 dort, und die Geschichte endete äußerst unschön, was einem ernsthaften Zerwürfnis zwischen mir und der auch heute noch in dieser Funktion tätigen Heimleitung geschuldet war.
Elf Jahre vermied ich es strikt, noch einmal dort aufzutauchen und auf der "Schwarzen Liste" der Leihfirma, die Häuser beinhaltet, in die der Arbeitnehmer auf eigenen Wunsch niemals wieder eingesetzt werden möchte, rangierte mein jetziger Arbeitgeber auf Platz 1.
Dennoch hatte ich immer noch einen Hang zu dem Haus, aus genau dem Grund, warum mir in Berlin der Wedding dermaßen ans Herz gewachsen ist: mein Herz für Underdogs.
Besagtes Altersheim führt in Karlsruhe nämlich ein ziemliches Schmuddelkinddasein, nimmt es doch in der Hauptsache Leute in sein schäbiges Inneres auf, die andere - oftmals kirchliche - Häuser nicht haben wollen: ehemalige oder aktuelle Alkoholiker und Junkies, Ex - Häftlinge, als austherapiert geltende psychisch Kranke, kein Wort deutsch sprechende Ausländer und im besten Fall dazu noch Kombinationen aus allen eben angeführten Einzelkomponenten. Sozusagen ein Prekariatsaltersheim, wobei ich Ausländer logischerweise nicht zwangsläufig zu diesem zähle.
Darum sagte ich nach elf Jahren auch "Schwamm drüber" als ich gefragt wurde, ob ich doch wieder dort arbeiten wolle, und wurde von der Heimleitung begrüßt wie der verlorene Sohn.
Das war im August 2016, und so lange habe ich es mittlerweile wieder durchgehalten; lange genug, um zu erkennen, daß ich da wohl schon immer hingehört habe und niemals richtig weg war und dem Ganzen noch einmal eine Chance geben zu wollen, auch weil sich nach monatelanger Fluktuation nun gerade ein Team neu zusammengefunden hat, das bereit ist, zusammen an einem völligen strukturellen Neuaufbau zu arbeiten.
Vermessen, wie ich bin, sehe ich mich darin als eine der zentralen Antriebskräfte.
Gestern hatten wir dann auch unsere erste gemeinsame Weihnachtsfeier im Kollegenkreis. Das angedrohte Schwerstbesäufnis inmitten von Grabbelsack und äußerst mediokrer (dafür umso unbilligerer) Nahrungszufuhr blieb zwar aus (was - ungelogen - auch in meinem Sinne war, denn ich kann auf promilleschwangere Rührseligkeiten im Kollegenkreis, die montags gern ungeschehen gemacht wären, durchaus verzichten), aber ansonsten waren durchaus vielversprechende Ansätze eines künftigen Teamgeistes zu erahnen.
So bin ich denn wieder in festen Händen. Warten wir gespannt darauf, wie lange diesmal.

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