Freitag, 30. Januar 2015

Das Brot- eine Offenbarung

Wenn man älter wird, nimmt die Begeisterungsfähigkeit rapide ab.
Platten, zum Beispiel. Musik, die einen mit 19 zum völligen Ausflippen inklusive T- Shirt- Kauf und sonstigen Wechsel des äußeren Erscheinungsbildes veranlaßt hätte, nimmt man 20 Jahre später höchstens noch mit wohlwollend hochgezogenen Augenbrauen wahr, weil: hat man ja alles irgendwie schonmal gehört. Und zumeist sogar besser.
Umso bemerkenswerter ist es, wenn quasi aus dem Nichts etwas dieses solide Fundament, auf dem die in Erz gegossene Selbstgefälligkeit ruht, in seinen Grundfesten erschüttert, und zwar dergestalt, daß man über sich selbst, seine eigenen Fähigkeiten und deren Gebrauch nachdenkt.
In meinem Fall war es eine kurze Passage in Uwe Tellkamps auch sonst ganz fabulösen Wälzer "Der Turm", einer in den letzten Jahren der DDR angesiedelten Familiensaga. Das klingt ganz schauerlich nach Hochkultur für CDU- Wähler, die ihre Meinung über den "Unrechtsstaat" gerne schwarz auf weiß bestätigt sähen, aber damit täte man dem Buch selbst schwerstes Unrecht an, denn es ist stilistisch brilliant und abwechslungsreich.
Tellkamps Einschübe in Form von fiktiven Briefen und Tagebucheinträgen, sein unglaubliches Geschick im Umgang mit Metaphern sind einfach hinreißend und begeisternd.
Eine Inhaltsangabe spare ich mir, die nimmt mir Google bei Interesse meiner Leserschaft sicherlich gerne ab (mein Unwillen gegen das Verfassen von Wiedergekäutem dürfte mittlerweile hinlänglich bekannt sein), doch auf ein Detail möchte ich doch gerne zu sprechen kommen.
Auf Seite 794/795 beschreibt der Autor ein Gemälde, auf dem ein Brot zu sehen ist, beziehungsweise das Brot selbst. Nun könnte (und sollte) man natürlich denken: toll. Ein Brot.
Der entscheidende Unterschied ist nur, WIE er es beschreibt, angefangen von den "absolutistisch spitzen Kegeln" aus Mehl drumherum über den "Teig, der dem braunen (chitinbraunen, kontrabaßbraunen, baumstammbraunen, steinbraunen) Knust stotternde Umrisse verlieh" zu den "von Krume umzogenen Poren".
In diesem Moment wurde mir eines klar: dieser Typ ist wahnsinnig.
Nur jemand, der von seiner Arbeit komplett besessen ist, kann dermaßen schreiben, kann eine derartige detailverliebte Leidenschaft für die Beschreibung offenkundiger Nebensächlichkeiten verwenden.
Das Ganze packte mich dermaßen, daß ich mich stehenden Fußes eigentlich eher spontan in meine Stammkneipe begab, wo ich mir eine Reihe Pils in den Kopf stellte und dabei mein eigenes Verhältnis zur Schreiberei hinterfragte.
Und siehe da: ich kam zu einem Ergebnis. Und zwar zu dem eher unerfreulichen, daß mir dieser Wahnsinn in den letzten zwei Jahren abhanden gekommen ist beziehungsweise sich unter etwas versteckt hat, was ich für "Vernunft" hielt.
Natürlich hat sich mein Leben nicht zum Nachteil verändert, seit ich das Gefühl habe, umgänglicher und unkomplizierter geworden zu sein, doch die Kehrseite ist der Umstand, daß mein Verhältnis zum Schreiben gleichfalls unangemessen rational geworden ist. Und ich deswegen einen eklatanten Mangel an Spontaneität zu beklagen habe.
Denn die Art und Weise, wie "Kreisklassenhölle" entstanden ist, dieses Niederkritzeln plötzlicher Einfälle auf Bierdeckeln, Servietten und im Geldbeutel mitgeführten Freßzetteln, das komplett über jede Müdigkeit triumphierende nächtliche Dauertippen bei Unmengen Bier und schwarzem Kaffee zu lauter Musik, dieses ständige gedankliche Schnitzen, Wälzen und Drechseln von Worten und Sätzen: das alles hatte mit "Vernunft", so wie ich sie heute glaube, verinnerlicht zu haben, nichts zu tun.
Plötzlich habe ich erkannt, was mir die ganze Zeit gefehlt hat, ohne es zu bemerken... und nun vermisse ich es, und es liegt an mir, es wiederzufinden. Und das wegen ein paar Zeilen in einem 973 Seiten umfassenden Buch.
Das Brot Gottes, sozusagen.
Danke, Uwe Tellkamp.

Montag, 19. Januar 2015

Moin, SWR 1!

Wenn man elenderweise sonntagmorgens um 5 aufstehen muß, um zur Frühschicht zu gehen, ist es geradezu unverantwortlich von Ihnen, arglose Hörer bereits mit nervenzerfetzender Spannung zu konfrontieren, die zwar einerseits den letzten Rest Schlaf verscheucht, andererseits den Organismus um diese unwirtliche Tageszeit bereits mit einem kaum zu bewältigenden Adrenalinrausch konfrontiert.

"Einen schönen guten Morgen. Diese Stunde werden wir unter anderem einen der größten Hits von Toto hören... sie können ja schon mal raten, welcher es sein wird."

Da soll man sich vor lauter Aufregung noch mit ruhiger Hand rasieren.

Freitag, 16. Januar 2015

Apropos "Hühner":

ihr drei Ischen in den mittlerweile zwei Werbespots eines Berliner Onlineversandhändlers samt eurem affektierten Rumgehampel, das angeblich "natürlich" und "frech" (die Todesvokabel schlechthin) auf arschdümmste Weise offenbar die pure Lebensfreude vermitteln soll, laßt euch eines gesagt sein:
wäre das keine brüllblöde Reklame, sondern eine wirklich gute Fernsehsendung, käme auf euch ein 16- Tonnen- Gewicht nieder.
Da habt ihr ja nochmal Glück gehabt.

Ich bin eine Memme.

Was infolge des Attentats in Paris an Arschgesichtern, Fanatikern und Geisteskranken mit Hilfe des Internets aus dem ranzigsten Schleim am tiefsten Grund der menschlichen Existenz emporsteigt, um der Welt seine Existenz und Meinung kundzutun, und seien beide auch noch so sinnfern und bescheuert, hält niemand aus, der noch alle Tassen im Schrank hat.
Zumeist religiöse Extremisten und/oder Verschwörungstheoretiker, die wieder den Juden (speziell dem Mossad), der CIA, der Regierung, den Medien, Chemtrails, Erdstrahlen oder Echsenmenschen die Schuld, Anstiftung oder gleich Ausführung dieser Aktion zuscherbeln.
Auf jedes einzelne dieser Hirnrindenverdampfungsexperimente einzugehen, wäre vergeudete Zeit... Sie erhalten auf dem wunderbar geistesabwesenden "Schall und Rauch"- Blog, den ich hier absichtlich nicht verlinkt habe, um diesen Wahn nicht unkontrolliert selbst weiterzuverbreiten, einen Überblick über die absunderlichsten Theorien. Vorher sollten Sie aber ihren Kopf fixieren... der Wunsch ihn bis zur Besinnungslosigkeit auf die Tischplatte zu hauen, könnte übermächtig werden.
Was ich dagegen verlinke, ist der ranzige Kommentar:

dieser selbstgefälligen Kotzbrocken

der offenbar manchen aus der Seele spricht, aber nicht mir.
Den Selbstbezichtigungsteil zu Beginn könnte ich ja fast noch unterschreiben, den auch ich bewege mich ja hier auf relativ sicherem Eis, das nur stellenweise dünn ist.
Aber so weit aus dem Fenster gelehnt, daß ich Angst um mein Leben haben mußte, habe ich mich bisher nie... und würde ich es darauf anlegen, würde ich hier sofort eine Mohammedkarikatur posten, etwas, wozu ich mich aber nicht überwinden kann. Ist das feige? Oder vernünftig? Bin ich besonnen und vermeide eine weitere Eskalation? Oder bin ich einfach nur ein Waschlappen?
Selbstzweifel begleiten mich dieser Tage, das Hinterfragen meines eigenen Antriebs und meiner persönlichen Grenzen.
Ja, vielleicht bin ich ein komplett ängstliches Suppenhuhn und gebe das hiermit auch öffentlich zu.
Trotzdem ist diese Erkenntnis für mich kein Grund, mich für den großen Selbsterkenner zu halten und jeden, der zu diesem Prozeß weder Willens noch aus welchem Grund auch immer in der Lage ist, geradezu debil zu finden.
Man lese und erbreche:


beschämend ist für mich das reflexhafte handeln (...) einer generation, die im netz allem gedankenlos folgt, was kurzfristig aufmerksamkeit verdient. ob da nun #jesuischarlie, "rip joe cocker" oder irgendwas mit #schneegida getwittert wird: es macht keinen unterschied mehr. es ist ein tausendfach kopiertes bekenntnis zu irgendetwas, das für den moment aktuell ist und ohnehin durch die timelines rauscht. und dieses bekenntnis will in meinem kopf einfach nicht mehr zu berührender anteilnahme werden, sondern wird zu dem, was es ist: eine große herde der belanglosigkeiten.
eine meinung hat jeder und sie muss raus in die welt, jetzt sofort. als ob man schockierende ereignisse nicht erst verarbeiten, als ob man dem gehirn nicht zeit geben müsste, sich darüber klarzuwerden, was hier gerade passiert ist, und noch viel wichtiger: was es bedeutet und welche konsequenzen wir daraus ziehen müssen. angst macht nicht der terroristische angriff auf das französisches satiremagazin charlie hebdo, angst machen die reaktionen darauf.


Angst machen also nicht die Anschläge, sondern daß das Volk sich lemminghaft einbildet, davon betroffen zu sein. Zumindest aus der Nummer bin ich raus, denn am Schluß verschone ich sie gnädig mit dem Fazit, eigentlich trotzdem alles schon immer besser gewußt zu haben.

Freitag, 9. Januar 2015

Lang nicht mehr gesehen, Weltgeist!

Aber ich muß mich mal wieder herzlich bedanken.
Denn wenn es auf Facebook Menschen gibt, die Hiwot Fikir heißen und andere Leute liken, die Fozi Liwizi heißen, finde ich das sehr artig.
Weiter so!

Donnerstag, 8. Januar 2015

Strikte Weigerung

Ich bleibe gerne unversöhnlich.
Vor allem Korsen hatten mit "Charlie Hebdo" recht wenig zu lachen, da die Zeitschrift auch mit ihnen sehr rüde umgesprungen ist.. Deswegen wäre aber trotzdem niemand auf die Idee gekommen, die Urheber umzubringen.
Denn über allem thront noch unangefochten die Pressefreiheit, ein Recht, das auch wir uns sehr ungerne nehmen lassen. dazu kommt der Respekt und das das tiefempfundene Mitgefühl mit den Opfern, die dafür sterben mußten, furchtlos ihre Meinung gesagt zu haben.
Denn immerhin war "Charlie  Hebdo" kein stumpf- populistisches Deppenblatt, sondern eher linksgerichtet und wohl am ehesten mit der TITANIC vergleichbar.
Der korsische Politiker und Unabhängigkeitsaktivist Pierre Poggioli drückt es auf Facebook so aus:

"Obwohl ich nicht immer einige Karikaturen der Korsikas und über Korsikas im Magazin Charlie Hebdo geschätzt habe, obwohl ich es nicht schätze, irgendeine Religion ohne Hemmungen zu karikieren, auch wenn ich mich nicht in irgendeiner Weise mit der verantwortungslosen Politik Frankreichs und der Westmächte in der Welt solidarisch fühle, auch wenn ich mich nicht im Gleichklang mit der französischen Gesellschaft fühle, die meine Beschaffenheit, meine Anliegen und meine Kultur leugnet, kann ich doch nicht anders, als totales Mitgefühl für die Angehörigen der Opfer dieser furchtbaren Bluttat zu empfinden und mich vor allen Opfern des religiösen Fanatismus zu verneigen, den wir heute benennen und bekämpfen müssen [...]"

Das kann ich fast genauso unterschreiben.
Will heißen: Trauer und Fassungslosigkeit ja, aber deswegen- wie wir anno 2001 plötzlich alle Amerikaner waren, ob wir wollten oder nicht- gleich wieder das ganz große Solidaritätsfaß aufzumachen, wie momentan öfter in sozialen Netzwerken in die Welt geschickt und unreflektiert für gut befunden?
"Heute sind wir alle Franzosen! Vive la France, vive la démocratie!" 
Nein. Echt nicht.  Davon abgesehen, daß wir Korsen das als Nichtfranzosen schon seit Jahr und Tag unfreiwillig und ungefragt sein müssen, haben wir soviel französische "Demokratie" erfahren dürfen, daß man darüber lachen könnte, wäre der Anlaß nicht so unpassend.

*edit*

Aus aktuellem Anlaß noch ein weiteres Statement von der GHJUVENTU INDIPENDISTA, das ich auszugsweise geteilt und weiterverbreitet habe:

NOUS SOMMES CHARLIE, MAIS NOUS NE SERONS JAMAIS FRANCAIS
(Edition partielle):

"A toi, jeune corse, ne suis pas ce gouvernement dans ces « marches républicaines » hypocrites, ne te laisse pas mener en bateau par tous ces discours sur l’ « unité nationale », sur la « France une et indivisible » que l’on peut entendre ces derniers jours sur notre île.
Il est sain de se mobiliser par rapport à ce drame, mais pas avec ces gens, et pas au son de la Marseillaise qui n’est pas, et ne sera JAMAIS NOTRE hymne national.
Tu es corse, tu appartiens à ce peuple, alors n’oublie pas que cet Etat nous traite comme une vulgaire colonie depuis plus de deux siècles, prends conscience de cela et tourne-leur le dos !
La meilleure réponse à ce mépris, c’est de continuer à vivre, à l’usu corsu, à apprendre et à pratiquer le plus possible notre langue, à ne pas perdre notre culture, qui fait ce que nous sommes, et surtout, à faire en sorte que notre peuple ne disparaisse pas.
Perchè a nostra cuscenza hè resistenza, lotta ghjuventù l’avvene sì tù !"


Übersetzung:

WIR SIND CHARLIE; ABER WIR WERDEN NIEMALS FRANZOSEN SEIN
(Auszug):

"An dich, junger Korse, sei nicht die Regierung in diesen heuchlerischen "Republikanischen Märschen", laß dich nicht zu diesem "nationale Einheit"- und "Frankreich ist eins und unteilbar"- Diskurs, den man in den letzten Tagen auf unserer Insel hören konnte, ins gleiche Boot ziehen.
Es ist vernünftig, wegen dieses Dramas zu handeln, aber ohne diese Leute und ohne den Klang der Marseillaise, die nicht unsere Hymne ist und NIEMALS UNSERE Hymne sein wird.
Du bist Korse, du gehörst zu diesem Volk, also vergiß nicht, daß uns dieser Staat seit zwei Jahrhunderten wie eine niedere Kolonie behandelt, mach dir das bewußt und wende dich von ihnen ab!
Die beste Antwort auf diese Verachtung ist, das Leben fortzusetzen, der Gebrauch des Korsischen, unsere Sprache so gut wie möglich zu lernen und anzuwenden, unsere Kultur nicht zu verlieren, die uns zu dem macht, was wir sind, und dafür zu sorgen, daß unser Volk nicht ausstirbt.

Weil Widerstand unser Selbstbewußtsein ist, setzt die Jugend den Kampf fort!"

Mittwoch, 7. Januar 2015

Dienstag, 6. Januar 2015

Statement zu PEGIDA

Ich muß nach Wochen des Schweigens endlich mal ein Statement abgeben: ich respektiere Menschen für ihr Menschsein, nicht wegen ihrer Religion. Ich werde jederzeit für Moslems Partei ergreifen, wenn es notwendig ist, nicht für den Islam, genauso wie ich für Christen Partei ergreifen werde, wenn ich es für angebracht halte, ohne das Christentum zu verteidigen. Und die ganzen aufrechten Leute, die gegen diese Pegida- Spacken auf die Straße gehen, tun das zurecht, sollen mir aber beim besten Willen nicht verkaufen wollen, daß der Islam trotzdem irgendwie ganz schnafte sei. Ich bin dafür, daß eine aufgeklärte Gesellschaft das Joch dogmatischer Religionen endlich abschüttelt, Glauben Privatsache wird und wir endlich mal anfangen, uns auf die eigentlichen Probleme dieser Zeit zu konzentrieren, statt über irgendeinen nicht beweisbaren Scheiß zu diskutieren. Dazu brauch ich weder Pegida, noch die EKD oder den Islam.

Damit wäre zu dieser Sache alles gesagt.