Montag, 31. März 2014

Deus ex machina

Ich hatte abgeschlossen. Mit allem und jedem. Versuchte, die letzten Meter auf der Zielgerade noch mit Würde hinter mich zu bringen, ein gerüttelt Maß an Galgenhumor zu behalten, Glumpfigkeiten wie "zu Jesus finden" oder "tagelang heulend im Zimmer sitzen und schöne Momente aus meiner Kindheit Revue passieren lassen" weiträumig umfahrend.

So war es, denn es wurde gesprochen, daß ich mich nach Tübingen zu begeben hätte, um dort mal wieder meinen Kopf frikassieren zu lassen. Aber nicht nur in der HNO, auch ein Neurochirurg sollte anwesend sein, um an meinem Gehirn herumzusäbeln, denn mein letztes CT, das Frau Professorin Preyer in Karlsruhe begutachtete, hatte sie mit hochgezogenen Augenbrauen quittiert. Eine Koryphäe mit gutem Ruf bis ins Ausland, die mir immerhin in schier auswegloser Situation 2011 mit einer elfstündigen Operation das Leben gerettet hatte. Und nun zog sie die Augenbrauen hoch und atmete klarvernehmlich aus.
Diesmal, so hieß es, sei wohl alles vergebens. Das großflächige Cholesteatom in meinem Kopf würde unaufhaltsam weiterwuchern und sei nur mit einer Radikalmethode endgültig zu stoppen.
Dabei würde ich den letzten Rest Gehör auf dem linken Ohr schlagartig endgültig verlieren. Zudem sei die Operation hochgradig riskant, was mir noch so nette Optionen wie "als menschliches Gemüse aufwachen" oder "schneller als erwartet mit meinem Vater ein Bier trinken gehen können" offenließ.
Also was tun, wenn man erfährt, daß man vielleicht nur noch drei Monate zu leben hat? Siehe oben.

Man denkt immer, man würde nochmal richtig auf den Putz hauen, wie in diversen Filmen. Erstaunlicherweise war das bei mir nicht der Fall. Ich zählte weder die Tage im Countdown runter, noch verfiel ich in Aktionismus. Klar, ich wollte immer nach New York, schon als Kind... und trotzdem trabte ich nicht ins nächste Reisebüro und kaufte mir ein Flugticket.
Wäre ich ein paar Tage verreist, hätte ich stattdessen keine Zeit mit Leuten verbringen können, die mir wirklich wichtig sind... und deren schiere Gegenwart mir weitaus mehr gegeben hat, als es jedes sinnlose Geldrausschmeißen vermocht hätte. Und tot hätte ich es wahrscheinlich auch nicht sonderlich bedauert, nie in New York gewesen zu sein... aber ein paar Leute hier hätten sich wahrscheinlich gewünscht, sie hätten mehr gemeinsame Zeit mit mir gehabt.
Doch kommen wir nun zur Auflösung. Zum Deus ex machina.

Montag, 24.03. 2014, Tübingen, Uniklinik

Beim der ersten Untersuchung säubert ein überaus netter ägyptischer Arzt den Zwischenraum hinter meinem verunstalteten linken Ohr. Bei der zweiten Untersuchung sitze ich nun endlich jenem Professor Zimmermann gegenüber, einem älteren, gemütlichen Brummbär, der zuerst das CT begutachtet und dann den entscheidenden Satz verlauten läßt: "Hmmm. Ich frage mich gerade, was man da operieren soll. Meiner Meinung nach ist eine Operation überflüssig." Anschließend folgen ein halbstündiger ambulanter Eingriff, um einen Eiterherd zu entfernen (die medizinischen Details möchte ich Ihnen, verehrte Leser, dann doch ersparen... würrrg) und die Ankündigung, ich solle noch einmal draußen warten, er würde gerne mit Frau Professor Preyer in Karlsruhe (übrigens eine frühere Kollegin von ihm, was meine Entscheidung für Tübingen maßgeblich mitbeeinflußt hat) telephonieren und sich mit ihr beratschlagen, ob die OP wirklich notwendig wäre.
45 Minuten (die ich in absoluter Hypernervosität verbrachte) später das abschließende Urteil: die Operation sei hinfällig, ein regelmäßiger ambulanter Eingriff alle drei Monate täte es auch. Er hätte noch mehrere Patienten mit diesem Krankheitsbild, und die lebten durch diese Behandlungsmethode teilweise schon Jahre damit, ohne weitere Verschlechterung... und Professor Preyer sei sich über die OP auch nicht hundertprozentig klar gewesen und hätte deswegen eine kompetente Zweitdiagnose hören wollen.

Ich verlasse das Klinikum in Tübingen, ohne fassen zu können, was mir da gerade widerfahren ist. Mein weiteres Leben beginnt am 24. 03. 2014, womit ich nun schon zum zweitenmal innerhalb von drei Jahren knapp davongekommen bin. Anderen gelingt das im Leben nie.

Man könnte sich fast daran gewöhnen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen