Nun durfte also Wolfgang Thierse einmal den Mund aufmachen, was "die Schwaben" im Prenzlauer Berg angeht, und viele daheim waren ihm sicher dankbar dafür. Wie weit dieses Gefasel nun ironisch gemeint war oder nicht, erschließt sich mir nicht. Und ein Schwabe bin ich auch nicht. Nur jemand, dem dieses ständige Bashing allmählich gewaltig auf den Sack geht. Zudem ist jemand, der Cem Özdemir und Günther Oettinger als Fürsprecher aufbieten muß, bereits dermaßen gestraft, daß er auch andere Solidaritätsadressen verdient.
Davon abgesehen, daß 90% der Neuberliner keine Schwaben sind, kamen- wie erwähnt- die schlimmsten Vorurteile, die ich gegenüber Süddeutschen in Berlin zu hören bekam, selbst von Zugezogenen. Dieses Treten nach unten in der Hoffnung, das würde sie zu "richtigen Berlinern" machen: es wäre diesem wichtigtuerischen Geschmeiß zuzutrauen, daß sie zu denjenigen gehören, die Thierses Worte am lautesten beklatschen.
Man sollte ihnen vielleicht auch mal erklären, daß "Fluktuation" in einer Großstadt üblich ist. Sicher liest es sich befremdlich, wenn von 3,5 Millionen Berlinern nur noch 750 000 in Berlin geboren sind.
Aber steht Berlin damit wirklich allein da? Davon abgesehen, daß eine Stadt, die sich gerne als Weltmetropole und Maß aller Dinge in Deutschland gibt, damit rechnen muß, eine Menge Neuankömmlinge zu ziehen; kenne ich auch in Karlsruhe erstaunlich wenig Stadtbewohner, die hier geboren und aufgewachsen sind, auch wenn das Einzugsgebiet naturgemäß kleiner ist. Mein Mitbewohner kommt aus Bielefeld, einer meiner besten Freunde aus Rostock, ich selbst und dutzende anderer Leute aus der Pfalz, Schwaben oder Bayern. Komischerweise gibt es hier zwar Frotzeleien, aber keine solch monströsen Überfremdungsängste. Was sicherlich daran liegt, daß wir nicht so angesagt sind, sondern alle konservativ (wurde mir in Berlin an den Kopf geworfen), und sich hier egalerweise ja nur Spießer mit noch mehr Spießern mischen und dabei nicht die tollste Stadt der Welt zur kollektiven Kehrwoche verdammt wird.
Apropos "Überfremdung": in Berlin gibt es die größte türkische Gemeinde außerhalb der Türkei (womit ich generell kein Problem habe, bevor das jetzt mißverstanden wird), und viele Türken, die ich kenne, sind auch nicht unbedingt progressiv eingestellt; wären sie Deutsche, würden sie eine Menge sogannte Linksliberale mit Fug und Recht als "Spießer" bezeichnen. Das tut so natürlich niemand, denn an dieser Bevölkerungsgruppe kann man ja wunderbar seine Toleranz und Weltoffenheit demonstrieren. Aber irgendwo müssen sie ja trotzdem hin, die Vorurteile, und da bietet sich das Schwabenbashing perfekt an, um seine gleichzeitige Ablehnung von provinziellem Mief unter Beweis zu stellen; die "sprechen ja auch kein hochdeutsch, höhöhö". Kein Wunder, daß sich solche Gestalten wie Wiglaf Droste wohl genau deswegen in Berlin so pudelwohl fühlen.
Den Länderfinanzausgleich, die "Arm aber sexy"- Impertinenz und den Flughafen schenke ich mir in dem Zusammenhang gerne. Denn trotz drückender Beweislage wird es ja gerne als Bestätigung seines Spießertums gesehen, wenn man darauf hinweist, wie sehr die Weltmetropole an unserem Tropf hängt. Ein geschickt eingefädelter "Catch 22".
Sicher: mit Berlin verbindet mich nach wie vor eine intensive Haßliebe. Ich mag die Stadt, würde sie aber trotzdem ab und zu gerne personifizieren, um ihr ein paar auf's Maul zu hauen. Auch als Nichtschwabe.
Sonntag, 13. Januar 2013
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