Montag, 16. Dezember 2019

Vom Schreiben und versöhnlichen Abschlüssen

So etwas Irres wie die zweite Jahreshälfte 2019 habe ich in meinen inzwischen doch recht stattlichen Lebensjahren noch nie erlebt.
Ein extremstes Wechselbad der Gefühle in rasantem Tempo und genauso rasanter Taktung. Manchmal kommt es mir vor, als hätte jemand mein Leben durch einen Teilchenbeschleuniger gejagt.
In meinem letzten Beitrag schrieb ich noch etwas von einem anstehenden Jobwechsel. Das hat sich nach einem klärenden Gespräch samt Rücknahme der beiderseits vereinbarten Kündigung nun dankenswerterweise wieder erledigt.
Mein Job mag manchmal anstrengend, nervtötend und nicht ungefährlich sein, ist aber trotzdem genau das, was ich jahrelang zwecks Broterwerb gesucht habe, um endlich einmal aus dem Hamsterrad Altenpflege herauszukommen.
Es gibt bei der Betreuung jüngerer Menschen mit psychischen Problemen andere Zielsetzungen, als sie nur bis an ihr Lebensende möglichst menschenwürdig zu verwahren, was auch einen Großteil der beruflichen Motivation ausmacht. Man entwickelt einen anderen Bezug und freut sich über Fortschritte, weil man auch weiß, daß diese etwas bewirken können.
Beispielsweise, daß die Betroffenen zumindest mal phasenweise wieder in der Lage sein werden, ein annähernd normales Leben zu führen, anstatt jahrelang als Austherapierte auf einer geschlossenen Station vor sich hinzuverrotten.
Ich freue mich darum gerade sehr darüber, daß mein Arbeitgeber und ich uns doch noch einmal zusammengerauft haben.
Alles in allem zumindest EIN versöhnlicher Abschluß dieses unfaßbar glumpfigen Jahres.

Der zweite könnte demnächst ins Haus stehen. Die "Papageienschaukel" neigt sich nach Jahren im Eisfach endlich einmal ihrem lugubren Ende zu.
Meine Nochgattin, mit der ich erfreulicherweise inzwischen auch von meiner Seite aus gelegentlich wieder ein normales Gespräch führen kann, vertritt ja die These, daß Schreiben ein erlernbares Handwerk sei. Im Großen und Ganzen verneine ich das ja generell, obwohl beide Seiten eigentlich recht haben.
Jemand, der zumindest Ansätze von Begabung zeigt, ist mit der richtigen Anleitung sicherlich in der Lage, irgendwann einmal nach einem verinnerlichten Schema eine Geschichte zu verfassen.
Hat er noch dazu gute Ideen, die er bislang einfach nur nicht adäquat in eine geeignete Form gießen konnte, kann dabei auch durchaus etwas herauskommen, was sich mit Gewinn lesen läßt.
Nur bin ich nach wie vor der Meinung, daß jemand, der wirklich schreiben kann, dieser Anleitung nicht bedarf. Das klingt extrem eingebildet, aber ich glaube nicht, daß aus jemandem, der nach geraumer Zeit gelernt hat, nach Schema Z halbwegs lesbare Fantasyschinken herunterzuklopfen, auch mit noch so viel Anleitung irgendwann David Foster Wallace wird.
Ich kann jetzt nur von mir sprechen, bin mir aber sicher, daß Kollegen, die ich schätze, das ähnlich sehen: zum Schreiben brauche ich sehr oft einen Zustand fast schon manischer Besessenheit.
Natürlich gibt es Tage, an denen man - wie ich oft hier im Blog - eine lockere Fingerübung raushaut, um nicht aus der Übung zu kommen.
Aber für ambitionierte Projekte brauchte ich schon immer einen Zustand neuronaler Raserei, der manchmal etwas selbstzerstörerisches hat.
Zu den Zeiten von "Kreisklassenhölle" erreichte ich den oft unter Zuhilfenahme von Mitteln, die nicht unbedingt von der "Apotheken Umschau" empfohlen werden; das ist kein großes Geheimnis.
Heutzutage putsche ich mich mit lauter Musik auf (je konsensuntauglicher, desto besser: in den letzten Tagen stand vor allem Unsane in Dauerrotation auf der Playliste, aber auch Sick Of It All, Sheer Terror und Slayer werden gerne genommen) und stürze mich kopfüber in, ähm, meinen eigenen Kopf.
Und es funktioniert erstaunlich gut: letzte Woche schaffte ich es, an einem Tag in achteinhalb Stunden ein komplettes Kapitel herunterzudreschen, davon sieben Stunden am Stück.
Nichts essend, nur gelegentlich Kaffee in mich hineinschüttend oder rauchend auf dem Balkon stehend.
Mein Leben mag immer noch an Krücken gehen; wenn ich als Kompensation dafür meine alte Besessenheit wiedergefunden habe, bin ich dieses Jahr doch nicht ganz vergebens hüfthoch durch die Scheiße gewatet.

Und damit beende ich diesen Beitrag. Ich hab noch was zu schreiben.

1 Kommentar:

  1. Berthold Heisterkamp16. Dezember 2019 um 13:07

    Da stehe ich irgendwo zwischen dir und deiner Ex-Gattin: Du hast meines Erachtens Recht, dass ein talentarmer Mensch auch mit optimaler Anleitung nicht mehr als langweiliges Schema F produzieren wird. Ohne Anleitung würde es aber vermutlich noch unlesbarer.
    Am anderen Ende des Talentspektrums hat man dann ein paar Solitäre (wie den von dir erwähnten David Foster Wallace), die Regeln brechen und vielleicht auch für die nächsten Generationen verändern können, und das mit Gewinn für den Leser. Trotzdem ist auch da viel durch Regeln erklärbar, ob die jetzt bewusst gelernt oder intuitiv verwendet werden.
    Was ich als Leser selten erbaulich finde: Im Wahn Geschriebenes. Da braucht es in 98% aller Fälle auf der Seite des Lesers ebenfalls Wahn oder Drogen, um einen adäquaten Zugang zu finden.

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