Am geschichtsträchtigen 01. April machte ich mich also nach München auf, um das Konzert von Joe Jackson in der Muffathalle zu sehen.
Es war alles geregelt: ich hatte ein ICE - Sparticket, mit dem ich am 02. April um 20 Uhr 44 Uhr wieder nach Karlsruhe zurückreisen wollte, in der Hoffnung, vorher am Nachmittag in München noch Freunde zu treffen, sowie eine telephonische Hotelreservierung für die Nacht.
Das Erste, was diesen Tag zu einer nervtötenden Angelegenheit machte, war die unvermeidliche Konfrontation mit meiner eigenen Blödheit.
Stuttgart Hbf, Gleis 15.
Da sollte ich in den ICE überwechseln. Es wartete auch bereits ein Zug nach München, als ich plötzlich per Lautsprecheransage sowie von einem adipösen jungen Mann aufgefordert wurde, unverzüglich einzusteigen. Irritiert leistete ich dem Folge, nur um festzustellen, daß ich mich in einem IC befand.
"Kein Problem", meinte der adipöse junge Molch, "wir foahrn jo eh noch Min - chen. Da san's scho richtig."
Leider hatte mir der adipöse junge Vollidiot die nicht unerhebliche Information unterschlagen, daß der IC nicht in München am Hbf halten würde, so daß ich nach einem Zwischenstop im München - Ost plötzlich überraschenderweise in Richtung Rosenheim unterwegs war.
Sollte jemals jemand den unheilvollen Drang verspüren, in Rosenheim am Hauptbahnhof ohne Not auszusteigen: tun Sie's nicht. An diesem Ort ist kein Trost.
Insgeheim den Bediensteten verfluchend und mich in allerlei Rachephantasien suhlend, die samt und sonders etwas mit Heinrich Pommerenke und seiner Angewohnheit, Leute aus dem fahrenden Zug zu werfen zu tun hatten (nur daß die bedauernswerte Frau in der realen Begebenheit durch den weniger bedauernswerten adipösen jungen Blödmann ersetzt wurde), stieg ich also dort in die Bahn zurück.
Zum Glück war ich sehr früh unterwegs; statt um 15 Uhr betrat ich erst um 16 Uhr 30 das Hotel, in dem ich morgens telephonisch ein Zimmer für 65 Tacken reserviert hatte, was aber auch egal war. Denn ich erfuhr dort, daß ebenda angeblich niemand jemals meinen Namen gehört hatte. Auch der junge Mann, der meine Reservierung entgegen genommen hatte, existierte dort angeblich nicht.
Ich habe ja keine Ahnung, ob das Hotel Amba in der Arnulfstraße 50 Meter vom Hauptbahnhof weg in einem Paralleluniversum noch ein identisches Ebenbild hat, in dem junge Männer meine Reservierungen entgegennehmen, es muß jedoch der Fall sein, denn in dem vorhandenen hatte dies offenbar nicht stattgefunden.
Stattdessen wurde mir ein Ersatz für fluffige 80 Euro angeboten ("das ist ein großes Zimmer"), also genau das, was man für einen ca. zehnstündigen Aufenthalt braucht.
Kurz gesagt: ich hatte dann dermaßen keinen Bock mehr auf eine Minute München mehr als nötig, daß ich mir postwendend ein Rückreiseticket für die Nacht kaufte. Die 35 Euro zusätzliche Kosten nahm ich gerne in Kauf, anstatt den mindestens doppelten Betrag für eine Übernachtung zu berappen, auch wenn dadurch meine bereits gebuchte Rückfahrt hinfällig wurde.
Nach dem zweifelhaften Genuß einer Wurst der Marke "Pfefferbeißer" an einem Imbißstand (die ich heißhungrig herunterwürgte, obwohl sie wirklich aus Leder gefertigt war und ich wie ein Hund auf einem Kauknochen darauf herummalmen mußte ... aber der verarbeitete Leguan sollte sein Leben nicht umsonst gelassen haben) machte ich mich etwas frisch (will heißen: ich putzte mir in einer "Rail & Fresh" - Klokabine die Zähne, bevor ich vom Selbstekel heimgesucht wurde) und packte meinen Rucksack in ein Gepäckschließfach. Nun begann endlich der gute Teil des Tages.
Die Muffathalle,
ein sehr angenehmer und übersichtlicher Veranstaltungsort, war ausverkauft. Zu meiner Freude registrierte ich, daß sie nicht bestuhlt war.
Die Zuhörerschaft entsprach genau meiner Vorstellung: Bildungsbürgerpublikum meines Alters (oder darüber), das während des Konzerts größtenteils einen Bewegungsradius hatte, der auf einen Tortenboden gepaßt hätte. Denn allzu wild wollte man sich doch nicht gebärden.
Da ich wie angekündigt - obwohl gleichfalls geschniegelt und gebügelt - zumindest meinen neuen SHEER - TERROR - Kapuzenpulli angezogen hatte, erntete ich mehr als einen irritierten Blick, was mir aber egal war. Warum soll ich mich auf solchen Konzerten auf eine Mimikry einlassen, die für mich auch ansonsten nicht infrage kommt?
Galt Joe Jackson früher als arroganter Kotzbrocken, der bei Konzerten dem Hörensagen nach gerne mal komplette Stille während des Vortrags einforderte, schien er nun das umsetzen zu wollen, was ich in einem Interview mit ihm gelesen hatte: endlich den Kontakt zum Publikum zu suchen und mit ihm sein vierzigjähriges Bühnenjubiläum angemessen zu feiern.
Das tat er auch zwei Stunden und zwanzig Minuten lang, mit guter Beleuchtung und ebenso perfektem Sound. Auch wenn die Menge größtenteils statisch war, tat sie ihre Begeisterung in teilweise sehr lauten spontanen Ausbrüchen kund, und man merkte, wie sich der Interpret samt seiner Begleitband (die angeblich die vom "Look Sharp!" - Debüt war) anstecken ließ.
Joe Jackson gab sich extrem aufgeräumt, kommunizierte sehr viel mit den Zuschauern und ging sogar auf einzelne Zwischenrufer ein, Dazu kreierte er Momente purer Magie, die an Intensität dem Nick - Cave - Konzert in Frankfurt, das ich mit Frau Turini besucht hatte, in nichts nachstanden.
Neben einigen Songs vom neuen Album "Fool" streute er immer wieder Klassiker ein, so daß ich (bis auf "Chinatown" und "Happy Ending") alles zu hören bekam, was ich mir im Vorfeld gewünscht hatte: "One More Time", "Is She Really Going Out With Him", "Got The Time", "Another World", "Real Men", "You Can't Get What You Want..." und vieles mehr, ich könnte noch einige Beiträge der Playlist posten, doch ich will mir die ellenlange Aufzählung sparen, denn er schüttelte eine erstaunliche Menge Songs aus dem Jackettärmel.
Dabei fokussierte er sich hauptsächlich auf ein Album pro Dekade, wobei die strenge Aufteilung im Lauf des Auftritts immer mehr aufweichte, so daß neben "Look Sharp!", "Night And Day", "Laughter And Lust" (zum Glück nur mit einem Song, dem käsigen "Stranger Than Fiction" ... erraten, ich mag die Platte nicht) und "Rain" auch Stücke von "Big World" und "Fast Forward" zur Geltung kamen.
Für die Zugabe hatte er sich ein besonderes Gimmick ausgedacht: ein KORG Baujahr 1979 Drumcomputer wurde auf die Bühne geschafft, um "Steppin' Out" exakt so zu spielen, wie es sich auf Platte anhört, auch wenn das laut Joe Jackson etwas Aufwand erforderte, da er das Stück im Alleingang aufgenommen hatte und somit jedem in der Band ein Instrumentalpart zugewiesen werden mußte.
Bei dem Stück war es dann auch aus mit meiner Selbstbeherrschung, da ich mit dem Lied soviele Kindheitserinnerungen verknüpfe, daß ich gerührt ein paar Tränchen verdrücken mußte. Zum Glück war es im Saal gerade dunkel.
Da Joe Jackson pünktlich um 20 Uhr angefangen hatte, verließ ich die Muffathalle um 22 Uhr 30. Ich war wildschweinmäßig verschwitzt, da die Temperatur inmitten solch einer Menschenmenge schleichend konstant auf Saunahöhe gestiegen war und erreichte problemlos meinen ICE, um 03 Uhr 33 glücklich und nachhaltig beeindruckt wieder zuhause einzulaufen.
Was kann man von einem Konzert besseres sagen, als dankbar dafür zu sein, daß man es miterleben durfte?
Dienstag, 2. April 2019
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