Freitag, 10. Januar 2020

Kafkaeskes

Zum Film "Der Prozeß (1962)" von Orson Welles fand ich unter anderem folgende Rezension:

„Von Beginn an war klar, daß die Verfilmung von Kafkas Buch ein gewagtes, wenn nicht sogar unmögliches Unterfangen war. […] In der Zeitschrift cinema 63 stand: ‚Kafka hat durch diese Umwandlung nichts gewonnen, und seine Leser sind zu Recht enttäuscht. Das Kino ist jedoch um einen großen Film reicher geworden. Wer will sich also beklagen?‘“

Ich. Prätentiöser Kunstkack, der den Ton von Kafkas Roman zu keiner Zeit auch nur annähernd einfängt. Da bin ich als Leser nicht nur "enttäuscht", sondern ernstahft verärgert über die Hybris, offensichtlich zu meinen, man könne an dem Buch durch derartigen Schwachsinn irgendwas "verbessern".
Orson Welles gelangen zweifelsohne beeindruckende Bilder, doch die gehirnlähmend redundanten Dialoge sorgten dafür, daß ich diese nicht würdigen konnte, da ich nach einer Stunde bereits grauenhaft gelangweilt war und mich apathisch durch die zweite hindurchschleppte.
Dazu ein stellenweise hölzern agierender Anthony Perkins, den ich eigentlich mag, der hier aber komplett fehlbesetzt war.
Cineasten, werden das hier für ein Meisterwerk halten, aber da ich mit Sicherheit kein Cineast bin, betrachte ich mich als außen vor.
Zu deren Neigung, Leuten wie mir komplette Ahnungslosigkeit oder gar Dummheit vorzuwerfen, wenn sie es wagen, Godards "Le Mépris" für verschwurbelten Kopfquark zu halten, sei folgendes angemerkt:
natürlich muß auch ich manchmal bei kunstrelevanten Aussagen schlucken; letztens hatte ich eine Diskussion mit einer Bekannten, die Jazz generell als "sinnloses Gedudel" betrachtet, was ich wiederum als "ignorant" bezeichnete.
Das schätze ich immer noch an Frau Turini: obwohl sie Jazz nicht mag und bisweilen furchtbar findet (was man durchaus darf), respektiert sie ihn doch als ernstzunehmende Kunstform, zu der sie aber keinen Zugang findet.
Denn: Pauschalurteile über eine gesamte Musikgattung samt Unterabteilungen gehen gar nicht, und eine Band oder einen Sänger abzuwatschen ist immer noch eine komplett andere Liga als beispielsweise die gesamte Rockmusik als Radau untalentierter Halbaffen abzutun .
Niemand würde Menschen, die beispielsweise klassische Musik generell als "Gedudel" betrachten, ernstnehmen, darum bin ich auch hier ausnahmsweise kompromißlos, allerdings ohne persönlich zu werden.
Will aber auch heißen: ganz gefeit bin ich wohl nicht gegen Verhaltensweisen wie denen von - immer ein beliebtes Beispiel - beleidigten Dylan - Fans. Doch man kann auch gegensteuern und an sich arbeiten, um auf Kritik an gemochten Künstlern (und sei sie noch so harsch und gallig) nicht gleich mit Herablassung oder persönlichen Angriffen zu reagieren.
Wie ich schon schrieb, komme ich ja auch nicht umhin, Dylans Gesamtwerk einige brauchbare Songs zuzusprechen; umgekehrt ist der Vorwurf der Ahnungslosigkeit bei solch einem Katalog zumindest nachvollziehbarer als in dem Fall, wenn man einen (!) 90 - Minuten - Film gestelzt, aufgeblasen und sterbenslangweilig findet.
Trotzdem: ich kenne wenig Musik von Dylan, die ich wirklich ertrage (ich kann mich vielleicht dahingehend outen, daß ich die Traveling Wilburys mochte, aber die sind nun wahrlich nicht repräsentativ). Deshalb weigere ich mich auch, mich durch das Gesamtwerk zu quälen, was aber als Forderung immer mal wieder an mich herangetragen wird, um überhaupt mitreden zu können. Aber dafür ist mir meine verbleibende Lebenszeit zu schade. Mea culpa.
Was mich in solchen Fällen generell abschreckt ist diese Erhebung zu Säulenheiligen, an denen sich jegliche Kritik verbietet.
In meiner Welt gibt es diese nicht; unkritische Huldigung einzelner Künstler (sei es Dylan oder Goethe) samt ihrem Gesamtwerk ist mir zuwider, und man sollte an allem rütteln und es hinterfragen, denn nur ein kritischer Geist ist auch ein wacher.
Wer völlig vorbehaltlos einen Literaten, Filmemacher oder Musiker verehrt, ist nicht ernstzunehmen, da um keinen Deut besser als religiöse Fanatiker.
Blinde Verehrung bleibt blinde Verehrung, auch wenn sie sich noch so progressiv dünkt.

Aber ich schweife ab. Während Orson Welles' glumpfigem Machwerk taten das meine Gedanken ebenfalls, so daß mir dieses ganze Juristereigelaber in Endlosschleife doch eine Erkenntnis bescherte:
warum kam eigentlich bisher kaum jemand auf die Idee, den "Prozeß" von Kafka als Metapher für das Leben zu betrachten?
Man ist irgendwo hineingeraten, ohne daß man den Grund dafür weiß, und erfährt ihn auch nicht, wenn man sich auf die Suche danach begibt; man kommt ständig in Situationen, die aus scheinbarer Ruhe und Entspannung plötzlich ins Gegenteil bis zur Ausweglosigkeit umschlagen können und weiß, daß man definitiv irgendwann von einer übergeordneten Instanz, die man nicht zu Gesicht bekommt, gerichtet wird.
Und zu einem unbekannten Zeitpunkt wird man sterben, ohne jemals zu wissen, warum. Die meisten werden sich für unschuldig in dem Sinne halten, ein "gutes" Leben - was immer das auch sein mag - geführt, und andere werden wiederum ihr Ende als logische Konsequenz davon akzeptieren, Raubbau an sich betrieben zu haben. Oder von einer irdischen Instanz verurteilt worden zu sein, die auch nur Handlanger von etwas Übergeordnetem (eine religiöse Dimension einmal ausschließend) sein kann.
Doch ein Urteil anzunehmen heißt noch lange nicht, es zu verstehen.

Darüber würde ich gerne einmal diskutieren. Notfalls wissen Sie, wo Sie mich finden.

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