Samstag, 15. Juni 2013

Asoziales Wohnen

Es wird Zeit, mal wieder eine eindringliche Empfehlung auszusprechen.

Nicht, weil ich den mittlerweile in Berlin wohnenden Autor Dirk Bernemann persönlich kenne, und zwar von der Frankfurter bzw. Leipziger Buchmesse, wo sich unser beider Verlage einen Stand teilten; insofern riecht das für Außenstehende mal wieder nach dem üblichen gegenseitigen Eiergeschaukel.
Nein, sondern deswegen, weil sein letztes Werk "Asoziales Wohnen" äußerst gelungen ist. Bernemann beschreibt darin das Leben in einem Mietshaus, dessen Protagonisten fein säuberlich in einzelne Wohneinheiten geliedert sind, sich aber durch eine Verstrickung von Zufällen über den Weg laufen, was bei ihnen nur in seltenen Fällen nachhaltigen Eindruck hinterläßt.
Da gibt es das alte Ehepaar, das nur noch durch eine ferne Erinnerung an Liebe zusammengehalten wird und nichts mehr vom Leben zu erwarten hat; den zurückgebliebenen Sören, der körperlich und emotional von seiner Mutter mißbraucht wird und seine Hoffnung in eine 13jährige weibliche Internetbekanntschaft setzt; die vereinsamte, desillusionierte Supermarktkassiererin Sibylle; die scheinbar intakte Großfamilie; die sozial verwahrloste Kleinfamilie; den bindungsunfähigen Frauenhelden Manuel; den körperlich entstellten Einsiedler im Dachgeschoß; und, über allem thronend, der Autor, der nach einer Idee für sein neues Buch sucht und einem die Wahl läßt, ob man in ihm Bernemanns alter ego sehen möchte.

Alle diese Figuren und ihre Geschichten werden wie ein Kartenspiel durchmischt und tauchen immer wieder in zusammenhängenden Episoden auf. Jede von ihnen wird seziert und analysiert, mit Bernemanns ausgeprägtem Vermögen, das Innenleben seiner Protagonisten mit endoskopischer Genauigkeit zu untersuchen und bis in den letzten Winkel hinein auszuleuchten.
So entstehen diverse Geschichten, vollgepackt mit unvorhersehbaren Wendungen, Resümées, die ich allzuoft unterschreiben kann und die selten positiv ausfallen (ob man das gut oder schlecht findet, sei einmal dahingestellt... sonnige Gemüter dürften damit ihre Probleme haben), und im Gegensatz zum Vorgänger "Trisomie so ich dir" kommt der Erzählfluss nie ins Stocken, und das Buch liest sich in einem Rutsch weg.

Zwei Kritikpunkte habe ich doch.
Inhaltlich: manchmal scheint mir die oft flapsige Sprache der Figur nicht angemessen, was aber bestimmt nur ein subjektiver Eindruck ist, und mancher Griff in die Metaphernkiste ist mir etwas zu bemüht originell ("Wenn Schritte Wasser wären, wäre das Treppenhaus ein Aquarium" ist beispielsweise so ein Fall).
Für den zweiten, weitaus ärgerlicheren kann Bernemann nichts, und der wäre das nahezu unglaublich schlampige Lektorat. Wenn ständig "das" und "dass" verwechselt werden, der Autor- Absicht?- in der Figur des Autoren kurzzeitig in die Ich- Perspektive wechselt, grausige Druckfehler auftauchen und Wörter ganz verlorengegangen sind, so daß man die eigene Kreativität bemühen muß, um Sätze zu vervollständigen, schmälert dies das Lesevergnügen und nimmt dem Buch einiges von dem Glanz, den es verdient hätte.
Da wünscht man sich, der Unsichtbar- Verlag würde viel mehr Sorgfalt walten lassen.

Nichtsdestotrotz: ein sehr gutes Buch, dem man einen höheren Stellenwert in der modernen Literatur und viel mehr Leser wünscht, als es wahrscheinlich gerade besitzt.

„Hinter jeder Tür eine eigene Vorstellung von Leben. Mitten in deutscher Mittelmäßigkeit,
denn die Gegend hier ist eher so mittelgut, nicht wirklich asozial, aber auch nicht einbruchswürdig.

Parkbuchten, Fahrradständer, Kinderspielplätze. Alles da. Aber eben auch
nicht mehr. Wer mehr will, wohnt woanders.“

Dirk Bernemann: Asoziales Wohnen Unsichtbar Verlag, 316 Seiten, 14.95 Euro


Dienstag, 11. Juni 2013

Unheilbar dämlich


Ich mußte anderweitig bereits lesen, ich ginge zum Lachen in den Keller, weil ich den offensichtlichen Schwindel der "Germanophoben Flut- Brigade" in der momentanen Gesamtsituation nicht sonderlich witzig fand.

Nur zur Erinnerung:


"Wir, die germanophobe Flut-Brigade, haben es uns zum Ziel gesetzt Deutschland (oder Teile davon) unter den Wassermassen leiden zu lassen. Für uns ist der Slogan “Deutschland in den Rücken fallen” mehr als nur ein Lippenbekenntnis, wir lassen Taten folgen.
Aus diesem Grund haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, die von der scheisz-deutschen Volksgemeinschaft errichteten Dämme und Deiche soweit zu beschädigen, dasz das Wasser endlich wieder die Städte fluten kann.
In der vergangenen Nacht haben wir an drei verschiedenen Orten zu einer Verbesserung der Lage beigetragen um das “Freibad Deutschland” zu vergrößern: [...]

Natürlich soll das noch lange nicht alles gewesen sein. Vielerorts wurden Kläranlagen geflutet, und das Abwasser der Haushalte (leider nicht die Abwässer der Industrie) verlässt die Anlagen ungefiltert und wird in die Flüsse umgeleitet. Sorgen wir also dafür, dasz dieses Abwasser (Scheiße, Pisse usw.) die scheisz-deutschen Haushälte für sich vereinnahmt. Für die kommenden Tage sind Aktionen bei weiteren Dämmen/Deichen geplant um Magdeburg endlich das zu geben, was unsere Freunde aus England leider nicht beendet haben. [...]

Macht mit! Reißt in unbeobachteten Abschnitten der Dämme die Sandsäcke ein und erfreut euch am “Leid” der Deutschen! Lasst uns gemeinsam Deutschland in den Rücken fallen!"

Nun, es ist mir eigentlich relativ egal, ob das nun ein ernstgemeinter Schrieb einer (wohoho) "antideutschen" Gruppe ist, ein provokativ gedachter- nennen wir es einfach so- "Witz" oder gar- um den Kollegen Jan Off auf seiner Facebook- Seite zu zitieren- ein Nazischwachsinn:

"Meinen Humor trifft das Schriftstück nicht so sehr, was natürlich nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass mir mit zunehmendem Alter der geliebte Zynismus abhanden kommt. Im speziellen Fall kommt erschwerend hinzu, dass ich den Verdacht nicht loswerde, hier könnten Nazis am Werk gewesen sein. Diese seltsame Rechtschreibung, z.B. dieses "sz", wie es in den 90ern vornehmlich von ostdeutschen Punkrockern gebraucht wurde, oder die Wortwahl, z.B. "England" statt "Großbritannien"

Was den ersten Teil von Jan Offs Einschätzung betrifft, gehe ich mit ihm absolut konform. Anfügen möchte ich noch weitere Punkte:

1. es gibt also immer noch Menschen, die es legitim finden, die Deutschen 68 Jahre nach Kriegsende für irgendwas leiden zu lassen (egal in welcher Form), für was sie nicht persönlich verantwortlich zu machen sind. Daß solche Leute existieren, ist auch im Falle eines Scherzes gesichert, wie ich aus eigener Erfahrung weiß.

2. ginge es um irgendwelche ostdeutschen und bayrischen Nazischweine, wäre mir das herzlich egal. Aber bleiben ausländische Mitbürger und halbwegs vernünftig denkende Menschen gegen Vorlage eines Passierscheins von der Flut verschont?

3.bleibt immer noch die Frage nach dem Sinn und Zweck des Ganzen. Die "neue deutsche Mitmenschlichkeit demaskieren" also? Nur mal angenommen, es würden diverse autonome Zentren in Flammen aufgehen, dabei kämen dann 7 Menschen ums Leben, und eine antiautonome Feuerbrigade würde sich mit Fackeln photographieren lassen. Fände das dann auch jemand witzig? Und ist es wirklich dermaßen abstrus, wenn Betroffene, die gerade ihr ganzes Hab und Gut verloren haben, momentan nicht zu Scherzen aufgelegt sind?

4. sollte wirklich jeder ohne Hilfe von außen allein mit der Flut fertigwerden bzw. die Hilfsbereitschaft diverser Menschen nicht würdigen, um jeglichen Ruch einer neuen "Volksgemeinschaft" zu vermeiden?

Davon abgesehen, spielt diese ganze Chose mal wieder rechten Kräften und bürgerlich Konservativen in die Hände, die nicht nur wieder einen willkommenen Anlaß geboten bekommen, die Antifa zu kriminalisieren und zu diskreditieren. Nein, auch hat die NPD natürlich wieder eine Fluthilfepatrouille abgestellt und versucht, sich als bürgernahe Partei zu profilieren, während die Linke jeglicher Couleur scheinbar schlicht und einfach zu dämlich ist, selbst offenkundigste Steilvorlagen zu verwerten und ein paar Sympathiepunkte einzufahren. Aber wer braucht die schon? Deutschland ist ja sowieso scheiße.
Ob das Ganze ein organisierter Schwindel von Nazis ist, um obiges Ziel zu erreichen, halte ich nicht für ausgeschlossen, aber anhand der ansonsten relativen Humorfreiheit dieser Bagage doch für zweifelhaft.

Sollte das in irgendeiner Form aus dem linken Spektrum kommen:

es gibt auch Leute, die sich für halbwegs fortschrittlich denkend halten und trotzdem nicht jeden Scheiß gutheißen, vor allem nicht, wenn er sich dermaßen entgegengesetzt zu gesundem Menschenverstand verhält.
Sollte die Sache trotz aller berechtigten Zweifel ernstgemeint gewesen sein, dürft ihr Schwachköpfe gerne mit gutem Beispiel vorangehen und als erste absaufen.

Huch. Jetzt bin ich demaskiert.




Sonntag, 2. Juni 2013

Klingelingeling, klingelingeling, hier kommt die Pest


Vor einigen Tagen wählte Oliver Bierhoff in einem Interview mit der Welt folgende Worte: "Dass die sogenannten Traditionsvereine immer wieder auf eine Art Besitzstandswahrung pochen, ist für mich unverständlich. Das ist einfach nicht zeitgemäß. Bei dieser Denkweise dürfte in der Wirtschaft kein Unternehmen mehr gegründet werden, denn es gibt ja schon Traditionsunternehmen. Woher sollten dann neue Impulse kommen, woher Wachstum?"

Daß der Frischgefönte mit seinen ebenso heißluftigen Worten endlich mal ein brauchbares Statement abgegeben hat, ist offensichtlich. Hoffenheim und Wolfsburg in der ersten, nun endlich RattenBall Leipzig in der 3. Liga, das hat sich der bekannterweise darbende deutsche Fußball redlich verdient.

Natürlich ist das Zauberwort "Wachstum". Ist es nicht schön, daß Leipzig nun als gargantuesker Werbeträger für ein Grundnahrungsmittel wie diese absunderliche Chemiebrause dienen darf (aber im Gegenzug immerhin endlich Profifußball erhält) und der am Hungertuch nagenden Bundesliga endlich ein Hoffnungsträger erschienen ist, bevor die Spieler weiterhin mit Holzpantinen auf zusammengenähte Lumpenbälle eintreten müssen?

Denn amen, amen, ich sage euch: das Wachstum rechtfertigt jeden offenkundigen Schwachsinn. Ich hoffe, Deutschland baut künftig an der Neutronenbombe. Das schafft auch wieder Arbeitsplätze.