Mutterseelenallein in einem Club zu stehen, ist mir heute zumeist egal, aber zu einer Zeit, in der man seinen Platz im Leben noch lange nicht gefunden hat und auf eine - neudeutsch - peer group angewiesen ist, kann das eine recht deprimierende Erfahrung sein.
Man kann natürlich - was eine häufige Motivation für Clubbesuche ist - Kontakte zu potentiellen Sexualpartnern knüpfen (die in meinem Fall weiblich sein sollten), aber daß ich ein Womanizer sei, ist ein Attribut, das hundert willkürlich ausgewählten Menschen aus meinem Bekanntenkreis wohl als letztes einfallen würde, befragte man sie nach meinen herausragendsten Eigenschaften.
Darum sollte ich eigentlich auch jeden Abend ein Kerzlein anzünden, um Gott, Ctulhu, dem Kosmischen Supergnu (oder wer auch immer dafür verantwortlich ist) zu danken, daß ich in der Hinsicht über die Jahre verhältnismäßig wenig Mangel zu leiden hatte.
Jedenfalls war ich zu Beginn meiner MASH - Zeit froh darüber, zumindest mal ein bekanntes Gesicht zu erblicken: ein Typ aus meiner früheren Realschul - Parallelklasse trieb sich dort regelmäßig herum, der einen ähnlichen Musikgeschmack wie ich zu haben schien.
Er war damals ein relativer Außenseiter gewesen und ich hatte nie mit ihm zu tun gehabt, aber an meinem ersten Abend kam ich mit ihm ins Gespräch, und als wir es uns auf die ersten Lieder getraut hatten, voreinander rumzuhüpfen (in meinem Fall hieß das erst einmal, daß ich mich mit einer Hand auf der Empore an der Box festhielt und autistisch in Schwarzspechtmanier dermaßen die Rübe bangte, daß mein Verlassen des MASH nach Sperrstunde aufgrund körperlicher Verspannung fast etwas quasimodoeskes hatte), freundeten wir uns an.
Leider hatte er eine recht nervtötende Art, die kaum jemand ertrug; und ständig als siamesische Zwillingsfreakshow wahrgenommen zu werden, erleichterte das Kennenlernen anderer Stammgäste nicht wirklich.
Trotzdem blieben wir etwas mehr über drei Jahre befreundet, bis mich eine unangenehme Geschichte (die nichts mit mir direkt zu tun hatte) dazu zwang, abrupt den Kontakt zu ihm abzubrechen und ihn auch nie wieder herzustellen. Näher werde ich darauf nicht eingehen.
Jedenfalls ließen wir uns zumeist im Doppelpack ein - bis mehrmals wöchentlich durch den Laden treiben, vollgestopft mit Menschen aus allen möglichen Kulturen und Subkulturen.
Da gab es beispielsweise die Gruppe der Jugendwerkpunks, die aus einer Fördereinrichtung etwas außerhalb der Stadt stammten. Einige von denen waren ganz umgänglich, manche waren ziemlich üble Schnorrer, und zumeist blieben sie unter sich.
Manchmal brachten sie auch Leute von anderswo mit. Ich erinnere mich an einen lederjackentragenden Typen mit einem mindestens 15 cm hohen blauen Iro, der mal auf mich zugetorkelt kam, als ich gerade die Toiletten verließ. Er hatte den Daumen auf den Mund gepreßt und die Backen aufgeblasen wie Dizzy Gillespie, als er an mir vorbei zur Tür hineinstürzte, und ich habe ihn danach nie wiedergesehen. Sollte er nicht von Außerirdischen entführt worden sein, hoffe ich, einer von seinen Kumpels hat ihn wieder rausbefördert, sonst liegt er wahrscheinlich heute noch dort.
Die Leute aus dem Jugendwerk gründeten nicht nur eine eigene Antifagruppe namens "Rote Front Landau", sondern auch eine Deutschpunkband namens "Dirty Minds", die textliche Pretiosen wie die folgende vortrug:
"Ich hab eine Freundin, die ist Franzose (sic!)/ und sie ist so verklemmt/ die Franzose im Polohemd"
Eben jener Sänger lief auch mit einer Bomberjacke mit aufgesprühtem eingekreistem A auf dem Rücken herum, unter das er mit Lackstift ARNARCHIE geschrieben hatte.
Ich muß wohl nicht extra erwähnen, daß die ganze Clique nicht als sonderlich helle galt; umso erfreulicher fand ich es, als mir besagter Troubadour fast zehn Jahre später noch einmal begegnete, als ich auf einer Abiturfeier der Einrichtung des Zweiten Bildungswegs war, die ich auch durchlaufen hatte.
Nicht nur hatte er sich laut eigener Aussage zum begeisterten Jazz - und Funkhörer gemausert, sondern stand tatsächlich auch selbst ein Jahr vor dem Abschluß. Ich fände es mal spannend zu erfahren, was aus dem geworden ist.
Mit einem andern Typen aus dem Jugendwerk gab es mal einen sehr häßlichen Zwischenfall.
Ich ging einmal mit besagtem Freund (nennen wir ihn künftig X) die Treppe hoch, um frische Luft zu schnappen, als sich ein Jeansjackenträger mit zurückgegelten Haaren und metallbeschlagenen Cowboystiefeln, der offenbar ein äußerst aggressiver Psychopath und auf dem Weg nach unten war, an uns vorbeidrängte und X heftig in die Rippen stieß.
Jenem blieb die Luft weg, und keuchend und wimmernd hielt er auf der Stufe, auf der er sich gerade befand, inne. Schneller, als ich in irgendeiner Form reagieren konnte, baute sich dieses Arschloch vor X auf und fragte ihn eindringlich, ob er ein Problem hätte, was mein Freund natürlich nicht adäquat beantworten konnte, worauf ihn der Schläger mit einem wuchtigen Tritt ins Gesicht die Treppe hinunterschickte und dann seelenruhig von dannen zog.
Was dann passierte? Nichts.
X, der zudem Brillenträger war, lag mit blutüberströmtem Gesicht zu Füßen des Typen an der Einlaßkontrolle; nachdem ich mich vergewissert hatte, daß er weder etwas gebrochen, noch ein Brillenglas ins Auge bekommen und nach wie vor alle Zähne im Mund hatte, rannte ich schockiert die Treppe wieder hoch und wußte nicht, was ich tun sollte, denn als Punk die Bullen zu rufen, schied natürlich völlig aus.
Die zwei oder drei Jugendwerkpunks, die oben herumlungerten und die Szenerie mitverfolgt hatten, nahmen das Ganze noch dazu erstaunlich sportlich.
Das sei halt mal der Harry, und wenn der aggro sei, ticke er halt gerne mal aus. Man solle sich dann besser nicht mit ihm anlegen, denn dann zöge er ein Messer, er habe immer eins dabei.
Ich ging zu der Zeit wegen zweier großer Risikofaktoren (Trampen und Faschos) zwar auch nie unbewaffnet aus dem Haus, hatte aber keinerlei Ambitionen, mir mit solch einem Wahnsinnigen noch eine Messerstecherei zu liefern, während unten mein damals bester Kumpel lag und vor sich hinblutete wie ein Schwein.
Und so blieb alles ganz entspannt, und keiner machte sich unnötig Streß. Und ich begrub auf dem Heimweg meine idealisierte Vorstellung von Solidarität der Anhänger einer Subkultur untereinander.
Ich war noch sehr jung damals und hatte gerade eine erste wichtige Lektion gelernt.
(weiter in Teil 6)
Sonntag, 17. Februar 2019
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