Der Grund, warum ich mich sonntags dort einfand, war anfangs "Smells Like Teen Spirit" von Nirvana.
Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, war der Beginn meiner Punksozialisation dieser eigentlich unglamouröse. Ich kann nicht behaupten, durch irgendwelche Insidertips zu Musik härterer Gangart gekommen zu sein, abgesehen von Slayer, als deren Fan ich mich auch erst outete, als sowieso schon alles egal und mein Image als Liebhaber gepflegter Mainstreammusik schon genauso hinüber war wie das als wohlerzogener junger Mann. Wobei das "wohlerzogen" auch nur auf Spekulationen meines Umfelds zurückging, die im krassen Gegensatz zu meiner eigenen Erfahrung standen, aber das ist eine komplett andere Geschichte.
Aber Minor Threat und die Dead Kennedys folgten erst im Anschluß an dieses:
mein Ekel und meine Wut über die ausländerfeindlichen Pogrome in Rostock und Hoyerswerda trafen zusammen mit dem Kennen - und Schätzenlernen meines ersten richtigen Linksautonomen im Rahmen des Freiwilligen Sozialen Jahrs und der Ausstrahlung des Nirvana - Videos auf MTV.
Nach drei oder vier Durchgängen gefiel mir der Song, und ich wollte nur noch eines: an Orten und auf Konzerten sein, an und auf denen man zu Musik dermaßen hemmungslos aus sich herausgehen konnte, wie ich es ebenda gesehen hatte. Und Leute um mich herum zu haben, die mein neu erwachendes politisches Bewußtsein mit mir teilten, denn in meinem bisherigen Freundeskreis erntete ich damit im harmlosesten Fall Verwunderung oder Desinteresse.
Also begann ich, ins MASH zu gehen, passierte nach der Einlaßkontrolle anfangs noch reichlich unsicher über den flachgenoppten schwarzen und roten Kunststoffbodenbelag tappend zuerst eine Sitzgruppe aus Holzquadern und ging an die vordere Theke, um mir - huch - ein BIER zu bestellen.
Ich war nun also kein harmloser Heranwachsender mit Polohemdkragen unter dem Sweatshirt mehr, sondern ein richtiger Teenager, der in obskuren Discos Alkohol trank. Ein großer Schritt für Stefan Gaffory, gar keiner für die Menschheit, aber egal.
Weiter ging es durch den schlauchförmigen Mittelgang, der genauso eingerichtet war: unterschiedlich hoch aufgestellte Sitzgelegenheiten unter konkaven Wänden, alles zusammen einen zutiefst abgeranzten Flair versprühend wie ein Stinktier sein Sekret aus der Afterdrüse.
Rechter Hand kamen dann zuerst die Toiletten, und eines will Ihnen gesagt sein: ich weiß ja nicht, wo überall Sie jemals Ihr Geschäft verrichtet haben, aber etwas Grauenerregenderes hat wohl kaum je ein Menschenaug' erblickt, zumindest nicht in mitteleuropäischen Gefilden. Zumindest kam es mir damals so vor.
Die Toiletten waren geschätzt von 1968 und seitdem wahrscheinlich weder renoviert noch geputzt worden. Der Uringestank dort war so beißend, daß Kleingeld in der Hosentasche sofort zu rosten begann, wenn man den Raum betrat, und es gab vor dem Betreten des MASH keine furchterregendere Vorstellung, als in dem Laden plötzlich unaufschiebbar scheißen zu müssen.
Links von diesem Kabinett des Schreckens befand sich der Raum mit der Tanzfläche: in der Mitte ein hell ausgeleuchtetes Areal von der Größe eines Studentenwohnheimzimmers mit Metallbeschlägen auf dem Boden, links und rechts davon Sitzreihen und am Kopfende eine Art mit Schwarzlicht bestrahlter Empore, in der die mannshohen Boxen standen und außerdem genug Platz war, um konspirativ tanzend den Blicken entzogen zu sein, wollte man sich nicht unten im Flutlicht vor jedermanns Augen zum Kasper machen.
Apropos "zum Kasper machen": auch meine äußerliche Mimikry begann zu der Zeit schleichend. Rückblickend ist es unfaßbar, welche Outfits man mit 19 oder 20 cool, gewagt oder verwegen fand.
Obligatorisch: offenes Holzfällerhemd über Bandshirts, dazu abgeschnittene schwarze Bundeswehrhosen und Neunlochdocs mit roten Schnürsenkeln. Wenn man ganz verrückt drauf war, T - Shirt ÜBER dem Holzfällerhemd. Mit Kuli selbstbekritzelte Jeans, mit kunstvoll erstellten Bandlogos und grunzpeinlichen Politparolen verziert.
Mein erstes richtig "cooles" Bandshirt war ein inoffizielles mit dem Logo der Red Hot Chili Peppers, weil ich damals die gerade neuentdeckte und - gekaufte "Blood Sugar Sex Magik" bis zum Erbrechen rauf - und runternudelte, etwas, was mir heute ähnlich fremd ist wie meine damaligen Outfits.
Das T - Shirt mußte natürlich allzeit einsatzbereit sein: nach dem Tragen mußte es am nächsten Tag auslüften, da nach jedem MASH - Besuch alle Klamotten nach totem Maulwurf rochen.
Mußte es in die Wäsche, wurde mit heranschleichender Panik gehofft und gebangt, daß Muttern es bis zum Sonntag gewaschen haben würde und es dazu auch noch trocken sei.
Und um es vorwegzunehmen: "Smells Like Teen Spirit" war anfangs der einsame Höhepunkt des Abends, und ich weiß, daß ich nicht der Einzige war, der vom Durchdrehvorsatz geleitet war.
Denn oftmals artete der Pogo der Meute, die schlagartig die Tanzfläche stürmte (und manchmal sogar von Besuchern, die von den oberen Sitzreihen in die Menge hechteten) zu einem wüsten Tumult aus, bei dem man nach Songende mehr oder weniger zerschunden zu gleichen Teilen glücklich, auf eine seltsame Art und Weise befriedigt sowie stolz war, ihn mittenmang dabei ohne größere Schäden überstanden zu haben.
Andere hatten manchmal weniger Glück: einmal verließ ich die Tanzfläche mit einem Fetzen der Unterlippe meines damals besten Kumpels, der am Ärmel meines T - Shirts klebte.
(weiter in Teil 3)
Sonntag, 10. Februar 2019
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