Freitag, 15. Februar 2019

MASH it up - Remix 2019 Track 3: On The Road Again


Bis es allerdings soweit war, mußte ich zuerst mal ein organisatorisches Problem von gewaltigen Ausmaßen lösen: wie kam ich sonntags um diese Zeit überhaupt nach Landau?
Ich hatte keinen Führerschein, Freunde mit Auto, die mich begleitet hätten, waren keine in Sicht, und meine Mutter konnte ich auch nur sehr selten dazu überreden, mich frühabends einfach
13 Kilometer durch die Gegend zu karren.
Also gab es zwei Alternativen: bei halbwegs erträglicher Witterung fuhr ich mit dem Fahrrad, was mich im Lauf der Zeit nicht nur zwei davon kostete, die mir geklaut wurden, sondern den Heimweg je nach Alkoholkonsum auch manchmal zu einem Wagnis machte.
Ich erinnere mich noch recht gut an einen Abend, an dem ich mit meinem (auch heute noch) guten Freund Thorsten unterwegs war.
Kurz zuvor hatte ich zum ersten Mal erfolgreich zarte Bande zu einer jungen Dame bei mir aus dem Ort geknüpft, was aber drei Tage später bereits wieder irreparabel vorbei war, und dementsprechend war meine Stimmung. Also fuhren wir auf unseren Rädern ins MASH (auf der Strecke über Knittelsheim, das sehr spezielle Ottersheim, aber dazu später,  und Offenbach/Queich), wo ich mein gekränktes Gemüt dadurch betäubte, daß ich mir in kürzester Zeit das Stammhirn mit Bier flutete und in einer Klokabine kotzend über der Schüssel hing.
Zum Glück war ich damals dermaßen weggetreten, daß ich mir gar nicht richtig gewahr wurde, in was für einen Höllenschlund ich mich da gerade entleerte, und dem kleinen Rest von mir, der noch etwas realisierte, war es komplett egal. Thorsten, der mich verzweifelt suchte, fand mich jedenfalls nur deshalb, weil meine bestiefelten Füße unter der Tür der Klokabine herausragten und geleitete mich dann in Blindenhundmanier aus dem Laden hinaus zu unseren Fahrrädern, auf denen wir den Heimweg antraten.
Auf diesem brachte ich das einzigartige Kunststück fertig, zweimal während des Fahrens auf dem Sattel einzuschlafen, weil ich komplett komatös war, was mich in der Folge vom Weg abbrachte und dann in einer abrupten Flugeinlage vom Rad auf den jeweils angrenzenden Acker katapultierte.
Erstaunlicherweise überstand ich das, ohne auch nur einen Kratzer davonzutragen, die alte Binsenweisheit bestätigend, daß Kleinkindern und Besoffenen nie etwas passiert.
War das Wetter scheiße, mußte ich auf Möglichkeit zwei zurückgreifen, dann trampte ich. Dummerweise fand ich kaum jemanden, der in Bellheim anhielt und gleich nach Landau durchfuhr, so daß ich meistens einen Zwischenstop in besagtem Ottersheim einlegte, damals das unbestrittene Epizentrum dorfdeppiger Dumpfnüssigkeit.
Kam man aus meiner Richtung ins Dorf, fuhr man automatisch auf eine Bushaltestelle zu, bevor die Straße dann eine scharfe Linkskurve Richtung Landau beschrieb. An besagter Haltestelle hatten auch einige juvenile Frikasseehirne eine Art Treffpunkt eingerichtet, an dem zumeist schnauzbärtige Mopedfahrer mit Nackenspoilern und FALCON - Bomberjacken Marlboro rauchten und Böhse Onkelz hörten.
Als Punk wurde man da nicht gerade freundlich beäugt, wenn man zehn Meter entfernt trampte, und da die Anhängerschaft der deutschen Fußballnationalelf damals durchaus noch nicht so weltoffen und buntgemischt war wie heute, mußte ich einmal sogar die Beine in die Hand nehmen, als nach einem Spiel der EM 92 plötzlich irgendwelche Typen mit Deutschlandfahnen hinter mir her waren. Ich weiß zwar nicht, ob mir großartig was passiert wäre außer Pöbeleien und ein paar Ohrfeigen, aber ich hatte keine Lust, das herauszufinden.
Doch auch, wenn man glücklich jemanden gefunden hatte, der einen (manchmal nach anderthalb Stunden Wartezeit) das letzte Stück nach Landau mitnahm, konnte man noch einige bizarre und manchmal auch beunruhigende Erfahrungen machen.
Eimal nahm mich ein arroganter Schwarzer mit Dreads und Lederjacke mit, der mir erzählte, sein Name sei Marcus, er wäre Musiker und hätte mit dem damals populären One - Hit - Wonder Carl Keaton gespielt, was mich - ohne annähernd jemanden zu kennen, der auch nur halbwegs prominent war - irgendwie beeindruckte.
So weit, so gut. Jedoch fing der gute Mann kurz darauf an, zu maulen, er würde jetzt extra wegen mir einen Umweg fahren und hätte kaum noch Benzin. Und so ging es weiter, er wurde immer arschiger und pampiger, bis er mir, der ich die Situation irgendwann als latent bedrohlich empfand, ein paar Mark Spritgeld aus den Rippen gepreßt hatte. Wohlgemerkt: ein Studiomusiker einem jungen Auszubildenden, dem man schon von Weitem ansah, daß er weder Kohle noch sonstwas auf der Pfanne hatte.
Ein anderes Mal stand ich da und hörte bereits aus einiger Entfernung ein lautes BUMM BUMM BUMM auf die Haltestelle zukommen. Kurz darauf bog ein aufgemotzer Golf GTI um die Kurve, der einen stilisierten Adler mit ausgebreiteten Schwingen auf der Motorhaube kleben hatte und aus dem Blümchen und sonstiger Eurotrash wummerte, und zwar nicht nur laut, sondern FUCKIN' laut. Er hielt mit quietschenden Bremsen, ein  schnauzbärtiger Typ im Tanktop stieg aus und fragte "wu willschn hi"?
"Landaach."
"Steisch ei, ich schmeiß grad noch den Scheiß do hinnenei", worauf er ein paar leere Kartons auf den Rücksitz feuerte. Als ich dann auf dem Beifahrersitz Platz nahm, sah ich auf dem Rücksitz ein höchstens fünfjähriges Kind, das noch dazu direkt vor der mächtigen Box saß, während der Fahrt ständig "Babba" rief und versuchte, seinem Erzeuger etwas zu sagen, was dieser andauernd mit einem schlechtgelaunten "jajaah" abtat. Was für eine glückliche Kindheit.
Ein weiteres mal hielt ein dicker Mercedes mit einem poppermäßigen Typ am Steuer, der mich dann fragte, ob es mich stören würde, wenn er Musik anmachte. Ich sagte "nein" und erwartete U2 oder ähnliches.
Stattdessen bekam ich überraschend atonalen Krach um die Ohren gehauen, der sich als Steel Pole Bath Tub herausstellte, die ich inzwischen selbst sehr schätze, und der Typ am Steuer war Rene, der mit dem Geschäftsauto seines Vaters unterwegs war und zwei oder drei Jahre später einer meiner besten Kumpels werden sollte. Das war unsere erste Begegnung.
Schön war diese Zeit natürlich nicht. Es war auf eine gewisse Weise entwürdigend, dermaßen von anderen abhängig zu sein. Ebenso war die Ungewissheit, wie man wieder heimkäme (ohne mitten in der Nacht Mutter aus dem Bett zu klingeln und auf dem Heimweg ihre - verständlicherweise - schlechte Laune zu ertragen) genauso nervtötend wie damals noch wildfremde Leute im MASH anzuquatschen, ob sie mich mit dem Auto ein Stück in ihre Richtung mitnehmen könnten.
Doch das hatte sich bald erledigt, denn im Februar 93 schaffte ich endlich die Führerscheinprüfung.

(weiter in Teil 4)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen